LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.08.2020 - L 4 KR 470/19
Fundstelle
openJur 2020, 48275
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 10 KR 209/19
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 7. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Behandlung im Naturheilzentrum „I.“ hat.

Der 19… geborene Kläger ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) gesetzlich krankenversichert und leidet seit Jahren unter zahlreichen Erkrankungen; zu nennen sind u.a. ein Zustand nach Nierentransplantation, Zustand nach mittelschwerer Abstoßreaktion (Juli 2005), eine chronische Glomerulonephritis, ein infektbedingtes akutes Nierenversagen (2018), pAVK, ein Verdacht auf ein Alport-Syndrom, Hypertonus, Tinnitus, allergisches Asthma, chronisches Erschöpfungssyndrom (Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatique Syndrome <ME/CFS>), Histaminüberempfindlichkeit. Seit dem 16. Januar 2018 besteht ein Pflegegrad I (vgl. Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung – MDK – vom 17. November 2018).

Am 31. Juli 2018 beantragte er bei der beklagten KK die Kostenübernahme einer Behandlung seiner ME/CFS-Erkrankung im Naturheilzentrum „I.“ in J.. Er gab dazu an, dass seine ME/CFS-Erkrankung nachgewiesen sei und er an einem besonders schweren Fall leide. „Kassenärzte“, die eine Behandlung durchführen könnten, gäbe es nicht. Alle von ihm vorgeschlagenen Privatärzte habe die Beklagte abgelehnt. Eigene Arztvorschläge habe sie nicht gemacht. Auch wenn es sich bei dem Zentrum „I.“ um eine Naturheilpraxis handeln würde, habe diese Bezeichnung nur eine formale Bedeutung; Diagnostik und Therapie würden sich dennoch nach wissenschaftlichen Kriterien richten.

Mit Bescheid vom 7. August 2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, dass Heilpraktiker nicht berechtigt seien, ihre Leistungen über die gesetzliche Krankenversicherung (gKV) abzurechnen. Daher dürfe die Beklagte die Behandlungskosten nicht übernehmen.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2017 zurück. Der Arztvorbehalt gebiete es, dass eine ärztliche Behandlung nur durch Ärzte zu erfolgen habe. Eine Behandlung durch andere in der Heilkunde tätige Personen dürfte nicht zulasten der GKV erbracht werden. Für die Behandlung im Naturheilzentrum „I.“ könnten Kosten nicht übernommen werden.

Am 4. Februar 2019 hat der Kläger gegen diese Entscheidung Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und gleichzeitig den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er sei lebensbedrohlich schwer erkrankt und eine kassenärztlich medizinische Behandlung sei in Deutschland nicht möglich. Laut Internetpräsentation und mündlicher Auskunft sei die Inhaberin des Naturheilzentrums „I.“ eine Spezialistin für die ME/CFS-Erkrankung. Zur Feststellung eines Behandlungserfolges sei eine Erstuntersuchung notwendig. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich aus den lebensbedrohlichen Umständen.

Das SG hat mit Beschluss vom 13. März 2019 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund seien nicht gegeben. Die Ablehnung der beklagten KK, die Kosten für die Behandlung bei der Heilpraktikerin nicht zu übernehmen, sei nicht zu beanstanden. Gemäß § 15 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) werde eine ärztliche oder zahnärztliche Behandlung von Ärzten oder Zahnärzten erbracht. Seien Hilfeleistungen anderer Personen erforderlich, dürften diese nur erbracht werden, wenn sie vom Arzt (Zahnarzt) angeordnet oder von ihm verantwortet würden. Damit regele § 15 Abs. 1 SGB V einen Arztvorbehalt und beinhalte einen generellen Ausschluss nicht-ärztlicher Heilbehandler von der selbstständigen oder eigenverantwortlichen Behandlung der Versicherten der gesetzlichen KKen. Diese Auffassung sei obergerichtlich bestätigt: sowohl das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19. Dezember 1996, L 4 KR 166/96, als auch das Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 2. September 1997, 1 BK 8/97 und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 15. Dezember 1997, 1 BvR 1953/97, würden von einer Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung ausgehen. Auch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip würde dem Versicherten keinen subjektiven Anspruch auf Gewährung konkreter Leistungen durch die gKV einräumen. Ebenso wenig ergebe sich aus dem GG ein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf, dass ein bestimmter im SGB V nicht vorgesehener Leistungserbringer im Rahmen der gKV tätig werden könnte. Unstreitig handele es sich bei der Behandlung im Naturheilzentrum „I.“ um eine Behandlung durch eine Heilpraktikerin, auch wenn der Kläger diese als klassische Behandlung bezeichne. Geleistet werden solle die Behandlung nicht durch einen approbierten Arzt. Ein Anspruch ließe sich auch nicht damit begründen, dass alle schulmedizinischen Maßnahmen erfolglos gewesen seien. Die Erfolglosigkeit schulmedizinischer Behandlung sei kein geeignetes Kriterium für die Finanzierung besonderer Therapierichtungen durch die gKV. Auch ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Die Kammer gehe weiterhin davon aus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung nicht vorliege. Es fehlten jegliche objektive Hinweise darauf, dass sich ohne den sofortigen Beginn der begehrten Behandlung die Erkrankung des Klägers verschlimmern würde.

Die dagegen eingelegte Beschwerde vor dem LSG Niedersachsen-Bremen hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 18. April 2019 (L 4 KR 148/19 B ER) zurückgewiesen. Das SG habe zutreffend den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Wegen der Einzelheiten der Begründung werde zum Zwecke der Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 7. Oktober 2019 die Klage abgewiesen. Die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 7. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2019 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Zutreffend habe es die Beklagte abgelehnt, die Kosten für eine Behandlung im Naturheilzentrum „I.“ zu übernehmen, weil ein Anspruch des Klägers nicht gegeben sei. Das Gericht folge dabei der Begründung im Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2019 und sehe gemäß § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Im Widerspruchsbescheid sei ausführlich dargestellt worden, dass ein Anspruch nicht bestehe, weil der Arztvorbehalt einem solchen entgegenstehe. Dieser in § 15 Abs. 1 SGB V geregelte Arztvorbehalt beinhalte einen generellen Ausschluss nicht-ärztlicher Heilbehandler von der selbstständigen und eigenverantwortlichen Behandlung der Versicherten der gesetzlichen KKen. Diese Auffassung sei obergerichtlich bestätigt. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip räume dem Versicherten keinen subjektiven Anspruch auf Gewährung konkreter Leistungen durch die gKV ein. Ebenso wenig ergebe sich aus dem GG ein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf, dass ein bestimmter, im SGB V nicht vorgesehener Leistungserbringer im Rahmen der gKV tätig werden könnte. Unstreitig handele es sich bei der Behandlung im Naturheilzentrum „I.“ um eine Behandlung durch eine Heilpraktikerin; geleistet werden solle die Behandlung nicht durch einen approbierten Arzt.

Gegen den am 9. Oktober 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 4. November 2019 Berufung bei dem LSG Niedersachen-Bremen eingelegt. Ihm sei zwischenzeitlich durch die Beklagte der Pflegegrad II zuerkannt worden. Die ME/CFS-Erkrankung sei als lebensbedrohlich bzw. dem analog anzusehen. Seine virologisch induzierte schwere Immunstörung sei keine psychische Erkrankung, vergleichbar einem „Burnout“. Neben den Gefahren durch den Verlust der „TX-Niere“ werde er wohl bei weiteren Behandlungsverweigerungen an einer kardiovaskulären Erkrankung sterben. Er trägt des Weiteren vor, dass seine somatisch bedingten Behinderungen dabei in keinem konkreten Zusammenhang mit seinem Nierentransplantat stehen würden, sondern ME/CFS bedingt seien. Derzeit sei die Niere, auch 15 Jahre nach der Nieren-TX in guter Form, jedoch durch die Nichtbehandlung der ME/CFS jederzeit lebensbedrohlich gefährdet.

Der Kläger hat ergänzend zu seinem Vorbringen einen Bericht der Praxis K. Dialyse, Prof. Dr. L., vom 10. Januar 2020 vorgelegt. Aus diesem geht hervor, dass insgesamt eine Besserung der NTX-Funktion, der Entzündungswerte und der Elektrolyte eingetreten sei. Als Diagnosen seien ein Zustand nach allogener Nierentransplantation (12. Mai 2005) sowie ein Verdacht auf ein Chronic Fatigue Syndrom (2015) angegeben. Der klinische Befund vom 3. Januar 2020 habe nochmal eine Verbesserung des Allgemeinzustandes ergeben. Die NTX-Funktion habe sich nochmals verbessert. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht vom 10. Januar 2020 Bezug genommen.

Des Weiteren verweist der Kläger darauf, dass sich nunmehr die 10. Kammer des SG Hannover entschlossen habe, seine Erkrankung, die Auswirkungen und die Behandlungsmöglichkeiten gutachterlich klären zu lassen. Der Kläger nimmt diesbezüglich Bezug auf ein vorgelegtes Schreiben des SG (10. Kammer) vom 18. Mai 2020, aus dem hervorgeht, dass die zuständige Richterin den Beweisbeschluss vom 2. März 2020 aufgehoben hat. Es sei für den Kläger innerhalb von vier Wochen klarzustellen, dass er sich begutachten lassen werde, es werde die Gelegenheit eingeräumt, innerhalb von vier Wochen Ärzte vorzuschlagen, von denen der Kläger nicht behandelt werde.

Mit Schriftsatz vom 26. Juni 2020 (eingegangen am 26. Juni 2020) hat der Kläger beantragt die Gutachten aus den Verfahren des SG Hannover mit den Az. S 13 R 9/16 und S 94 P 75/19 dem Verfahren beizuziehen.

Er hat zudem einen „Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG“ gestellt, den er in der mündlichen Verhandlung am 19. August 2020 wieder zurückgenommen hat.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 7. Oktober 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die anfallenden Kosten einer Behandlung wegen der ME/CFS-Erkrankung des Klägers im Naturheilzentrum „I.“ zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten für die Behandlung im Naturheilzentrum „I.“ nicht bestehe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung und der Entscheidung des erkennenden Senates gewesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zutreffend mit Gerichtsbescheid vom 7. Oktober 2019 die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 7. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zutreffend hat die Beklagte die Kostenübernahme für eine Behandlung im Naturheilzentrum „I.“ abgelehnt.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Zwingende Voraussetzung ärztlicher und ihr gleichgestellter psychotherapeutischer Krankenbehandlung als ein zentraler Bestandteil des Leistungskatalogs der gKV ist die Approbation der ärztlichen und der psychotherapeutischen Behandler. Der in § 15 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 SGB V geregelte Arztvorbehalt beinhaltet einen generellen Ausschluss nicht-ärztlicher Heilbehandler von der selbstständigen und eigenverantwortlichen Behandlung der Versicherten der gKV. Es handelt sich bei dem Erfordernis der Approbation damit nicht bloß um eine spezifische leistungserbringungsrechtliche Voraussetzung, die im Falle eines Systemversagens verzichtbar wäre, sondern um eine vom SGB V als zwingende berufliche Mindestqualifikation aufgestellte Tatbestandsvoraussetzung für den Behandlungsanspruch (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016, B 1 KR 4/16 R, zitiert nach juris).

Der Ausschluss von Heilpraktikern – wie hier der Frau I. – von der selbstständigen Leistungserbringung in der gKV ist mit Art. 12 Abs. 1 GG zu vereinbaren und verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG (BVerfGE 78, 155 = SozR 2200 § 368 Nr. 11). Das BVerfG hat bezogen auf eine Heilpraktikerbehandlung zudem entschieden, dass sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kein verfassungsrechtlicher Anspruch Versicherter darauf ergibt, dass ein bestimmter, im SGB V nicht vorgesehener Leistungserbringer im Rahmen der gKV tätig werden darf (BVerfG (Kammer) Beschluss vom 15. Dezember 1997, 1 BVR 1953/97 – NJW 1998, 1775). Auch das BSG hat sich mit der Problematik der Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Behandlung durch einen Heilpraktiker bereits mehrfach befasst und entschieden, dass der im Recht der gKV geregelte Arztvorbehalt einen generellen Ausschluss nicht-ärztlicher Heilbehandler von der selbstständigen und eigenverantwortlichen Behandlung der Versicherten beinhaltet und dies verfassungsgemäß ist (BSGE 48, 47 = SozR 2200 § 368 Nr. 4; BSGE 72, 227 = SozR 3-2500 § 15 Nr. 2; BSG, Urteil vom 11. Oktober 1994, 1 RK 26/92, zitiert nach juris; BVerfGE 78, 155 = SozR 2200 § 368 Nr. 11).

Insoweit kann auch auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides vom 7. Oktober 2019 Bezug genommen werden (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Beiziehung von Gutachten aus den Verfahren Az. S 13 R 9/16, S 94 P 75/19 und S 40 SB 171/19 war wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit nicht erforderlich.

Die Berufung kann insgesamt keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.

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