VG Mainz, Urteil vom 26.06.2020 - 4 K 1123/19.MZ
Fundstelle
openJur 2020, 48754
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 29. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2019 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger als Polizeikommissar-Anwärter bei der Hochschule der Polizei in den Vorbereitungsdienst für den Zugang zum 3. Einstiegsamt einzustellen.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der am ... 1999 geborene Kläger begehrt mit seiner Klage die Einstellung in den Polizeidienst des Landes Rheinland-Pfalz.

Zusammen mit seinem Bruder, dem Kläger des Verfahrens 4 K 1122/19.MZ, bewarb sich der Kläger um eine Einstellung in den Vorbereitungsdienst des 3. Einstiegsamtes des Polizeivollzugsdienstes für den Einstellungstermin im Oktober 2019. Auf Einladung des Beklagten unterzog er sich im November 2018 und Januar 2019 dem diesbezüglichen Auswahlverfahren, das er erfolgreich abschloss. Der Kläger erhielt daraufhin eine vorläufige Einstellungszusage.

Mit E-Mail vom 25. Januar 2019 teilte das Landeskriminalamt auf entsprechende Anfrage dem Beklagten mit, dass hinsichtlich des Klägers keine polizeilichen Erkenntnisse vorlägen. Es werde jedoch angeregt, mit dem Leiter von K... in K., B. S., Kontakt aufzunehmen.

Es erfolgte dann eine Rücksprache mit Herrn S. Dieser gab an, der Kläger und sein Bruder seien in einem polizeilichen Fallbearbeitungssystem aufgetaucht. Es gebe keinerlei strafrechtliche Verfehlungen, es sei jedoch so, dass der Onkel der Bewerber (Bruder der Mutter) Mitglied der Hells Angels und kriminalpolizeilich bekannt sei. Ausweislich der geführten Umfeldermittlungen solle Kontakt zwischen den Bewerbern und dem Onkel bestehen bzw. bestanden haben. Eine Rücksprache mit der zuständigen Polizeiinspektion A., die als obligatorische Leumundüberprüfung bezeichnet und demzufolge ohne Angaben weiterer Details durchgeführt worden sei, habe keine zusätzlichen verwertbaren Erkenntnisse erbracht.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2019 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er als Bewerber nicht mehr geführt werde. Zur Begründung stellte der Beklagte darauf ab, dass der Onkel des Klägers ein Anhänger des Motorrad- und Rockerclubs Hells Angels sei und daraus Zweifel an der Verlässlichkeit des Klägers resultierten.

Mit Schreiben vom 13. August 2019 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass ihm eine Mitgliedschaft seines Onkels bei den Hells Angels bis dato unbekannt gewesen sei. Erst durch das Schreiben des Beklagten und entsprechende Nachfrage bei seiner Mutter habe er davon Kenntnis erhalten. Dies rühre daher, dass er weder in einem engen noch in einem steten Kontakt mit seinem Onkel stehe. Auch eine persönliche enge Beziehung sei nicht vorhanden. Nach Aussage seiner Eltern sei sein Onkel seit April 2018 kein aktives Mitglied mehr bei den Hells Angels. Um diesem Ausstieg Nachdruck zu verleihen, sei er auch umgezogen, um eine räumliche und persönliche Trennung herbeizuführen. Der heutige Wohnort des Onkels sei ihm nicht bekannt. Er lege daher Widerspruch gegen die Entscheidung des Beklagten ein und bitte um eine erneute Prüfung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2019 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte Folgendes aus:

Es sei bei der Polizei sehr intensiv auf die persönliche und charakterliche Eignung als grundlegende Einstellungsvoraussetzung zu achten. Ein enger Kontakt mit Personen, welche teilweise hervorgehobene Positionen in Rockerbanden hätten oder in der Vergangenheit gehabt hätten, verstoße gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht in Form des Abstandsgebots. Vorliegend liege beim Kläger zudem kein freiwilliger Kontakt, sondern ein Verwandtschaftsverhältnis vor. Der Onkel des Klägers sei zumindest bis Mitte letzten Jahres ein Full Member des Clubs gewesen. Bei diesem Status handele es sich um einen Entwicklungsstand, welcher jahrelange Mitgliedschaft und entsprechende Bewährungssituationen voraussetze. Ein Austritt aus dem Club sei nur unter bestimmten Voraussetzungen bis überhaupt nicht möglich. Der Kläger gebe zwar an, keinen Kontakt zu seinem Onkel zu haben und auch keine Kenntnis über dessen Mitgliedschaft in dem Rockerclub gehabt zu haben, trotzdem könne aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in der Zukunft von seinem Onkel kontaktiert werde und eventuell in eine Situation gebracht werde, welche den Kläger in seiner Funktion als Polizeibeamter in arge Bedrängnis bringen könnte. Auch wenn es derzeit keinen unmittelbaren Kontakt zwischen dem Kläger und seinem Onkel gebe, so bestehe trotzdem die Gefahr, dass der Onkel Kenntnis von dem Polizeistatus seines Neffen erlange und dies auszunutzen beabsichtige. Selbst wenn der Onkel diesen Kontakt nicht nutzen wolle, da er selbst eventuell gar kein Mitglied der Hells Angels mehr sei, so bestehe ebenso die Gefahr, dass der Onkel selbst wiederum dazu genötigt werden könnte. Ein Kontakt in irgendeiner Form könne nicht ausgeschlossen werden. Des Weiteren könne nicht außer Acht gelassen werden, dass dem Kläger wegen des Verwandtschaftsverhältnisses zu seinem Onkel ein Zeugnisverweigerungsrecht zukomme, welches den Kläger nicht nur in einen Interessenkonflikt bringen würde, sondern auch die polizeiliche Arbeit ernsthaft gefährden könnte. Zusätzlich könne der Kläger in einen weiteren Konflikt geraten, da er sich einer Strafvereitelung im Amt nach § 258 a Abs. 3 StGB strafbar machen könne. Insgesamt sei das Bewerten des Umfeldes der Bewerber von genauso großer Bedeutung wie das Heranziehen der eigenen persönlichen und charakterlichen Eignung der Bewerber. Weiterhin sei gerade im Alltag eines Polizeibeamten der Umgang mit sehr sensiblen Daten Usus. Dem künftigen Dienstherrn könne und dürfe nicht zugemutet werden, Gefahr zu laufen, dass die Beamten solche Daten herausgeben oder herausgeben müssten, eventuell unter entsprechenden Nötigungshandlungen. Grundsätzlich seien berechtigte Zweifel des künftigen Dienstherrn an der Eignung des Bewerbers für eine Ablehnung bereits ausreichend. Dabei könnten Zweifel im Sinne von fehlender Überzeugung verstanden werden. Es sei schließlich die prognostische Einschätzung entscheidend, inwieweit der Bewerber der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht werde. Diese Prognose könne hier nicht eindeutig zu Gunsten des Klägers vorgenommen werden. Die Ablehnung des Einstellungsantrags des Klägers sei damit recht- und zweckmäßig.

Der Kläger hat am 5. Dezember 2019 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er Folgendes vor:

Bis zum Erhalt des Bescheides seien ihm die Lebensumstände seines Onkels völlig unbekannt gewesen. Er stehe in keinem Kontakt zu seinem Onkel. Im Jahr 2017 hätten seine Eltern zufällig erfahren, dass sein Onkel, Herr H., im Kontakt mit den Hells Angels stehe. Er und seine Geschwister hätten davon nichts erfahren. Er selbst habe erst auf Nachfrage bei seiner Mutter die Information erhalten. Sein Onkel habe sich im April 2018 von den Hells Angels distanziert. Er, der Kläger, habe einen Anspruch auf Einstellung, er sei insbesondere charakterlich für den Polizeidienst geeignet. Durch die Ablehnung seiner Einstellung verstoße der Beklagte gegen das Gebot aus § 9 Beamtenstatusgesetz, wonach Ernennungen ohne Rücksicht auf die Abstammung eines Bewerbers vorzunehmen seien. Von dem Merkmal der Verwandtschaft könne er sich durch eigenes Verhalten nicht lösen. Die Abstammung sei ein angeborenes Merkmal, im Gegensatz zur Mitgliedschaft in einer kriminellen Rockervereinigung, welche ein personenbezogenes Merkmal darstelle. Es müsse daher zwischen persönlichem Kontakt und bloßer Verwandtschaft unterschieden werden. Während Ersteres ein aktives Tun seinerseits voraussetze, sei Letzteres ihm von Geburt an durch seine Abstammung auferlegt. Vorwerfbar wäre ihm daher nur ein Verhalten, also der persönliche Kontakt zu Herrn H., jedoch nicht seine Verwandtschaft zu ihm. Er selbst stehe in keinerlei Näheverhältnis zu seinem Onkel. Auf Grund der fehlenden familiären Bindung zwischen ihm und seinem Onkel befinde er sich auch nicht in einem Zwiespalt oder Interessenkonflikt. Für ihn sei Herr H. ein unbekannter Dritter, mit welchem es über die bloße Abstammung hinaus keine Verbundenheit gebe. Die Verwehrung der beamtenrechtlichen Laufbahn stelle für ihn einen gravierenden Einschnitt in seine berufliche Zukunft dar. Es liege ein Eingriff in Art. 12 GG vor, da er in seiner Berufswahl beschränkt werde. Ihm werde im Sinne einer Sippenhaft das Verhalten seiner Angehörigen zum Vorwurf gemacht und daraus gefolgert, er werde den Anforderungen an Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit sowie seinen Dienstpflichten nicht gerecht.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Juli 2019 und des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2019 zu verpflichten, ihn als Polizeikommissar-Anwärter bei der Hochschule der Polizei in den Vorbereitungsdienst für den Zugang zum 3. Einstiegsamt einzustellen,

hilfsweise,

über seine Bewerbung um die Einstellung als Polizeikommissar-Anwärter bei der Hochschule der Polizei in den Vorbereitungsdienst für den Zugang zum 3. Einstiegsamt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt ergänzend Folgendes vor:

Auf der Grundlage eines bestehenden Bekämpfungskonzepts der Rockerkriminalität des Landes Rheinland-Pfalz habe es u.a. Verfahren gegen Mitglieder des Hells Angels Charter B. gegeben. Der Kläger sei als mögliche Kontaktperson in einem damals von der Staatsanwaltschaft K. betriebenen Ermittlungsverfahren gegen das Charter u.a. wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und gegen das Waffengesetz geführt worden. Bei einem der Tatverdächtigen habe es sich um den Onkel des Klägers, Herrn H., gehandelt. Herr H. sei im Februar und April 2019 rechtskräftig zu einem Jahr und zwei Monaten (Bewährung) wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und einem Jahr und sechs Monaten (Bewährung) wegen Verstößen gegen das Waffengesetz (Besitz scharfer Schusswaffe) verurteilt worden. In der beschriebenen Zeitspanne habe Herr H. rocker-typische Kleidung (Kutten) genutzt, habe ein übliches Motorrad gehabt und sei auch tätowiert gewesen. Dies dürfte im unmittelbaren familiären und verwandtschaftlichen Umfeld aufgefallen sein. Aus einer Überwachung des Telekommunikationsverkehrs sei seit Anfang 2016 bekannt, dass Herr H. und seine Schwester, die Mutter des Klägers, telefonischen Kontakt gehalten hätten. So hätte sich Herr H. nach den Jungs erkundigt, ob diese Fußball gespielt hätten, was die Schwester bejaht habe. Herr H. habe zeitnah seinen Besuch bei der Schwester angekündigt. In einem anderen Gespräch habe sich Herr H. entschuldigt, dass er sich bei den Jungs wieder unbeliebt gemacht habe. Hintergrund sei ein zeitlich früher Anruf auf ein Telefon gewesen, welches bei einem der Neffen am Bett gestanden habe. Aus den geschilderten Punkten ergebe sich die Annahme, dass Herr H. über ein gutes Verhältnis zu den Kindern seiner Schwester verfügt haben dürfte. Wenn der Kläger vortrage, ihm seien die Lebensumstände seines Onkels bis zum Bescheiderlass völlig unbekannt gewesen und er in keinerlei Kontakt zu ihm gestanden habe, erscheine dies nicht glaubhaft. Zu den Pflichten eines Beamten gehöre auch die Wahrheitspflicht. Der Kläger gebe an, Herr H. sei ein unbekannter Dritter und er stehe in keinem Näheverhältnis zu seinem Onkel. Dies stehe jedoch im Widerspruch zu der Registrierung des Klägers im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem. Allein das Erfassen von Personen in einem solchen System spreche dafür, dass dieser Person eine besondere Rolle zukomme, sei es als Zeuge oder Hinweisgeber etc. Eine Eintragung des Klägers in dieses Vorgangsbearbeitungssystem zeige, dass Herr H. kein unbekannter Dritter sei, zu dem der Kläger keinerlei Näheverhältnis gehabt habe. Wäre dies tatsächlich der Fall gewesen, wäre eine Eintragung in das System nicht erfolgt. Eine Ermessensreduzierung zugunsten des Klägers liege hier nicht vor. Auch wenn persönliche Kontakte zum Motorrad- und Rockerclub Hells Angels nicht hätten nachgewiesen werden können, seien jedoch die verwandtschaftliche Beziehung und die tatsächlichen Kontakte zu einem Mitglied des Charters geeignet, den erforderlichen Zusammenhalt, das Einstehen füreinander innerhalb des Kollegenkreises bei der täglichen Arbeit empfindlich zu stören. Dem Kläger werde als Bewerber auch nicht im Sinne einer Sippenhaft das Verhalten des Onkels zum Vorwurf gemacht, sondern der nicht oder kaum lösbare Interessenkonflikt des Klägers zwischen dem Beruf als Polizeibeamter und seiner familiären Bindung. Ein enges (familiäres) Verhältnis zu Personen, die bereits straffällig geworden seien und folglich den Gesetzen nicht mit dem notwendigen Respekt gegenübertreten würden, sei für einen Bewerber der Polizei problematisch. Die Problematik eines Gewissenskonflikts könne die dienstliche Aufgabenerfüllung hemmen.

Dem hält der Kläger entgegen, dass aus den zitierten Telefonaten sich nichts über seine Beziehung zu Herrn H. ableiten lasse. Er selbst hätte keinerlei Wissen über die Telefonate gehabt. Auch von einem regelmäßigen oder engen Kontakt zwischen seiner Mutter und Herrn H. könne nicht gesprochen werden. Entgegen der Ankündigung habe es auch keinen Besuch des Onkels bei der Familie gegeben.

Das Gericht hat über das Verhältnis des Klägers zu seinem Onkel durch Vernehmung seiner Mutter als Zeugin Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 26. Juni 2020 Bezug verwiesen.

Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 26. Juni 2020 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage hat auch in der Sache Erfolg.

Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihn als Polizeikommissar-Anwärter bei der Hochschule der Polizei in den Vorbereitungsdienst für den Zugang zum 3. Einstiegsamt einstellt. Zwar steht die Einstellung in den Polizeidienst im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten. Vorliegend besteht jedoch eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Klägers.

Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger die allgemeinen Einstellungsvoraussetzungen des § 15 Laufbahnverordnung für den Polizeidienst (LbVOPol) vom 10. Mai 2016 erfüllt. Dies wird auch vom Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

Da gemäß § 14 LbVOPol die Bewerber unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf als Polizeikommissar-Anwärter in den Vorbereitungsdienst für den Zugang zum 3. Einstiegsamt eingestellt werden, muss im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung auch § 9 Beamtenstatusgesetz - BeamtStG - beachtet werden, wonach Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen sind. Die charakterliche Eignung, auf deren Fehlen sich der Beklagte letztlich bezieht, ist ein Unterfall der persönlichen Eignung. Hierfür ist die prognostische Einschätzung entscheidend, inwieweit der Bewerber der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht werden wird (BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2001 - 2 C 43.99 -, juris Rn. 23). Dies erfordert eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Einstellungsbewerbers, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen (BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 20016 - 2 B 17.16 -, juris Rn. 26). Die Entscheidung über die Eignung trifft der Dienstherr in Wahrnehmung einer Beurteilungsermächtigung. Sie bewirkt im Ergebnis, dass die Eignungseinschätzung von den Verwaltungsgerichten nur beschränkt überprüft werden kann. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2003 - 2 A 1.02 -, juris Rn. 11 m.w.N., stRspr). Dabei darf der Dienstherr die Einstellung eines Bewerbers bereits dann ablehnen, wenn berechtigte Zweifel an dessen Eignung bestehen (OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2016 - 1 B 1194/16 -, juris Rn. 15).

Wenn die Loyalität zum Dienstherrn zu prognostizieren ist, darf der Dienstherr auch "externe" Momente wie das familiäre Umfeld des Bewerbers einbeziehen, um etwaige Loyalitätskonflikte möglichst auszuschließen (vgl. auch VG Gießen, Urteil vom 11. April 2018 - 5 K 396/16.GI - juris Rn. 48). Dabei genügt es aber nicht auf das reine Verwandtschaftsverhältnis abzustellen. Denn dies würde das Gebot des § 9 BeamtStG, wonach Ernennungen ohne Rücksicht auf die Abstammung eines Bewerbers vorzunehmen sind, verletzen. Hinzukommen muss vielmehr, dass sich aus dem Verwandtschaftsverhältnis auch eine familiäre Bindung von gewissem Gewicht ergibt. Das setzt zumindest voraus, dass der Bewerber und der in Frage stehende Verwandte in einem nennenswerten Kontakt stehen. Nur dann kann von berechtigten Zweifeln im Hinblick auf einen möglichen Loyalitätskonflikt gesprochen werden. Konkrete Anhaltspunkte für einen solchen Loyalitätskonflikt gibt es im Fall des Klägers jedoch nicht. Wie nicht zuletzt auch die Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie die Beweisaufnahme des Gerichts ergeben haben, besteht zwischen dem Kläger und seinem Onkel aktuell keinerlei Kontakt, auch für die Vergangenheit ließ sich eine enge familiäre Bindung nicht feststellen. Insoweit ist der Beklagte von einem falschen Sachverhalt ausgegangen.

Der Beklagte hat bei seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass der Kläger zu seinem Onkel Kontakt pflegt. Er hat dies allein daraus gefolgert, dass er als Kontaktperson in einem polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem aufgetaucht ist. Auf Nachfrage des Gerichts vom 18. Juni 2020 hat sich jedoch ergeben, dass die Aufnahme in das Vorgangsbearbeitungssystem der Polizei allein auf Grund der abgehörten Telefonate zwischen der Mutter des Klägers und seinem Onkel erfolgt ist (vgl. den Schriftsatz des Beklagten vom 22. Juni 2020). Weitere Erkenntnisse zu Kontakten zwischen dem Kläger und seinem Onkel gab und gibt es nicht. Der Inhalt der abgehörten Telefonate, die im Übrigen mittlerweile vier Jahre zurückliegen, mag seinerzeit die Aufnahme in das Vorgangsbearbeitungssystem der Polizei gerechtfertigt haben, reicht heute insbesondere auch im Hinblick auf die Anhörung des Klägers und die Vernehmung seiner Mutter als Zeugin nicht dafür aus, eine nennenswerte familiäre Bindung zwischen dem Kläger und seinem Onkel mit der Folge möglicher Loyalitätskonflikte anzunehmen. Als Quintessenz bleibt hier lediglich, dass der Kläger in seiner Kindheit durch Besuche bei seinen Großeltern, wo der Onkel seinerzeit wohnte, zu diesem sporadischen Kontakt etwa bei Geburtstagsfeiern hatte. Nachdem der Onkel weggezogen war und nicht mehr bei den Großeltern des Klägers wohnte, entfiel dann auch der Kontakt über die Großeltern. An den diesbezüglichen Angaben des Klägers zu zweifeln hat das Gericht keinen Anlass. Bestätigt wird dies letztlich auch durch die glaubhafte Aussage der Mutter des Klägers. Aus ihrer Aussage ergibt sich, dass das Verhältnis zwischen Herrn H. und ihr eher problematisch war. Informationen über ihren Bruder hat sie in erster Linie über ihre Mutter erhalten. Hinsichtlich der Frage des Kontakts zwischen ihrem Bruder und ihren Söhnen hielt sie es allenfalls für möglich, dass ihr Bruder ihnen in den letzten zwei Jahren telefonisch zum Geburtstag gratuliert habe. Die Zeugin hat auch bestätigt, dass ihre Söhne nichts von der Mitgliedschaft ihres Bruders bei den Hells Angels gewusst hätten. Sie hätten erst davon erfahren, als sie die Absage der Einstellung bei der Polizei erhalten hätten. Sie seien schockiert gewesen. Auch seien ihre Söhne nicht am Umzug des Bruders beteiligt gewesen.

Aus alledem folgt, dass ein nennenswerter Kontakt zwischen dem Kläger und Herrn H. nicht bestanden hat und nicht besteht. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von dem Sachverhalt, der dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 11. April 2018 (a.a.O.) zugrunde lag. Dort bestand zwischen dem Bewerber und seinen straffällig gewordenen Brüdern ein enges familiäres Verhältnis. Auch wurde dort zusätzlich an das eigene Verhalten des Bewerbers angeknüpft. Im vorliegenden Fall gibt es jedoch im Hinblick auf seinen Onkel keinerlei Verhalten, das dem Kläger vorzuwerfen wäre, aber auch keinerlei feststellbare familiäre Bindung zu diesem. Letztlich bleiben nur die bestehende Verwandtschaft, die sporadischen Kontakte über die Großeltern bis vor einigen Jahren und zuletzt allenfalls einmal ein Telefonanruf zum Geburtstag. Vor diesem Hintergrund stellen die vom Beklagten im einzelnen entworfenen Szenarien nur theoretische Möglichkeiten dar, die zudem unberücksichtigt lassen, dass der Onkel des Klägers gemäß den Angaben der Zeugin mittlerweile schwer erkrankt ist, und die jedenfalls nicht geeignet sind, berechtigte Zweifel an der Eignung des Klägers zu begründen. Würde man die minimalen Kontakte aus der Vergangenheit als Ablehnungsgrund für eine Einstellung gelten lassen, liefe dies in der Tat darauf hinaus, den Bewerber allein wegen seiner Abstammung von der Einstellung auszuschließen und ihm damit auch sein Recht auf freie Berufswahl (Art. 12 GG) abzusprechen.

Nach alledem war die Ablehnung der Einstellung des Klägers rechtswidrig. Da diese ausschließlich aufgrund des vom Beklagten angenommenen Kontakts des Klägers zu seinem Onkel erfolgt ist und andere Hinderungsgründe weder ersichtlich noch vorgetragen sind, ist von einer Ermessungsreduzierung auf Null zu Gunsten des Klägers auszugehen mit der Folge, dass gegenüber dem Beklagten ausnahmsweise eine strikte Verpflichtung zur Einstellung des Klägers auszusprechen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Beschluss der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 26. Juni 2020

Der Streitwert wird auf 7.393,26 € festgesetzt (§52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG (= 6facher Betrag der Anwärterbezüge A 9 bis A 11 in Höhe von 1.232,21 €).