VG Berlin, Beschluss vom 22.07.2020 - 14 L 173/20
Fundstelle
openJur 2020, 47010
  • Rkr:
Tenor

Es wird im Wege einstweiliger Anordnung festgestellt, dass die Antragstellerin vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache berechtigt ist, das Studio "... Berlin, zur Erbringung erotischer Massagen einschließlich Handentspannung ohne Geschlechtsverkehr, ohne "Body-to-Body-Massagen" und ohne Wellness-Dienstleistungen in Saunen und Bädern für den Publikumsverkehr zu öffnen, sofern sie die Einhaltung der Vorschriften betreffend Schutz- und Hygienekonzepte gemäß § 2 der SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung - SARS-CoV-2-IfSV - (vom 23.06.2020, GVBl. S. 562, zuletzt geändert durch Verordnung vom 26.06.2020, GVBl. S. 570), aller Punkte ihres Schutz- und Hygienekonzepts gemäß ihres Antrags vom 01.07.2020 (Blatt 82 f. der Gerichtsakte), der Vorschriften betreffend eine Anwesenheitsdokumentation gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Abs. 2 SARS-CoV-2-IfSV und der Vorschriften betreffend das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 SARS-CoV-2-IfSV gewährleistet.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 15.000,- € festgesetzt.

Gründe

Der nach den §§ 88, 122 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - sachdienlich dahin auszulegende Antrag der Antragstellerin

festzustellen, dass sie vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache berechtigt ist, das Studio "... Berlin, zur Erbringung erotischer Massagen einschließlich Handentspannung ohne Geschlechtsverkehr und ohne Body-to-Body-Massagen für den Publikumsverkehr zu öffnen, sofern sie die Einhaltung der Vorschriften betreffend Schutz- und Hygienekonzepte gemäß § 2 SARS-CoV-2-IfSV und aller Punkte ihres Schutz- und Hygienekonzepts gemäß ihres Antrags vom 01.07.2020 (Blatt 82 f. der Gerichtsakte) gewährleistet,

ist zulässig (I.) und nach Maßgabe des Beschlusstenors auch begründet (II.).

I.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung ist nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig, insbesondere statthaft. In Ermangelung der Eröffnung einer so genannten prinzipalen Normenkontrolle durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Berliner Landesrecht (vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 VwGO) kann die Antragstellerin in der Hauptsache nur ein Feststellungsbegehren nach § 43 Abs. 1 VwGO verfolgen und im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes einen korrespondierenden Feststellungsantrag stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.03.2020 - 1 BvR 712/20 -, juris Rn. 15 m.w.N.).

Die Antragstellerin ist ferner an einem gegenwärtigen, feststellungsfähigen Rechtsverhältnis zwischen ihr als Normadressatin und dem Land Berlin als Normgeber und -anwender beteiligt (vgl. auch Pietzcker in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 43 Rn. 10 zu ähnlichen Konstellationen). Sie hat geltend gemacht, dass sie in Berlin ein Studio für erotische Massagen betreibt, welches als Prostitutionsgewerbe, nämlich als Prostitutionsstätte im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 des Prostituiertenschutzgesetzes - ProstSchG -, wegen des Verbots in § 7 Abs. 4 Satz 2 SARS-CoV-2-IfSV einstweilen nicht für den Publikumsverkehr geöffnet werden darf.

Das Feststellungsbegehren ist auch nicht subsidiär (vgl. § 43 Abs. 2 VwGO), weil bei summarischer Prüfung davon auszugehen ist, dass Verstöße gegen das Verbot des Betriebs eines Prostitutionsgewerbes nach § 11 Abs. 3 Nr. 22 SARS-CoV-2-IfSV in Verbindung mit § 73 Abs. 1a Nr. 24 des Infektionsschutzgesetzes - IfSG - (vom 20. Juli 2000, BGBl. I S. 1045, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.05.2020, BGBl. I S. 1018) bußgeldbewehrt sind (vgl. auch: VerfGH Bln, Beschluss vom 20.05.2020 - 81 A/20 -, http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/). Zudem lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass entsprechende Verstöße auch nach § 74 IfSG strafbar sein könnten (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 31.03.2020, a.a.O., Rn. 15). Das Abwarten der möglichen Verhängung derartiger Sanktionen, um sodann gegen diese rechtlich vorgehen zu können, ist der Antragstellerin nicht zuzumuten (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 16.12.2016 - 8 C 6/15 -, juris Rn. 15).

Schließlich fehlt der Antragstellerin auch weder die in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis noch das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der letztlich begehrten vorläufigen Feststellung der individuellen Unverbindlichkeit des § 7 Abs. 4 Satz 2 SARS-CoV-2-IfSV, denn sie wird durch das beanstandete Verbot in ihrer gewerblichen Tätigkeit unmittelbar und individuell betroffen. Es erscheint zumindest als möglich, dass sie dadurch in ihren Rechten, insbesondere aus Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -, verletzt wird.

II.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn die begehrte Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 ZPO sind dabei die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) in gleicher Weise glaubhaft zu machen wie die Gründe, welche die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung bedingen (Anordnungsgrund).

Dem Wesen und Zweck des Verfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO entsprechend, kann das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und Antragstellenden nicht schon das gewähren, was Ziel eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens wäre. Begehrt eine Antragstellerin, wie hier, die Vorwegnahme der Hauptsache, kommt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und der Rechtsschutzsuchenden andernfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. u.a. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 17.10.2017 - 3 S 84.17 - und - 3 M 105.17 -, juris Rn. 2 und vom 28.04.2017 - 3 S 23.17 u.a. -, juris Rn. 1; ferner: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., § 123 Rn. 13 ff. m.w.N.).

Vorliegend hat die Antragstellerin das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (1.) und eines Anordnungsgrundes (2.) auf eine die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigende Weise glaubhaft gemacht.

1. Nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ist mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich das angegriffene Verbot im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen wird.

Es besteht durchgreifender Anlass, an der materiellen Rechtmäßigkeit der in § 7 Abs. 4 Satz 2 SARS-CoV-2-IfSV enthaltenen absoluten Untersagung zu zweifeln, und zwar in Ansehung der von der Antragstellerin geltend gemachten Verletzung höherrangigen Rechts in Gestalt eines Verstoßes gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot aus Artikel 3 Abs. 1 GG.

a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 07.02.2012 - 1 BvL 14/07 -, juris Rn. 40, und vom 15.07.1998 - 1 BvR 1554/89 u.a. -, juris Rn. 63). Dabei sind ihm nicht jegliche Differenzierungen verwehrt, allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18.07.2012 - 1 BvL 16/11 -, juris Rn. 30, vom 21.06. 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 65, und vom 21.07.2010 - 1 BvR 611/07 u.a. -, juris Rn. 79).

b) Legt man diese Maßstäbe zugrunde, so ist voraussichtlich von einer ungerechtfertigten Gleichbehandlung von erotischen Massagestudios - d.h. Prostitutionsstätten, in denen kein Geschlechtsverkehr angeboten wird - und Bordellen bzw. Laufhäusern - d.h. Prostitutionsstätten, in denen schwerpunktmäßig Geschlechtsverkehr angeboten wird (im Folgenden: Bordelle) - auszugehen, denn aus der hier allein maßgeblichen seuchenrechtlichen Sicht kann nicht von wesentlich gleichen Sachverhalten ausgegangen werden.

Den Angaben des fachkundigen Robert Koch-Instituts zufolge, das nach § 4 IfSG zentrale Aufgaben im Zusammenhang mit der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und der Verhinderung ihrer Weiterverbreitung zu erfüllen hat, geht man in der Fachöffentlichkeit nach wie vor davon aus, dass im normalen gesellschaftlichen Umgang die Tröpfcheninfektion der Hauptübertragungsweg ist. Daneben nimmt in der fachwissenschaftlichen Diskussion die Möglichkeit einer Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (im Folgenden: Coronavirus) über Aerosole zunehmenden Raum ein. Zudem wird von einer Übertragbarkeit durch asymptomatische bzw. präsymptomatische Infizierte ausgegangen, d.h. durch Personen, die von ihrer eigenen Infektion nichts oder noch nichts wissen, so dass einer unbemerkten Ausscheidung des Virus in diesen Fällen weder durch eine Verhaltensänderung noch durch eine frühzeitige Testung o.ä. vorgebeugt werden kann. Auch kann eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen in der unmittelbaren Umgebung eines Infizierten nicht ausgeschlossen werden (vgl. Robert Koch-Institut, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html, abgerufen am 21.07.2020).

Zur Vorbeugung von Infektionen im Wege der Tröpfcheninfektion empfiehlt das Robert Koch-Institut das Einhalten eines Mindestabstands von 1,5 Metern zwischen Personen im gesellschaftlichen Umgang sowie das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, insbesondere in Situationen, in denen dieser Mindestabstand nicht immer eingehalten werden kann (vgl. Robert Koch-Institut, Infektionsschutzmaßnahmen, https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Infektionsschutz. html, abgerufen am 21.07.2020). Aerosole können generell durch regelmäßiges Lüften bzw. bei raumlufttechnischen Anlagen durch einen Austausch der Raumluft unter Zufuhr von Frischluft (oder durch eine entsprechende Filtrierung) in Innenräumen abgereichert werden (ebd.). Ferner ist es für eine Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus und zur Verhinderung von Krankheitsfällen notwendig, die Kontaktpersonen von labordiagnostisch bestätigten Infektionsfällen zu identifizieren und - je nach individuellem Infektionsrisiko - ihren Gesundheitszustand für die maximale Dauer der Inkubationszeit (14 Tage) zu beobachten; enge Kontaktpersonen müssen in häusliche Quarantäne (ebd.).

Gemessen an diesen aktuellen Erkenntnissen unterscheiden sich Bordelle und erotische Massagestudios - soweit dort Massagen einschließlich Handentspannung ohne Geschlechtsverkehr und ohne "Body-to-Body-Massagen" angeboten werden - aus epidemiologischer Sicht wesentlich. Da es bei der Erbringung dieser Massagen nicht zu Geschlechtsverkehr in Form von Vaginal-, Anal- oder Oralverkehr kommt, bleibt der damit einhergehende, besonders enge Ganzkörperkontakt zwischen den Dienstleistenden und den Empfängerinnen und Empfängern der Dienstleistung aus und beschränkt sich der Körperkontakt seitens der Dienstleistenden auf Berührungen mit der Hand. Damit besteht zwischen den Beteiligten, insbesondere bezogen auf den Mund-Nasen-Bereich, in der Regel ein größerer Abstand. Ferner unterscheiden sich beide Teilbranchen sexueller Dienstleistungen dadurch, dass die körperliche Aktivität, die typischerweise mit der jeweiligen Dienstleistung einhergeht, nicht vergleichbar ist. Die Durchführung von Geschlechtsverkehr ist mit einer intensiven körperlichen Aktivität verbunden, die zu einer regelmäßig deutlich erhöhten Atemfrequenz und -tiefe führt (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 23.06.2020 - VG 14 L 158/20 -, amtl. EA S. 7 f.) und deshalb die Viruslast erhöhen kann, nämlich die Menge eines möglichen Ausstoßes und einer möglichen Aufnahme von Coronaviren über die Atmung. Demgegenüber dürften sich die Dienstleistungsempfängerinnen und -empfänger bei erotischen Massagen massagetypisch in einem passiven, wenn auch zeitweise sexuell erregten Körperzustand befinden. Deshalb kann dem Antragsgegner nicht gefolgt werden, wenn er pauschal vorträgt, "[s]exuelle Praktiken" seien als eine Betätigung anzusehen, bei der immer in gleicher Weise in besonders hohem Maß Aerosole entstünden. Hinzu tritt, dass sich das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ausgehend von den vom Verordnungsgeber selbst getroffenen Wertungen mit einer Massagedienstleistung idealtypisch deutlich eher vereinbaren lässt (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 2 SARS-CoV-2-IfSV [Massagepraxen] und Nr. 5 [Gesundheitseinrichtungen in Form von Physiotherapiepraxen, Maskenpflicht nur für Patientinnen und Patienten]) als mit der Durchführung körperlich anstrengenderer Tätigkeiten. So ist etwa für Sport in geschlossenen Räumen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung durch den Verordnungsgeber nicht vorgesehen (vgl. § 5 Abs. 7 SARS-CoV-2-IfSV). Unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnislage dürfte daher bei der Erbringung erotischer Handmassagen verglichen mit der Ausübung des Geschlechtsverkehrs ein wesentlich geringeres Infektionsrisiko bestehen.

Soweit Betreiberinnen und Betreiber von Prostitutionsstätten bisweilen geltend machen, während der durch das Coronavirus ausgelösten Pandemie, anders als üblich, nur erotische Massagen anbieten zu wollen (vgl. etwa VG Berlin, Beschluss vom 23.06.2020, a.a.O., S. 13), berührt dies nicht den hier angenommenen wesentlichen Unterschied zwischen den in Rede stehenden, abstrakt-generell abgrenzbaren Teilbranchen. Während nämlich Bordelle in der Regel schwerpunktmäßig auf die Durchführung von Geschlechtsverkehr ausgerichtet sind und diese Dienstleistung daher typischerweise von der Kundschaft erwartet und nachgefragt wird, beinhaltete das Angebot erotischer Massagepraxen von je her, d.h. auch schon vor der Pandemie, keine solche Dienstleistung. Soweit erotische Massagestudios von "Body-to-Body-Massagen" und bestimmten Wellness-Dienstleistungen pandemiebedingt abzusehen haben (vgl. insbesondere die Schließung von Saunen, Dampfbädern und ähnlichen Einrichtungen gemäß § 7 Abs. 3 SARS-CoV-2-IfSV), betrifft dies nur nachrangige Teilaspekte, nicht jedoch den Kern ihres Angebots und stellt damit die Unterschiedlichkeit der beiden Teilbranchen nicht in Frage.

c) Die von dem Verordnungsgeber in § 7 Abs. 4 Satz 2 SARS-CoV-2-IfSV dennoch vorgenommene Gleichbehandlung beider Teilbranchen lässt sich nach Auffassung der Kammer mit den "Eigenarten des Prostitutionsgewerbes", das darauf gerichtet sei, körperliche Nähe herzustellen, nicht hinreichend rechtfertigen. Die Gemeinsamkeit z.B. von Bordellen, erotischen Massagestudios und BDSM-/Domina-Studios dürfte primär darin liegen, dass die dort erbrachten Dienstleistungen darauf gerichtet sind, der Kundschaft sexuelle Befriedigung zu verschaffen. Die Art und Weise, wie dies in den verschiedenen Teilbranchen geschieht, weist - insbesondere hinsichtlich des damit typischerweise verbundenen Ausmaßes körperlicher Nähe - jedoch infektionsschutzrechtlich relevante Unterschiede auf (vgl. zuvor). Die Gleichbehandlung dürfte sich dabei auch nicht mehr im Rahmen der dem Verordnungsgeber grundsätzlich zustehenden Befugnis zu pauschalierenden und typisierenden Regelungen halten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 05.05.2020 - 11 S 38/20 -, juris Rn. 29, und vom 10.06.2020 - 1 S 58/20 -, S. 3 f. des amtlichen Entscheidungsabdrucks, jeweils m.w.N.), zumal auch ein "Vorgehen Schritt-für-Schritt" im Sinne eines übergreifenden Konzepts für die stufenweise Öffnung weiterer Geschäftsbereiche in diesem Zusammenhang nicht erkennbar ist. Nachdem erotische Massagestudios bereits seit Mitte März 2020 pandemiebedingt zu schließen waren, hat die aktuelle SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung erneut einen Geltungszeitraum bis einschließlich 24. Oktober 2020 (vgl. § 12 Abs. 1 Halbsatz 2 SARS-CoV-2-IfSV) und damit von fast vier weiteren Monaten. Da somit inzwischen keine nur kurze, vorübergehende Schließung mehr in Rede steht, ist der Verordnungsgeber nach Auffassung der Kammer aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gehalten, den Gegebenheiten unterschiedlicher Teilbranchen - und damit auch den epidemiologischen Unterschieden zwischen Bordellen und erotischen Massagestudios - zunehmend differenzierter Rechnung zu tragen, zumal sich die epidemiologische Lage im Land Berlin und in der Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf das Coronavirus in der Vergangenheit günstig entwickelt hat und derzeit auf niedrigem Niveau stagniert (Berlin: 3,3 Fälle/100.000/Woche; Bund: 3,4 Fälle/100.000 Einwohner/Woche; vgl. Robert Koch-Institut, COVID-19-Lagebericht vom 21.07.2020; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-07-21-de.pdf). Dabei geht es vorliegend nicht darum, ob das vom Verordnungsgeber für bestimmte Bereiche allgemein angenommene erhöhte Infektionsrisiko aufgrund eines individuellen betrieblichen Hygienekonzepts geringer ausfallen könnte, sondern darum, ob die Einordnung verschiedener Teilbranchen in ein und denselben Bereich (Prostitution) infektionsschutzrechtlich noch zu rechtfertigen ist. Soweit der Antragsgegner darauf verweist, der Verordnungsgeber habe sich an der Definition des Prostitutionsgewerbes im Sinne des Prostituiertenschutzgesetzes orientiert (vgl. § 2 Abs. 3, 4 ProstSchG), wird dabei übersehen, dass dieses Gesetz und die SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung verschiedene Zwecke verfolgen. Zwar spielt im Prostitutionsrecht neben dem Schutz der Prostituierten selbst auch jener vor übertragbaren Krankheiten eine Rolle (vgl. die Kondompflicht gem. § 24 Abs. 2 Satz 1 und § 32 Abs. 1 und 2 ProstSchG). Jedoch geht es dabei um sexuell übertragbare Krankheiten, welche hingegen nicht Regelungsgegenstand der SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung sind. Die nach Auffassung der Kammer zu beanstandende Gleichbehandlung lässt sich auch nicht mit dem Argument der "Rechtsklarheit" rechtfertigen. Es geht hier insbesondere nicht etwa um detaillierte Regelungen zu einzelnen sexuellen Praktiken, sondern darum, anhand abstrakt-genereller Merkmale unterscheidbare Teilbranchen entsprechend typisierenden Regelungen zu unterwerfen. Der Verordnungsgeber hat dies in der Verordnungshistorie der SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung bereits mehrfach praktiziert. Hingewiesen sei etwa auf die ehemals unterschiedliche Behandlung verschiedener Arten von Gaststätten in § 6 Abs. 1 bis 3 der SARS-CoV-Eindämmungsmaßnahmenverordnung (vom 22.03.2020, GVBl. S. 220, ber. 224, in der Fassung der Verordnung vom 07.05.2020, GVBl. 307) oder von verschiedenen Arten von Kinos in § 5 Abs. 5 bis 7 SARS-CoV-2-EindmaßnV (in der Fassung der Verordnung vom 28.05.2020, GVBl. 506).

2. Der im Ergebnis hier anzunehmenden rechtswidrigen Gleichbehandlung des Betriebs der Antragstellerin mit Bordellen ist nach Auffassung der Kammer im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO in der aus dem Tenor ersichtlichen Weise zu begegnen. Eine gerichtliche Teilaufhebung des vom Verordnungsgeber in seiner Zuständigkeit und in Ausübung des ihm als Teil der Exekutive zustehenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums in § 7 Abs. 4 Satz 2 SARS-CoV-2-IfSV erlassenen Verbots der Öffnung von Prostitutionsgewerben für den Publikumsverkehr kommt ebenso wie die gerichtliche Feststellung der vorläufigen individuellen Unverbindlichkeit der in § 7 Abs. 4 Satz 2 SARS-CoV-2-IfSV getroffenen Gesamtregelung nicht in Betracht.

Die Kammer orientiert sich deshalb an dem für zugelassene körpernahe Dienstleistungen geltenden Regelungsregime, welche unter den in der SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung vorgesehenen Voraussetzungen öffnen dürfen, also insbesondere dann, wenn sie ein Schutz- und Hygienekonzept vorhalten (vgl. § 2 SARS-CoV-2-IfSV), eine Anwesenheitsdokumentation führen (§ 3 SARS-CoV-2-IfSV) und die Vorschriften über das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung beachten (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 SARS-CoV-2-IfSV). Diesen Einschränkungen ist auch von erotischen Massagestudios Rechnung zu tragen.

Körpernahe Dienstleistungen erscheinen bei typisierender Betrachtung epidemiologisch und damit infektionsschutzrechtlich mit der Erbringung erotischer Massagen hinreichend vergleichbar. So dürfte etwa bei Massagepraxen eine in etwa vergleichbare körperliche Aktivität von Dienstleistenden und Gästen anzunehmen sein wie bei einer erotischen Massage, sodass hinsichtlich des Aerosolinfektionsrisikos lediglich ein allenfalls gradueller Unterschied bestehen dürfte. Auch erscheint das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung mit der Erbringung oder Empfangnahme erotischer Massagen nicht von vornherein unvereinbar. Zudem dürfte insoweit von typischerweise ähnlichen betrieblichen Abläufen und Strukturen auszugehen sein. Insbesondere kann nicht ohne weiteres pauschal unterstellt werden, dass erotische Massagestudios im Vergleich zu körpernahen Dienstleistungen, insbesondere Massagepraxen oder Tattoo-Studios, in der Regel in deutlich kleineren, weniger gut belüfteten Räumen stattfinden. Auch hinsichtlich des Ablaufs samt Anmeldung und Terminvergabe kann von strukturellen Parallelen zu körpernahen Dienstleistungen ausgegangen werden, sodass sich regelmäßig eine Anwesenheitsdokumentation sicher-stellen lassen dürfte. Jedenfalls sind von der Antragstellerin - wie auch von dem Antragsteller im Parallelverfahren VG 14 L 174/20 - die Größe der jeweils von ihr benutzten, durchaus geräumigen Zimmer und die dort bestehenden Belüftungsmöglichkeiten anschaulich dargestellt und Raumgröße und Belüftungsvorschriften zum Gegenstand ihres Schutz- und Hygienekonzepts gemacht worden, welches bei summarischer Prüfung im Wesentlichen den Vorgaben des § 2 SARS-CoV-2-IfSV entspricht, so dass eine Öffnung des Betriebs der Antragstellerin unter den im Tenor genannten Bedingungen derzeit vertretbar erscheint.

Die von der Kammer ausgesprochene Folge führt auch nicht zu einem Wertungswiderspruch. Anders als der Antragsgegner geltend macht, dienen zugelassene körpernahe Dienstleistungen wie Friseurbetriebe, Kosmetikstudios, Massagepraxen und Tattoo-Studios ebenso wenig "der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung" wie die in Rede stehenden erotischen Massagen. Die vom Antragsgegner in diesem Zusammenhang angeführten Physiotherapiepraxen sind keine Massagepraxen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 SARS-CoV-2-IfSV, sondern gehören zu den von § 4 Abs. 1 Nr. 5 SARS-CoV-2-EindmaßnV erfassten "anderen Gesundheitseinrichtungen". Sie unterliegen damit anderen Regelungen als körpernahe Dienstleistungen; insbesondere gilt die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung dort nur für Patientinnen und Patienten und ihre Begleitpersonen und muss auch keine Anwesenheitsdokumentation im Sinne des § 3 SARS-CoV-2-IfSV geführt werden. Auch überzeugt es nicht, dass der Verordnungsgeber mit der Öffnung körpernaher Dienstleistungen solche Gewerbe habe privilegieren wollen, die jedermann regelmäßig nutze, wodurch auch das gesamtwirtschaftliche System gestützt werde. So werden etwa Tattoo-Studios ersichtlich weder von jedermann noch von nennenswerten Kreisen der Bevölkerung regelmäßig genutzt.

3. Eine Benutzung der in dem Massagestudio der Antragstellerin befindlichen Saunen und Bäder scheidet bereits auf anderer rechtlicher Grundlage aus (vgl. § 7 Abs. 3 SARS-CoV-2-IfSV), ohne dass die Antragstellerin hiergegen vorgegangen wäre. Insoweit war der Tenor einschränkend zu fassen.

4. Die Antragstellerin hat auch das Bestehen eines Anordnungsgrundes auf eine die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigende Weise glaubhaft gemacht.

Sie hat unter Vorlage ihrer betriebswirtschaftlichen Auswertungen für die Monate Januar bis Mai 2020 dargetan, welche Umsatzeinbußen ihr durch die Schließung des Massagestudios ungefähr entstehen. Ferner hat sie die Fotokopie eines Leistungsbescheides des Jobcenters Berlin Steglitz-Zehlendorf vom 03.06.2020 vorgelegt, nachdem sie und ihre Bedarfsgemeinschaft seit dem 01.04.2020 im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch stehen. Es begegnet danach keinen ernstlichen Zweifeln, dass die Schließung ihrer Prostitutionsstätte für die Antragstellerin einen schweren und unzumutbaren - für ihren Betrieb wohl potentiell sogar existenzbedrohenden - Nachteil darstellt, der im Falle eines Obsiegens in der Hauptsache auch nachträglich nicht mehr beseitigt werden könnte.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstands ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes. Der Kammer erscheint es angemessen, sich an dem Mindeststreitwert für Fälle der Gewerbeuntersagung von 15.000,- € (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ-Beilage 2013, Punkt 54.1 und 54.2) zu orientieren und dabei wegen der vorliegend begehrten Vorwegnahme der Hauptsache den vollen Streitwert des Hauptsacheverfahrens anzusetzen (vgl. Streitwertkatalog, Punkt 1.5 Satz 2).