ArbG Köln, Beschluss vom 24.03.2020 - 8 Ga 26/20
Fundstelle
openJur 2020, 46937
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 4 Ta 55/20
Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 2.542,99 Euro.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt mit dem vorliegenden - am 23.03.2020 nach 17.30 Uhr per Telefax beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung tatsächliche Weiterbeschäftigung als kaufmännische Angestellte nach einer am 17.03.2020 ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Zur Begründung führt sie aus, die Kündigung sei ihrer Ansicht nach offensichtlich rechtsunwirksam, da sie lediglich erfolgt sei, weil der Arbeitgeber eine weitere Betriebsratstätigkeit der Antragstellerin verhindern wolle.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung konnte keinen Erfolg haben.

Insofern war aufgrund der derzeitigen Ausnahmesituation der Corona-Pandemie durch den Vorsitzenden allein ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, § 53 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 62 Abs. 2 Satz 2 ArbGG.

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt voraus, dass Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund gegeben sind und es nicht zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache kommt.

Vorliegend fehlt es an sämtlichen Voraussetzungen. Es sind aus den Angaben der Antragschrift weder Verfügungsanspruch noch Verfügungsgrund gegeben, im übrigen würde es durch den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache kommen.

1.)

Es fehlt bereits am Verfügungsanspruch.

Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 27.02.1985 (GS 1/84) entschieden, dass der Arbeitnehmer im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis als Ausfluss des grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundsätzlich auch einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung hat. Demgegenüber besteht ein derartiger Anspruch regelmäßig gerade nicht mehr, wenn der Bestand des Arbeitsverhältnisses streitig ist. Die außerordentliche Kündigung beseitigt regelmäßig mit dem Zeitpunkt ihres Zugangs den Beschäftigungsanspruch, ab diesem Zeitpunkt überwiegt regelmäßig das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung gegenüber dem Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers. Das grundsätzlich schützenswerte Interesse des Arbeitgebers, die Kündigung auch praktisch zu vollziehen, überwiegt insofern.

Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn eine Kündigung offensichtlich unwirksam ist. Offensichtlich unwirksam ist eine Kündigung nur dann, wenn ihre Unwirksamkeit ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage tritt, etwa wegen offensichtlicher formeller Fehler (Ostrowicz/Künzl/Scholz, Handbuch des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, Randnummer 837, m. w. N.). Auch bei einer derart offensichtlich unwirksamen Kündigung kann jedoch ein Weiterbeschäftigungsanspruch ausgeschlossen sein, wenn nämlich das Nichtbeschäftigungsinteresse des Arbeitgebers - entsprechend der im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis vorzunehmenden Interessenabwägung - überwiegt (Ostrowicz u. a., a. a. O.).

Insofern konnte vorliegend nach den Angaben der Antragschrift, ohne Erwiderung der Antragsgegnerin zu den Kündigungsgründen, schon keine offensichtliche Rechtsunwirksamkeit der Kündigung festgestellt werden. Eine offensichtliche Rechtsunwirksamkeit hätte sich allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 KSchG und § 103 BetrVG aufgrund der Betriebsratsmitgliedschaft der Antragstellerin und der insofern erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ergeben können.

Die Antragstellerin trägt jedoch nicht vor, dass die streitgegenständliche Kündigung ohne Zustimmung des Betriebsrats erfolgt sei. Sie geht vielmehr selbst offenbar davon aus, dass der Arbeitgeber einen Beschluss nach § 103 BetrVG vorweisen kann (Seite 6 unten der Antragschrift). Die Antragsgegnerin hat vorgerichtlich gegenüber der Antragstellerin angeben, die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats sei am 16.03.2020 erteilt worden; eine derartige erteilte Zustimmungserklärung des Betriebsrats bestreitet die Antragstellerin ausdrücklich gerade nicht (Seite 4 der Antragschrift).

Die Antragstellerin schildert lediglich mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Beschlussfassung und arbeitgeberseitige Einwirkungen auf andere Betriebsratsmitglieder. Allein anhand dieser Angaben der Antragstellerin ist dem Gericht die erforderliche abschließende Beurteilung bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, dass die Kündigung sich in einem späteren Kündigungsschutzverfahren offensichtlich als rechtsunwirksam erweisen wird, nicht möglich.

Eine materiellrechtliche "Vorab-Bewertung" der Rechtmäßigkeit einer Kündigung soll in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren über einen (Weiter-) Beschäftigungsanspruch grundsätzlich gerade nicht erfolgen.

2.)

Es fehlt darüber hinaus auch am erforderlichen Verfügungsgrund.

Die Antragschrift enthält keinerlei konkrete Ausführungen zum Verfügungsgrund. Eine besondere Eilbedürftigkeit, welche das Abwarten eines regulären Hauptsacheverfahrens unzumutbar erscheinen lassen würde, ist nicht ersichtlich.

In Anbetracht der derzeitigen Corona-Pandemie wären vielmehr von der Antragstellerin zusätzliche Ausführungen zu verlangen gewesen, inwiefern derzeit im Betrieb der Antragsgegnerin aktuell vor dem Hintergrund der von Bund und Ländern angeordneten Kontaktsperren sowie der weitgehend von Unternehmen vorgenommenen Betriebseinschränkungen und Einschränkungen der Präsenz am Arbeitsplatz überhaupt eine halbwegs reguläre tatsächliche Beschäftigung der Antragstellerin als kaufmännische Angestellte erfolgen könnte.

Auch hieran fehlt es vollständig, der Antragschrift ist nicht einmal eine eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin zur Glaubhaftmachung beigefügt.

Sofern sich die Antragsbegründung darauf konkretisiert, die Antragstellerin fühle sich in ihrer Betriebsratstätigkeit behindert, ist der Antrag auf eine überschießende Rechtsfolge gerichtet. Die Ausübung einer Arbeitstätigkeit als kaufmännische Angestellte ist für eine ordnungsgemäße Ausübung der Betriebsratstätigkeit nicht erforderlich, dies ergibt sich schon aus der gesetzlichen Wertung der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern, § 37 BetrVG. Einen Antrag auf Gewährung des Zutritts zum Betrieb zur Ausübung der Betriebsratstätigkeit hat die Antragstellerin in nicht gestellt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Hiernach hatte die Antragstellerin als unterlegene Partei des Rechtsstreits die Kosten zu tragen.

Der Streitwert wurde auf ein Bruttomonatsgehalt festgesetzt.

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