LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.07.2020 - 26 Ta (Kost) 6063/20
Fundstelle
openJur 2020, 46466
  • Rkr:

1. Gibt es keine Hinweise darauf, dass bei Abschluss des Vergleichs unter den Parteien Streit oder Unsicherheit darüber bestanden hat, ob für die Zeit des Annahmeverzugs eine Masseverbindlichkeit begründet worden ist, was angesichts der klaren Rechtslage regelmäßig nicht ernsthaft bezweifelt werden kann (vgl. dazu zB BAG 4. Juni 2003 - 10 AZR 586/02, Rn. 30), löst eine Regelung hierzu im Vergleich einen Vergleichsmehrwert regelmäßig nicht aus.

2. Werden Masseverbindlichkeiten nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zum Gegenstand eines Mehrvergleichs gemacht und liegen die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung im Rahmen der Festsetzung eines Gegenstandswerts für einen Vergleichsmehrwert vor, ist § 182 InsO bzw. die darin zum Ausdruck kommende Wertung entsprechend anzuwenden (ausführlich LAG Berlin-Brandenburg 5. Juni 2019 - 26 Ta (Kost) 6036/19, Rn. 9 ff., mwN).

3. Vergleichsformulierungen, die sich auf eine betriebliche Altersversorgung beziehen, lösen keinen Vergleichsmehrwert aus, wenn diesbzüglich unter den Parteien nur Klarstellungen erfolgen sollen, ohne dass insoweit Streit bestanden hat. Es handelt sich dann um einfache Abwicklungsregelungen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 21. Januar 2020 - 26 Ta (Kost) 6110/19, zu II 2 der Gründe).

Tenor

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Juli 2020 - 41 Ca 16054/17 - wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Parteien haben einen Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung geführt. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 22. Juni 2020 das Zustandekommen eines Vergleichs festgestellt, in dem die Parteien sich unter Nr. 1) auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 28. Februar 2018 verständigt haben. Unter Nr. 2 haben die Parteien geregelt, dass der Beklagte die dem Kläger, einem Piloten der insolventen Fluggesellschaft A. Berlin, für die Zeit vom 1. November 2017 bis zum 28. Februar 2018 zustehende Vergütung auf der Grundlage eines Bruttomonatsentgelts in Höhe von 10.419,48 Euro unter Berücksichtigung auf Dritte übergegangener Ansprüche ermitteln und diese als Altmasseforderung ins Masseverzeichnis im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin aufnehmen werde. Die Aufnahme erfolge in zeitlicher Hinsicht allerdings erst, wenn sämtliche Beteiligte ihre Ansprüche angemeldet hätten und damit die Berechnung der jeweiligen Beträge möglich sei. Unter Nr. 4. des Vergleichs hat sich der Beklagte verpflichtet, "klarstellend gegenüber der Allianz Lebensversicherungs AG die Zustimmung zur Auszahlung eines Betrags in Höhe von 87,5 Prozent - aktuell 8.147,15 Euro ... des noch vorhandenen Rückdeckungskapitals ... an den Pfandgläubiger" zu erteilen. Außerdem bestehe Einigkeit, "dass der dann noch verbleibende Restbetrag des noch vorhandenen Rückdeckungskapitals ... in Höhe von 12,5 Prozent - aktuell 1.163,88 Euro - zuzüglich etwaiger bis zum Auszahlungszeitpunkt hierauf entfallender (Zins)Zuwächse der Insolvenzmasse ... zustehe." Außerdem hat sich der Beklagte - "soweit noch nicht geschehen" - zur Freigabe der Anwartschaft des Klägers bei Willis Tower Watson verpflichtet. Unter Nr. 5 des Vergleichs haben die Parteien sich auf ein sehr gutes Zeugnis geeinigt.

Das Arbeitsgericht hat einen Streitwert für den Antrag zu 1) auf einen Vierteljahresverdienst angesetzt und einen Vergleichsmehrwert in Höhe von 9.311,03 Euro im Hinblick auf die unter Nr. 4 getroffene Regelung. Im Hinblick auf die unter Nr. 2 des Vergleichs getroffene Vereinbarung, die Zeugnisregelung unter Nr. 5 des Vergleichs und die zur Lebensversicherung getroffenen Vereinbarungen hat das Arbeitsgericht den Ansatz von "Vergleichsmehrwerten" abgelehnt. Der Beschluss ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16. Juli 2020 zugestellt worden.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers begehren mit der am 17. Juli 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Beschwerde Berücksichtigung eines Vergleichsmehrwerts in Höhe von 67.388,78 Euro im Zusammenhang mit den Regelungen unter Nr. 2, 4 und 5 des Vergleichs. Die Berechnung lässt sich der Beschwerdeschrift nicht entnehmen Aus frühere Schriftsätzen ergibt sich, dass die Klägervertreter für den Zeitraum von November 2017 bis Februar 2018 eine Berücksichtigung des vollständigen Bruttoeinkommens in Höhe von 45.662,20 Euro angesetzt wissen wollen, für das Zeugnis ein Bruttoeinkommen in Höhe von 11.415,55 Euro und für die Regelungen unter Nr. 4 des Vergleichs insgesamt 10.311,03 Euro, also insoweit 1.000 Euro mehr als das Arbeitsgericht in Ansatz gebracht hat.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde am 21. Juli 2020 nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Berücksichtigung eines noch höheren Vergleichsmehrwerts zutreffend abgelehnt. Die Annahme eines Vergleichsmehrwerts stößt hier schon im durch das Arbeitsgericht angesetzten Umfang auf Bedenken.

1) Danach entsteht die anwaltliche Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber - und nicht worauf - die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde. Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 2).

Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist danach nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um dann im Wege des Nachgebens einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 3).

2) Bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte liegen die Voraussetzungen für den Ansatz eines Vergleichsmehrwerts nicht vor.

a) Die Parteien haben im Rahmen der Regelung unter Nr. 2 des Vergleichs eine reine Abwicklungsregelung getroffen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass im Rahmen des Vergleichs insoweit etwas geregelt worden wäre, was ein Streitpotential in sich getragen hat. Es gibt keine Hinweise darauf, dass unter den Parteien Streit oder Unsicherheit darüber bestanden hat, ob für die Zeit des Annahmeverzugs eine Masseverbindlichkeit begründet worden ist. Das kann auch nicht ernsthaft bezweifelt werden (vgl. dazu zB BAG 4. Juni 2003 - 10 AZR 586/02, Rn. 30). Zu einer Quote ist nichts geregelt.

Unabhängig davon handelte es sich hier um einen Fall, bei dem eine Realisierbarkeit der vollen Vergütungsforderung eher zweifelhaft erscheint und daher auch eine wirtschaftliche Bewertung anzustellen gewesen wäre. Der Beklagte hatte bereits am 1. November 2018 drohende Masseunzulänglichkeit angezeigt, die durch § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gleichgestellt wird. In der vorliegenden Konstellation wären die zu § 182 InsO entwickelten Grundsätze und die darin zum Ausdruck kommende Wertung entsprechend heranzuziehen gewesen. Werden Masseforderungen zum Gegenstand eines Mehrvergleichs gemacht und liegen - anders als hier - die oben unter 1) genannten Voraussetzungen für ihre Berücksichtigung vor, ist § 182 InsO bzw. die darin zum Ausdruck kommende Wertung im Zweifel jedenfalls entsprechend anzuwenden. In Ansatz zu bringen ist allein der zu diesem Zeitpunkt maßgebliche wirtschaftliche Wert (vgl. dazu ausführlich LAG Berlin-Brandenburg 5. Juni 2019 - 26 Ta (Kost) 6036/19, Rn. 9 ff., mwN).

b) Die Regelung unter Nr. 5 des Vergleichs (Zeugnis) erhöht den Vergleichsmehrwert ebenfalls nicht.

aa) Stand eine betriebsbedingte Kündigung im Streit, bedarf es zur Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts für eine Zeugnisregelung regelmäßig näherer Angaben, aus denen ein im Zeitpunkt des Vergleichs bestehender Streit bzw. eine Ungewissheit über den Zeugnisanspruch geschlossen werden kann (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 22. Mai 2018 - 26 Ta (Kost) 6036/18; 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 4).

bb) Hier sind keine Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass unter den Parteien Streit oder auch nur Unsicherheiten über den Inhalt des Zeugnisses bestand. Allein der Hinweis der Beschwerdeführer auf die Beweislastregelungen in Zeugnisstreitigkeiten rechtfertigt es bei der Zugrundelegung der unter 1) dargelegten Gesichtspunkte nicht, auf das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Vergleichsmehrwert zu schließen.

c) Entgegen der Annahme der Beschwerdeführer ist auch die Regelung unter Nr. 4 des Vergleichs eher nicht geeignet, einen Vergleichsmehrwert auszulösen. Danach sollte ausdrücklich lediglich eine Klarstellung erfolgen. Das ist aber gerade nach den unter 1) dargelegten Grundsätzen nicht ausreichend, um von den Voraussetzungen für einen Vergleichsmehrwert ausgehen zu können. Besonders deutlich wird das im dritten Absatz der Nr. 4 des Vergleichs, wonach ("soweit noch nicht geschehen") uU. die Auszahlung der Anwartschaft bereits erfolgt war, sodass die Parteien bei Abschluss des Vergleichs nicht einmal sicher von einem Regelungsbedarf ausgegangen sind. Jedenfalls ergibt sich daraus aber, dass seitens des Insolvenzverwalters insoweit keine Widerstände zu erwarten gewesen wären. Anderes tragen die Prozessbevollmächtigten des Klägers allerdings auch nicht vor. In diesem Fall handelt es sich um einfache Abwicklungsregelungen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 21. Januar 2020 - 26 Ta (Kost) 6110/19, zu II 2 der Gründe).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Eine Gebühr ist angefallen.

IV.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

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