Bayerischer VGH, Beschluss vom 25.02.2019 - 13a ZB 18.32487
Fundstelle
openJur 2020, 52288
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 22. August 2018 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.

Der Kläger hat seinen Zulassungsantrag damit begründet, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). So sei grundsätzlich zu klären "die fallübergreifende Tatsachen- und Rechtsfrage, ob nicht aufgrund der nachstehend aufgeführten Erkenntnisse die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan im Sinne einer qualitativen Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich der Zuerkennung eines subsidiären Schutzes oder zumindest eines Abschiebungsverbotes neu zu bewerten ist." Der Zulassungsgrund werde gestützt auf aktuellste Erkenntnisse aus 2017 und 2018, die eine Neubewertung der Rückkehrgefährdung im Sinne der Zuerkennung eines subsidiären Schutzes mangels inländischer Fluchtalternative oder zumindest eines Abschiebungsverbots rechtfertigten (Berichte von Amnesty International aus 2017, Reisewarnungen des Auswärtigen Amts aus 2017, Lageberichte von UNAMA aus 2017, Berichte des UN-Generalsekretärs aus 2016 und 2017, Aufsatz von Friederike Stahlmann, ZAR 2017, 189 ff., VG Wiesbaden, B.v. 14.3.2017 - 7 K 1757/16.WE.A, VGH BW, B.v. 3.5.2017 - A 11 S 941/17, B.v. 6.2.2017 - A 11 S 164/17, Zwischenbericht des Auswärtigen Amts - Stand Juli 2017, UNOCHA aus Dezember 2017, Bundeswehr Jahresbericht 2017, BBC-Recherche aus Januar 2018, Stellungnahme von Amnesty International v. 8.1.2018 an das VG Leipzig, EASO-Bericht vom Dezember 2017, Urteil des französischen Asylgerichtshofs v. 9.3.2018, Gutachten von Friederike Stahlmann v. 28.3.2018 an das VG Wiesbaden, VG Regensburg, U.v. 7.3.2018, Lagebericht des Auswärtigen Amts v. 31.5.2018, VG Kassel, U.v. 8.6.2018 - 3 K 406/16.KS.A, UNHCR-Richtlinien v. 7.9.2018, BVerfG, B.v. 25.4.2018 - 2 BvR 2435/17, FAZ v. 6.10.2018). Demnach ergebe sich für die afghanische Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt eine qualitative Gefahrenverdichtung. Die quantitative Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts genüge nicht, um eine Gefahrenverdichtung auszuschließen. Entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts sei die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan als so ernsthaft einzustufen, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden müsse. Laut dem Zwischenbericht der Deutschen Botschaft Kabul zur Sicherheitslage in Afghanistan (Stand Juli 2017) bestehe die Bedrohungslage für afghanische Zivilisten unvermindert fort. Zwar habe sich die Bedrohungslage für Zivilisten "seit Ende der ISAF-Mission nicht wesentlich verändert". Zu beachten sei jedoch, dass sich die Lage im letzten Jahr der ISAF-Mission bereits rasant verschlechtert habe. UNAMA selbst weise zudem darauf hin, dass den Statistiken ziviler Opfer eine Dunkelziffer zugrunde liege. Der Bericht des Internationalen Sekretariats London (Amnesty International) stützte sich auf eigene Recherchen vor Ort und auf UN-Zahlenmaterial für den Zeitraum Januar bis September 2017; demnach habe sich der innerstaatliche Konflikt sowohl in der Fläche als auch in der Intensität weiter verschärft. Laut UNAMA-Halbjahresbericht 2017 durchdringe der interne bewaffnete Konflikt inzwischen "alle vorstellbaren Alltagssituationen" der Menschen in Afghanistan; Zivilpersonen würden überall getötet. Gemäß FAZ vom 29. Januar 2018 habe sich die Anschlagsserie 2018 unvermindert fortgesetzt, die afghanischen Behörden hätten Sicherheitswarnungen für Ausländer herausgegeben. Laut einer am 31. Januar 2018 veröffentlichten BBC-Recherche (Stand November 2017) bedrohten die Taliban rund 70 v.H. des Landes. Gemäß dem Jahresbericht 2017 der Bundeswehr und dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes habe sich die Sicherheitslage in ganz Afghanistan verschlechtert. Die Taliban kontrollierten drei Bezirke der Grenzprovinz Badachschan (FAZ v. 5.5.2018), laut Bericht des Generalinspekteurs des US-Senats (Stand Mai 2018) befänden sich 14,5 v.H. aller Bezirke unter voller Taliban-Kontrolle. Welche Bedrohung die Einnahme von Distriktzentren und Provinzhauptstädten durch die Taliban für Zivilpersonen darstelle, beschreibe Amnesty International Berlin in seiner Stellungnahme vom 8. Januar 2018 an das Verwaltungsgericht Leipzig. Hinsichtlich der Versorgungslage stütze sich Amnesty International auf IOM-Berichte, wonach gerade die Situation von Rückkehrern und Binnenflüchtlingen unzureichend sei. Die Möglichkeit für einen jungen, gesunden Mann, in den größeren Städten Afghanistans ohne Unterstützungsnetzwerk sein Existenzminimum zu gewährleisten, werde durch Amnesty International aufgrund der Sicherheits- und Versorgungslage detailliert verneint (so auch VG Kassel, U.v. 8.6.2018 - 3 K 406/16.KS.A). Dementsprechend komme Amnesty International zu dem Ergebnis, dass Rückführungen nach Afghanistan gegen das Zurückweisungsverbot nach Art. 33 GFK verstießen. Der frühere afghanische Präsident habe an die Bundesrepublik Deutschland appelliert, bei Abschiebungen mehr Milde walten zu lassen. Ein UNOCHA-Bericht (Stand Dezember 2017) dokumentiere eine weitere Verschlechterung der Versorgungslage in Afghanistan. Eine weitere Verschlechterung der Versorgungs- und Sicherheitslage werde schließlich auch festgestellt im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018. Laut FAZ vom 6. Oktober 2018 sei das Jahr 2018 besonders blutig, jeden Tag würden im Schnitt 54 Menschen sterben. Letztlich müssten die neuen UNHCR-Richtlinien vom September 2018, denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 12.3.2008 - 2 BvR 378/05) besondere Bedeutung zukomme, zwingend zu einem Abschiebestopp nach Kabul führen; denn Kabul sei durch den UNHCR nunmehr ausdrücklich als Fluchtalternative ausgeschlossen worden. So habe etwa Finnland unmittelbar nach Veröffentlichung der UNHCR-Richtlinien sämtliche Abschiebungen nach Afghanistan eingestellt. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, B.v. 25.4.2018 - 2 BvR 2435/17) habe sich für eine örtlich und zeitlich differenzierte Gefährdungsbeurteilung anhand tagesaktueller Erkenntnismittel ausgesprochen; dies müsse bei Afghanistan mangels sicherer interner Schutzzonen zwingend zu einem landesweiten Abschiebungsstopp führen.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2013 - 13a ZB 12.30470 - juris Rn. 4 m.w.N.).

Hiervon ausgehend hat die vorliegende Rechtssache selbst dann keine grundsätzliche Bedeutung, wenn man (auch) die Ausführungen aus dem klägerischen Schriftsatz vom 8. Oktober 2018 berücksichtigt, die erst nach Ablauf der Antrags- und Darlegungsfrist aus § 78 Abs. 4 Satz 1 und 4 AsylG erfolgt sind.

Die Frage des Klägers, "ob nicht aufgrund der (...) aufgeführten Erkenntnisse die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan im Sinne einer qualitativen Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich der Zuerkennung eines subsidiären Schutzes oder zumindest eines Abschiebungsverbotes neu zu bewerten" sei, ist jedenfalls nicht klärungsbedürftig. Es ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31918 - juris in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung; vgl. auch BayVGH, B.v. 21.12.2018 - 13a ZB 17.31203 - juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 20.2.2018 - 13a ZB 17.31970 - juris Rn. 6 m.w.N.).

Der Zulassungsantrag gibt insoweit keinen Anlass zu einer erneuten Überprüfung. Er genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, soweit lediglich auf diverse Erkenntnismittel und sonstige Unterlagen verwiesen wird, ohne konkret aufzuzeigen, welche in diesen enthaltenen Angaben im Einzelnen von welchen Annahmen im Urteil des Verwaltungsgerichts abweichen sollen. Ebenso wenig genügt der Verweis auf Erkenntnismittel und sonstige Unterlagen, ohne dass konkret dargelegt wird, inwieweit welche darin enthaltenen Angaben zu einer Neubewertung der Gefahrendichte nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führen sollen (u.a. auch quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos, vgl. dazu BVerwG, U.v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487; U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454). Soweit der Kläger auf diverse Berichte zur Situation in Afghanistan aus 2017 und 2018 Bezug nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof im oben genannten Urteil vom 8. November 2018 (13a B 17.31918 - juris) explizit mit den neuesten Erkenntnismitteln - wie etwa dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018, den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018, dem UNAMA-Bericht vom 10. Oktober 2018 und dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 12. September 2018 - auseinandergesetzt und diese bei seiner Bewertung berücksichtigt hat. Auch aus dem UNAMA-Bericht vom 24. Februar 2019 ergibt sich insoweit kein erneuter Überprüfungsbedarf; denn die hier ausgewiesenen zivilen Opferzahlen für das Jahr 2018 bewegen sich auf einem mit den Vorjahren vergleichbaren Niveau, das auch dem genannten Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. November 2018 (13a B 17.31918 - juris Rn. 24) zugrunde lag (konfliktbedingtes Schädigungsrisiko für Afghanistan insgesamt von 1:2456 bei 10.993 zivilen Opfern und einer Einwohnerzahl von 27 Mio. Menschen). Die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entspricht überdies der aktuellen Rechtsprechung des klägerseitig in Bezug genommenen Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris).

Soweit der Kläger mit seinem Vorbringen (auch) auf das Fehlen inländischer Fluchtalternativen in Afghanistan nach (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m.) § 3e AsylG abzielen sollte, kann dem bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zukommen, weil die Frage des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. Ihre Beantwortung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Klägers ab, vgl. § 3e Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU (vgl. BVerwG, B.v. 21.9.2016 - 6 B 14.16 - juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 5.7.2018 - 15 ZB 18.31513 - juris Rn. 8; B.v. 3.11.2017 - 13a ZB 17.31228 - juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 29.9.2018 - 13 A 3333/18.A - juris Rn. 8-13; B.v. 20.6.2017 - 13 A 903/17.A - juris Rn. 16-19).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.