Bayerischer VGH, Beschluss vom 08.10.2018 - 15 ZB 18.31366
Fundstelle
openJur 2020, 54545
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Der Kläger - ein malischer Staatsangehöriger - wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 23. Juni 2017, mit dem sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Mali oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 29. März 2018 wies das Verwaltungsgericht München die vom Kläger am 3. Juli 2017 erhobene Klage - mit der er beantragte hatte, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 23. Juni 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie (weiter hilfsweise) festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen - ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung macht der Kläger geltend, das Verwaltungsgericht habe ihm gegenüber das rechtliche Gehör versagt. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der vom Kläger ausdrücklich gerügte Verfahrensmangel eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist im Zulassungsverfahren nicht in einer Weise dargelegt worden, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.

Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Er verpflichtet die Gerichte, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit es entscheidungserheblich ist. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Wird die Gehörsrüge darauf gestützt, dass das Tatsachengericht relevantes Vorbringen übergangen habe, bedarf es der Darlegung, welches Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat und unter welchem denkbaren Gesichtspunkt das nicht zur Kenntnis genommene oder nicht erwogene Vorbringen für die Entscheidung hätte von Bedeutung sein können (BVerwG, U.v. 20.11.1995 - 4 C 10.95 - NVwZ 1996, 378 = juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 22.10.2009 - 5 B 51.09 - juris Rn. 22; B.v. 15.9.2011 - 5 B 23.11 - juris Rn. 9; B.v. 18.12.2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 = juris Rn. 42; B.v. 30.6.2015 - 5 B 43.14 - juris Rn. 7; B.v. 24.2.2016 - 3 B 57/15 u.a. - juris Rn. 2; B.v. 2.5.2017 - 5 B 75/15 D - juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 31.1.2018 - 8 ZB 18.30248 - juris Rn. 3; OVG NRW, B.v. 19.4.2018 - 8 A 1590/16 - juris Rn. 29). Gemessen an diesen Anforderungen ergibt sich aus den Darlegungen des Klägers keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensverstoß kann entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht darin gesehen werden, dass das Verwaltungsgericht die einen Tag vor der mündlichen Verhandlung dem Gericht per Telefax übermittelte Klagebegründung vom 28. März 2018 weder zur Kenntnis genommen noch in seine Erwägungen einbezogen hat. Es ist zwar richtig, dass die Bevollmächtigte des Klägers am Nachmittag des 28. März 2018 - einen Tag vor der mündlichen Verhandlung - dem Verwaltungsgericht per Telefax eine Klagebegründung übermittelte und dass sich - worauf die Antragsbegründung ausdrücklich verweist - auf Seite 3 (unten) des angegriffenen Urteils im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils folgender Satz befindet:

"Eine Klagebegründung erfolgte nicht."

Im Kontext zur gesamten Sachverhaltsdarstellung im Tatbestand sowie zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 29. März 2018 wird aber klar, dass hieraus nicht abgeleitet werden kann, das Verwaltungsgericht habe die Klagebegründung vom 28. März 2018 und den darin enthaltenen Vortrag bei seiner Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt resp. überhaupt nicht gelesen (zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wenn ein Gericht einen zulässig eingereichten Schriftsatz übersieht vgl. BVerfG, B.v. 8.10.1985 - 1 BvR 33/83 - BVerfGE 70, 288 = juris Rn. 22; Geisler, AnwBl. 2010, 149/150). Denn in der mündlichen Verhandlung vom 29. März 2018, zu der weder der Kläger noch seine Bevollmächtigte erschien, ließ die Einzelrichterin (vor der anschließenden Urteilsverkündung) ins Protokoll aufnehmen (vgl. Seite 2 der Niederschrift):

"Die Klägervertreterin übersandte am 28. März 2018, um 16.29 Uhr das Fax mit einer ausführlichen mehrseitigen Klagebegründung und einem ärztlichen Befundbericht vom 27. März 2018."

Hieraus sowie aus dem Umstand, dass am Ende des Tatbestands des angegriffenen Urteils vom 29. März 2018 ausdrücklich auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 29. März 2018 Bezug genommen wird, wird offensichtlich, dass die Einzelrichterin sowohl die Klagebegründung als auch die diesbezügliche Anlage zur Kenntnis genommen und bei ihrer Entscheidung, die sie nach kurzer Sitzungsunterbrechung am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet hat, berücksichtigt hat. Der von dem Kläger in Bezug genommene Passus im Tatbestand des Urteils, der sich zwischen der Darstellung der Klageerhebung (am 3. Juli 2107) und der Darstellung des Beschlusses der Einzelrichterübertragung (am 9. Februar 2018) befindet, kann daher nur so verstanden werden, dass zunächst - d.h. zwischen dem 3. Juli 2017 und dem 9. Februar 2018 - keine Klagebegründung erfolgte.

Es kann auch nicht angenommen werden, dass speziell hinsichtlich der in der Zulassungsbegründung vom 16. Mai 2018 ausdrücklich angesprochenen Umstände der klägerische Vortrag unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO übergangen wurde. Im streitgegenständlichen Bescheid vom 23. Juni 2017, auf den das Verwaltungsgericht im Urteil vom 29. März 2018 gem. § 77 Abs. 2 AsylG Bezug nahm, wird auf Seite 3 abgearbeitet, warum die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) nicht vorliegen. Ergänzend ist im Urteil ausgeführt, dass sich der Kläger auf internen Schutz im Süden Malis verweisen lassen müsse, wo nach der Überzeugungsbildung des Erstgerichts auf Basis aktueller Erkenntnismittel der Staat über die Einhaltung der Grundrechte wache und seiner Schutzaufgabe gerecht werde. Das Verwaltungsgericht war mit Blick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs auch nicht gehalten, sich tiefer mit Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK und / oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auseinanderzusetzen. In der einen Tag vor der mündlichen Verhandlung vorgelegten Klagebegründung wird seitens der Bevollmächtigten des Klägers behauptet, dass dieser nicht in der Lage wäre, sich sein Existenzminimum zu erwirtschaften, weil er einerseits über keinen unterstützenden Familienverbund mehr verfüge und er andererseits - wie er bereits bei der Anhörung gegenüber dem Bundesamt am 13. Juni 2017 angegeben habe - aufgrund einer im Jahr 2014 in Libyen erlittenen Fraktur sowohl beim Gehen als auch beim Stehen unter Schmerzen im linken Bein mit Mobilitätseinschränkung leide. Auch diese Umstände wurden vom Bundesamt bereits im streitgegenständlichen Bescheid vom 23. Juni 2017 sowie vom Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung vom 29. März 2018 - einerseits über eine Bezugnahme gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf den Bescheid (Urteil Seite 5), andererseits über ergänzende Ausführungen in den Entscheidungsgründen (Urteil Seite 6) - hinreichend am Maßstab von Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO berücksichtigt. So heißt es bereits im Bescheid des Bundesamts (mit weiteren Ausführungen), es sei zu erwarten und dem Kläger als junger und arbeitsfähiger männlicher Person auch zuzumuten, dass dieser in seinem Heimatland, mit dessen Gepflogenheiten und Sprache er vertraut sei, seinen Lebensunterhalt sicherstellt. Ferner wurde schon dort der klägerische Vortrag der Beinverletzung wie folgt berücksichtigt (Seiten 5 f.):

"(...) So trug der Antragsteller zwar vor, dass ihm in Libyen das Bein gebrochen wurde, auf Grund dessen er nun Schmerzen habe, allerdings wurde auch eigens vom Antragsteller bestätigt, dass die Ärzte in Deutschland deswegen nichts unternehmen können. Ferner stellt ein vormals gebrochenes Bein kein Abschiebungsverbot dar. Es handelt sich dabei nicht um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die im Falle einer etwaigen Nichtbehandlung die Gesundheit des Antragstellers wesentlich oder in lebensbedrohlicher Weise verschlechtern würde."

Soweit mit der Klagebegründung ein ärztlicher Befundbericht einer orthopädischen Arztpraxis vom 27. März 2018 vorgelegt wurde, und hierzu vorgetragen wurde, Überlastungen sollten vermieden werden, ist darauf hinzuweisen, dass das tatsächlich auf den 27. März 2018 datierte Dokument ausschließlich auf bereits 21 Monate zurückliegende Diagnosen, Anamnesen, Befunde etc. abstellt. Insbesondere datiert auch die im Befundbericht vom 27. März 2018 aufgelistete ärztliche Empfehlung "Überlastung meiden" auf den 6. Juni 2016. Zudem ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, dass es nach Juni 2016 zu weiteren ärztlichen Behandlungen wegen der Oberschenkelfraktur aus dem Jahr 2014 gekommen ist. Vor diesem Hintergrund war das Verwaltungsgericht zur Erfüllung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör nach Maßgabe der oben dargestellten rechtlichen Maßstäbe nicht gehalten, sich mit dem Vortrag in der Klagebegründung und dem als Anlage beigefügten ärztlichen Befundberichts, dessen inhaltliche Bescheinigungen sich auf einen Zeitpunkt Mitte 2016 - ein Jahr vor der Anhörung vor dem Bundesamt am 13. Juni 2017 und dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 23. Juni 2017 sowie fast zwei Jahre vor der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts - beziehen, tiefer auseinanderzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).