LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.07.2020 - 26 Ta (Kost) 6045/20
Fundstelle
openJur 2020, 46458
  • Rkr:

1. Stand eine betriebsbedingte Kündigung im Streit oder fehlen Angaben über die Kündigungsgründe, bedarf es zur Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts für eine Zeugnisregelung regelmäßig näherer Angaben, aus denen ein im Zeitpunkt des Vergleichs bestehender Streit bzw. eine Ungewissheit über den Zeugnisanspruch geschlossen werden kann (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 22. Mai 2018 - 26 Ta (Kost) 6036/18; 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 4).

2. Streit bzw. Ungewissheit können aus einem vorgerichtlichen Streit über die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte resultieren. Hier kamen konkrete Vereinbarungen zum Zeugnisinhalt mit der Festlegung von Noten hinzu. Außerdem enthält die Vereinbarung die Angabe eines Kündigungsgrundes (betriebsbedingte Kündigung) im Zeugnis.

Tenor

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. Juni 2020 - 36 Ca 1279/20 - abgeändert und ein Vergleichsmehrwert in Höhe von 11.176,98 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägervertreterinnen machen mit der Beschwerde die Festsetzung eines höheren Vergleichsmehrwerts geltend. Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Kündigung. Der Kläger war bei der Beklagten zu einem Bruttoeinkommen in Höhe von 5.588,49 € beschäftigt. Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 8. August 2019 ab. Hiergegen wandte er sich mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 9. Dezember 2019. Mit Schreiben vom 27. Januar 2020 kündigte die Beklagte dem Kläger.

Am 18. März 2020 hat das Arbeitsgericht einen Vergleich festgestellt, in dem sich die Parteien auf eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung zum 31. Juli 2020 einigten.

Darin heißt es unter Nr. 5:

"Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger unter dem Datum der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein wohlwollendes qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen. Dabei ist das Zeugnis so auszugestalten, dass es eine gute Leitungs- und sehr gute Verhaltensbeurteilung sowie eine der Leistungsbeurteilung entsprechende Bedauerns-, Dankes- und Zukunftswunschformel enthält. Als Beendigungsgrund werden betriebsbedingte Gründe im Sinne eines Wegfalls des Arbeitsplatzes aufgrund betrieblicher Umstrukturierungen gem. Ziff. 1 angegeben. Das Zeugnis ist dem Kläger ....

Die in der Abmahnung vom 8. August 2019 erhobenen Vorwürfe werden nicht aufrechterhalten. Die Beklagte wird hieraus keine Rechte mehr geltend machen.

Die Parteien erklären, dass sie gegenüber Dritten keine negativen Äußerungen über die jeweils andere Partei tätigen werden."

Bei der Festsetzung des Gegenstandswertes hat das Arbeitsgericht den Ansatz eines Vergleichsmehrwerts abgelehnt. Wegen der Einigungen über das Zeugnis und die Abmahnung könne eine Berücksichtigung nicht erfolgen, weil insoweit kein Streit und auch keine Ungewissheit beseitigt worden seien.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben gegen den ihnen am 9. Juni 2020 zugestellten Beschluss mit einem am 22. Juni 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Zur Begründung berufen sie sich auf einen vorgerichtlichen Schriftverkehr (Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 9. Dezember 2019), mit dem bereits die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte des Klägers geltend gemacht worden ist.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 23. Juni 2020 nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Regelungen unter Nr. 5 des Vergleichs haben einen Vergleichsmehrwert in dem im Tenor festgesetzten Umfang bewirkt.

1) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber - und nicht worauf - die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde. Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 2).

Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist danach nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um dann im Wege des Nachgebens einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 3).

2) Bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte liegen die Voraussetzungen für den Ansatz eines Vergleichsmehrwerts im Hinblick auf Nr. 5 des Vergleichs (Zeugnis/Abmahnung) vor. Die Regelung unter Nr. 5 des Vergleichs erhöht den Vergleichsmehrwert um zwei Bruttoeinkommen.

a) Streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung, kann regelmäßig ohne nähere Begründung davon ausgegangen werden, dass auch das Führungs- und Leistungsverhalten des Arbeitnehmers streitig war; wird der Kündigungsrechtsstreit durch Abschluss eines Vergleichs beigelegt und dort eine Zeugnisregelung getroffen, führt dies deshalb ohne weiteres zur Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts. Gleiches gilt bei einer personenbedingten Kündigung, wenn die Kündigungsgründe einen Bezug zu dem Führungs- und Leistungsverhalten aufweisen. Stand eine betriebsbedingte Kündigung im Streit oder fehlen Angaben über die Kündigungsgründe, bedarf es zur Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts für eine Zeugnisregelung regelmäßig näherer Angaben, aus denen ein im Zeitpunkt des Vergleichs bestehender Streit bzw. eine Ungewissheit über den Zeugnisanspruch geschlossen werden kann (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 22. Mai 2018 - 26 Ta (Kost) 6036/18; 8. März 2017 - 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 4).

b) Zu den Kündigungsgründen ergeben sich hier keine Anhaltspunkte aus der Akte. Im Rahmen des Vergleichs haben die Parteien sich darauf geeinigt, dass es sich um eine Kündigung aus dringenden betrieblichen Gründen handeln sollte. Hier sind aber entsprechende nähere Angaben, aus denen ein im Zeitpunkt des Vergleichs bestehender Streit bzw. eine Ungewissheit über den Zeugnisanspruch bestand, vorgetragen (vgl. zu einer solchen Konstellation auch LAG Berlin-Brandenburg 16. Juli 2019 - 26 Ta (Kost) 6040/19). Die Beklagte hatte dem Kläger unter dem 8. August 2019 eine Abmahnung ausgesprochen. Dies und der daraus resultierende vorgerichtliche Streit über die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte stellen besondere Gesichtspunkte dar, die einen Schluss auf einen Streit über das Führungs- und Leistungsverhalten zulassen und daher einen Vergleichsmehrwert in Bezug auf die Zeugnisregelung rechtfertigen. Die Parteien haben zudem konkrete Vereinbarungen zum Zeugnisinhalt mit Festlegung von Noten getroffen. Außerdem enthält die Vereinbarung die Angabe des Kündigungsgrundes (betriebsbedingte Kündigung) im Zeugnis.

c) Vor dem Hintergrund des außergerichtlichen Streits über die Abmahnung vom 8. August 2019 enthält auch die Reglung unter Nr. 5 Abs. 2 des Vergleichs eine bei der Bestimmung des Vergleichsmehrwerts berücksichtigungsfähige Regelung. Die Vereinbarung, verbunden mit dem Verbot, aus der Abmahnung noch Rechte geltend zu machen, hatte auch durchaus noch einen Sinn, da das Arbeitsverhältnis erst mehr als vier Monate nach Abschluss des Vergleichs enden sollte. Es handelte sich erkennbar nicht um eine einfache Abwicklungsregelung.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Eine Gebühr ist nicht angefallen.

IV.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

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