OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.08.2020 - OVG 1 S 99/20
Fundstelle
openJur 2020, 47966
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. August 2020 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat keine Bedenken gegen die materielle Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids des Polizeipräsidenten in Berlin vom 20. August 2020 erhoben. Die Feststellung, dass die Veranstaltung des Antragstellers keinen Grundrechtsschutz nach Art. 8 Abs. 1 GG genieße, treffe zu. Art. 8 Abs. 1 GG schütze die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (BVerwG, Beschluss vom 5. März 2020 - BVerwG 6 B 1.20 - juris Rn. 7). So liege es bei der Veranstaltung des Antragstellers indes nicht. Es sei nicht ersichtlich, dass die Veranstaltung überhaupt auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sei. Der Inhalt der Veranstaltung sei "diffus" und auch in der Antragsschrift nicht näher konkretisiert worden. Welche Redebeiträge, Musikdarbietungen oder sonstigen Inhalte beabsichtigt seien, sei offen. Die Bewertung, der vorgenommene Aufbau diverser infrastruktureller Aufbauten ließe besorgen, dass mit der Daueranmeldung vielmehr der Zweck verfolgt werde, die Fläche durchgehend zu belegen, um den Platz für insgesamt fünf Versammlungen bis Ende 2020 zu "reservieren", sei nicht zu beanstanden.

Der Antragsteller bringt hiergegen mit der Beschwerde vor: Es ergäbe sich schon aus dem Motto der angemeldeten Versammlung ("Mahnwache für Heimat und Weltfrieden - Zukunft für alle Menschen durch Umsetzung des Potsdamer Abkommens über Entnazifizierung - GG [Art.] 139)", dass es sich um eine kollektive Meinungsäußerung handele; es handele sich auch nicht um ein "Dauercamp". Der Antragsgegner behaupte lediglich, dass es im Sinne einer Versammlung keine Aktivitäten seit dem 16. August 2020 gegeben habe. Er hebe auf Menschen ab, die dort angeblich "wohnen" bzw. dorthin vom Bundeskanzleramt umgezogen seien, vor dem aktuell offenbar ein "Dauercamp" stattfinde. Wenn sich solche Protestler nunmehr der Dauerversammlung des Antragstellers anschlössen, so sei dies kein Umzug, um ein paar Meter woanders zu wohnen. Diese seien vielmehr Teilnehmer geworden. Die Annahme, es bestünde der Verdacht, dass der Antragsteller lediglich die Versammlungsfläche blockieren wolle, sei eine bloße Vermutung. Anknüpfungstatsachen würden hierfür nicht benannt. Der Antragsgegner behaupte nicht, dass er die Versammlung seit dem 16. August 2020 dauerhaft einer solchen Prüfung oder "Beobachtung" unterzogen habe. Dort habe es jedenfalls vom 15. bis zum 19. August 2020 die in der Beschwerdebegründung (S. 4 bis 6) aufgeführten versammlungsspezifischen Aktivitäten gegeben. Beispiels- bzw. auszugsweise heißt es dort:

"Sonntag, 16. August 2020

- Öffentlicher-Debattenraum, Bürger bringen sich ein.

- Kundgebung, Redebeiträge

~ Offenes Bürger Mikrofon

- Videobeitrag:

- Vortrag DAI Heidelberg: Prof. R  - Demokratie erneuern

- Vortrag DAI Heidelberg: Prof. R  - Warum schweigen die Lämmer

..."

Mit diesem für die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO maßgeblichen Beschwerdevorbringen wird nicht aufgezeigt, dass das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Bescheides vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Die Beschwerde legt nicht hinreichend dar, dass die über mehr als vier Monate ausgelegte Veranstaltung auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet und die vom Verwaltungsgericht nachvollziehbar unbeanstandet gelassene Einschätzung des Antragsgegners unzutreffend ist, dass mit der Daueranmeldung der Zweck verfolgt werde, öffentliche Flächen durchgehend zu belegen, um den Platz für insgesamt fünf Versammlungen bis Ende 2020 zu "reservieren".

1. Die Beschwerde verkennt bereits den Regelungsgegenstand des angefochtenen Bescheids, der ausdrücklich den angemeldeten Zeitraum "vom 16. August 2020, 00:00 Uhr, bis 3. Oktober 2020, 24:00 Uhr (ggf. auch 31. Dezember 2020)" in den Blick genommen und den Antragsteller (vgl. Bescheid, S. 5 a.E.) ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass es ihm unbenommen bleibe, "zu seinem bisherigen Anmeldeverhalten zurückzukehren und Versammlungen dann und mit verhältnismäßigen Aufbauten anzumelden, wenn diese auch tatsächlich stattfinden sollen."

Schon von daher wäre mit der Beschwerde darzulegen gewesen, welche Veranstaltungen über die gesamte Dauer bis zum 1. Oktober 2020 oder 31. Oktober 2020 (lt. Eidesstattlicher Versicherung) oder 31. Dezember 2020 geplant gewesen seien. Daran fehlt es. Ein wohl beabsichtigter Schluss von den angeblichen, tagebuchartig aufgezeichneten Aktivitäten für wenige Tage auf die gesamte Dauer reicht vor diesem Hintergrund nicht, um die nach Ansicht des Verwaltungsgerichts in der Antragsschrift nicht näher konkretisierten Inhalte der Veranstaltung darzulegen. Ab dem 21. August 2020 fehlt überdies jede Glaubhaftmachung. Soweit die Beschwerde auf die Begründung des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO Bezug nimmt und zum Vortrag für die Beschwerdebegründung macht, ist hiermit die nach § 146 Abs. 4Satz 3 VwGO erforderliche Auseinandersetzung mit den Erwägungen im angegriffenen Beschluss nicht zu leisten.

Dass es an einzelnen Tagen Veranstaltungen mit Versammlungscharakter gegeben habe, stellt der Antragsgegner nicht in Abrede, sondern erkennt dies ausdrücklich an, indem er im Bescheid u.a. aufführt, dass der Antragsteller in der Vergangenheit auch größere Versammlungen mit dahingehend angepassten Aufbauten separat angemeldet und durchgeführt habe, so etwa am 15. August 2020. Allerdings sei in der Folgezeit "der Übergang in die vorliegende Dauerveranstaltung vorgesehen" worden, wobei die Teilnehmendenzahlen mit zwischen 10 und 400 Personen angegeben worden sei. Entgegen der Beschwerde geht es nicht darum, dass es sich bei den separat angemeldeten Veranstaltungen bei wohlwollender Auslegung um Versammlungen unter freiem Himmel gehandelt habe, sondern vielmehr darum, dass aufgrund der nunmehr begehrten und auch allein beschiedenen Dauerveranstaltung ein Versammlungszweck nicht (mehr) erkennbar ist. Dass der Antragsgegner und ihm folgend das Verwaltungsgericht angesichts der angemeldeten Dauer der Veranstaltung und der dafür beantragten und teils bereits eingebrachten Infrastruktur (Satteldachbühne [Breite 7 x 6m, Höhe 4,9m] samt Lautsprecheranlage, mehrere Pavillons/Zelte [4 x 4m], mobile Toiletten, eine Großbildleinwand [8 x 3m], mehrere Kraftfahrzeuge, Übernachtungszelte, Strandmuscheln, Sonnensegel und diverse Kleingegenstände, zudem Ausdehnung der Veranstaltungsfläche um zwei Ruhezonen auf dem südlichen Bereich des Platzes  bis zur  -Straße) von einem beabsichtigten Dauercamp ausgegangen sind, ist nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Hierauf geht die Beschwerde - entgegen § 146 Abs. 4Satz 3 VwGO - auch nicht ein.

2. Die Beschwerde hätte sich auch damit auseinandersetzen und darlegen müssen, dass in der gebotenen Gesamtschau eine vornehmlich auf Meinungskundgabe und -bildung ausrichtete Veranstaltung vorliege. Aus Sicht eines unbefangenen Betrachters ist es nämlich nicht versammlungstypisch, dass für die Dauer von mehreren Monaten umfangreiche Infrastruktur, namentlich die vorstehend aufgezählten Gegenstände, in den öffentlichen Raum verbracht werden bzw. dort verbleiben sollen (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Mai 2012 - OVG 1 S 72.12 - S. 3 f.).

3. Selbst wenn man die beispielhaft angeführten Aktivitäten der Vergangenheit (16.August bis 19. August 2020) zugunsten des Antragstellers für die Zukunft weiterdächte und die Gesamtveranstaltung im Wege einer Folgenabwägung zumindest vorsorglich unter den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG subsummieren würde, wäre angesichts der Dauer von vier Monaten für die Inanspruchnahme des öffentlichen Raums und des Umfangs der begehrten Infrastruktur darzulegen gewesen, dass vor diesem Hintergrund noch durchgehend von einer Versammlung ausgegangen werden könnte. Auch hieran fehlt es, zumal nicht jede für die Durchführung einer (hier schon nicht dargelegten) Versammlung begehrte Infrastruktur dem Schutzbereich von Art. 8 GG unterfällt. Dies ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional oder symbolisch für die kollektive Meinungskundgabe wesensnotwendig sind, denn der Versammlungsbegriff bzw. dessen Schutzbereich ist zum Schutz konkurrierender Schutzgüter nicht weiter auszudehnen als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.08.2012 "Refugee-Strike" - OVG 1 S 108.12 - S. 5 ff. m.w.N.). Es besteht kein Anspruch auf möglichst optimale Rahmenbedingungen für die Durchführung einer Versammlung. Bloß der Bequemlichkeit der Teilnehmer dienende Bestandteile sind ebenso wenig von Art. 8 GG geschützt (vgl. Senatsbeschluss vom 28. September 2012 - OVG 1 S 134.12 - S. 4) wie die Inanspruchnahme öffentlichen Raums als Symbol um ihrer selbst willen (vgl. VG Hamburg, Urteil vom 15. Juli 2020 - 10 K 307/18- juris 2. Leitsatz).

Zwar kann im Hinblick auf die Offenheit des Versammlungsgrundrechts für neue Formen nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Einzelfall auch ein länger dauerndes Protestcamp einschließlich der angemeldeten Infrastruktureinrichtungen vom Schutz der Versammlungsfreiheit umfasst sein (vgl. BVerfG, einstweilige Anordnung vom 28. Juni 2017 - 1 BvR 1387/17 - juris Rn. 22), ohne dass diese Gegenstände zwingend eine eigenständige funktionale oder symbolische Bedeutung für den Zweck der Meinungskundgabe haben müssen (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 5. Juli 2017 - 4 Bs 148/17- juris Rn. 48 ff.), und dass die gesamte Veranstaltung grundsätzlich dem Regelungsregime des Versammlungsgesetzes unterfallen kann. Doch dazu bedarf es nachvollziehbarer Angaben, ob und in welchem Umfang die begehrte Infrastruktur zur Verwirklichung welcher Versammlungselemente wesensnotwendig sein soll, um feststellen zu können, dass diese den Schluss auf die Einstufung der Gesamtveranstaltung als Versammlung rechtfertigten. Diese Prüfung ist nach wie vor nicht möglich. So heißt es etwa im Bescheid (S. 4), dass nicht beurteilt werden könne, welchen Zweck die eigentliche Bühne erfülle, weil sie ab dem 16. August 2020 nicht als solche genutzt worden sei.

Nach alledem ist nicht zweifelhaft, dass mit Daueranmeldung der Zweck verfolgt werde, "die Fläche durchgehend zu belegen, um den Platz zu reservieren und ggf. erforderlichen regelmäßigen Auf- und Abbau für temporäre größere Veranstaltungen, die ggf. auch unter die Versammlungsfreiheit zu subsummieren wären (z. B. Versammlung am 15. August 2020), zu umgehen. In den in Bezug auf die Daueranmeldung bei weitem überwiegenden Zwischenzeiträumen (sei) offenkundig nur eine `Bewachung` der Technik mit den damit einhergehenden Betätigungen des täglichen Lebens vorgesehen. Versammlungsbetätigungen (seien) dabei allenfalls sporadisch zu erkennen" (vgl. Bescheid, S. 4 f.). Bei summarischer Prüfung überwiegen daher - wie im Bescheid zu Recht ausgeführt wird - die nicht versammlungsimmanenten Teile der Veranstaltung. Die "erheblichen Stillstandszeiten" verschieben sich in der Gesamtschau zu Ungunsten einer Grundrechtseröffnung. Zu dieser nachvollziehbaren Gesamtabwägung des Antragsgegners äußert sich die Beschwerde ebenfalls nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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