Bayerischer VGH, Beschluss vom 04.06.2018 - 1 ZB 16.1905
Fundstelle
openJur 2020, 52997
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Kläger wenden sich gegen die Anordnung zur Beseitigung eines Garagenanbaus auf dem Grundstück FlNr. ... Gemarkung F ... (im Folgenden: Baugrundstück). Auf dem südlich angrenzenden Grundstück FlNr. ... Gemarkung F ... befindet sich das Zweifamilienhaus der Kläger mit Garage, das innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans Nr. ... "A ... ..." (im Folgenden: Bebauungsplan) mit Baugenehmigung errichtet wurde. Das streitgegenständliche Vorhaben wurde profilgleich mit einer Länge von ca. 5,50 m an die genehmigte Garage des Zweifamilienhauses ohne Baugenehmigung angebaut. Mit Bescheid vom 11. Juni 2015 ordnete das Landratsamt gegenüber dem Kläger zu 1 die Beseitigung des Garagenanbaus und gegenüber dem Kläger zu 2 die Duldung der Beseitigung an. Mit Urteil vom 30. Juni 2016 hat das Verwaltungsgericht die Klage gegen den vorgenannten Bescheid abgewiesen und ausgeführt, der zu beseitigende Anbau sei baurechtswidrig. Der Bereich des Anbaus, der noch im Geltungsbereich des Bebauungsplans liegen würde, sei nicht genehmigungsfähig, da kein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung bestehe. Der im Außenbereich befindliche Teil sei wegen der Beeinträchtigung öffentlicher Belange planungsrechtlich unzulässig. Die Beseitigungsanordnung sei ermessensfehlerfrei, insbesondere sei eine teilweise Beseitigung der einheitlichen Anlage wegen der fehlenden bautechnischen Teilbarkeit nicht in Betracht gekommen.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist, liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Das Urteil des Verwaltungsgerichts erweist sich ungeachtet des Umstands, dass es unterstellt hat, ein Teil des Anbaus liege im Bebauungsplangebiet, aus anderen Gründen als offensichtlich zutreffend. Da der Senat die Beteiligten auf die fehlende Entscheidungserheblichkeit einer Befreiungsmöglichkeit nach § 31 Abs. 2 BauGB hingewiesen hat und sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben, kommt in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht in Betracht. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ergibt sich die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des zu beseitigenden Vorhabens bereits daraus, dass es vollständig im Außenbereich liegt.

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich wegen seiner Lage im Außenbereich allein nach § 35 BauGB und lässt sich deshalb nicht durch die Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB erwirken. Wie sich aus einer Maßentnahme aus dem Original-Bebauungsplan und den in den Akten befindlichen Messungen des Landratsamts vom 13. April 2016 ergibt, liegt der gesamte von der Beseitigungsanordnung erfasste Gebäudebereich außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans. Die von den Klägern in der Zulassungsbegründung vertretene Auffassung, lediglich ein Bereich von 3,98 m liege außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans, trifft nicht zu. Das Landratsamt ging bei einer Überprüfung vor Ort davon aus, dass die Länge der Strecke zwischen dem Grenzpunkt an der Südspitze des Grundstücks FlNr. ... (im Messbericht vom 13. April 2016 als G2 bezeichnet) und der Grenze des Geltungsbereichs des Bebauungsplans im Norden 38,34 m beträgt. Dieses Ergebnis lässt sich auch bei einer Überprüfung anhand des dem Gericht zur Verfügung stehenden, mit einem Luftbild hinterlegten amtlichen Lageplan im sogenannten "Bayern Atlas plus" erzielen. Nachdem der Grenzpunkt an der Südspitze des Grundstücks im Bebauungsplan verzeichnet ist und der Bebauungsplan maßstabsgetreu ist, kann das ermittelte Maß nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden.

Soweit die Kläger die Länge der beschriebenen Strecke abweichend davon mit ca. 40 m benennen, kann unterstellt werden, dass sie bei der Berechnung davon ausgegangen sind, die Grenze des Geltungsbereichs des Bebauungsplans werde durch die Außenlinie der Blocklinie beschrieben, die nach der Zeichenerklärung zur Umfassung des Geltungsbereichs dient. Eine solche Grenzziehung ist dem Plan indes nicht zu entnehmen.

Die Gemeinden müssen sich bei der Erstellung des Bebauungsplans und den dabei verwendeten Planzeichen nicht an die Vorgaben der Planzeichenverordnung (PlanZV) halten. Es steht ihnen frei auch andere Zeichen zu verwenden (vgl. BVerwG, B.v. 4.1.1994 – 4 NB 30.93NVwZ 1994, 684). Die Bedeutung der zeichnerischen Festsetzung ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 14.12.1995 – 4 N 2.95BauR 1996, 358). Eine solche führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die innenliegende dünne Linie der Blocklinie die Grenze des Geltungsbereichs darstellt.

Dieses Auslegungsergebnis ergibt sich bereits aus dem Verlauf der Blocklinie in der Planzeichnung. Die Linie folgt zwar im streitigen Bereich keiner Grundstücksgrenze, da das Grundstück FlNr. ... erst später aus dem Gesamtgrundstück FlNr. ... abgeteilt wurde. Im übrigen Verlauf folgt die Blocklinie jedoch mit ihrer Innenlinie immer dann der Grundstücksgrenze, wenn die jeweilige Flurnummerngrenze mit der Abgrenzung des Geltungsbereichs übereinstimmt. Dies zeigt sich insbesondere an der Westgrenze des Grundstücks FlNr. ... und der Nordgrenze des Grundstücks FlNr. ... In den genannten Fällen ist jeweils die innenliegende Linie der Blocklinie identisch mit der Grundstücksgrenze. Würde man der Auslegung der Kläger folgen und die außen liegende Linie als Grenze des Geltungsbereichs ansehen, hätte die Festsetzung in diesen Bereichen keinen Sinn. Es wäre nicht nachvollziehbar, dass der Geltungsbereich des Bebauungsplans etwa auf einen schmalen Streifen des Grundstücks FlNr. ... oder des Grundstücks FlNr. ... erstreckt werden sollte. Vielmehr macht der Verlauf an den Flurnummerngrenzen deutlich, dass nur die jeweils innerhalb der Linie liegenden Bereiche im Geltungsbereich des Bebauungsplans sein sollen.

Diese Auslegung wird auch durch einen Vergleich mit dem Planzeichen Nr. 15.13 der Anlage zu § 2 PlanZV bestätigt. Bei diesem Planzeichen ist die Grenze des Geltungsbereichs durch die dünne durchgezogene Linie der Blocklinie beschrieben (vgl. OVG RhPf, U. v. 17.12.2012 – 1 C 10059/12DVBl 2013,122; ähnlich bei einer Auslegung des Planzeichens im Einzelfall: BVerwG, U. v. 3.7.1998 – 4 CN 5.97DVBl 1998,1294) während die auf dieser Linie aufgesetzte Blocklinie der Markierung bzw. Identifizierung des Planzeichens dient. Angesichts der durch die Blockstriche verursachten Breite der Linie bedarf es einer genaueren Konkretisierung der Begrenzung. Hierzu dient die dünne durchgezogene Linie, nachdem nur diese in der Lage ist, den gesamten dem Bebauungsplan zugehörigen Bereich lückenlos zu bestimmen. Die Lücken zwischen den Blöcken der Blocklinie werden durch die durchgezogene, dünne Linie geschlossen. Im vorliegenden Fall lehnt sich die Darstellung der Grenze des Geltungsbereichs an das Planzeichen Nr. 15.13 der Anlage zu § 2 PlanZV an. Es wurde lediglich zusätzlich eine zweite dünne Linie gesetzt. Gleichwohl verbleibt es dabei, dass die innenliegende Linie die Grenze umschreibt. Die äußere dünne Linie wurde lediglich als Hilfslinie zur zeichnerischen Realisierung der Begrenzung gewählt. Es sind keine Umstände erkennbar, die darauf schließen lassen, dass zwar ein der PlanZV ähnliches Planzeichen gewählt wurde, aber anders als bei diesem die äußere durchgezogene Linie die Grenze des Geltungsbereichs darstellen soll.

Die zu beseitigende Anlage ist als sonstiges Außenbereichsvorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die zu beseitigende Anlage die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) und die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten lässt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB).

Eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB liegt schon dann vor, wenn ein Bauvorhaben die Fläche der naturgegebenen Bodennutzung entzieht (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81BauR 1985, 427). Eines Eingriffs in eine besonders schutzwürdige Landschaft bedarf es hierbei nicht (vgl. BVerwG, U.v. 15.5.1997 – 4 C 23.95NVwZ 1998, 58). Eine Beeinträchtigung dieses Belangs durch eine Wohnbebauung scheidet in der Regel nur dann aus, wenn das Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die Bodennutzung noch für Erholungszwecke geeignet ist und es seine Schutzwürdigkeit durch bereits erfolgte anderweitige Eingriffe eingebüßt hat (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2011 – 15 ZB 11.1214 – juris Rn. 5). Auch die in der Nähe befindliche Scheune mit Freizeithütte führt nicht zum Verlust der natürlichen Beschaffenheit des Baugrundstücks. Die Kläger haben insoweit nicht dargelegt, dass das Baugrundstück schon vor der Errichtung der Garage seine Qualität als naturbelassenes Grundstück im Außenbereich eingebüßt hätte.

Die Ergänzung der vorhandenen Bebauung stellt im Übrigen auch eine zu missbilligende Erweiterung einer Splittersiedlung im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB dar. Eine durch verbindliche Bauleitplanung nicht geordnete Ausweitung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich hinein ist ein Vorgang der städtebaulich unerwünschten, unorganischen Siedlungsweise, die zu vermeiden ein öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 2 und 3 BauGB ist (vgl. BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 2 B 14.2817 – juris Rn. 37; Söfker in Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Mai 2017, § 35 Rn. 107; BVerwG, U.v. 13.2.1976 – IV C 72.74BayVBl 1976, 441; U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81ZfBR 1985, 141; B.v. 11.10.1999 – 4 B 77.99ZfBR 2000, 425). Dies gilt auch für Nebengebäude (vgl. BayVGH, U.v. 13.4.2015 – 1 B 14.2319 – juris Rn. 29). Eine Ausweitung der Bebauung außerhalb des jeweiligen im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich hinein soll jedenfalls planungsrechtlich auch unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung einer Zersiedelung grundsätzlich nur auf der Grundlage eines Bebauungsplans erfolgen (Söfker a.a.O.). Gegenteiliges ergibt sich nicht durch das nach Darstellung der Kläger ebenfalls im Außenbereich liegende Scheunengebäude mit Freizeithütte, da dieses alleinstehende Gebäude mit dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht in einem Bebauungszusammenhang steht und das ungeplante Ausufern des Ortsrands in die freie Landschaft westlich davon nicht rechtfertigen kann.

Soweit in der Zulassungsbegründung Zweifel an der Gültigkeit der Festsetzungen des Bebauungsplans geäußert werden, ist dieser Vortrag nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu begründen. Für die Rechtmäßigkeit der Beseitigungsanordnung spielt die Wirksamkeit des Bebauungsplans keine Rolle. Der Beklagte geht im angefochtenen Bescheid davon aus, dass sich die zu beseitigende Anlage im Außenbereich befindet. Im Fall der Unwirksamkeit des Bebauungsplans würde diese Zuordnung erst Recht gelten. Die Kläger könnten nicht mehr geltend machen, dass sich Teile der Anlage im Geltungsbereich des Bebauungsplans befinden.

Auch die Ausführungen der Kläger, die Beseitigungsanordnung sei aufgrund der möglichen Teilbeseitigung unverhältnismäßig, führen nicht zu Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils. Eine Teilbeseitigung als milderes Mittel anstelle einer vollständigen Beseitigung kommt nur dann in Betracht, wenn durch sie zumindest im Wesentlichen rechtmäßige Zustände hergestellt werden können (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2010 – 1 B 09. 1911BayVBl 2011, 500). Nachdem sich der gesamte Anbau im Außenbereich befindet und baurechtlich unzulässig ist, war das Landratsamt nicht gehalten, Teile der unzulässigen Anlage weiter hinzunehmen. Auf die Frage der bautechnischen Teilbarkeit derselben kommt es daher nicht an.

Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).