LG Aachen, Urteil vom 16.04.2020 - 12 O 257/19
Fundstelle
openJur 2020, 48864
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten

Tatbestand

Die Parteien streiten um die rechtlichen Folgen eines Unfalles, den der zu diesem Zeitpunkt 7-jährige Kläger am 23.7.2017 im sog. Barfuß- und Generationenpark in T erlitt.

Der Kläger besuchte den von den Beklagten betriebenen Park mit der Zeugin Q. Zum Ende des Besuches lief der Kläger in den aus Buchenhecken bestehenden Kinderirrgarten und kam über eine Wurzel zum Sturz. Dabei verletzte er sich insbesondere im Mundbereich und verlor einen Zahn.

Der Kläger behauptet, über eine rund 15 bis 20 cm hohe Wurzel gestolpert zu sein. Diese habe sich auf eine regelmäßigen, an sich gepflegten Waldweg befunden.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtlichen Schaden aus dem Unfallgeschehen vom 23.7.2017 im Barfuß- und Generationenpark Schmidtheim zu ersetzen, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist und

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verpflichten, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, die Wurzel habe sich nicht auf einem Weg, sondern im Bereich einer Hecke befunden. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht scheide aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 12.3.2020, Bl. 78 ff. GA, Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte zu 1) aus § 839 I 1 BGB, Art. 34 S. 1 GG i.V.m. §§ 9a, 44 StrWG NRW bzw. gegen die Beklagte zu 2) kein Anspruch auf Ersatz der Schäden zu, die er sturzbedingt erlitten hat. Die Beklagten haben ihre dem Kläger gegenüber bestehende Amts- bzw. Verkehrspflicht nicht schuldhaft verletzt. Die Wurzel war auch für den Kläger erkennbar. Die Haftung der Beklagten für das waldähnliche Gebiet ist zudem aus Rechtsgründen reduziert.

1.

In Anbetracht des ausgedehnten Straßen- und Wegenetzes der öffentlichrechtlichen Gebietskörperschaften ist die Gewährleistung einer gänzlich gefahrlosen Nutzung der Verkehrsflächen mit zumutbaren Aufwand nicht erreichbar, sodass von einem Straßenbaulastträger nur erwartet werden kann, dass er diejenigen Gefahren ausräumt und erforderlichenfalls vor ihnen warnt, die für den Verkehrsteilnehmer, der die nötige Sorgfalt beachtet, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einrichten kann (BGH, Urteil vom 21.06.1979 - III ZR 58/78 - VersR 1979, 1055; OLG Köln, Urteil vom 30.04.2009 - 7 U 189/08 - juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.12.1994 - 18 U 118/94 - NJW-RR 1995, 1114). Im Übrigen muss sich der Wegebenutzer den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Wege so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet (BGH, Urteil vom 21.06.1979 - III ZR 58/78 - VersR 1979, 1055; OLG Köln, Urteil vom 30.04.2009 - 7 U 189/08 - juris; OLG Jena, Urteil vom 24.06.2009 - 4 U 67/09 - MDR 2009, 1391; OLG Brandenburg, Urteil vom 03.06.2008 - 2 U 18/05 - NJW-RR 2008, 1614). Bei der Bemessung des Umfangs der Verkehrssicherungspflicht ist insbesondere auch Art, Bedeutung und Häufigkeit der Benutzung des Weges zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 21.06.1979 - III ZR 58/78 - VersR 1979, 1055; OLG Jena, Urteil vom 24.06.2009 - 4 U 67/09 - MDR 2009). Bei der Bemessung des Umfangs der Verkehrssicherungspflicht ist insbesondere auch Art, Bedeutung und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 21.06.1979 - III ZR 58/78 - VersR 1979, 1055; OLG Jena, Urteil vom 24.06.2009 - 4 U 67/09 - MDR 2009). Welche Niveauunterschiede auf Gehwegen hiernach noch hinzunehmen sind, hängt nicht allein von der absoluten Höhendifferenz ab, sondern auch von der Art der Vertiefung und den besonderen Umständen der einzelnen Örtlichkeit.

Weiter ist eine Verkehrssicherungspflicht für Waldflächen ist aus Rechtsgründen aus sog. walduntypische Fälle herabgesetzt. Nach § 14 Bundeswaldgesetz bzw. § 60 Bundesnaturschutzgesetz hat der Waldbesitzer das Betreten der freien Landschaft zu dulden, dass allerdings "auf eigene Gefahr" des Waldbesucher erfolgt. Rechtsprechung und Schrifttum stimmen darin überein, dass der Waldbesitzer für Unfälle der Waldbenutzer nur in Fällen sog. für walduntypische Gefahren haftet (vgl. BGH, Urteil vom 02.10.2012 VI ZR 311/11, Rn. 22, zit. nach juris). Der Waldbesitzer wird zwar nicht völlig von Verkehrssicherungspflichten freigestellt, er muss aber keine besonderen Vorkehrungen gegen die typischen Gefahren in der freien Landschaft treffen. Dies gilt auch an zu Naherholungszwecken genutzten und frequentierten Waldwegen. Auch kann die Verkehrserwartung der Waldbesucher nicht dahin gehen, dass angelegte Wege gefahrlos betreten werden können. Danach muss der Waldbesitzer den Besucher nur so weit wie möglich vor sog. atypischen Gefahren schützen, mit denen der Waldbesucher nicht rechnen muss, weil er sie bei Anwendung der von ihm in dieser Situation zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht oder nicht rechtzeitig erkennen oder vermeiden kann (vgl. OLG Düsseldorf Urteil vom 09.01.2008 19 U 28/07, zit. nacj juris, Palandt-Sprau, BGB, 79. Auflage, § 823 Rn. 51). Atypische Gefahren sind alle nicht durch die Natur oder durch die Art der Bewirtschaftung mehr oder weniger zwangsläufig vorgegebenen Zustände, insbesondere vom Waldbesitzer selber geschaffene oder geduldete Gefahren, die ein Waldbesucher nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auf die er sich nicht einzurichten vermag, weil er nicht mit ihnen rechnen muss (BGH, a.a.O., Rn. 26). Diese Pflicht vor atypischen Gefahren schützen zu müssen gilt grundsätzlich auch gegenüber Kindern, um sie vor den Folgen ihrer Unerfahrenheit zu bewahren. Sie findet jedoch ihre Grenze in offensichtlichen Gefahren, bei denen der Pflichtige davon ausgehen kann, dass sich auch Kinder ihnen aus einem natürlichen Angstgefühl heraus nicht aussetzen (vgl. OLG München NJW-RR 2009, 98 ff.).

2.

Nach den Schilderungen der Beteiligten und den vorliegenden Lichtbildern, insbesondere Bl. 39, 86 GA ist der Teil des Parks, in dem der Kläger zum Sturz kam, letztlich als Waldgebiet zu qualifizieren. Sowohl vom äußeren Erscheinungsbild wie von dem Zweck erwartet der Benutzer des Irrgartens letztlich nur den Sicherheitsstandart wie in einem eigentlichen Waldgebiet. Der Irrgarten weist hohe Bäume auf und soll dem Benutzer ein waldähnliches Gefühl vermitteln. Insbesondere Kinder sind in dem Irrgarten so gestellt, als befänden sie sich im einem Wald, in dem spielerisch der richtige Weg gesucht werden muss. Dass sich auf Waldwegen Wurzeln befinden, die insbesondere beim schnellen Laufen auch Gefahren aufweisen, ist dabei als waldtypisch anzusehen.

Von den Beklagten als Betreiber des Parks zu verlangen, den waldähnlichen Irrgarten so zu gestalten, dass einerseits ein Waldgefühl entsteht, andererseits aber eine waldtypische Gefahr ausscheidet, würde das Gericht als widersprüchlich ansehen und die Verantwortlichkeit der Beklagten übersteigern. Den Nutzern des Irrgartens ist allein durch die erkennbaren Bäume klar, dass er auch auf Wurzeln und andere Unebenheiten auf dem Boden zu achten hat. Hinzu kommt, dass sich die Gefahr für den Kläger offenbar erst durch seine schnelle Bewegung ergeben hat, die er selber als "Joggen", die Zeugen Q als "Sprinten" beschrieben haben. Die Inhaber der Verkehrssicherungspflicht konnten aber darauf vertrauen, dass auch Kinder als Nutzer des waldähnlichen Irrgartens die im Wald übliche Ganggeschwindigkeit einhält und dann auch auf dem Boden erkennbare Wurzeln nicht übersehen.

3.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 4.000 €, §§ 3 f. ZPO

Prof. Dr. N