OLG Hamburg, Beschluss vom 16.06.2020 - 9 U 35/20
Fundstelle
openJur 2020, 47805
  • Rkr:
Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 28.02.2020, Az. 306 O 249/19, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

A.

Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Das Berufungsvorbringen der Klägerin führt zu keiner anderen Beurteilung. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO noch rechtfertigen die gemäß §§ 529, 531 ZPO vom Senat zu Grunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

Die Klägerin hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Rückzahlung geleisteter Versicherungsprämien aus abgetretenem Recht.

I.

Im streitgegenständlichen Fall, in dem es sich um einen im August 2002 abgeschlossenen Rentenversicherungsvertrag handelt, ist die Rechtsmäßigkeit der Belehrung nach § 5a WG in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13.07.2001 (BGBl. 2001 I, S. 1542; im Folgenden: VVG a.F.) zu beurteilen. Dieser gilt gemäß Art. 35 des Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13.07.2001 ab am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Kalendermonats. Die Verkündung erfolgte am 18.07.2001, sodass das Gesetz zum 01.08.2001 in Kraft trat.

II.

Die dem Versicherungsnehmer (und Zedenten) im Policenbegleitschreiben vom 22.08.2002 (Anlage K1) erteilte Widerspruchsbelehrung ist inhaltlich fehlerhaft.

1. Gemäß § 5a Abs. 1 S. 1 WG a.F. war seit dem 01.08.2001 ein Widerspruch in Textform möglich. Dem entspricht die dem Versicherungsnehmer erteilte Widerspruchsbelehrung jedoch nicht, weil sie für den Widerspruch des Versicherungsnehmers Schriftform vorsieht.

2. Darüber hinaus geht der Senat zugunsten der Klägerin davon aus, dass die dem Versicherungsnehmer erteilte Belehrung auch den Beginn der Widerspruchsfrist nicht hinreichend konkret bezeichnet hat. Die in der Belehrung in Anlage K1 gewählte Formulierung „nach Zugang dieses Briefes“ könnte bei einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer den Eindruck erwecken, dass der Fristbeginn an den Zugang des Policenbegleitschreibens anknüpft und nicht an die Postsendung, die auch den Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation enthält (vgl. Senat, Beschluss vom 03.01.2020 - 9 U 236/19).

3. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Belehrung jedoch ausreichend drucktechnisch hervorgehoben.

Eine Belehrung in drucktechnisch deutlicher Form erfordert eine ausreichende Lesbarkeit und setzt die Verwendung einer hinreichend großen Schrift voraus (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2010 - VIII ZR 82/10, juris Rn. 19). Darüber hinaus muss sich der Belehrungstext in einer nicht zu übersehenden Weise (etwa durch farbliche Gestaltung, größere Buchstaben, Sperrschrift, Fettdruck oder Unterstreichung) aus dem übrigen Text hervorheben (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 10.12.2012 - 20 U 167/12). Nicht ausreichend ist es, wenn die Belehrung in einem Konvolut der übersandten Vertragsunterlagen nahezu untergeht, weil sie weder gesondert präsentiert noch drucktechnisch so stark hervorgehoben ist, dass sie dem Versicherungsnehmer beim Durchblättern des Versicherungsscheins und seiner Anlagen nicht entgehen könnte, selbst wenn er nicht nach einer Widerspruchsmöglichkeit sucht (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2004 - IV ZR 58/03, juris Rn. 18).

Unter den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls reicht die Hervorhebung durch Einrücken aus. Insoweit darf nicht übersehen werden, dass sich die Belehrung in dem - hier nur dreiseitigen - Policenbegleitschreiben und damit im ersten Dokument findet, welches der Versicherungsnehmer bei Sichtung der Vertragsunterlagen üblicherweise zur Kenntnis nimmt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 06.05.2015 - I-20 U 55/15, juris Rn. 20; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 23.12.2014 - 11 U 107/13, juris Rn. 33). Dieses kurze Schreiben ist als solches übersichtlich und einheitlich gestaltet, so dass sich der Belehrungstext allein schon aufgrund der linksseitigen Einrückung vom übrigen Fließtext abhebt und ins Auge springt. Dabei weist der Senat darauf hin, dass sich in der als Anlage K1 eingereichten Fassung des Schreibens vom 22.08.2002 neben der Widerspruchsbelehrung kein Barcode befindet. Die dort wiedergegebene Widerspruchsbelehrung stimmt insofern nicht mit der auf Seite 4 der Berufungsbegründung (BI. 162 d.A.) wiedergegebenen Widerspruchsbelehrung überein. Die Behauptung der Klägerin, der Absatz mit der Belehrung sei aufgrund des daneben abgedruckten Barcodes eingerückt worden, ist daher für den Senat nicht nachvollziehbar. Im Übrigen weist das Policenbegleitschreiben in Anlage K1 keinen anderen vollständig beidseitig eingerückten Absatz auf. Die Angaben zur Beitragszahlung sowie der Kontonummer, Bankleitzahl und Geldinstitut haben ein ganz anderes Erscheinungsbild. Mit der Einfügung jeweils einer Leerzeile vor und nach der deutlich beidseitig eingerückten Belehrung ist so insgesamt sichergestellt, dass diese dem Versicherungsnehmer deutlich ins Auge fällt - und zwar auch dann, wenn er das Schreiben nur überfliegt, ohne nach einer Belehrung zu suchen (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 15.06.2020 - 9 U 52/20).

III.

Der Klägerin ist es jedoch aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls nach § 242 BGB verwehrt, sich auf das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers (und Zedenten) zu berufen.

Ein Verstoß der Rechtsausübung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) kommt aus zwei unterschiedlichen Gesichtspunkten in Betracht. Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (vgl. BGH, Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11, juris Rn. 39; Urteil vom 23.01.2014 - VII ZR 177/13, juris Rn. 13). Die Rechtsausübung kann aber darüber hinaus auch wegen widersprüchlichen Verhaltens unzulässig sein. Widersprüchliches Verhalten ist nach der Rechtsordnung grundsätzlich zulässig und nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsausübung kann dann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (vgl. BGH Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11, juris Rn. 40). Etwas anders ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 07.05.2014 (IV ZR 76/11). Soweit dort ausgeführt wird, dass der Versicherer schon deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen könne, weil er die Situation selbst herbeigeführt habe, weil er dem Versicherungsnehmer keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilt habe, hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes wiederholt klargestellt, dass die Ausübung des Widerspruchs- oder Widerrufsrechtes auch bei unzureichender Belehrung wegen widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB im Einzelfall ausgeschlossen sein kann, wenn besonders gravierende Umstände vorliegen, die dem Versicherungsnehmer die Geltendmachung seines Anspruchs verwehren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.11.2015 und 13.01.2016-IV ZR 117/15; Beschlüsse vom 27.01.2016 und 22.03.2016 - IV ZR 130/15). Dass der Bundesgerichtshof dabei die Voraussetzungen, unter denen Verwirkung angenommen werden darf, auf die von ihm bisher beurteilten Fallkonstellationen beschränken wollte, lässt sich den vorgenannten Entscheidungen nicht entnehmen. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof mehrfach betont, dass allgemeingültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte Belehrung über das Widerspruchsrecht einer Anwendung von § 242 BGB entgegensteht, nicht aufgestellt werden können und sich die Frage der Verwirkung nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles richtet (vgl. BGH, Urteil vom 09.10.2013 - XII ZR 59/12, juris Rn. 7; Beschluss vom 27.01.2016 - IV ZR 130/15, juris Rn. 16; Beschluss vom 27.09.2017 - IV ZR 506/15, juris Rn. 15; ebenso zuletzt auch HansOLG, Beschluss vom 16.01.2020 - 9 U 227/19).

1. Das Zeitmoment ist im vorliegenden Fall unzweifelhaft gegeben. Zwischen dem Vertragsabschluss am 07.08.2002 und dem planmäßigen Ablauf der Versicherung sowie der Auszahlung der kapitalisierten Ablaufleistung im August 2016 lag ein Zeitraum von 14 Jahren. Nach dem planmäßigen Ablauf der Versicherung und der Auszahlung der kapitalisierten Ablaufleistung verging ein Zeitraum von weiteren zwei Jahren und zwei Monaten, bevor der vom Versicherungsnehmer erklärte Widerspruch mit Schreiben vom 26.10.2018 (Anlage B10) der Beklagten zuging. Insgesamt liegt somit ein Zeitraum von 16 Jahren und 2 Monaten zwischen dem Vertragsschluss und dem Zugang des Widerspruchs bei der Beklagten.

2. Bei einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Einzelfalls ist auch das erforderliche Umstandsmoment gegeben.

Für das Umstandsmoment kommt es in erster Linie auf das Verhalten des Berechtigten an, weil mit der Verwirkung die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden soll. Wenn das Umstandsmoment sich auch nicht durch Zeitablauf erübrigt, besteht gleichwohl eine Wechselwirkung zwischen Umstands- und Zeitmoment: Je länger der abgelaufene Zeitraum ist, umso geringer dürfen die Anforderungen an das Umstandsmoment sein (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2005 - XII ZR 224/03, juris Rn. 23; BGH Urteil vom 19.12.2000 - X ZR 150/98, juris Rn. 43). Denn je länger der Zeitablauf zwischen dem Abschluss des Vertrages bis zur Ausübung eines Widerspruchsrechts ist, umso höher ist das schutzwürdige Vertrauen des Vertragspartners in den Bestand des Vertrages und umso mehr Gewicht erhält dieses Vertrauen, während umgekehrt der gesetzliche Zweck für die Einräumung des Rechts, sich im zeitlichen Zusammenhang mit seinem Abschluss vom Vertrag lösen zu können, mit zunehmendem Zeitablauf immer mehr in den Hintergrund tritt. Sofern - wie im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung - nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes besonders gravierende Umstände vorhanden sein müssen, damit sich die Ausübung des Widerspruchsrechts als rechtsmissbräuchlich darstellt, kommt diesen Umständen mit zunehmendem Zeitablauf deshalb immer weniger Bedeutung zu (vgl. HansOLG, Beschluss vom 16.01.2020-9 U 227/19).

a) Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die Beklagte die vorliegende Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie dem Versicherungsnehmer keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilt hat.

b) Andererseits hat aber auch der Versicherungsnehmer der Beklagten während der Laufzeit des Vertrags bis zum August 2016 zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben, dass er sich vom Vertrag lösen wollte. Vielmehr hat er in seiner Vernehmung vor dem Landgericht ausweislich des Protokolls der Sitzung vom 06.02.2020 selbst angegeben, dass er die zu entrichtenden Prämien in seiner Steuererklärung angegeben hat. Schließlich entschied sich der Versicherungsnehmer mit Zahlungsanweisung vom 17.07.2016 (Anlage B9) für eine einmalige Kapitalzahlung und nahm die kapitalisierte Ablaufleistung zum Ende der Vertragslaufzeit im August 2016 unwidersprochen entgegen. Aus der Vernehmung des Versicherungsnehmers vor dem Landgericht ergibt sich weiter, dass er mit der Beklagten nie selbst in Kontakt getreten ist.

Aber auch nach dem Ende der Vertragslaufzeit hat der Versicherungsnehmer den Widerspruch nicht zeitnah erklärt. Vielmehr ist der bereits am 22.03.2019 unterzeichnete Widerspruch des Versicherungsnehmers erst mit Schreiben vom 26.10.2018 (Anlage B10) an die Beklagte übersandt worden. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum Fortbestehen eines Widerspruchsrechts im Falle einer fehlerhaften Belehrung nach § 5a WG a.F. (insbes. BGH, Vorabentscheidungsersuchen vom 28.03.2012 und Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11) waren zu diesem Zeitpunkt schon lange allgemein bekannt.

Der Senat hat zudem berücksichtigt, dass Handlungen im Rahmen der üblichen Durchführung eines Versicherungsvertrags, wie z.B.

- eine Beitragsfreistellung (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.12.2018 - 24 U 13/18, juris Rn. 7),- ein Ausschluss der Dynamik (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.04.2019 - 24 U 56/18),- eine Änderung der Anlagestrategie (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.10.2018 - 9 U 163/16, juris Rn. 24) oder- die Geltendmachung eines höheren Rückkaufswertes (vgl. HansOLG, Beschluss vom 10.02.2020 - 9 U 236/19)

für sich allein genommen nicht ausreichen, um Verwirkung zu begründen. Einzelne dieser Umstände könnten sogar im Zusammenhang mit der Frage nach einer Verwirkung gar keine Rolle spielen. Bei einer Gesamtschau aller relevanten Umstände des Einzelfalles kann es jedoch gerechtfertigt sein, ausnahmsweise die Verwirkung eines grundsätzlich fortbestehenden Widerspruchsrechts zu bejahen (vgl. HansOLG a.a.O.).

c) Die beklagte Versicherung hat sich auch darauf eingerichtet, dass der Vertrag Bestand hat, denn sie hat - wovon auch die Klägerin ausweislich ihrer Forderung auf Nutzungsentschädigung ausgeht - die gezahlten Beträge angelegt (vgl. BGH, Beschluss vom 23.01.2018 - XI ZR 298/17, juris Rn. 3).

d) Der Versicherungsnehmer verhält sich widersprüchlich, wenn er einerseits seine ursprüngliche Anlageentscheidung revidieren und eine höhere Verzinsung seiner Beiträge erstreiten will, aber andererseits den Versicherungsvertrag vollständig durchführt und dabei die durch den Vertrag eröffneten Steuervorteile in Anspruch nimmt.

Die Einräumung des Widerspruchsrechts erfolgt, damit der Versicherungsnehmer sich von einem Vertrag lösen kann, der seinen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogenen Bedürfnissen nicht entspricht. Sinn und Zweck ist es nicht, dem Versicherungsnehmer ein Widerspruchsrecht zu erhalten, um ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrages und den vom Versicherer gezogenen Nutzungen zu spekulieren (vgl. EuGH, Urteil vom 19.10.2019 -C-355/18, juris Rn.121).

Vorliegend hat der Versicherungsnehmer nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 06.02.2020 angegeben, es sei 2016 zur Auszahlung eines Betrages in Höhe von 25.149 € gekommen. Das habe ihn deshalb geärgert, weil der Ertrag bzw. die Renditen äußerst geringfügig gewesen seien. Daraufhin habe ihn die F M F AG darüber beraten, was man im Hinblick auf diese Sachlage tun könne. Er habe sodann im Frühjahr 2018 von der Klägerin zahlreiche Unterlagen mit der Bitte bekommen, diese auszufüllen. Aus diesen Angaben ergibt sich - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat -, dass es bei der Erklärung des Widerspruchs das alleinige Motiv des Versicherungsnehmers war, eine höhere Rendite zu erzielen. Erklärtes Ziel des Versicherungsnehmers war es daher nicht, etwaige Nachteile seiner damaligen Auswahlentscheidung zu kompensieren, sondern seine Rendite zu Lasten der Versichertengemeinschaft zu maximieren (im selben Sinne: OLG München, Urteil vom 21.04.2015-25 U 3877/11, juris Rn. 39).

e) Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg argumentieren, der Versicherungsnehmer habe durch die Beitragsfreistellung im Jahr 2004 jedenfalls gezeigt, dass er mit der Entwicklung der Sparbeiträge in dem abgeschlossenen Vertrag nicht zufrieden gewesen sei. Vielmehr ergibt sich aus der Vernehmung des Versicherungsnehmers vor dem Landgericht, dass er 2004 Zahlungsschwierigkeiten hatte, woraufhin er die Versicherung „stillgelegt“ habe. Motiv für die Beitragsfreistellung war daher nicht die Entwicklung der Sparbeiträge, sondern eigene Zahlungsschwierigkeiten des Versicherungsnehmers.

f) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die beiden Fehler in der Belehrung verhältnismäßig geringfügig sind. Denn selbst ein Versicherungsnehmer, der die Belehrung im Policenbegleitschreiben vom 22.08.2002 so versteht, dass die Frist bereits mit dem Zugang allein des Policenbegleitschreibens beginnt und der davon ausgeht, dass der Widerspruch nur schriftlich (und nicht in Textform) erfolgen kann, wird dadurch nur geringfügig darin beeinträchtigt, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei ordnungsgemäßer Belehrung auszuüben (vgl. EuGH, Urteil vom 19.10.2019 - C-355/18, juris Rn. 120). Denn er weiß in dem Augenblick des Zugangs des Policenbegleitschreibens, dass sein Antrag auf Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags von dem Versicherer angenommen wurde. In diesem Antrag (vgl. Anlage B1) wurde er jedoch in Fettdruck unmittelbar vor der Unterschriftszeile darüber belehrt, dass er dem Abschluss der Versicherung bis zum Ablauf von 14 Tagen nach Erhalt der Versicherungsurkunde in Textform widersprechen kann und dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügt. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Belehrung im Antrag damit von der Belehrung im Policenbegleitschreiben abweicht und dass grundsätzlich die Widerspruchsbelehrung entscheidend ist, die der Versicherungsnehmer mit der Übersendung der Versicherungspolice erhalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 10.06.2015 - IV ZR 132/13, juris Rn. 12; siehe auch BGH, Beschluss vom 30.07.2015 - IV ZR 63/13, juris Rn. 12 und Senat, Beschluss vom 07.11.2018 - 9 U 123/18). Der Umstand, dass der Versicherungsnehmer im Antrag zutreffend belehrt wurde und dadurch von der fehlerhaften Belehrung im Policenbegleitschreiben nur geringfügig darin beeinträchtigt wurde, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei ordnungsgemäßer Belehrung auszuüben, kann jedoch als ein Faktor im Rahmen der Gesamtabwägung nach § 242 BGB herangezogen werden (vgl. HansOLG, Beschluss vom 10.02.2020 - 9 U 236/19).

g) Bei einer Gesamtwürdigung sämtlicher vorstehender Umstände ist der Senat davon überzeugt, dass der Versicherungsnehmer derart widersprüchlich gehandelt hat, dass es ihm im vorliegenden Einzelfall aufgrund widersprüchlichen Verhaltens nach § 242 BGB verwehrt ist, sein Widerspruchsrecht mehr als 16 Jahre nach Abschluss des Lebensversicherungsvertrags und mehr als 2 Jahre nach Auszahlung der regulären Ablaufleistung auszuüben.

3. Mangels begründeter Hauptforderung besteht kein Anspruch auf Nutzungsersatz.

B.

Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts.

C.

Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

D.

Es besteht für die Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Der Senat weist darauf hin, dass sich im Falle der Rücknahme der Berufung die voraussichtlich von der Klägerin zu tragenden Gerichtskosten um 50 % ermäßigen (Reduzierung der Gebühren nach Nr. 1222 der Anlage 1 zum GKG von 4,0 auf 2,0).

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