Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.05.2020 - 20 NE 20.1165
Fundstelle
openJur 2020, 48963
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Mit ihrem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt die Antragstellerin sinngemäß das Ziel, den Vollzug von § 11 der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 5. Mai 2020 (2126-1-8-G, BayMBl. 2020 Nr. 240) in der Fassung vom 20 Mai 2020 (2126-1-8-G; BayMBl. Nr. 287) einstweilen auszusetzen, soweit der Betrieb von Fitnessstudios in Innenräumen ausnahmslos untersagt wird.

1. Der Antragsgegner hat am 5. Mai 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die in der Hauptsache streitgegenständliche Verordnung erlassen, die am 11. Mai 2020 in Kraft getreten ist (§ 24 Satz 1 4. BayIfSMV).

2. Die Antragstellerin, die in Bayern mehrere Fitnessstudios betreibt, hat mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 13. Mai 2020, beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen am 14. Mai 2020, einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen § 11 4. BayIfSMV beantragt. Das Angebot der Studios umfasst die Bereiche Sport (Gruppenstunden Zumba, Yoga, Pilates), Krafttraining, Rehabilitationssport und therapeutisches Funktionstraining. Die Antragstellerin hat ihrem Antrag ein Hygienekonzept beigefügt, das für einen eingeschränkten Betrieb im Innenbereich nach vorheriger Anmeldung und Begrenzung der Kundenanzahl im Studio im Verhältnis zur Trainingsfläche sowie Personal Training und Rehabilitationssport vorgesehen ist. Auf das Konzept wird Bezug genommen.

Die Antragstellerin ist der Meinung, §§ 9 und 11 der 4. BayIfSMV stünden nicht in Einklang mit der Verfassung, weil Betriebsuntersagungen nicht für längere Zeit aufgrund einer untergesetzlichen Norm erfolgen könnten. Auch sei es bei sinkenden Infektionszahlen erforderlich, regional auf das jeweilige Infektionsrisiko zu reagieren. Außerdem verstoße die Zuordnung der Fitnessstudios der Antragstellerin zu den reinen Freizeiteinrichtungen im Hinblick auf die Betroffenheit ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2, 14, 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG gegen die Verfassung. Bei einem nur eingeschränkten Betrieb - wie von der Antragstellerin vorgesehen - sei der Betrieb der Fitnessstudios eher mit Dienstleistungsbetrieben nach § 12 und den Sportstätten nach § 9 als mit reinen Freizeiteinrichtungen vergleichbar. Auch die Schlechterstellung im Vergleich zu der Öffnung der Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften sei bei dem vorgesehenen Betrieb der Einrichtungen nicht zu rechtfertigen. Die Nachverfolgung von Infektionsketten sei nach Gottesdiensten schwieriger zu bewerkstelligen als nach einem Besuch im Fitnessstudio. Das Betriebsverbot erweise sich auch im engern Sinn als unverhältnismäßig, weil die lange Dauer der Betriebsuntersagung, die fehlende zeitliche Perspektive, die konkrete Existenzgefährdung und die Möglichkeiten zur Gewährung effektiven Infektionsschutzes die Gefahren für die infektionsschutzrechtlich zu schützeden Rechtsgüter überwögen. Angesichts der vorgenommenen Lockerungen z.B. für Gottesdienstbesuche und Versammlungen sei die ausnahmslose Schließung eines Fitnessstudios nicht mehr zu rechtfertigen. Auch sei die Bedeutung der Studios für die Gesunderhaltung nicht gewürdigt.

3. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen und verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die bisherige verwaltungsgerichtliche und oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung. Jegliche Ansammlungen, die dadurch entstehen würden, dass Personen in Freizeiteinrichtungen zusammenkämen, wären mit Infektionsgefahren verbunden. Diese Infektionsgefahren könnten im Falle bloßer Freizeiteinrichtungen unter Berücksichtigung aller betroffenen Rechte und Interessen generell nicht hingenommen werden. Es sei zu berücksichtigen, dass für den Betrieb von Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung dienten, überwiegend kein vergleichbar großes Bedürfnis und Versorgungsinteresse der Bevölkerung bestehe und dass das nachvollziehbare Interesse daran, sich sportlich zu betätigen, für einen Übergangszeitraum auch anders befriedigt werden könne. Das Interesse an der Freizeitgestaltung müsse daher für die Dauer einer fortbestehenden Gefahrenlage aufgrund des Infektionsgeschehens in Bayern hinter dem infektionsschutzrechtlichen Interesse an einer möglichst weitgehenden Reduzierung nicht notwendiger persönlicher Kontakte zurückstehen. Die Tatsache, dass nicht unterschiedslos der Betrieb sämtlicher Einrichtungen untersagt werde, diene dabei der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Umgekehrt sei innerhalb der Freizeiteinrichtungen aber auch eine pauschalierende und generalisierende Regelungstechnik unumgänglich. Die weitere Notwendigkeit der Regelung werde regelmäßig und in kurzen Abständen überprüft. So endet die Geltungsdauer der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung mit Ablauf des 29. Mai 2020.

Durch das deutlich gesteigerte Atemverhalten unter körperlicher Belastung einer Vielzahl von Personen auf vergleichsweise engem Raum und bei begrenztem und nur unzureichend durchmischtem Luftvolumen werde die Gefahr der Infektion weiterer Personen deutlich erhöht. Gerade das stoßartige Ausatmen unter körperlicher Belastung könne bei symptomfreien aber infizierten Personen zu einem massiven Ausstoß infektiöser Viren über eine große Distanz führen und damit im Vordergrund stehende Tröpfcheninfektion - auch in Gestalt kleinster und über einen längeren Zeitraum in der Luft schwebende Aerosole - befördern. Durch das Verbot von Freizeiteinrichtungen werde diese Gelegenheit zur Verbreitung des Virus reduziert. Die Regelung sei auch erforderlich, da sie eine Beschränkung physischer Kontakte von Menschen untereinander bewirke. Auch wenn Kontaktbeschränkungen und mittlerweile auch weitere Beschränkungen (betreffen zum Beispiel Gottesdienste, Sport im Freien, Handels- und Dienstleistungsbetriebe) teilweise gelockert worden seien, stelle dies eine auch weiterhin erforderliche Einschränkung sozialer Kontakte und Aktivitäten nicht infrage, die auch und gerade angesichts erfolgter Lockerungen der Verlangsamung der Ausbreitung von Infektionen diene. Der sportlichen Betätigung an frischer Luft in Gruppen bis zu 5 Personen sei sportliches Training in geschlossenen Räumen nicht vergleichbar. Gleich geeignete Maßnahmen, die weniger einschneidend wären, seien aktuell nicht ersichtlich. Insbesondere sehe das von der Antragstellerin vorgestellte Konzept die Anwesenheit einer recht großen Anzahl von Personen vor. Es sollten Rehatraining und Gruppenstunden stattfinden (auch das im Rahmen des Hilfsantrag verfolgte Konzept sehe Personal-Training mit bis zu 2 Kunden und Reha Sport für bis zu 15 Kunden vor). Der Betrieb des Fitnessstudios sei in dem von der Antragstellerin geplanten Umfang nur sehr schwer überprüfbar; außerdem sei es nicht Aufgabe eines Normenkontrollverfahrens, der jeweiligen Prozesssituation angepasste und in der Realität schwer überprüfbar Konzepte der betroffenen Antragsteller zu beurteilen. Schließlich erweise sich die Maßnahme der vorübergehenden Betriebsschließungen auch als verhältnismäßig im engeren Sinne. Die aktuellen Entwicklungen der Corona-Pandemie gäben auch in Bayern berechtigten Anlass zu großer Besorgnis. Das Robert-Koch-Institut schätze die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit immer noch als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch ein. Die negativen finanziellen Folgen für die Antragstellerin würden durch die aktuell getroffenen Regelungen zur Entlastung der Wirtschaft zumindest teilweise aufgefangen werden können. Im Gegensatz zu finanziellen Folgen seien die Schäden, die bei einer weiteren und vor allem ungebremsten Verbreitung des Virus und einem deutlichen Ansteigen der Erkrankungund Todeszahlen für eine sehr große Zahl von Menschen zu gewärtigen wären, von deutlich höherem Gewicht. Auch der Gleichheitsgrundsatz sei nicht verletzt. Die unterschiedliche Behandlung von Fitnessstudios gegenüber Sportstätten sowie Dienstleistungsbetrieben, Physiotherapeuten, EMS-Studios und Gottesdiensten stelle keinen Verstoß gegen den allgemein Gleichheitsgrundsatz dar. Anders als bei der sportlichen Betätigung innerhalb eines Fitnessstudios entwickele der Kunde bei dem Besuch der genannten Dienstleister oder Veranstaltungen typischerweise keine erhöhte Attraktivität mit der bei einem Infizierten konkret bestehenden Gefahr der Freisetzung weit strahlender und erheblicher Virenmengen. Gerade in dieser deutlich verstärkten Atmung liege aber die erhöhte Ansteckungsgefahr, die bei körperlicher Betätigung in Freiluft zu nicht gegeben sei, ebenso wenig wie beim Beten und Singen in Gottesdiensten, zumal für alle Gottesdienstteilnehmer Maskenpflicht bestehe. Anders als von der Antragstellerin dargestellt, sei auch der Betrieb von sogenannten EMS-Studios derzeit nicht vollumfänglich möglich, da dort derzeit nur ein Training von einer Person (mit einem Trainer) ohne Geräte stattfinden dürfe und dieses ohnehin auf 20 Minuten begrenzt sei. Letztlich wurde verwiesen auf die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshof vom 8. Mai 2020 (Az. Vf.34-VII-20). Die isolierte vorläufige Außerkraftsetzung einzelner Verordnungsbestimmungen würde die praktische Wirksamkeit des Schutzkonzepts in einem Ausmaß beeinträchtigen, das dem Gebot zuwiderliefe, von der Befugnis, den Vollzug einer in Kraft getretene Norm auszusetzen, wegen des erheblichen Eingriffs in die Gestaltungsfreiheit des Normgebers nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch zu machen (Rn. 41).

4. Auf Anfrage des Senats vom 25. Mai 2020 u.a. zur Höhe des Infektionsrisikos im Vergleich zu Gaststätten und Spielhallen äußerte der Antragsgegner, wegen der erhöhten Ein- und Ausatmung seien diese Einrichtungen nicht vergleichbar. Auch finde in den Fitnessstudios vermehrte Bewegungen der Personen statt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen

II.

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

Dabei geht der Senat davon aus, dass es sich bei den als II. und III. bezeichneten Anträgen der Antragstellerin bei einer am Rechtsschutzziel orientieren Auslegung um einen Antrag handelt. Ziel des Normenkontrolleilantrags ist es dem Wortlaut nach, die vorläufige Außervollzugsetzung des § 11 4. BayIfSMV zu erreichen, soweit der Betrieb der Fitnesstudios der Antragstellerin im Innenbereich ausnahmslos (im Hlfsantrag II weitergehend differenziert) untersagt wird. Da das Gericht nach § 47 Abs. 6 VwGO Normen im Falle einer Stattgabe nur insgesamt außer Vollzug setzen kann und ihm nach den Grundsätzen der Gewaltenteilung keine Rechtssetzungsbefugnis zusteht, richtet sich der Eilantrag nach mit § 47 Abs. 6 VwGO in Einklang stehender Auslegung (§ 88 VwGO) auf eine Außervollzugsetzung des § 11 4. BayIfSMV bis zu einer Entscheidung über den gleichzeitig erhobeben Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO in der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nach Auffassung des Senats nach Vornahme einer Folgenabwägung im Ergebnis nicht vor.

1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 ‒ juris Rn. 12; zustimmend OVG NRW, B.v. 25.4.2019 - 4 B 480/19.NE - juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn - wie hier - die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.

Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht (hinreichend) abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung ‒ trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache ‒ dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 ‒ juris Rn. 12).

2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens für den Normenkontrollantrag von offenen Erfolgsaussichten aus (a.). Aufgrund der vorzunehmenden Folgenabwägung erscheint eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm jedenfalls nicht dringend geboten (b.)

a. Bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten sieht sich der Senat mit einer Vielzahl komplexer fachlicher und rechtlicher Fragen konfrontiert, die einer abschließenden Klärung in einem Eilverfahren nicht zugänglich sind. Es handelt sich bei der Corona-Pandemie um ein seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland erstmalig auftretendes Ereignis, das derzeit mit bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen gehandhabt wird, die auf eine Pandemie dieser Größenordnung nicht zugeschnitten sind. Es wird deshalb in einem Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob die aufgrund der 4. BayIfSMV getroffenen Maßnahmen letztlich mit den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts vereinbar sind, da erhebliche Grundrechtseingriffe über einen längeren Zeitraum allein aufgrund §§ 28, 32 IfSG durch die Exekutive erfolgen (vgl. hierzu schon BayVGH, B.v. 14.4.2020 - 20 NE 20.763 - juris; BayVGH, B.v. 14.4.2020 - 20 NE 20.735 - juris). Weiterhin bleibt der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten, ob - und wenn ja, in welchem Umfang - dem Verordnungsgeber ein Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung zusteht, in welchen Schritten und nach welchen Kriterien er die aus Gründen der Unterbrechung von Infektionsketten geschlossenen Wirtschaftsbereiche wieder öffnet und inwieweit ein solcher gegebenenfalls gerichtlich überprüfbar ist. Ungeklärt ist bislang insbesondere, ob der Begriff der "notwendigen Schutzmaßnahmen" i.S. des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ein Ermessen des Verordnungsgebers eröffnen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 3 C 16/11 - BVerwG 142, 205), das auch andere als rein infektionsschutzrechtliche Kriterien bei der Lockerung der Maßnahmen umfasst und seine Grenze in der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen findet (vgl. Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesseuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468 S. 27 < zur Vorgängerregelung in § 34 BSeuchG >).

Diese Fragen sind für die Entscheidung des Hauptsacheverfahrens streitentscheidend, weil sich bei summarischer Prüfung Anhaltspunkte für Grundrechtsverletzungen der Antragstellerin in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG ergeben. Dies gilt im Hinblick auf die Frage, ob von Einrichtungen wie den der Antragstellerin tatsächlich wie vom Antragsgegner behauptet - auch bei eingeschränktem Betrieb unter Beachtung eines Hygienekonzepts - größere Infektionsgefahren ausgehen als von den nach der 4. BayIfSMV zulässigerweise wiedereröffneten Gastronomiebetrieben. Desweiteren ist fraglich, ob die uneingeschränkte Zuordnung der Fitnessstudios in die (nicht homogene) "Gruppe" der Freizeiteinrichtungen des § 11 4. BayIfSMV mit der Regelungswirkung der ausnahmslosen Betriebsuntersagung im Hinblick auf Sportstätten nach § 9 4. BayIfSMV und Dienstleistungsbetriebe nach § 12 Abs. 3 4. BayIfSMV in Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG steht, da Fitnesstudios nicht ausschließlich zur Freizeitgestaltung genutzt werden, sondern auch zur Gesunderhaltung, als Sportstätte und auch aus medizinischen Gründen im Bereich des Rehabilitationssports und der Physiotherapie.

b. Unter Bezugnahme auf die dargestellte Rechtsprechung ergibt eine Folgenabwägung zwischen den betroffenen Schutzgütern der freien wirtschaftlichen Betätigung aus Art. 12 Abs. 1 GG und dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG mit dem Schutzgut Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in der gegenwärtigen pandemischen Lage, dass die von der Antragstellerin dargelegten wirtschaftlichen Einbußen hinter dem Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen.

Das pandemische Geschehen dauert weiter an. Nach dem aktuellen Situationsbericht des RKI vom 28. Mai 2020 handelt es sich weltweit und in Deutschland weiterhin um eine "sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation". Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/22020-05-28-de.pdf?_blob=publication File).

In dieser Situation ergibt eine Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm - insbesondere die mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten - schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres einstweilig weiteren Vollzugs, zumal die Wiedereröffnung eines eingeschränkten Betriebes unter Beachtung eines allgemeinen Hygienekonzepts nach den Ankündigungen des Antragsgegners bereits ab dem 8. Juni 2020 wieder möglich sein wird.

In die Folgenabwägung ist auch miteinzubeziehen, dass in Vollzug der 4. BayIfSMV der Betrieb von Fitnessstudios außerhalb der Studioräume im Freien angelehnt an die Kriterien des § 9 4. BayIfSMV zugelassen wird. Desweiteren geht der Senat davon aus, dass der Antragsgegner beim Vollzug der Verordnung dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung trägt, insbesondere Anwendungen in Fitnessstudios aufgrund ärztlicher Verordnung (physiotherapeutische Behandlungen und RehaSport nach § 12 Abs. 3 4. BayIfSMV) einheitlich behandelt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

Da die von der Antragstellerin angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 29. Mai 2020 außer Kraft tritt (§ 24 Abs. 1 4. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht erscheint.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).