Bayerischer VGH, Urteil vom 10.09.2019 - 20 B 19.32549
Fundstelle
openJur 2020, 51579
  • Rkr:
Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 7. März 2018 wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am ... ... ... in Al-Hasaka geborener Staatsangehöriger der arabischen Republik Syrien, kurdischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 2. August 2014 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14. Juli 2017 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 14. Juli 2017 gab der Kläger im Wesentlichen an, sein Heimatland wegen der Kriegsgefahren und aus Angst um seine Kinder verlassen zu haben. Er erklärte, seit 2011 die syrische Staatsangehörigkeit zu besitzen und berichtete von allgemeinen Diskriminierungen als Kurde in Syrien.

Das Bundesamt erkannte dem Kläger mit Bescheid vom 24. Oktober 2017 als subsidiär Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Würzburg hat die Beklagte mit Urteil vom 7. März 2018 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung führt es aus, dem unverfolgt ausgereisten Kläger drohe flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung wegen der Asylantragstellung und des Aufenthaltes im westlichen Ausland sowie aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit. Aufgrund der Quellenlage sei von einer zunehmenden Verfolgung der Kurden durch den syrischen Staat auszugehen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Landesanwaltschaft Bayern hat sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligt.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Gründe

Der Senat konnte über die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten darauf verzichtet haben (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen bei dem Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise nicht vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem er nach Deutschland eingereist ist (2.)

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat er nicht geltend gemacht.

2. Der Kläger kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem er sein Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht nicht.

Davon wäre nur dann auszugehen, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die "verständige Würdigung aller Umstände" hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17; BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 - juris Rn. 15).

Der Kläger kann sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die illegale Ausreise und/oder den Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen (a.). Er muss eine Verfolgung auch nicht allein aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit befürchten (b.) oder wegen der Herkunft aus einem Oppositionsgebiet (c.). Dies gilt auch, wenn man alle Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung gemeinsam betrachtet (d.)

Die allgemeine Situation in Syrien stellt sich im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung wie folgt dar: Das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ist durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten. Ziel der Regierung ist es, die bisherige Machtarchitektur bestehend aus dem Präsidenten Bashar al-Assad sowie den drei um ihn gruppierten Clans (Assad, Makhlouf und Shalish) ohne einschneidende Veränderungen zu erhalten und das Herrschaftsmonopol auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik wiederherzustellen. Diesem Ziel ordnete die Regierung in den vergangenen Jahren alle anderen Sekundärziele unter (vgl. Gerlach, "Was in Syrien geschieht - Essay" vom 19.2.2016). Sie geht in ihrem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor. Dabei sind die Kriterien dafür, was als politische Opposition betrachtet wird, sehr weit: Kritik, Widerstand oder schon unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung in jeglicher Form sollen Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen geführt haben (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Fassung - im Folgenden UNHCR-Erwägungen 2017 - unter Verweis auf: United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2015, 13.4.2016; Amnesty International, Human Slaughterhouse: Mass Hangings and Extermination at Saydnaya Prison, Syria, 7.2.2017; UN Human Rights Council, Out of Sight, out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic, 3.2.2016). Seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, "Verschwindenlassen", tätlichen Angriffen, Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 13.11.2018). Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert; das syrische Regime stellt falsche Totenscheine offenbar mit dem Ziel aus, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf US Department of State, 2016 Country Reports on Human Rights Practices - Syria, 3.3.2017). Das Schicksal und der Aufenthaltsort zehntausender Menschen, die seit Ausbruch des Krieges von Regierungskräften inhaftiert worden waren und seitdem "verschwunden" sind, sind nach wie vor unbekannt. Während der Haft werden Folter und andere Misshandlungen systematisch angewendet (Amnesty International, Report Syrien 2018, 22.2.2018; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf Human Rights Watch, World Report 2017 - Syria; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E, 19.1.2016) (vgl. BayVGH, U.v. 12.4.2019 - 21 B 18.32459 - BeckRS 2019, 1..2018 Rn. 26; U.v. 9.4.2019 - 21 B 18.33075 - juris Rn. 21, unter Fortführung seiner Rechtsprechung aus der Entscheidung vom 20. Juni 2018 - 21 B 17.31605 - juris).

a. 

Der Kläger kann sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft jedenfalls nicht auf die illegale Ausreise und/oder den Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen.

Es entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung in Deutschland, dass die illegale Ausreise und die Stellung eines Asylantrags sowie der Aufenthalt im westlichen Ausland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte führen (vgl. hierzu auch VGH Mannheim, U.v. 27.3.2019 - A 4 S 335/19 - juris Rn. 45; VGH Mannheim, U.v. 23.10.2018 - A 3 S 791/18 - juris Rn. 24; OVG Schleswig, U.v. 13.9.2018 - 2 LB 38/18 - juris Rn. 34 unter Verweis auf U.v. 4.5.2018 - 2 LB 17/18 - juris Rn. 36 bis 75; OVG Münster, U.v. 3.9.2018 - 14 A 837/18.A - juris Rn. 44 ff. mit einer Übersicht über die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung Rn. 45 - 48; OVG Lüneburg, U.v. 5.9.2017 - 2 LB 186/17 - Rn. 55 ff.; BayVGH, U.v. 12.4.2019 - 21 B 18.32459 - a.a.O. Rn. 27 - 41 und U.v. 11.7.2019 - 21 B 19.30207 - juris Rn. 23 ff.).

Der Senat schließt sich dieser Auffassung der deutschen Oberverwaltungsgerichte an (vgl. auch U.v. 9.5.2019 - 20 B 19.30534 - BeckRS 2019, 15375). Mangels eines expliziten diesbezüglichen klägerseitigen Vortrags wird von weiteren Ausführungen abgesehen.

b. 

Dem Kläger droht auch nicht allein aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung in Syrien.

Aus den dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass kurdische Volkszugehörige ohne das Hinzutreten weiterer individueller Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte ausgesetzt sind, die an ihre Volkszugehörigkeit anknüpfen.

Die Schilderungen des Klägers, wonach ihm 2011 die syrische Staatsangehörigkeit verliehen worden sei, decken sich mit der Auskunft der Schnellanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 21. Januar 2019, wonach den sogenannten "Ajanib" mit dem Dekret 49, 2011 die syrische Staatsangehörigkeit zuerkannt wurde. Ein entsprechender Antrag konnte nur in Al-Hasaka, der Herkunftsstadt des Klägers, gestellt werden. Im Gegensatz zu den Gruppen der Ajanib und Maktumin (nicht registrierte staatenlose Kurden) haben die wiedereingebürgerten Kurden den gleichen Zugang zu Bildung und staatlichen Fürsorgeleistungen wie alle syrischen Staatsangehörigen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, "Rekrutierung von staatenlosen Kurden in die syrische Armee", 21. Januar 2019). Aufgrund der syrischen Staatsangehörigkeit bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger mit Nachteilen aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit rechnen müsste.

Aber auch der Zuschreibung einer oppositionellen Haltung und daran anknüpfende staatliche Verfolgungshandlungen ist der Kläger allein aufgrund seiner Volkszugehörigkeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt.

So führt das Oberverwaltungsgericht Schleswig in seinem Urteil vom 4. Mai 2018 - 2 LB 62/18 - juris Rn. 78 ff. aus (bestätigt mit Urteil vom 13. März 2019 - 2 LB 45/18 - juris Rn. 34):

"bb) Nach der dem Senat ausgewerteten Erkenntnislage ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass den Klägerinnen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden vom syrischen Regime eine politische Überzeugung zugeschrieben würde und ihnen deshalb eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht.

Schätzungen zufolge sind 10 bis 15 Prozent der syrischen Bevölkerung Kurden (Bundeszentrale für politische Bildung [BPB], Aus Politik und Zeitgeschichte, 18. Februar 2013, Seite 15; nach Angaben von Moritz A. Mihatsch, BPB, Kurdenkonflikt vom 24. Januar 2018 leben circa eine Million Kurden in Syrien). Zur (allgemeinen) Situation der Kurden in Syrien führt Mihatsch (Kurdenkonflikt, a.a.O.) Folgendes aus: In Syrien gerieten die Kurden nach der Unabhängigkeit des Landes 1946 zunehmend unter den Druck des erstarkenden arabischen Nationalismus. Nach einer Periode politischer Instabilität schloss sich Syrien Ende der 1950er Jahre mit Ägypten zur Vereinigten Arabischen Republik (1958-1962) unter Führung des damaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abd-al-Nasser zusammen. Die nationalistische Propaganda stellte die syrischen Kurden als Werkzeuge des Imperialismus und Israels sowie als Gefahr für die nationale Souveränität dar. Im Jahr 1962 führte die Regierung in Damaskus an einem einzigen Tag im Nordosten des Landes eine außerplanmäßige Volkszählung durch. Rund 120.000 Kurden konnten den verlangten Nachweis ihrer Nationalität nicht vorlegen und wurden als Ausländer klassifiziert. Ab 1965 praktizierte die herrschende Baath-Partei die Politik des "Arabischen Gürtels". Kurden, die in Grenznähe lebten, wurden enteignet, umgesiedelt und durch arabische Syrer verdrängt. Die Politik der Marginalisierung wurde auch unter Präsident Hafez al-Assad (1971-2000) und seinem Sohn und Nachfolger Bashar al-Assad fortgeführt. Die Schwäche des Regimes und die Kriegswirren nutzend, haben die Kurden seit 2011 im Nordosten des Landes ein unter ihrer Verwaltung stehendes autonomes Gebiet ("Rojava") aufgebaut. Die Kurden haben zudem maßgeblich zum Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) beigetragen. In Syrien konnte die Schwesterpartei der PKK, die "Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren bewaffneter Arm, die "Einheiten zum Schutz des Volkes" (YPG) im Zuge ihrer Beteiligung an der von den USA geführten Anti-IS-Allianz die Kontrolle über die kurdischen Gebiete im Nordosten von Syrien weiter ausbauen. Nachdem die USA angekündigt hatten, eine Grenzschutztruppe mit Beteiligung der YPG aufbauen zu wollen, geht nun die Türkei militärisch gegen die PYD vor und marschierte im Rahmen der Operation "Olivenzweig" in die Region Afrin ein. Die Türkei hatte bereits zuvor in Nordsyrien zwischen Afrin und Kobane eine quasi Dauerbesetzung eingerichtet. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (vom 5. Januar 2017, S. 8) berichtet ebenfalls, dass es im Norden Syriens Gebiete gibt, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava oder Westkurdistan genannt werden. Noch seien die beiden größeren Gebietsteile voneinander getrennt. Das Ziel der Kurden sei es jedoch, entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel äußern sich unterschiedlich darüber, ob es generell gefährdete Personengruppen gibt. Einer Auffassung nach seien alle Rückkehrer ungeachtet ihrer Ethnizität oder Religion von Misshandlungen bedroht. Andere halten Religion, Ethnizität und die Herkunft für risikoerhöhende Faktoren (vgl. zu beiden Darstellungen IRB vom 19. Januar 2016, S. 7, und UNHCR vom November 2017, S. 5 f.).

Nach weiteren Angaben des IRB Canada (vom 19. Januar 2016, S. 7) gehören die Kurden zu den Gruppen, die einem höheren Misshandlungsrisiko ausgesetzt seien, da ihre Regimeloyalität traditionell in Frage gestellt wird. Das IRB Canada bezieht sich insoweit auf Aussagen des Geschäftsführers des Syria Justice und Accountability Centre und eines auf Syrien spezialisierten Gastwissenschaftlers am Kings College London. Diese Aussagen können nach Auffassung des Senats jedoch nicht als gesicherte Grundlage für eine entsprechende Gefahrenprognose herangezogen werden. Es fehlen jegliche Angaben zu den Tatsachengrundlagen für die vorgenommenen Einschätzungen bzw. die (gesicherte) Schilderung von Referenzfällen.

Der UNHCR (vom April 2017, S. 5) und die Schweizerische Flüchtlingshilfe (vom 21. März 2017, S. 11) beziehen sich ebenfalls auf die Auskunft des IRB Canada. In der Auskunft des UNHCR vom November 2015 werden ganz allgemein Angehörige ethnischer Minderheiten, einschließlich Kurden, den sogenannten Risikoprofilen zugeordnet (S. 25 f.). Nach den aktuellsten Berichten des UNHCR (vom November 2017, S. 54) hätten sich die religiösen und ethnischen Minderheiten jedoch weitgehend der Regierung angeschlossen und bekämpften zusammen mit dieser eine überwiegend sunnitische Opposition. Allgemein unterscheide sich die Situation von Mitgliedern ethnischer und religiöser Minderheiten von Region zu Region und hänge von der in der Region jeweils herrschenden Gruppierung ab. Dementsprechend seien kurdische Zivilisten eher Zielscheibe von Angriffen aus den Reihen von ISIS, Jabhat Fatah Al-Sham und anderen regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen gewesen, die ihnen die Unterstützung von der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG oder der Regierung vorgeworfen hätten (ebenda S. 55). Der UNHCR sieht daher eine Gefährdung Angehöriger religiöser oder ethnischer Minderheiten vorrangig in Gebieten, die von diesen oder anderen regierungsfeindlichen Gruppen kontrolliert werden (ebenda S. 57).

Das Deutsche Orient Institut (Auskunft an das OVG Schleswig vom 8. November 2016 zu Az. 3 LB 17/16) führt aus, dass mittlerweile einige kurdische Gruppierungen entschieden gegen die syrische Regierung in Erscheinung treten würden. Dies könne zur Folge haben, dass besonders kurdische Männer zwischen 18 und 42 Jahren in von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten aufgrund eines Generalverdachts negativen Maßnahmen ausgesetzt seien.

Nach dem Kenntnisstand des Auswärtigen Amtes würden politisch nicht aktive syrische Kurden nicht aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit verfolgt. Allerdings sei nicht auszuschließen, dass einzelne arabischstämmige Syrer sich mit Vergeltungsmaßnahmen für die von der PYD begangenen Menschenrechtsverletzungen an arabischen Bevölkerungsteilen rächen wollten (Auskunft an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7221/16.A, S. 4). Ebenso gibt die Deutsche Botschaft Beirut (vom 3. Februar 2016) an, dass Kurden in Syrien nicht per se aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit Übergriffen ausgesetzt seien, sondern aufgrund der Regime- oder Oppositionsnähe der jeweils vor Ort herrschenden Gruppierungen. Ähnlich äußert sich auch das Europäische Zentrum für Kurdische Studien (Auskunft an VG Gelsenkirchen vom 29. März 2017). Auch die vom Verwaltungsgericht Dresden herangezogene Sachverständige P. B. teilt in ihrer Auskunft mit, dass Kurden nicht wegen ihrer Herkunft oder Abstammung verfolgt werden (Auskunft vom 6. Februar 2017 zu Az. 5 A 1237/17.A S. 5).

Der dargestellten Auskunftslage lässt sich nach Auffassung des Senats demnach entnehmen, dass die kurdische Volkszugehörigkeit allenfalls ein weiterer Faktor bei der Bestimmung des Risikoprofils in dem Sinne sein kann, dass eine aus anderen Gründen den Regierungskräften verdächtig erscheinende Person als umso verdächtiger wahrgenommen werden könnte, wenn sie kurdischer Volkszugehörigkeit ist (so auch OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 - 2 LB 237/17 - juris, Rn. 52; vgl. auch OVG Saarland, Beschluss vom 11. April 2018 - 2 A 147/18 - juris, Rn. 8 m.w.N., wonach Personen kurdischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit keine politische Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG in Syrien droht).

Eine andere Gesamtbewertung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung eines am 31. Mai 2018 veröffentlichen Interviews des Präsidenten von Syrien, Bashar Al-Assad, im russischen Sender "Russia Today". Der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen hat sich in der mündlichen Verhandlung auf dieses Interview bezogen und aus den Äußerungen eine allgemeine Bedrohungslage für Kurden in Syrien abgeleitet. Nach einem Bericht der Deutschen Welle vom 31. Mai 2018 über das Interview hat Präsident Assad gesagt, dass Verhandlungen mit den kurdischen Kämpfern der "Syrischen Demokratischen Kräfte" (SDF) die erste Option seien. Sollten diese Gespräche scheitern, werde man die Region "mit Gewalt befreien" (vgl. Deutsche Welle: http://www.dw.com/de/syriens-pr%C3%A4sident-assad-droht-kurdischen-k%C3%A4mpfern-mit-angriff/a-44018185). Nach Auffassung des Senats lässt sich aus den Aussagen des Präsidenten somit nicht schlussfolgern, dass (alle) Kurden derzeit oder in unmittelbarer Zukunft mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer von zielgerichteter staatlicher Verfolgung aus politischen Gründen werden. Zum einen hat Präsident Assad eine konsensuale Lösung der verschiedenen Herrschaftsansprüche im Norden bzw. Nordosten von Syrien in den Vordergrund gestellt. Zum anderen beziehen sich die Äußerungen lediglich auf Militärangehörige der Syrischen Demokratischen Kräfte und nicht auf alle Kurden.

Die Klägerinnen müssten demnach aus anderen Gründen zu einer gefährdeten Personengruppe gehören, damit sich ihre kurdische Volkszugehörigkeit gefahrerhöhend auswirken könnte. Solche Gründe liegen jedoch nicht vor. Wie bereits ausgeführt, genügt allein die nicht näher substantiierte Behauptung, die Klägerinnen seien Gegnerinnen des Assad-Regimes hierfür nicht."

Auch das Oberverwaltungsgericht Münster führt in seinem Urteil vom 22.Juni 2018 - 14 A 618/18.A - juris Rn. 30 ff. (bestätigt mit Urteil vom 18.4.2019 - 14 A 2608/18.A - juris Rn. 33 ff.) aus, dass kurdische Volkszugehörige allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit nicht vom syrischen Staat verfolgt würden und nimmt dabei Bezug auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. Januar 2017 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf, Az.: 508-9-516.80/48840, Antwort auf Frage 2 und auf das Gutachten des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 29. März 2017 an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Antwort auf Fragen I und II1. Demnach droht politische Verfolgung unabhängig von der kurdischen Volkszugehörigkeit nur bei Verdacht auf Regimegegnerschaft.

Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Da der Kläger nicht angegeben hat, dass er sich politisch gegen das syrische Regime exponiert habe, droht ihm aufgrund seiner Volkszugehörigkeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

c. 

Der Kläger muss eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte auch nicht deshalb befürchten, weil er aus Al-Hasaka stammt.

Die Frage, ob allein die Herkunft aus einem Gebiet der Opposition ("Rebellenhochburg") zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führt, ist mittlerweile in der obergerichtlichen Rechtsprechung in Deutschland einheitlich negativ entschieden (BayVGH, U.v. 11.7.2019 - 21 B 19.30207 - juris Rn. 73 - 75; U.v. 9.4.2019 - 21 B 18.33075 - juris Rn. 40 - 43; U.v. 20.6.2018 - 21 B 17.31605 - juris Rn. 44 ff.; OVG NRW, U.v. 3.9.2018 - 14 A 837/18.A - juris Rn. 34 - 43; OVG Bremen, U.v. 20.2.2019 - 2 LB 122/18 - juris Rn. 57; OVG Nds., U.v. 5.9.2017 - 2 LB 186/17 - juris Rn. 55; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.5.2018 - 2 LB 17/18 - juris Rn. 83 ff.; U.v. 13.9.2018 - 2 LB 38/18 - juris Rn. 43; VGH BW, U.v. 27.3.2019 - A 4 S 335/19 - juris Rn. 42).

Von dieser einheitlichen Position weicht der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinen Urteilen vom 6. Juni 2017 (3 A 3040/16.A - juris Rn. 51) und 26. Juli 2018 (3 A 403/18.A - juris Rn. 14), in denen jeweils einem Wehrdienstentzieher aus einem (vermeintlich) regierungsfeindlichen Gebiet, Flüchtlingsschutz gewährt wurde, nur auf den ersten Blick ab: Denn den Entscheidungen ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob nach der Bewertung des Senats dem syrischen Staat allein die Herkunft eines Rückkehrers aus einer (vermeintlich) regierungsfeindlichen Zone ausreicht, um ihm eine oppositionelle Gesinnung zu unterstellen, an die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen anknüpfen (BayVGH, U.v. 9.4.2019 - 21 B 18.33075 - juris Rn. 43; U.v. 11.7.2019 - 21 B 19.30207 - juris Rn. 74). Vielmehr deutet die zuletzt genannte Entscheidung ebenso wie das später ergangene Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Dezember 2018 (3 A 2267/18.A - juris Rn. 22) in die andere Richtung. Es wird hier somit keine explizit entgegenstehende Position zu dieser Frage vertreten.

Der Senat schließt sich der von der obergerichtlichen Rechtsprechung einheitlich vertretenen Auffassung an (vgl. auch die Urteile v. 9.5.2019 - 20 B 19.30534, 20 B 19.30643). Mangels eines expliziten diesbezüglichen klägerseitigen Vortrags wird von weiteren Ausführungen abgesehen.

d. 

Auch wenn man in die zu treffende Prognoseentscheidung alle vorgenannten Umstände - die illegale Ausreise und den Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung, die kurdische Volkszugehörigkeit und die Herkunft aus einen Oppositionsgebiet - einbezieht, ergibt sich daraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante (politische) Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG. Bei dem Kläger liegen keine besonderen individuellen Umstände vor, weshalb ihm vom syrischen Staat eine oppositionelle Haltung unterstellt werden könnte und ihm deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohten (so auch OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.5.2018 - 2 LB 17/18 - juris Rn. 151).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.