LG Wuppertal, Urteil vom 15.10.2019 - 16 S 57/18
Fundstelle
openJur 2020, 48105
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 04.07.2018 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wuppertal (Az. 391 C 195/16) wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von einer Sachverhaltsdarstellung wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Das Amtsgericht hat die Klage vielmehr zu Recht abgewiesen.

a)

Zwar besteht der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach. Denn die Klägerin ist, nachdem der die Beklagte behandelnde Augenarzt dessen Ansprüche an sie abgetreten hat, Forderungsinhaberin geworden. Dem Arzt stand gegen die Beklagte auch aus dem zwischen ihm und der Beklagten geschlossenen Behandlungsvertrag i.V.m. § 630a Abs. 1 BGB für die durchgeführten Kateraktoperationen ein Gebührenanspruch zu, dieser ist jedoch in voller Höhe gem. § 362 Abs. 1 BGB erloschen, nachdem die Beklagte den geschuldeten Betrag gezahlt und damit die Leistung bewirkt hatte.

b)

Ein darüberhinausgehender Anspruch steht der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Sie kann diesen insbesondere nicht auf die analoge Anwendung der Ziff. 5855 GOÄ stützen.

aa)

Die Höhe des ärztlichen Honorars richtet sich mangels abweichender Vereinbarung gem. § 1 GOÄ nach jener Verordnung.

bb)

Eine analoge Anwendung der Ziff. 5855 GOÄ für den Einsatz des Femtosekundenlasers bei der Kateraktoperation kommt nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen für die analoge Anwendung von Gebührentatbeständen der GOÄ nicht vorliegen. Diese sind in § 6 Abs. 2 GOÄ niedergelegt. Demnach können (nur) selbständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. Andere als selbständige Leistungen sind auch nach der allgemeinen Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 1 GOÄ nicht abrechenbar. Insoweit wird in § 4 Abs. 2a GOÄ konkretisiert, dass der Arzt für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr nicht berechnen kann, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Das gilt explizit auch für die zur Erbringung der im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen Leistungen (sog. Zielleistung) methodisch notwendigen operativen Einzelschritte.

Der Einsatz des Femtosekundenlasers bei der streitgegenständlichen Behandlung ist jedoch lediglich als eine andere Ausführungsform im Rahmen der im Gebührenverzeichnis vorgesehenen Zielleistung "Kateraktoperation" (Ziff. 1375 GOÄ) anzusehen und nicht als selbständige ärztliche Leistung. Dies gilt sowohl für den Einsatz des Lasers im Rahmen der "Vorbehandlung" als auch während der eigentlichen Operation.

(1)

Im Rahmen der Operation folgt dies bereits daraus, dass der Laser quasi als Substitut für das Skalpell dient, mit welchem der Schnitt bei der konventionellen Behandlungsmethode durchgeführt wird. Unerheblich ist - und es kann wie das Amtsgericht zu Recht ausführt, dahinstehen -, ob diese alternative Behandlungsmethode für den Patienten oder aus sonstigen Gründen vorteilhaft ist. Es ist nämlich grundsätzlich Sache des Verordnungsgebers, darüber zu befinden, wie ärztliche Leistungen, gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung nach Erlass der Verordnung eingetretener Veränderungen des technischen Standards oder der Fortentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse, zu bewerten sind (BGH, Urteil vom 13.05.2004, Az. III ZR 344/03 = NJW-RR 2004, 1202, 1204). Das bedeutet, dass es, so lange der Verordnungsgeber die Zielleistung nicht höher bewertet, bei der ursprünglichen Bewertung zu verbleiben hat. Die gesonderte Abrechnung von nicht selbständigen Einzelleistungen ist daher als unzulässige Umgehung dieser Beurteilungs- bzw. Regelungskompetenz anzusehen. Im Übrigen dürfte dies auch zu einer unzulässigen Doppelabrechnung führen. Ist nach dem Willen des Verordnungsgebers nämlich für die Zielleistung quasi eine Pauschalgebühr geschuldet, von der alle notwendigen Zwischenschritte mit abgegolten sind, würde mit der (analogen) Abrechnung einer unselbständigen Teilleistung, diese letztlich doppelt in Rechnung gestellt. An letzterem besteht insoweit kein Zweifel. Denn der Gebührentatbestand, der beschrieben ist mit

Extrakapsuläre Operation des Grauen Stars mittels gesteuerten Saug-Spül-Verfahrens oder Linsenkernverflüssigung (Phakoemulsifikation) - gegebenenfalls einschließlich Iridektomie -, mit Implantation einer intraokularen Linse

ist als Zielleistung und im Hinblick auf das Operationsmittel offen ausgestaltet. Dass die Kateraktoperation mittels Femtosekundenlasers erhebliche Tätigkeiten im Bereich der Gebührenziff. 5855 GOÄ beinhaltet, die von der vorzitierten Leistungslegende der Ziff. 1375 GOÄ nicht erfasst sind, lässt sich - anders als bei dem von dem Bundesgerichtshof mit Urteil vom 13.05.2004 entschiedenen Fall (a.a.O., NJW-RR 2004, 1202, 1205) - für die Operation an sich nicht feststellen.

(2)

Für den Einsatz des Femtosekundenlasers im Rahmen der Vorbehandlung gilt nichts anderes. Auch insoweit ist nicht davon auszugehen, dass es sich um eine selbständige ärztliche Leistung handelt. Maßgeblich für die Einordnung der Selbständigkeit der Leistung ist nämlich eine eigenständige medizinische Indikation (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 21.01.2010, Az. III ZR 147/09, Rz. 10 m.w.N.; VersR 2010, 1042). Dass die klägerseits beschriebene Vorbehandlung jedoch (nur) in (bestimmten) Fällen indiziert ist, ist weder substantiiert vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Im Gegenteil kommt sie offenbar immer zum Einsatz, wenn auch die spätere Operation mittels des Lasers durchgeführt wird - allerdings auch nur dann und nicht etwa bei einer konventionellen Operation. Daraus kann - was im Ergebnis dahinstehen kann - zwanglos gefolgert werden, dass die Vorbehandlung entweder nicht medizinisch notwendig ist und nur deshalb durchgeführt wird, weil der Operateur über einen Laser verfügt oder, dass die Vorbehandlung nur dann notwendig ist, wenn später mit dem Laser operiert wird. Macht aber die besondere Operationsform mit dem Femtosekundenlaser die Vorbehandlung erst erforderlich, wäre die Vorbehandlung der Zielleistung zuzuordnen und es würde bereits deshalb an einer gesonderten Abrechenbarkeit fehlen.

cc)

Eine analoge Anwendung der Gebührenziff. 5855 GOÄ - außerhalb der in der Verordnung selbst vorgesehenen Fälle des § 6 Abs. 2 GOÄ - ist auch sonst nicht gerechtfertigt. Eine analoge Anwendung kommt zwar dann in Betracht, wenn die Gebührenordnung wegen Verstoßes gegen Verfassungsrecht unwirksam wäre. Ein solcher Ausnahmefall läge vor - und wäre von der Kammer zu berücksichtigen -, wenn die in der GOÄ definierte Vergütung in einem Maße nicht auskömmlich wäre, dass der behandelnde Arzt dadurch in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt wäre (BGH, Urteil vom 13.05.2004, Az. III ZR 344/03 m.w.N. = NJW-RR 2004, 1202, 1204). Anknüpfungspunkte, die auch nur den Verdacht in eine solche Richtung lenken würden, sind aber weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Insbesondere genügt - worauf die Gegenseite schriftsätzlich und die Kammer in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hatten - dafür nicht, eine entsprechende pauschale Behauptung aufzustellen und den (ungefähren) Kaufpreis eines Femtosekundenlasers zu benennen. Hierzu hätte es vielmehr eines substantiierten Vortrags dazu bedurft, warum die gegebene Abrechnung nicht auskömmlich ist. Neben den Anschaffungs- und Unterhaltungskosten der Geräte hätten auch erreichbare Umsätze dargelegt werden müssen, um der Kammer eine Überprüfung zu ermöglichen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch bezüglich der vorläufigen Vollstreckung dieses und des angefochtenen Urteils folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m § 26 Nr. 8 EGZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO), besteht nicht. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Sache deshalb nicht zu, weil sie keine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen können und deshalb für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, oder wenn andere (tatsächliche oder wirtschaftliche) Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit deren Interessen in besonderem Maße berühren (BGH, Beschluss vom 04.07.2002, Az. V ZB 16/02 = NJW 2002, 3029 f. m.w.N.). Jedenfalls sind die entsprechenden rechtlichen Aspekte nämlich nicht klärungsbedürftig, weil diese bereits höchstrichterlich entschieden sind. Die Revision ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zuzulassen, weil die Kammer sowohl, was die Definition der selbständigen medizinischen Leistung angeht, wie auch bei der Frage, unter welchen Umständen - über die in der GOÄ normierten Fälle hinaus - eine weitere analoge Anwendung nicht einschlägiger Gebührenziffern möglich ist, der zitierten höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung folgt. Die Beantwortung der Frage, ob die dort aufgestellten Voraussetzungen in tatsächlicher Hinsicht vorliegen bzw. ob sie hinreichend vorgetragen sind, ist aber durch die Kammer als Tatsachengericht festzustellen und nicht durch das Revisionsgericht zu beantworten.

Der Gebührenstreitwert wird für das Berufungsverfahren gem. § 62 Abs. 2 Satz 1 GKG auf 1.876,10 EUR festgesetzt.