VG Würzburg, Urteil vom 18.12.2018 - W 1 K 18.551
Fundstelle
openJur 2020, 55732
  • Rkr:
Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das Verfahren W 1 K 15.733 durch die Klagerücknahme vom 16. November 2016 beendet wurde.

Tatbestand

Der am ... geborene Kläger erlitt als Fachlehrer an der Staatlichen Berufsschule B. am 8. März 2001 einen Dienstunfall, bei dem er von einem Schüler im Unterricht angegriffen wurde. Das Schadensereignis wurde mit Bescheiden vom 19. April 2001 und 12. November 2003 als Dienstunfall mit folgenden Dienstunfallfolgen anerkannt: Thoraxprellung links, Schädelprellung, Schürfwunden linker Thorax und rechtes Schienbein sowie posttraumatische Belastungsstörung.

Am 8. Februar 2002 ist die seinerzeitige Ehefrau des Klägers aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen; die Ehe wurde zwischenzeitlich geschieden. Am 1. September 2002 wurde der Kläger in den Ruhestand versetzt.

Mit Bescheid vom 12. November 2003 wurde dem Kläger ein Unfallausgleich auf der Basis einer MdE von 100 v. H. und ab 8. April 2001 auf der Basis einer MdE von 30 v. H. gewährt. Mit weiterem Bescheid vom 12. November 2003 wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Unfallruhegehalt ab 1. September 2002 vorliegen, nicht jedoch für ein erhöhtes Unfallruhegehalt nach § 37 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG). Die Rechtsbehelfsverfahren im Hinblick auf eine Erweiterung der Dienstunfallfolgen, gegen die Unfallausgleichsfestsetzung und die Ablehnung der Voraussetzungen nach § 37 BeamtVG blieben erfolglos (VG Würzburg: W 1 K 04.664, W 1 K 04.665, W 1 K 04.819; BayVGH: 3 ZB 05.1838). Ein weiteres Klageverfahren gegen die mit Bescheid vom 28. November 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2007 festgesetzte Höhe der Versorgungsbezüge sowie zur Gewährung erhöhten Unfallruhegehaltes blieb ebenfalls erfolglos (VG Würzburg: W 1 K 07.142; BayVGH: 3 ZB 07.3124). In dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wurde u.a. ausgeführt, dass das Schreiben der Ehefrau des Klägers vom 7. Oktober 2001 allenfalls einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Art. 51 BayVwVfG begründen könne, dies jedoch nicht Gegenstand des zu entscheidenden Verfahrens sei.

Am 11. Dezember 2008 stellte der Kläger einen Antrag nach Art. 51 BayVwVfG, da bislang im Rahmen der Unfallfürsorgeansprüche die durch den Dienstunfall verursachte Zerrüttung der Ehe außer Acht gelassen worden sei. Nach Ablehnung des Antrages mit Bescheid vom 20. Januar 2009 und erfolglosem Widerspruchsverfahren wurde die erhobene Klage in der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2009 zurückgenommen und das Verfahren eingestellt (W 1 K 09.550). Auf den Antrag, das Verfahren fortzusetzen, wurde mit Urteil des VG Würzburg vom 26. Januar 2010 festgestellt, dass das Verfahren aufgrund der Klagerücknahme beendet ist (W 1 K 10.28). Ein nachfolgender Antrag auf Zulassung der Berufung wurde durch Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Dezember 2010 abgelehnt (3 ZB 10.466).

Aufgrund nochmaliger ärztlicher Untersuchungen des Klägers schätzte das Gesundheitsamt H. mit Schreiben vom 17. Januar 2012 und 13. November 2013 die MdE unverändert mit 30 v.H. ein.

Am 19. Februar 2015 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Erhöhung des Unfallausgleich auf 50 v.H., welcher mit Bescheid vom 29. Mai 2015 abgelehnt wurde (Ziffer 1), da die vorgelegten Unterlagen keinerlei medizinische Informationen erhielten, aus denen sich eine Änderung der MdE seit der letzten Untersuchung im Jahre 2013 ableiten lasse. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens wurde ebenfalls abgelehnt (Ziffer 2), da der Einfluss der Scheidung auf den Gesundheitszustand des Klägers und der Zusammenhang mit dem Dienstunfallereignis bereits wiederholt Gegenstand von Verwaltungsentscheidungen und Gerichtsverfahren gewesen sei. Es sei daher nicht erkennbar, inwieweit die vorgelegten Unterlagen Beweismittel im Sinne des Art. 51 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG darstellten.

Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 8. Juli 2015 Klage erhoben (W 1 K 15.733). Mit Schreiben vom 16. November 2016 hat er das Mandat gegenüber seinen vormaligen Bevollmächtigten gekündigt und die Klage zurückgenommen mit dem Hinweis, dass er im Hinblick auf das erhöhte Unfallruhegehalt und den Unfallausgleich das Verfahren von der Kanzlei D. geführt sehen möchte. Hieraufhin wurde das Verfahren W 1 K 15.733 mit Beschluss vom 29. November 2016 eingestellt.

Am 21. März 2016 erhob der Kläger zudem Klage gegen die mit Bescheiden der Beklagten vom 14. Oktober 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2016 erfolgte Ruhensregelung gemäß Art. 85 BayBeamtVG (W 1 K 16.304). Unter dem 15. und 21. September 2016 ließ der Kläger seine Klage dahingehend erweitern, ihm Unfallausgleich gemäß Art. 52 BayBeamtVG ab dem 8. März 2001 mit einer MdE von mindestens 50 v.H., hilfsweise ab dem 22. Januar 2003 mit einer MdE von mindestens 50 v.H., hilfsweise ab dem 1. Januar 2010 mit einer MdE von mindestens 70 v.H. zu gewähren sowie die Beklagte zu verpflichten, ihm erhöhtes Unfallruhegehalt gemäß Art. 54 BayBeamtVG ab dem 8. März 2001 mit einer MdE von mindestens 50 v.H. zu gewähren. Der Bescheid vom 29. Mai 2015 aus dem Verfahren W 1 K 15.733 findet in den Schriftsätzen der Klägerseite keine Erwähnung. Nach Hinweis des Beklagtenvertreters auf die Unzulässigkeit der Klageerweiterung wegen doppelter Rechtshängigkeit erklärte die Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 17. November 2016, dass der Kläger im Verfahren W 1 K 15.733 die Klage zurückgenommen habe und keine doppelte Rechtshängigkeit mehr bestehe; die Klagerücknahme wurde dem Schriftsatz beigefügt. Mit Urteil vom 9. August 2017 wurde die Klage abgewiesen. Der vom Kläger gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde durch Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. November 2017 abgelehnt.

Mit Schreiben vom 24. April 2018 hat der Kläger gegenüber dem Verwaltungsgericht Würzburg erklärt, dass die Klagerücknahme vom 16. November 2016 ungültig gewesen sei; es sei ein Irrtum gewesen. Die Sache müsse wieder aufgegriffen werden. Zur Begründung ließ er weiter ausführen, dass er irrtümlich davon ausgegangen sei, dass im parallel laufenden Klageverfahren W 1 K 16.304 seine Begehren nach erhöhtem Unfallausgleich und Unfallruhegehalt miteinbezogen würden. Der Beklagte habe damit rechnen müssen, dass der Kläger nach Ergehen des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. November 2017 im Verfahren 3 ZB 17.2113 seine Klagerücknahme noch widerruft und sein Begehren weiter verfolgt. Der Kläger habe nämlich mit Schreiben vom 28. Januar 2016 einen neuerlichen Antrag auf die Gewährung einer höheren MdE und Unfallausgleich bzw. Unfallruhegehalt unter Abänderung der bestehenden Bescheide gestellt, über den bislang noch nicht entschieden sei. Der Beklagte habe im Schreiben vom 9. August 2017 selbst darauf verwiesen, dass über die im November 2015 erhobene Klage noch nicht entschieden sei; er sei also selbst davon ausgegangen, dass dieses Klageverfahren weiter betrieben werde. Das ZBFS Unterfranken habe mit Bescheid vom 8. Dezember 2017 festgestellt, dass der Grad der Behinderung alleine auf seelischem Gebiet rückwirkend ab dem 1. Januar 2010 bei 70 v.H. liege. Dr. K. habe in einem nervenärztlichen Attest vom 2. Mai 2017 zudem bestätigt, dass der Kläger bereits seit Herbst 2002 auf Dauer nicht mehr in der Lage gewesen sei, einer Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachkommen zu können. Der Umfang der verminderten Arbeitsmöglichkeiten sei daher seither mit 100 v.H. zu beziffern. Vor diesem Hintergrund sei die Klagerücknahme allein aus Gründen der Prozessökonomie wirksam widerrufen worden, um künftige Klageverfahren zu vermeiden. Darüber hinaus komme ein Widerruf in Betracht, wenn es - wie vorliegend - mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, einen Beteiligten an der von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten.

Der Kläger beantragt,

das Verfahren W 1 K 15.733 weiterzuführen und festzustellen, dass die Klagerücknahme nicht wirksam war.

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Mai 2015 zu verpflichten, gemäß dem Antrag vom 18. Februar 2015 einen höheren Unfallausgleich zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

festzustellen, dass das Verfahren gemäß Beschluss vom 29. November 2016 rechtskräftig eingestellt ist,

hilfsweise die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird zusammenfassend vorgetragen, dass die Klagerücknahme vom 16. November 2016 wirksam sei; ein Irrtum liege nicht vor. Der Wortlaut der Klagerücknahme sei - wie bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. August 2017 festgestellt - eindeutig. Irgendwelche Hinweise auf eine Klageerweiterung im Parallelverfahren wegen Versorgungsbezügen seien darin nicht ersichtlich. Soweit der Kläger das Schreiben des Beklagten vom 9. August 2017 an den Kläger anspreche, so habe die Bezügestelle Dienstunfall erst mit Rückgabe der Akten am 15. September 2017 vom Abschluss des genannten Verfahrens Kenntnis erlangt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakten in den Verfahren W 1 K 15.733, W 1 K 16.304 sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Der Antrag des Klägers, das Verfahren W 1 K 15.733 weiterzuführen und festzustellen, dass die in diesem Verfahren abgegebene Klagerücknahmeerklärung nicht wirksam war, bleibt ohne Erfolg. Das Verfahren W 1 K 15.733 ist nicht fortzusetzen, da es durch die Klagerücknahme des Klägers vom 16. November 2016 beendet und durch den dies feststellenden deklaratorischen Beschluss des Gerichts vom 29. November 2016 unanfechtbar eingestellt wurde. Die Rücknahmeerklärung des Klägers war wirksam und wurde insbesondere nicht unter einer Bedingung erklärt (vgl. zur Wirksamkeit der Klagerücknahme auch bereits VG Würzburg, U.v. 9.8.2017 - W 1 K 16.304 sowie dies bestätigend BayVGH, B.v. 16.11.2017 - 3 ZB 17.22113). Vor diesem Hintergrund muss auch der in der Sache gestellte Antrag auf Gewährung eines höheren Unfallausgleichs ohne Erfolg bleiben.

Wird von einem Verfahrensbeteiligten die Wirksamkeit einer Klagerücknahme nachträglich bestritten, so ist hierüber durch Fortsetzung des Verfahrens in der Instanz zu entscheiden, die es aufgrund der Rücknahme eingestellt hat (vgl. Eyermann, VwGO, 15. Aufl., § 92 Rn. 26).

Die Rücknahme der Klage ist vorliegend nicht durch Anfechtung oder Widerruf der Erklärung des Klägers vom 16. November 2016 wirkungslos geworden. Eine Anfechtung dieser Erklärung scheidet vielmehr aus, weil die Grundsätze des materiellen Rechts über die Anfechtung wegen Irrtums oder anderer Willensmängel auf die Prozesshandlungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar sind (vgl. u.a. BVerwG - U.v. 21.3.1979 - 6 C 10.78 - BVerwGE 57, 342 <346> m.w.N.). Die Zurücknahme eines Rechtsmittels ist grundsätzlich auch unwiderruflich. Eine Ausnahme kommt zwar in Betracht, wenn ein Wiederaufnahmegrund (§ 153 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 578 ff. ZPO) gegeben ist (vgl. etwa BVerwG - B.v. 26.1.1971 - VII B 82.70 - Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 3 Satz 2 <3> m.w.N.). Überdies wird ein Widerruf ausnahmsweise als zulässig angesehen, wenn die Zurücknahme der Berufung für das Gericht und für den Rechtsmittelgegner sogleich als Versehen offenbar gewesen und deshalb nach Treu und Glauben als unwirksam zu behandeln ist (vgl. BVerwG, U.v. 6.12.1996 - 8 C 33/95 - juris; BGH, u.a. Be.v. 2.12.1987 - IV b ZB 125/87 - a.a.O., und vom 16.5.1991 - III ZB 1/91 - NJW 1991, 2839). Schließlich kommt ein Widerruf nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausnahmsweise dann in Betracht, wenn eine Klagerücknahme durch Drohung, sittenwidrige Täuschung, unzulässigen Druck oder unzutreffende richterliche Belehrung bzw. Empfehlung u.ä. herbeigeführt wurde (vgl. BayVGH, U.v. 7.12.2017 - 13 A 17.329 m.w.N.).

1. Dies zugrunde gelegt kommt eine Anfechtung der Klagerücknahme aufgrund des angeführten Irrtums, dass die Klagebegehren nach höherem Unfallausgleich und erhöhtem Unfallruhegehalt in das parallel laufende Klageverfahren W 1 K 16.304 einbezogen würden, schon grundsätzlich nicht in Betracht, da Handlungen, die unmittelbar die Einleitung, Führung oder Beendigung eines Prozesses betreffen, nicht der Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB unterliegen. Weder das Verwaltungsprozessrecht noch die nach § 173 VwGO sinngemäß anwendbare Zivilprozessordnung enthalten den bürgerlich-rechtlichen Anfechtungsregeln entsprechende Vorschriften. Auch eine analoge Anwendung der für privatrechtliche Willenserklärungen geltenden Anfechtungsregeln verbietet sich, weil die Interessenlage im Prozessrechtsverhältnis anders zu bewerten ist als in Rechtsbeziehungen im rein privaten Rechtskreis (vgl. BVerwG, U.v. 6.12.1996 - 8 C 33.95 - juris; BayVGH, U.v. 7.12.2017 - 13 A 17.329 m.w.N.). Davon unabhängig lag beim Kläger offensichtlich kein zur Anfechtung berechtigender Inhalts- oder Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB (analog) vor, da dieser im Verfahren W 1 K 15.733 eine Rücknahmeerklärung mit dem konkret vorgenommenen Wortlaut abgeben wollte und auch über die Bedeutung seiner Erklärung nicht im Irrtum war, sondern allenfalls dahingehend, dass er fälschlich der Annahme unterlegen war, dass sein Begehren nach Unfallausgleich und erhöhtem Unfallruhegehalt wirksam in das Verfahren W 1 K 16.304 einbezogen würde, was jedoch lediglich einen nicht zur Anfechtung berechtigenden Motivirrtum darstellt. Überdies war zumindest ein Begehren nach erhöhtem Unfallruhegehalt bereits weder Gegenstand des Antrages des Klägers vom 18. Februar 2015 noch des ablehnenden Bescheides vom 29. Mai 2015 noch des Klageverfahrens W 1 K 15.733, sodass es diesbezüglich auch bereits an einem Gegenstand fehlte, der überhaupt Teil des Verfahrens W 1 K 16.304 hätte werden können. Schließlich war eine am 24. April 2018 bei Gericht eingegangene Anfechtungserklärung auch nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB (analog). Diese hätte vielmehr unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (Obergrenze ist i.d.R. eine Frist von 2 Wochen (vgl. Palandt, BGB, 76. Aufl., § 121 Rn. 3)), nach der Kenntnis des Anfechtungsgrundes, hier dem für den Kläger negativen Ausgang des Verfahrens W 1 K 16.304 durch Urteil vom 9. August 2017, jedenfalls aber nach dem dieses Urteil bestätigenden Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. November 2017, abgegeben werden müssen. Daher war die Erklärung des Klägers, welche am 24. April 2018 bei Gericht eingegangen ist, jedenfalls auch nicht mehr fristgerecht.

2. Darüber hinaus liegen die engen Voraussetzungen, unter denen eine Klagerücknahme ausnahmsweise widerrufen werden kann, hier sämtlich nicht vor. Der Kläger hat seine Rücknahmeerklärung vom 16. November 2016 freiwillig abgegeben, so dass ein Widerruf unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben dahingehend, dass die Prozesshandlung durch Drohung, sittenwidrige Täuschung, unzulässigen Druck oder unzutreffende richterliche Belehrung bzw. Empfehlung o.ä. herbeigeführt wurde, nicht zum Tragen kommt.

Des Weiteren war die Erklärung: "Ich nehme die Klage zurück und möchte, dass im Hinblick auf das erhöhte Unfallruhegehalt und den Unfallausgleich das Verfahren von der Kanzlei D. geführt wird" weder für das Gericht noch den Beklagten sogleich als ein offensichtlicher Irrtum oder ein offensichtliches Versehen erkennbar. Dies ergibt sich bereits aus der nicht leicht und eindeutig zu übersehenden seinerzeit gegebenen Gesamtsituation von zwei parallel laufenden Gerichtsverfahren und einem zusätzlichen neuerlichen Antrag bei der zuständigen Behörde vom 28. Januar 2016 hinsichtlich der Gewährung eines höheren Unfallausgleichs bzw. Unfallruhegehaltes sowie Abänderung der bestehenden Bescheide. Vielmehr legt der Prozessverlauf im Verfahren W 1 K 16.304 umgekehrt ein bewusstes und gewolltes Vorgehen hinsichtlich der Klagerücknahme nahe. Denn nach Hinweis durch den Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2016, dass die Erhöhung des Unfallausgleich bereits Gegenstand des Verfahrens W 1 K 15.733 sei und damit eine doppelte Rechtshängigkeit vorliege, hat der Kläger in engem zeitlichem Zusammenhang hierzu am 16. November 2016 seine Klage im Verfahren W 1 K 15.733 zurückgenommen. Fast zeitgleich hat die Klägerbevollmächtigte im Parallelverfahren W 1 K 16.304 mit Schreiben vom 17. November 2016 gegenüber dem Gericht erklärt, dass mit der vom Kläger erklärten Klagerücknahme in dem anderweitigen Gerichtsverfahren die doppelte Rechtshängigkeit nicht mehr bestehe. Der Kläger wiederum hat dieses Schreiben seiner Klagerücknahme im Verfahren W 1 K 15.733 beigefügt, so dass die Klagerücknahme aus klägerischer Sicht augenscheinlich der Beseitigung der doppelten Rechtshängigkeit im Verfahren W 1 K 16.304 dienen sollte. Von einem für das Gericht und den Beklagten offensichtlichen Irrtum oder Versehen des Klägers kann bei der vorstehend skizzierten Sachlage ersichtlich keine Rede sein.

Überdies lässt sich dem Wortlaut der Rücknahmeerklärung eine Einbeziehung des Klagebegehrens aus dem Verfahren W 1 K 15.733 in das Verfahren W 1 K 16.304 schon nicht entnehmen, zumal klägerseitig auch kein Hinweis auf die Klageerweiterung im Parallelverfahren W 1 K 16.304 erfolgt ist und zumindest ein erhöhtes Unfallruhegehalt schon nicht Gegenstand des Verfahrens W 1 K 15.733 war. Selbst wenn man im Zusammenhang mit dem klägerischen Hinweis darauf, dass er das Verfahren im Hinblick auf das erhöhte Unfallruhegehalt und den Unfallausgleich von der Kanzlei D. geführt sehen möchte, das seinerzeitige gerichtliche Parallelverfahren W 1 K 16.304 in den Blick genommen hätte, so ergab sich daraus allenfalls die Tatsache, dass die dortige Klage von der Kanzlei D. vertreten wurde und um die entsprechenden Streitgegenstände erweitert worden war. Es war damit allenfalls offensichtlich, dass der Kläger diese erweiterte Klage mit der dortigen Prozessvertretung weiterführen wollte, jedoch hat sich in keiner Weise im Sinne eines offensichtlichen Irrtums oder Versehens aufgedrängt, dass der Kläger die Klagerücknahme im Verfahren W 1 K 15.733 tatsächlich nicht gewollt haben könnte. Der geltend gemachte Irrtum des Klägers im Hinblick auf eine Einbeziehungsmöglichkeit seines Klagebegehrens in das Verfahren W 1 K 16.304 trat auch erst wesentlich später nach Ergehen des dortigen Urteils vom 9. August 2017, bestätigt durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 16. November 2017, und die diesbezüglichen Erläuterungen im Laufe des vorliegenden Fortsetzungsverfahrens zutage, so dass ein Irrtum im Hinblick auf die Rücknahmeerklärung jedenfalls in keiner Weise für das Gericht und den Beklagten offensichtlich waren. Abschließend sei in diesem Zusammenhang noch erwähnt, dass auch im Verfahren W 1 K 16.304 ein expliziter Hinweis darauf, dass die Klage um den Streitgegenstand aus dem Verfahren W 1 K 15.733 erweitert werden soll, nicht erfolgt ist; auch der in W 1 K 15.733 streitgegenständliche Bescheid vom 29. Mai 2015 fand dort keine Erwähnung, was einer offensichtlichen Erkennbarkeit eines Irrtums oder Versehens ebenfalls entgegensteht (vgl. hierzu auch bereits: VG Würzburg, U.v. 9.8.2017 - W 1 K 16.304, UA S. 12 f.; BayVGH, B.v. 16.11.2017 - 3 ZB 17.2113, BA S. 3 f.).

3. Darüber hinaus ist vorliegend ersichtlich auch kein Wiederaufnahmegrund nach § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 578 ff. ZPO gegeben.

4. Schließlich kann das Verfahren entgegen der klägerischen Auffassung auch nicht aus Gründen der Prozessökonomie fortgeführt werden, da es sich hierbei zum einen nicht um eine der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen handelt, bei denen ein Widerruf einer Prozesshandlung zulässig ist, und zum anderen steht diesem Ansinnen bereits der allgemein zu beachtende Gedanke des Schutzes der Verfahrenslage vor Unsicherheit und damit die Sicherheit im Rechtsverkehr entgegen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., Vorb. § 40 Rn. 15).

5. Unabhängig von vorstehenden Ausführungen ist das Recht des Klägers, eine Fortsetzung des Klageverfahrens zu beantragen, bei dessen Ausübung am 24. April 2018 auch bereits verwirkt gewesen. Besteht - wie vorliegend - Unklarheit, ob eine Klage zurückgenommen wurde, so ist der Rechtsstreit - zunächst zur Klärung der Frage nach der Wirksamkeit der Klagerücknahme - auf Antrag eines Beteiligten fortzuführen. Dieses Antragsrecht unterliegt jedoch wie andere prozessuale Rechte auch der Verwirkung, d.h. es ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist, der Berechtigte untätig bleibt, obwohl vernünftigerweise von ihm eine Reaktion zu erwarten war, und sich die Gegenpartei daher auf das Untätigbleiben eingestellt hat. Als Zeitraum für eine solche Untätigkeit wird in Anlehnung an die Fristen der §§ 58 Abs. 2, 60 Abs. 3 VwGO üblicherweise ein Jahr angenommen, die in § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO für eine vergleichbare Fallgestaltung im finanzgerichtlichen Verfahren auch ausdrücklich geregelt ist (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 23.1.2012 - 11 ME 420/11, NVwZ-RR 13/2012 m.w.N.). Nachdem das Verfahren W 1 K 15.733 durch Beschluss vom 29. November 2016 eingestellt und dieser Beschluss dem Kläger am 1. Dezember 2016 zugestellt worden war, wäre von diesem spätestens binnen Jahresfrist mit Ablauf des 1. Dezember 2017 vernünftigerweise die Stellung eines Fortsetzungsantrags zu erwarten gewesen, da dem Kläger mit Urteil vom 9. August 2017 im Verfahren W 1 K 16.304, spätestens aber durch den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. November 2017 klar vor Augen geführt wurde, dass eine Einbeziehung seines Klagebegehrens aus dem Verfahren W 1 K 15.733 nicht erfolgreich war. Der Kläger hat auch danach noch mehrere Monate verstreichen lassen, bis er am 24. April 2018 schließlich einen Fortsetzungsantrag gestellt hat. Bei dieser Sachlage durfte der Beklagte darauf vertrauen, dass das Verfahren W 1 K 15.733 nach Ablauf der Jahresfrist seit Einstellung des Verfahrens durch Klagerücknahme endgültig und unwiderruflich beendet war. Der Beklagte hat sich bei lebensnaher Betrachtung und mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch auf das Untätigbleiben des Klägers und die Verfahrensbeendigung eingestellt, zumindest nachdem auch die Bezügestelle Dienstunfall seit 15. September 2017 von der Beendigung des Verfahrens W 1 K 15.733 durch Klagerücknahme Kenntnis erlangt hatte. Auch ein erneuter Antrag des Klägers im Hinblick auf die Gewährung erhöhten Unfallruhegehaltes vom 2. August 2017 hat es für den Beklagten bei objektiver Betrachtung nahegelegt, dass der Kläger sein Begehren im Wege eines neuen Antrages und nicht durch Fortführung des durch Klagerücknahme beendeten Verfahrens weiterverfolgen will.

Nach alledem ist das Verfahren W 1 K 15.733 durch die Klagerücknahme vom 16. November 2016 wirksam beendet worden. Da entsprechend vorstehender Ausführungen durch die wirksame Klagerücknahme die Rechtshängigkeit rückwirkend beseitigt wurde, bleibt auch der Sachantrag, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Mai 2015 zu verpflichten, dem Kläger gemäß seinem Antrag vom 18. Februar 2015 einen höheren Unfallausgleich zu gewähren, ohne Erfolg, denn der ablehnende Bescheid vom 29. Mai 2015 ist durch die Klagerücknahme bestandskräftig geworden.

Die Kostenentscheidung, dem Kläger die weiteren durch dieses Fortsetzungsverfahren entstandenen Kosten aufzuerlegen, folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 154 Abs. 2 VwGO (vgl. Eyermann, VwGO, 15. Aufl., § 92 Rn. 26), die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.