SG München, Urteil vom 02.10.2018 - S 38 KA 301/16
Fundstelle
openJur 2020, 55582
  • Rkr:
Tenor

I. Der Bescheid vom 12.03.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2016 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verurteilt, über das Korrekturbegehren der Klägerin auf sachlich-rechnerische Richtigstellung wegen fehlender Leistungspflicht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage war die ablehnende Entscheidung der Beklagten über den Antrag der Klägerin.

Diese, eine Ersatzkasse, beantragte am 17.12.2013 die Prüfung der vertragsärztlichen Abrechnung für die Quartale 2/09-4/12. Zur Begründung des Widerspruchsbescheids vom 03.02.2016 führte die beklagte K. V. aus, die sachlich-rechnerische Richtigstellung aufgrund der Antragstellung der Krankenkassen richte sich nach § 13 Gesamtvertrag-Ersatzkassen/Bayern (§ 106a Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 SGB V, § 45 Abs. 4 S. 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte n.F. (entspricht § 34 Abs. 5 BMV-Ä/EK a.F.)). Anträge auf sachlich-rechnerische Berichtigungen müssten deshalb innerhalb von zwölf Monaten nach Zugang der Abrechnungsunterlagen gestellt werden. Entsprechende Eingänge der Abrechnungsunterlagen seien von der Krankenkasse bestätigt worden (Quartal 1/11: 31.08.2011; Quartal 2/11: 09.11.2011; Quartal 3/11: 05.03.2012; Quartal 4/11; 07.06.2012; Quartal 1/12: 31.08.2012; Quartal 2/12: 05.12.2012). Der Antrag auf sachlich-rechnerische Richtigstellung für die Quartale 2/09-4/12 sei bei der KVB am 18.12.2013 eingegangen. Damit seien die Anträge verfristet gestellt worden (§ 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag-Ersatzkassen/Bayern). Mit Schreiben vom 12.03.2014 übermittelte die KVB den Grund für die Ablehnung. Dagegen habe die Krankenkasse am 17.06.2014 Widerspruch eingelegt. Somit sei der Widerspruch nicht fristgerecht, da hier § 13 Abs. 4 Gesamtvertrag-Ersatzkassen/Bayern zur Anwendung gelange. Die gesamtvertraglichen Antragsfristen hätten Bindungswirkung für die Partner der Gesamtverträge. Es handle sich um echte Ausschlussfristen und nicht um reine Ordnungsfristen.

In der beim Sozialgericht München erhobenen Klage wurde zunächst ausgeführt, es habe zum 01.01.2004 von Gesetzes wegen eine Änderung der Aufgaben und Befugnisse bei der sachlich-rechnerischen Richtigstellung stattgefunden, indem nunmehr auch den Kassen eine originäre Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung eingeräumt werde. Die sachlich-rechnerische Richtigstellung beziehe sich auf die Abrechnung der GOP 01740 EBM (= Beratung zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms - nur einmalig für die ganze Lebenszeit abrechnungsfähig). Der Widerspruch sei nicht verfristet, da das Schreiben der KVB vom 12.03.2014 nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehen gewesen sei. Die Ein-Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 SGG sei auf jeden Fall eingehalten worden. Die hier zu klärende Frage, ob die Krankenkasse leistungspflichtig sei, gehöre zum Prüfauftrag der Krankenkasse nach § 106a Abs. 3 S.1 Nr. 1 SGB V i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 RL § 106a. Auf Ergebnisse der Rechnungsprüfungen der Klägerin aus ihrem eigenen Prüfgebiet nach § 106a Abs. 3 SGB V sei die Frist des § 13 Gesamtvertrag nicht anzuwenden. Denn es handle sich um gesetzlich festgelegte Aufgaben, die von den Partnern der Prüfvereinbarung weder beschränkt, noch abgeändert werden könnten. Die von der Beklagten vertretene Auffassung würde implizieren, dass die Beklagte über das Prüfergebnis der Klägerin zu entscheiden hätte.

In ihrer Klageerwiderung führte die KVB zunächst aus, die Klage sei zwar zulässig, jedoch unschlüssig. Der Widerspruch sei nicht fristgerecht eingereicht worden. So betrage die Beanstandungsfrist nach § 13 Abs. 4 Gesamtvertrag-Ersatzkassen einen Monat. Im Übrigen seien auch die Richtigstellungsanträge vom 17.12.2013 verfristet. Hier gelte die Antragsfrist nach § 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag von einem Jahr. Außerdem sehe § 13 Abs. 2 Gesamtvertrag -Ärzte EK eine Geringfügigkeitsgrenze in Höhe von 15 EUR je Vertragsarztabrechnung vor. Davon betroffen sei ein Betrag in Höhe von 5.497,80 EUR.

Die Beklagte machte darauf aufmerksam, das BSG habe in der genannten Entscheidung nun klarere Maßstäbe zum Umfang der Prüfungspflichten in Fällen von kassenseitigen Richtigstellungsanträgen nach § 106a Abs. 3 Nr. 1 SGB V aufgezeigt. Danach sei die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) an das Ergebnis der von der Krankenkasse durchgeführten Prüfung gebunden und habe kein materiell-rechtlich -inhaltliches Letztentscheidungsrecht. Aufgabe der KÄV sei es, das Prüfungsergebnis der Krankenkasse durch Bescheid umzusetzen. Sie sei auf die Prüfung beschränkt, ob gegenüber dem Vertragsarzt Begrenzungen der Richtigstellungsbefugnis entgegenstünden, wie etwa eine Versäumung der Ausschlussfrist oder (andere) Vertrauensschutzgesichtspunkte. Was die Antragsfrist betreffe (§ 5 der Bayerischen Abrechnungsprüfungsvereinbarung gemäß § 106a Abs. 5 SGB V), gelte durch Verweisung von § 5 auf die Gesamtverträge eine bayernweit einheitliche Antragsfrist von zwölf Monaten nach Zugang der Abrechnungsunterlagen (§ 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag-EK ab 01.04.2007 wie § 15 Abs. 2 Gesamtvertrag-RK seit 2002). Deshalb sei die Auffassung der Klägerin nicht überzeugend, diese kassenübergreifende Vereinbarung einer Verweisung auf die gesamtvertraglich gleichlautend geregelte Antragsfrist sei eine Umgehung der eindeutigen gesetzlichen Vorgaben. In dem Zusammenhang sei an den Grundsatz der Vertragstreue zu erinnern. Die Antragsfrist sei insbesondere mit § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V, den gesetzlichen Aufgaben der Parteien und dem Unverzüglichkeitsgebot nach § 106a Abs. 3 S. 2 SGB V vereinbar. Auch wenn ein Verstreichen der in den Prüfvereinbarungen zu § 106a SGB V geregelten Antragsfristen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 23.03.2016, B 6 KA 14/15 R) kein Hinderungsgrund für eine Sachentscheidung gegenüber dem Vertragsarzt darstelle, sei damit die Auffassung der Beklagten vereinbar, wonach der Richtigstellungsanspruch der Krankenkasse gegen die Kassenärztliche Vereinigung erlischt, wenn er von der Krankenkasse nicht innerhalb der vereinbarten Frist geltend gemacht werde. In dem vom BSG entschiedenen Verfahren sei es im Übrigen um nach § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V gestellte Anträge gegangen, die sich auf Abrechnungsprüfungen nach § 106a Abs. 2 SGB V beziehen würden, nicht aber auf Kassenprüfungen gemäß § 106a Abs. 3 SGB V.

Zur Geringfügigkeitsgrenze (§§ 13 Abs. 2, 14 Abs. 1 Gesamt V-EK bzw. § 15 Abs. 2 Gesamt V-RK) werde die Auffassung vertreten, dass das nachträgliche Erlöschen und die Neuregelung einer Ermächtigungsnorm ohne Einfluss auf den Rechtsbestand der während ihres Bestehens ordnungsgemäß erlassenen Rechtsvorschriften sei, sofern keine Unvereinbarkeit mit dem neuen höherrangigen Recht vorliege. Danach sei - bis zu einer entsprechenden Transformation - von einer Fortgeltung der hier entscheidenden Bagatellregelung des § 13 Abs. 2 BayGesamtV-Ä/EK auszugehen.

Für den Fall, dass man mangels Vereinbarung die kasseneinheitliche Geringfügigkeitsgrenze nicht direkt für anwendbar halten sollte, könne man sich auf die bei Plausibilitätsprüfungen kassenübergreifende, gemeinsam und einheitlich vereinbarte Geringfügigkeitsgrenze berufen, die den herkömmlichen Parteiwillen zur verhältnismäßigen Geringfügigkeitsgrenze dokumentiere (Ziff. 3. (c) der Anlage 1 zu § 2 Abs. 1 der Bayerischen Abrechnungsprüfungsvereinbarung). Hier sei gemäß § 20 Abs. 2 der Bayerischen Abrechnungsprüfungsvereinbarung eine notwendige lückenschließende Geltung der gesamtvertraglichen Bagatellgrenze anzunehmen.

Die Klägerin bezog sich auf die Entscheidung des BSG´s vom 23.03.2016 (Az. B 6 KA 14/15 R), wonach die Regelung in § 106a SGB V i.V.m. untergesetzlichen Normen ein Regelungsgefüge darstelle, das im Rahmen seines Anwendungsbereichs Ausschließlichkeit beanspruche und für konkurrierende bundesmantelvertragliche Vorschriften grundsätzlich keinen Raum lasse. Auch in der Prüfungsvereinbarung gebe es keine Bagatellgrenzen. Die von der Beklagten zitierte Regelung in Anlage 1 Ziff. 3c der Bayerischen Abrechnungsprüfungsvereinbarung betreffe nur die Plausibilitätsprüfung.

In Ergänzung und in Abweichung ihres bisherigen Vortrags äußerte die Beklagte in ihren nachfolgenden Schriftsätzen auch Zweifel, ob die Klagefrist eingehalten wurde. Denn nach § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG sei ein Vorverfahren nicht erforderlich. Der von der Klägerin eingelegte Widerspruch sei deshalb unstatthaft gewesen mit der Folge, dass die Klagefrist laufe und die Klage deshalb als verfristet anzusehen sei.

In Erwiderung wies die Klägerin auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 10.05.2017 (Az. B 6 KA 9/16 R) hin. Die Regelung des § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG komme in Verfahren über sachlich-rechnerische Richtigstellung nicht zur Anwendung.

In der mündlichen Verhandlung am 02.10.2018 wurde die Sachund Rechtslage mit den anwesenden Beteiligten erörtert.

Die Vertreterin der Klägerin stellte den Antrag aus dem Schriftsatz vom 14.03.2016.

Der Vertreter der Beklagten beantragte, Klage abzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschriften vom 07.11.2017 und 02.10.2018 verwiesen.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet. Das Schreiben der Beklagten vom 12.03.2014, das als Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X auszulegen ist, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Was die Frage der Zulässigkeit unter dem Aspekt der Einhaltung der Klagefrist nach § 87 Abs. 1 SGG (einmonatige Klagefrist) betrifft, ist diese entgegen der zuletzt geäußerten Rechtsansicht der Beklagten gewahrt. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten datiert vom 03.02.2016 und ging bei der Klägerin am 15.02.2016 ein. Die Klage wurde am 14.03.2016 eingelegt. Dagegen kann nicht eingewandt werden, der Widerspruch der Klägerin sei nicht statthaft mit der Folge, dass die Klagefrist mit Erlass des Ausgangsbescheides beginnt und entsprechend nach einem Monat endet (Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/Schmidt, Komment. zum SGG, Rn 4 zu § 87). Die Beklagte beruft sich in ihren letzten Schriftsätzen überraschenderweise auf § 78 Abs. 1 S. 2 Ziff. 3 SGG. Danach bedarf es keines Vorverfahrens, wenn ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will. Die Klägerin hat aber zutreffend Widerspruch gegen das Schreiben der Beklagten vom 12.03.2014 eingelegt, das mit keiner Rechtsbehelfsbelehrung:versehen war, so dass die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG zu beachten war. Diese Jahresfrist wurde eingehalten (Widerspruch vom 17.06.2014). Denn die Vorschrift des § 78 Abs. 1 S. 2 Ziff. 3 SGG ist nicht anzuwenden, wie sich aufgrund teleologischer Auslegung ergibt. Es gilt der Grundsatz, dass grundsätzlich ein zweistufiges Verwaltungsverfahren einer Klagerhebung vorauszugehen hat. Nach Widerspruch soll die Ausgangsentscheidung durch die Verwaltung nochmals überprüft und über den Widerspruch abschließend entschieden werden (Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/Schmidt, Komment. zum SGG, Rn 1a zu § 78). Das zweistufige Verwaltungsverfahren dient auch dem Interesse des Rechtsschutz suchenden Bürgers, der nicht dazu gezwungen werden soll, seine Rechte nach Erlass des Ausgangsbescheides sofort im Klagewege geltend machen zu müssen. In den in § 78 Abs. 1 S. 2 SGG aufgeführten Fällen ist der Gesetzgeber der Auffassung, dass es eines Vorverfahrens nicht bedarf, so auch nach § 78 Abs. 1 S. 2 Ziff. 3 SGG, wenn ein Versicherungsträger klagen will. Allerdings ist den Besonderheiten des Kassen (Zahn-) Arztrechts Rechnung zu tragen, sofern diese die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens geboten erscheinen lassen.

In Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung nach § 106a SGB V a.F. (§ 106d SGBV n.F.) ist die "Einheitlichkeit der Entscheidung von zentraler Bedeutung" (BSG, Urteil vom 10.05.2017, Az. B 6 KA 9/16 R). Wie das Bundessozialgericht ausführt, würde es "zu erheblichen Verwerfungen führen, wenn gegen den Bescheid einer K(Z)ÄV, mit dem einem Berichtigungsantrag der Krankenkasse teilweise entsprochen wird, der (Zahn-)Arzt Widerspruch einlegen, die Krankenkasse aber unmittelbar Klage erheben müsste." Insofern ist bei sachlich-rechnerischen Berichtigungen § 78 Abs. 1 S. 2 Ziff. 3 SGG nicht anzuwenden. Der vom BSG (aaO) entschiedene Fall bezieht sich zwar auf eine sachlich-rechnerische Richtigstellung nach § 106a Abs. 2 SGB V, also auf eine sachlich-rechnerische Richtigstellung in der originären Zuständigkeit der K(Z)ÄV. Nach Auffassung des Gerichts muss dies aber erst recht gelten, wenn es sich um eine sachlich-rechnerische Richtigstellung in dem originären Aufgabengebiet der Krankenkasse nach § 106a Abs. 3 SGB V handelt. Es ist kein Grund ersichtlich, zu differenzieren. Eine solche ist im Übrigen der Entscheidung des Bundessozialgerichts auch nicht zu entnehmen. Die Klage ist somit als zulässig anzusehen.

Vorab ist zur Frage der Begründetheit der Klage anzumerken, dass bis zum 01.01.2014 ausschließlich den Kassenärztlichen Vereinigungen die Prüfung der von den Vertragsärzten vorgelegten Abrechnungen ihrer vertragsärztlichen Leistungen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit oblag (§ 45 Abs. 3 BMV-Ä, § 34 Abs. 4 EKV-Ä). Zum 01.01.2014 wurden mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenkassen vom 14.11.2003 (GMG, BGBl I 2190, 2217) die Krankenkassen in die Prüfung mit einbezogen. Mit der Einführung des § 106a SGB V a.F. (inhaltsgleich mit § 106d SGB V n.F.) wurden die Zuständigkeiten zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen neu festgelegt. In § 106a Abs. 2 SGB V (§ 106d Abs. 2 SGB V n.F.) i.V.m. RL §§ 6,7,8 ... zu § 106a SGB V hat der Gesetzgeber der Kassenärztlichen Vereinigung insbesondere die Prüfung nicht ordnungsgemäßer Abrechnungen bzw. der Abrechnung nicht oder nicht vollständig erbrachter Leistungen zugewiesen. Für die Kassenärztliche Vereinigung besteht die Pflicht, die Verbände der Krankenkassen, sowie die Ersatzkassen unverzüglich über die Durchführung der Prüfungen und deren Ergebnisse zu unterrichten. Eine wesentliche Neuerung im Vergleich zum bisherigen Rechtszustand ist, dass in § 106a Abs. 3 SGB V a.F. (§ 106d Abs. 3 SGB V n.F.; mit Gesetz vom 16.07.2015 (BGBl I S. 1211) wurde der bisherige § 106a SGB V zum § 106d SGB V) i.V.m. RL §§ 14 ff. zu § 106a SGB V den Krankenkassen eine eigene Prüfungszuständigkeit zugewiesen wurde. So besitzen die Krankenkassen beispielsweise eine Prüfungszuständigkeit hinsichtlich des Bestehens und des Umfangs ihrer Leistungspflicht. Neben dieser Prüfungszuständigkeit hat die Krankenkasse nach § 106a Abs. 3 S. 2 SGB V a.F. (§ 106d Abs. 3 S. 2 SGB V n.F.) eine Unterrichtungspflicht gegenüber der KÄV. Die KÄV ist an das Ergebnis der Prüfung gebunden. Sie besitzt kein eigenes materielles Prüfungsrecht (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az. B 6 KA 8/15 R), sondern ist - wie das Bundessozialgericht ausführt - auf die Prüfung beschränkt, ob der Umsetzung der Prüfergebnisse Begrenzungen der Richtigstellungsbefugnis (z.B. Ausschlussfristen, Vertrauensschutzgesichtspunkte) entgegenstehen. Liegen solche Begrenzungen der Abrechnungsprüfung nicht vor, obliegt ihr die verwaltungsmäßige Umsetzung im Wege eines Bescheides gegenüber dem geprüften Vertragsarzt.

Zwischen den Beteiligten ist unstrittig, dass es sich hier um eine Aufgabenzuständigkeit der klagenden Krankenkasse aus § 106a Abs. 3 SGB V handelt. Strittig ist allerdings insbesondere, ob für die Klägerin Antragsfisten gelten, deren Nichtbeachtung die Beklagte dann berechtigen, der Klägerin die von ihr begehrten sachlich-rechnerischen Berichtigungen zu verweigern.

Dem gezielten Prüfungsauftrag steht nach Auffassung des Gerichts ein Überschreiten einer Antragsfrist nicht entgegen. Eine solche Antragsfrist ist nicht in den RL zu § 106a SGB V geregelt. Ebenfalls findet sich auch keine ausdrückliche Regelung der Antragsfristen in der Abrechnungsprüfvereinbarung. Allerdings ist in § 5 Abs. 2 Abrechnungsprüfvereinbarung geregelt, zu Einzelheiten der Umsetzung und Abwicklung werde auf die Gesamtverträge verwiesen. § 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag-EK sieht vor, dass Anträge auf sachlich-rechnerische Berichtigungen innerhalb von zwölf Monaten nach Zugang der Abrechnungsunterlagen zu stellen sind. Bei verbindlicher Geltung der Antragsfristen wären diese in allen geprüften Quartalen nicht eingehalten.

§ 5 der Abrechnungsprüfvereinbarung steht im Abschnitt B mit der Zwischenüberschrift "Abrechnungsprüfung durch die Krankenkassen (§ 106a Abs. 3 SGB V)", so dass systematisch darauf zu schließen ist, dass § 5 Abrechnungsprüfvereinbarung und damit auch die Verweisung in Abs. 2 auf die Gesamtverträge speziell für den Fall des § 106a Abs. 3 SGB V gilt.

Für die Regelung in § 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag gibt es jedoch keine Rechtsgrundlage. Die Vorschrift beruhte vor dem 01.01.2004 auf der Generalermächtigung von § 83 Abs. 2 SGB V. Danach waren in den Gesamtverträgen auch Verfahren zu vereinbaren, die die Prüfung der Abrechnungen auf Rechtmäßigkeit durch Plausibilitätskontrollen der kassenärztlichen Vereinigungen, insbesondere auf der Grundlage von Stichproben ermöglichten. Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenkassen (GMG; BGBl I S. 2190) vom 14.11.2003 wurde der zweite Absatz von § 83 SGB V gestrichen. Damit ist die Generalermächtigung des § 83 Abs. 2 SGB V entfallen. Dies hat zur Folge, dass die Antragsfristen in § 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag nicht mehr Regelungsgegenstand sein konnten. Die Verweisung in § 5 der Abrechnungsprüfvereinbarung geht damit ins Leere.

Wie das Bundessozialgericht und auch das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az. B 6 KA 8/15 R; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.09.2015, Az. L 5 KA 36/14) ausgeführt haben, hat der Gesetzgeber mit der Normierung des § 106a SGB V und dessen Ergänzung durch untergesetzliche Normen auf der Grundlage von § 106a Abs. 5 und 6 SGB V ein Regelungsgefüge statuiert, das im Rahmen seines Anwendungsbereichs Ausschließlichkeit beansprucht und für konkurrierende bundesmantelvertragliche Vorschriften grundsätzlich keinen Raum lässt. Deshalb sind etwaige auf der bisherigen Generalermächtigung des § 83 Abs. 2 SGB V beruhende Regelungen zu transformieren. Dabei bedeutet Transformation im konkreten Fall, dass bereits in anderen untergesetzlichen Regelungen enthaltene Vorschriften, für die die Rechtsgrundlage entfallen ist, in neue Regelwerke, basierend auf der neuen Ermächtigungsgrundlage des § 106a Abs. 5, Abs. 6 SGB V, überführt werden. Nach Auffassung des Gerichts stellt eine bloße Verweisung in § 5 Abrechnungsprüfvereinbarung auf die Regelung über die Abrechnungsfristen im Gesamtvertrag nach § 13 Abs. 1 S. 2, für die die Rechtsgrundlage fehlt, keine Transformation im oben beschriebenen Sinne dar. Auch ist nicht von einer Fortgeltung der bisherigen Regelung bis zu einer solchen Transformation auszugehen. Denn die erweiterten Zuständigkeiten bei sachlich-rechnerischen Richtigstellungen durch Aufgabenzuweisung an die Krankenkassen in § 106a Abs. 3 SGB V stellen solche erheblichen Abweichungen von der bisherigen Rechtslage dar, dass sich eine solche Fortgeltung zumindest für den Fall des § 106a Abs. 3 SGB V verbietet.

Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass für eine Verweisung in § 5 Abrechnungsprüfvereinbarung auf § 13 Abs. 1 S. 2 Gesamtvertrag die Rechtsgrundlage fehlt und eine Transformation in ein Spezialgesetz (Abrechnungsprüfvereinbarung) nicht stattgefunden hat. Somit gelten bei der Prüfung nach § 106a Abs. 3 SGB V keinerlei Abrechnungsfristen, die von den Krankenkassen zu beachten wären.

Selbst wenn die Anwendbarkeit von Antragsfristen zu bejahen wäre, kommt es schließlich darauf an, ob es sich bei den Fristen um bloße Ordnungsfristen, oder um Ausschlussfristen handelt. Nur Ausschlussfristen können dazu führen, dass eine Abrechnungsprüfung unzulässig wäre. Im Zusammenhang mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen hat die höchstrichterliche Rechtsprechung wiederholt Antragsfristen als bloße Ordnungsfristen angesehen (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az. B 6 KA 14/16 R; BSG, Urteil vom 29.06.2011, Az. B 6 KA 16/10). Zur Begründung wurde ausgeführt, die Fristen dienten dem Interesse an der Verfahrensbeschleunigung und der effektiven Verfahrensdurchführung und stellten deshalb kein Hindernis für die Verfahrensdurchführung bzw. für eine Sachentscheidung dar. Die gegenteilige Auffassung würde dem hohen Rang des Wirtschaftlichkeitsgebots zuwiderlaufen.

Für die sachlich-rechnerische Abrechnungsprüfung kann nichts Anderes gelten als für die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Antragsfristen im Zusammenhang mit der sachlich-rechnerischen Abrechnungsprüfung stellen ebenfalls bloße Ordnungsfristen dar. Zwar unterscheiden sich die Prüfungsgegenstände und die Art der Prüfung bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung und der sachlich-rechnerischen Prüfung. In beiden geht es aber um die Prüfung der Abrechnung ärztlicher Leistungen auf ihre Rechtmäßigkeit. Ausgehend von den Überlegungen des Bundessozialgerichts ist auch nicht erkennbar, dass der sachlich-rechnerischen Prüfung der Abrechnung ein geringerer Stellenwert zukommen soll als der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Im Gegenteil! Die Normierung von § 106a SGB V zeigt, dass der Gesetzgeber der sachlich-rechnerischen Richtigstellung große Bedeutung beimisst. Deshalb kann auch bei der sachlich-rechnerischen Richtigstellung die Versäumung einer Antragsfrist kein Verfahrenshindernis darstellen und keine Sachentscheidung ausschließen.

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, die Ansicht, es handle sich um bloße Ordnungsfristen sei in Verfahren vertreten worden, in denen sich der Vertragsarzt gegenüber dem Beschwerdeausschuss darauf berufen habe. Dies trifft bereits insofern nicht zu, als zumindest in einem Verfahren zwischen einer Krankenkasse und der kassenärztlichen Vereinigung (vgl. SG Marburg, Urteil vom 03.09.2014, Az. S 11 KA 177/14) ebenfalls die Antragsfristen als Ordnungsfristen verstanden wurden. Des Weiteren gibt es keine sachlichen Gesichtspunkte, die Einordnung von Antragsfristen einmal als Ordnungsfristen, das andere Mal als Ausschlussfristen zu verstehen, je nachdem wer sich darauf beruft.

Es mag zwar sein, dass ohne Geltung von Antragsfristen die Krankenkassen noch bis kurze Zeit vor Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist Richtigstellungsanträge stellen könnten. Die Beklagte meint offensichtlich, sie habe dann keine Möglichkeit, Anträge sachgerecht zu überprüfen, bzw. die Nichteinhaltung von Antragsfristen führe bei ihr zu einem zusätzlichen Aufwand. Abgesehen davon, dass im konkreten Fall die meisten geprüften Quartale noch relativ weit vom Ablauf der Vier-Jahresfrist entfernt sind, kann diese Befürchtung nicht geteilt werden. Denn die Beklagte besitzt kein eigenes materielles Prüfungsrecht (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az. B 6 KA 8/15 R), sondern ist - wie das Bundessozialgericht ausführt - auf die Prüfung beschränkt, ob der Umsetzung der Prüfergebnisse Begrenzungen der Richtigstellungsbefugnis (z.B. Ausschlussfristen, Vertrauensschutzgesichtspunkte) entgegenstehen. Sie ist an das Ergebnis der Prüfung durch die Krankenkasse gebunden. Somit verbleibt der Beklagten im Wesentlichen die Umsetzung des Prüfungsergebnisses der Klägerin, was noch relativ kurz vor Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist zu bewerkstelligen sein müsste. Dass der Klägerin für eine Umsetzung des durch die Krankenkasse gefundenen Prüfergebnisses mehrere Monate oder gar Jahre einzuräumen wären, vermag nicht zu überzeugen. Insofern passt auch die in § 13 Abs. 2 Gesamtvertrag-EK enthaltene 12-Monatsfrist nicht in den Fällen, in denen die sachlich-rechnerische Richtigstellung zum eigenen Aufgabenbereich der Krankenkassen gehört. Im Übrigen wären dann die Krankenkassen schlechter gestellt als die K(Z)Ven. Während letztere die vierjährige Ausschlussfrist voll ausschöpfen können, müssten sich die Krankenkassen an die Antragsfristen halten, um ihre Ansprüche aus eigenem Recht durchsetzen zu können. Mit einer Antragsfrist als Ausschlussfrist würde den Krankenkassen verwehrt, ihren Aufgaben nach § 106a Abs. 3 SGB V nachzukommen und ihre Rechte daraus geltend zu machen, was mit dem Willen des Gesetzgebers, die Krankenkassen neben den K(Z)Ven gleichberechtigt an der Kontrolle des Abrechnungsverhaltens des Vertragsarztes teilhaben zu lassen, nicht zu vereinbaren wäre. Auch aus diesem Grund kann es sich nur um reine Ordnungsfristen handeln.

Soweit die Beklagte darauf hinweist, es sei jahrzehntelange Praxis, dass Verstöße des Vertragsarztes durch die Krankenkassen nur innerhalb der vereinbarten Antragsfrist geltend gemacht werden könnten und an den Grundsatz der Vertragstreue erinnert, kann auch diese Begründung nicht überzeugen. Denn die Beklagte übersieht dabei, dass mit dem Gesetz zur Modernisierung im Gesundheitswesen (GMG), der Neuordnung der Prüfungszuständigkeiten bei der Abrechnungsprüfung zum 01.01.2004 eine grundlegende Änderung eingetreten ist. Aus einer vorher bestehenden jahrzehntelangen Verwaltungsübung kann die Beklagte keine Rechte herleiten, da die Verwaltungsübung dem geltenden Recht nicht entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.2001, Az. B 11 AL 17/01 R).

Der vom Gericht vertretenen Auffassung steht auch nicht das Unverzüglichkeitsgebot gem. § 106a Abs. 3 S. 2 SGB V entgegen. Dieses besagt, dass unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Verzögern über die Durchführung der Prüfungen und deren Ergebnisse zu unterrichten ist. Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin unmittelbar nach Vorliegen der Prüfungsergebnisse an die Beklagte herangetreten ist. Eine singuläre Mitteilung an die Beklagte darüber, dass Prüfungen stattfinden, ohne dass eine Information über deren Ergebnisse stattfindet, wäre sinnlos, da die Beklagte auf dieser Basis zu keinerlei Maßnahmen gegenüber dem Arzt verpflichtet wäre und auch keine Umsetzung vornehmen könnte. Das Unverzüglichkeitsgebot gem. § 106a Abs. 3 S. 2 SGB V besagt nur, dass unverzüglich über die Durchführung der Prüfungen und deren Ergebnisse zu unterrichten ist, nicht jedoch, dass Antragsfristen zu beachten sind. Prüfung und Prüfungsergebnis müssen kumulativ vorliegen. Erst dann ist es angezeigt, der Beklagten hierüber Mitteilung zu machen. Außerdem stellt das Unverzüglichkeitsgebot gem. § 106a Abs. 3 S. 2 SGB V keine Rechtsgrundlage für Antragsfristen, beginnend mit der Übersendung der Abrechnungsunterlagen dar.

Soweit sich die Beklagte darüber hinaus auf die Bagatellgrenze beruft, gilt diese nach Auffassung des Gerichts ebenfalls nicht. Denn § 13 Abs. 2 Gesamt V-EK ist nicht anwendbar. Zum einen gilt auch hier, dass die Generalermächtigung des § 83 Abs. 2 SGB V mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenkassen (GMG; BGBl I S. 2190) vom 14.11.2003 gestrichen wurde, so dass bereits fraglich ist, ob für die gesamtvertragliche Regelung in § 13 Abs. 2 eine Rechtsgrundlage besteht. Die in diesem Zusammenhang von der Beklagten vertretene Auffassung, die Bagatelleregelung in § 13 Gesamt V-EK gelte bis zu einer entsprechenden Transformation fort, wird nicht geteilt. Denn die erweiterten Zuständigkeiten bei sachlich-rechnerischen Richtigstellungen durch Aufgabenzuweisung an die Krankenkassen in § 106a Abs. 3 SGB V stellen solche erheblichen Abweichungen von der bisherigen Rechtslage dar, dass sich eine Geltung der Bagatellgrenze für den Fall des § 106a Abs. 3 SGB V verbietet, ohne dass und bis eine Transformation in eine spezielle Regelung stattgefunden hat. Auch ist Ziff. 3 (c) der Anlage 1 zur Vereinbarung nach § 106a Abs. 5 SGB V nicht anwendbar. Danach kann auf eine Rückforderung aus verwaltungsökonomischen Gründen verzichtet werden und das Prüfverfahren eingestellt werden. "das ist in der Regel bei einer festgestellten Gesamtschadenshöhe von bis zu 500.- EUR je Quartal der Fall." Denn die Vorschrift gilt - wie die Klägerin zutreffend ausführt - lediglich für Plausibilitätsprüfungen. Letztendlich kann auch über die salvatorische Klausel in § 20 S. 2 der Vereinbarung zur Abrechnungsprüfung nach § 106a Abs. 5 SGB V eine Bagatelleregelung nicht zur Anwendung gelangen. Dort wird geregelt, dass u.a. bei Lückenhaftigkeit einzelner Regelungen die Bestimmungen der Bundesrichtlinien sowie die gesamtvertraglichen Regelungen gelten sollen. Denn die salvatorische Klausel führt nicht dazu, dass eine Regelung im Gesamtvertrag, hier § 13 Abs. 2 Gesamt V-EK zur Anwendung kommt, für die keine Rechtsgrundlage vorhanden ist. Insoweit gelten die Überlegungen, die zur Anwendung der Antragsfristen des § 13 Abs. 1 S. 2 Gesamt V-EK angestellt wurden. Nicht nachvollziehbar ist schließlich der Hinweis der Beklagten auf § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V. Dort ist nur geregelt, dass für Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend gelten, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Es ist nicht ersichtlich, welcher Zusammenhang zwischen Rechtsvorschriften des Bürgerlichen Rechts und der hier strittigen Geltung der Bagatellgrenze bestehen soll.

Aus den genannten Gründen waren die angefochtenen Bescheide als rechtswidrig anzusehen und aufzuheben, sowie die Beklagte zu verpflichten, über das Korrekturbegehren auf sachlich-rechnerische Richtigstellung (GOP 01740 EBM) neu zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.