VerfGH für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.08.2020 - VerfGH 126/20.VB-3
Fundstelle
openJur 2020, 47923
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer kandidierte nach eigenen Angaben in der Vergangenheit bereits zwei Mal für das Amt des Bürgermeisters in der Stadt H. Seine Verfassungsbeschwerde steht im Zusammenhang mit der von ihm erneut für die diesjährige Bürgermeisterwahl begehrten Kandidatur.

1. Die Wahlvorschläge für das Bürgermeisteramt müssen gemäß § 46b i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 1 KWahlG NRW bis zum 59. Tag vor der Wahl, 18 Uhr, beim Wahlleiter eingereicht werden. Schlägt der Kandidat oder die Kandidatin sich selbst vor, müssen ferner sog. Unterstützungsunterschriften beigebracht werden. Der Vorschlag muss gemäß § 46d Abs. 1 Satz 2 und 3 i. V. m. § 15 Abs. 2 Satz 3 KWahlG NRW von mindestens fünfmal, für die Wahl in Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnern von mindestens dreimal so viel Wahlberechtigten, wie die Vertretung Mitglieder hat, persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein.

Mit elektronischer Rundunterrichtung vom 19. März 2020 unterrichtete das Ministerium des Innern die Kreise und Bezirksregierungen darüber, dass am Termin der Kommunalwahl vorläufig festgehalten werde. Diese Entscheidung wurde mit weiterem Erlass vom 20. Mai 2020 bestätigt. In diesem Erlass waren ferner Hinweise u. a. zur Durchführung der Aufstellungsversammlungen und zur Sammlung ggf. notwendiger Unterstützungsunterschriften enthalten.

Am 3. Juni 2020 trat das Gesetz zur Durchführung der Kommunalwahlen 2020 (GV. NRW. S. 379) in Kraft. Mit diesem reagierte der Landesgesetzgeber auf mögliche Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die im Herbst 2020 anstehenden Kommunalwahlen. Die Wahlvorschlagsträger - Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerber - würden bei der Vorbereitung ihrer Wahlteilnahme durch die seit März 2020 geltenden Kontaktbeschränkungen tangiert. Obwohl Versammlungen zur Aufstellung von Bewerberinnen und Bewerbern zu keiner Zeit rechtlich untersagt gewesen seien, ließen sich in der Praxis Auswirkungen der Kontaktbeschränkungen auf die Durchführung der Aufstellungsversammlungen und die daran anknüpfende Sammlung von Unterstützungsunterschriften nicht ausschließen (vgl. LT-Drs. 17/9365, S. 1). Anknüpfend daran wurde durch § 6 des Gesetzes zur Durchführung der Kommunalwahlen 2020 bestimmt, dass abweichend von § 15 Abs. 1 Satz 1 KWahlG NRW Wahlvorschläge bis zum 48. Tag vor der Wahl (hier: 27. Juli 2020), 18 Uhr, beim Wahlleiter eingereicht werden können. Ferner wurde die Anzahl der notwendigen Unterstützungsunterschriften u. a. für Wahlvorschläge für das Bürgermeisteramt gesenkt. Für die diesjährigen Kommunalwahlen müssen diese Wahlvorschläge danach von dreimal, für die Wahl in Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnern von mindestens zweimal so vielen Wahlberechtigten persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein, wie die Vertretung Mitglieder hat (vgl. § 13 des Gesetzes zur Durchführung der Kommunalwahlen 2020).

2. Der Beschwerdeführer hat mit einem von ihm nicht unterzeichneten, beim Verfassungsgerichtshof am 19. August 2020 eingegangen Schreiben Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

Zur Begründung führt er aus, das durch den "Coronaerlass" festgelegte Quorum in Höhe von 60 % sei nicht "vollends durchdacht" und stelle eine erhebliche Einflussnahme auf sein aktives und passives Wahlrecht dar. Er, der Beschwerdeführer, habe seit Ausbruch der Corona-Pandemie stetig zu ermitteln versucht, wie er unter Einhaltung der Beschränkungen seinen Wahlverpflichtungen nachkommen könne und zu diesem Zweck verschiedene Stellen kontaktiert, aber nur unzureichende Auskünfte erhalten. Der Landtag habe bei der Regelung der Unterschriftenquoren die Situation von Menschen mit Behinderung außer Acht gelassen. So sei die Verlängerung der Beibringungsfrist für die Unterschriften in die Ferienzeit gefallen, in der der öffentliche Personennahverkehr teilweise entfallen bzw. nur eingeschränkt nutzbar gewesen sei, was die Kontaktaufnahme in kommunalen Außenbezirken erschwert habe. Auch hätten Menschen pandemiebedingt nicht aufgesucht werden können, etwa in Alten- und Pflegeheimen. Darüber hinaus sei die Bevölkerung medial nicht hinreichend und zügig über die Änderung der wahlrechtlichen Modalitäten informiert worden.

II.

Der Verfassungsgerichtshof geht zu Gunsten des Beschwerdeführers davon aus, dass die Verfassungsbeschwerde sich zum einen gegen die - nach Angaben des Beschwerdeführers am 28. Juli 2020 ergangene - Entscheidung des Wahlausschusses der Stadt H richtet, den Wahlvorschlag des Beschwerdeführers für die Bürgermeisterwahl 2020 nicht zuzulassen. Zum anderen sind das in den §§ 6 und 13 des Gesetzes zur Durchführung der Kommunalwahlen 2020 geregelte Quorum der notwendigen Unterstützungsunterschriften für einen Wahlvorschlag für die Bürgermeisterwahl sowie die Frist zur Einreichung der Wahlvorschläge einschließlich der Unterschriften für die diesjährige Wahl als Beschwerdegegenstände einzuordnen. Zwar stellt der Beschwerdeführer insoweit allein auf § 15 Abs.1 Satz 1 KWahlG NRW bzw. einen "Coronaerlass" ab; ausweislich der Begründung seiner Verfassungsbeschwerde wird indes deutlich, dass er die durch die genannten Normen modifizierten Regelungen für die Einreichung von Wahlvorschlägen angesichts der pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens für unzureichend und verfassungswidrig hält.

1. Unter Zugrundelegung dieser Auslegung ist die Verfassungsbeschwerde - ungeachtet der Frage ihrer formgerechten Erhebung - hinsichtlich des Beschwerdegegenstand zu 1. bereits unzulässig [dazu a)] und hinsichtlich der unter 2. genannten Beschwerdegegenstände jedenfalls unbegründet [dazu b)].

a) Der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Entscheidung von Wahlausschüssen über die Ungültigkeit von Wahlvorschlägen dürfte bereits der Grundsatz der Subsidiarität entgegenstehen. Der Grundsatz der Subsidiarität gebietet, dass der vorhandene fachgerichtliche Rechtsschutz vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde in Anspruch genommen wird (§ 54 Satz 1 VerfGHG, vgl. etwa VerfGH NRW, Beschluss vom 28. April 2020 - VerfGH 31/20.VB-3, juris, Rn. 4). Unabhängig davon, dass der Kreis derjenigen, die berechtigt sind, gegen die Zurückweisung eines Wahlvorschlags durch den Wahlausschuss nach § 18 Abs. 4 Satz 1 KWahlG NRW Beschwerde einzulegen, begrenzt ist, steht dem Beschwerdeführer jedenfalls im Wahlprüfungsverfahren - nach der Wahl - die Möglichkeit eines Einspruchs offen. Dieser kann gegen die von den Wahlbehörden bei der Vorbereitung der Wahl oder bei der Wahlhandlung getroffenen Entscheidungen von jedem Wahlberechtigten des Wahlgebiets eingelegt werden, um eine Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl herbeizuführen (§ 39 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1, § 40 Abs. 1 KWahlG). Die neue Vertretung hat nach § 40 Abs. 1 KWahlG NRW über die Einsprüche zu beschließen. Wird festgestellt, dass bei der Vorbereitung der Wahl oder bei der Wahlhandlung Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, die im jeweils vorliegenden Einzelfall auf das Wahlergebnis im Wahlbezirk oder auf die Zuteilung der Sitze aus der Reserveliste von entscheidendem Einfluss gewesen sein können, so ist die Wahl in dem aus § 42 Abs. 1 KWahlG NRW ersichtlichen Umfang für ungültig zu erklären und dementsprechend eine Wiederholungswahl anzuordnen. Gegen den Beschluss der Vertretung nach § 40 Abs. 1 KWahlG NRW kann Klage zum Verwaltungsgericht erhoben werden (vgl. § 41 KWahlG NRW).

Ausgehend davon spricht Überwiegendes dafür, dass das Wahlprüfungsverfahren und der danach eröffnete Verwaltungsrechtsweg unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde durchlaufen sein müssen, ehe Verfassungsbeschwerde wegen Zurückweisung eines Wahlvorschlags durch einen Wahlausschuss erhoben werden kann. Ist der Rechtsweg zu den Fachgerichten im gegenwärtigen Stadium (noch) nicht eröffnet, so kann eine Verfassungsbeschwerde unter Subsidiaritätsgesichtspunkten ebenfalls nicht zulässig sein (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 30. Juni 2020 - VerfGH 63/20.VB-2, juris, Rn. 41; VerfGH BY, Entscheidung vom 2. März 1990 - Vf. 23-VI-90 u. a., NVwZ 1990, 752 f.;VerfGH BW, Beschluss vom 22. Mai 2019 - 1 VB 38/19, juris, Rn. 2).

Etwas anderes käme nur unter der Prämisse in Betracht, dass der in § 18 Abs. 4 Satz 9 KWahlG NRW geregelte Ausschluss fachgerichtlichen Rechtsschutzes im Vorfeld der Wahl nicht mit Art. 4 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar wäre. Für die Zulässigkeit der einfachrechtlichen Beschränkung spricht aber, dass eine Wahl eine Fülle von Einzelentscheidungen zahlreicher Wahlorgane erfordert und sich die Wahl nur gleichzeitig und termingerecht durchführen lässt, wenn die Rechtskontrolle dieser Einzelentscheidungen während des Wahlablaufs begrenzt wird und im Übrigen einem nach der Wahl stattfindenden Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleibt, in dem die Verfolgung subjektiver Rechte Einzelner zurücktreten muss gegenüber der Notwendigkeit, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern zu einer einheitlichen, wirksamen Wahlentscheidung zusammenzufassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 1994 - 2 BvR 2686/93 u. a., NVwZ 1994, 893 = juris, Rn. 17 m. w. N.; VerfGH NRW, Urteil vom 26. Mai 2009 - VerfGH 3/09, OVGE 52, 297 = juris, Rn. 34; vgl. - für die Landtagswahlen - ferner VerfGH SN, Urteil vom 16. August 2019 - Vf. 76-IV-19, NVwZ 2019, 1829 = juris, Rn. 41 ff. m. zahlr. w. N. auch zur Gegenauffassung).

Dies kann letztlich dahinstehen, weil die Verfassungsbeschwerde auch ungeachtet dessen mangels hinreichender Substantiierung unzulässig ist. Ihre Begründung genügt nicht den sich aus § 18 Abs. 1 Satz 2 und § 55 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG ergebenden Anforderungen. Diese verlangen zum einen einen Vortrag, der dem Verfassungsgerichtshof eine umfassende verfassungsrechtliche Sachprüfung ohne weitere Nachforschungen etwa durch Beiziehung mehr oder weniger umfangreicher Akten des Ausgangsverfahrens ermöglicht (ständige Rechtsprechung seit VerfGH NRW, Beschluss vom 18. Juni 2019 - VerfGH 1/19.VB-1, juris, Rn. 6 ff.). Hierzu muss der Beschwerdeführer den Sachverhalt, aus dem er die Grundrechtsverletzung ableitet, sowohl aus sich heraus verständlich als auch hinsichtlich der für die gerügte Grundrechtsverletzung erheblichen Umstände vollständig wiedergeben. Die Begründungspflicht umfasst auch die Vorlage der angegriffenen Entscheidungen sowie der weiteren in Bezug genommenen und zur Prüfung der jeweiligen Rüge erforderlichen Unterlagen, die weder allgemein noch gerichtsbekannt sind, oder einen entsprechenden Vortrag (vgl. etwa VerfGH NRW, Beschlüsse vom 3. September 2019 - VerfGH 18/19.VB-1, juris, Rn. 2, und vom 11. Februar 2020 - VerfGH 3/20.VB-3, juris, Rn. 10, jeweils m. w. N.). Zum anderen muss sich aus dem Vortrag des Beschwerdeführers auch ergeben, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde erfüllt sind (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 17. März 2020 - VerfGH 67/19.VB-2, juris Rn. 2 m. w. N.).

Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde, mit der eine Verletzung der Wahlrechts- und Chancengleichheit durch die Zurückweisung des Wahlvorschlags durch den Wahlausschuss der Stadt H gerügt wird, nicht gerecht. Der Beschwerdeführer legt weder die angegriffene Entscheidung über die Zurückweisung des Wahlvorschlags vom 28. Juli 2020 vor, noch gibt er diese ihrem wesentlichen Inhalt nach wieder. Auch ist aus seinen Darlegungen nicht ersichtlich, ob - und wenn ja, wie - der Wahlausschuss des Kreises Heinsberg über die Beschwerde nach § 18 Abs. 4 KWahlG NRW entschieden hat. Insofern ermöglicht er dem Verfassungsgerichtshof weder die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen, noch kommt eine umfassende verfassungsrechtliche(Sach-)Prüfung der von ihm gerügten Verfassungsverstöße in Betracht.

b) Soweit die Verfassungsbeschwerde so zu verstehen ist, dass sie sich auch unmittelbar gegen die gesetzlichen Regelungen in §§ 6 und 13 des Gesetzes zur Durchführung der Kommunalwahlen 2020 richtet, ist sie jedenfalls unbegründet. Das beanstandete Quorum verletzt bzw. gefährdet den Beschwerdeführer nicht in seiner Wahl- und Chancengleichheit. Es spricht insoweit zwar viel dafür, dass die besonderen tatsächlichen und rechtlichen pandemiebedingten Rahmenbedingungen, unter denen die diesjährigen Kommunalwahlen einschließlich der Wahlvorbereitung stattfinden, eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Überprüfung und Anpassung des Wahlgesetzes in Bezug auf die bestehenden Regelungen zur Beibringung von Unterstützungsunterschriften nach § 46b i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 1 und § 46d Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 15 Abs. 2 Satz 3 KWahlG NRW ausgelöst haben. Dies kann im Ergebnis aber offen bleiben, denn ggf. bestehende Handlungspflichten mit Blick auf die Wahlrechts- und Chancengleichheit hat der Gesetzgeber mit den §§ 6 und 13 des Gesetzes zur Durchführung der Kommunalwahlen 2020 in verfassungskonformer Weise erfüllt. Insoweit wird zur Begründung umfassend auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofs vom 22. Juli 2020 (VerfGH 102/20.VB-2, juris, Rn. 7 ff.) sowie vom 30. Juni (VerfGH 63/20.VB-2, juris, Rn. 47 ff.) und vom 7. Juli 2020 (VerfGH 88/20, juris, Rn. 71 ff.) Bezug genommen. Eine weitere Absenkung oder gar ein gänzlicher Verzicht auf die Beibringung der Unterschriften war verfassungsrechtlich auch unter Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer benannten Schwierigkeiten (u. a. eingeschränkter öffentlicher Nahverkehr in der Ferienzeit, fehlende Möglichkeit des Besuchs von Alten- und Pflegeheimen) nicht geboten.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der auf eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache gerichtet ist, erledigt sich mit dem Beschluss über die Verfassungsbeschwerde.

3. Seine Auslagen sind dem Beschwerdeführer nicht zu erstatten. § 63 Abs. 4VerfGHG sieht eine Auslagenerstattung nur für den hier nicht vorliegenden Fall eines Obsiegens des Beschwerdeführers vor.