VG Magdeburg, Urteil vom 28.01.2020 - 15 A 5/19
Fundstelle
openJur 2020, 46231
  • Rkr:

1. Zu den Voraussetzungen der Aberkennung des Ruhegehaltes für einen Ruhestandsbeamten, wenn zu angeordneten ärztlichen Untersuchungen nicht erscheint und es unterlässt, zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit, an geeigneten und zumutbaren Rehabilitierungsmaßnahmen teilzunehmen.

2. Eine Ausdehnung der Ermittlungen kann auch erst im Ermittlungsbericht erfolgen, wenn dieser von dem Dienstvorgesetzten ausdrücklich durch seine Unterschrift gebilligt und dem Beamten vor der Erhebung der Disziplinarklage übersandt wird.

Tatbestand

Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den beklagten Ruhestandsbeamten mit dem Ziel, ihm das Ruhegehalt abzuerkennen.

Der 1965 geborene Ruhestandsbeamte besuchte von 1973 bis 1985 die Schule, die er mit der Hochschulreife beendete. Vor seinem Eintritt in die Zollverwaltung der ehemaligen DDR, arbeitete er vom 02.09.1985 bis zum 31.10.1985 als Betriebshelfer in einer Schuhfabrik. Zum 12.09.1988 stellte in die Zollverwaltung der ehemaligen DDR als Kontrolleur ein. Zum 03.10.1990 übernahm ihn die Bundesrepublik in die Bundeszollverwaltung, wo er bei verschiedenen Dienststellen diverse Funktionen wahrnahm. Zuletzt war er beim Hauptzollamt Dresden und beim Zollamt Flughafen Leipzig als Mitarbeiter im Warenverkehr eingesetzt. Zuletzt wurde er am 09.08.1996 (zum Zollobersekretär) befördert.

In der letzten dienstlichen Beurteilung aus dem Jahr 2005 erhielt der Beamte in der Gesamtnote die Bewertung "entspricht den Anforderungen".

Der Beklagte ist seit dem 26.07.2005 geschieden und hat eine am 05.11.1989 geborene Stieftochter.

Im Jahr 2004 war der Beklagte an 99 Kalendertagen und seit dem 25.01.2005 ununterbrochen dienstunfähig erkrankt. In seinem Gutachten vom 25.06.2005 kam der Amtsarzt zu dem Ergebnis, der Beklagte sei wegen einer psychischen Störung mit Krankheitswert dienstunfähig. Zur Herstellung der vollen Dienstfähigkeit sei eine dreimonatige tagesklinische Behandlung notwendig.

Mit Bescheid vom 07.06.2006 versetzte die Oberfinanzdirektion Chemnitz den Beklagten wegen Dienstunfähigkeit mit Wirkung zum 30.06.2006 in den vorzeitigen Ruhestand. Der Beklagte erhielt zum 01.03.2017 ein monatliches Ruhegehalt (brutto) in Höhe von 1.617,83 Euro.

Unter dem 26.05.2015 forderte das Hauptzollamt Dresden den Beklagten auf, sich einer amtsärztlichen Nachuntersuchung zu unterziehen. Diese Aufforderung wurde dem Beklagten unter der Anschrift seiner Lebensgefährtin am 05.06.2015 zugestellt. Den am 13.07.2015 um 11.00 Uhr beim Gesundheitsamt anberaumten Termin hat der Beklagte ohne Angaben von Gründen nicht wahrgenommen. Das Hauptzollamt Dresden forderte den Beklagten unter dem 15.09.2015, zugestellt am 18.09.2015, erneut auf, sich einer amtsärztlichen Nachuntersuchung unterziehen zu lassen. Den vom Gesundheitsamt vergebenen Terminen am 09.10.2015, 11.00 Uhr und am 23.10.2015, 9.00 Uhr ist der Beklagte erneut ohne Angabe von Gründen ferngeblieben.

Das Hauptzollamt ging deshalb von der Dienstfähigkeit des Beklagten aus und forderte ihn mit Schreiben vom 17.11.2015, zugestellt am 19.11.2015, auf, zum 01.12.2015 seinen Dienst wieder anzutreten. Weil der Beklagte nicht zum Dienstantritt erschienen ist, stellte die Klägerin mit Bescheid vom 11.05.2016 den Verlust der Versorgungsbezüge des Beklagten fest und stellte ihre Zahlung mit Ablauf des Monats Mai 2016 ein.

Bereits mit Schreiben vom 10.08.2015 leitete die Klägerin gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren ein, weil er seine Pflicht verletzt habe, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen. Mit Schreiben vom 05.09.2016 dehnte die Klägerin das Disziplinarverfahren gegen den Beklagten auf den unterlassenden Dienstantritt aus.

Am 02.11. und 03.11.2016 nahm der Beklagte erstmals Kontakt mit der Ermittlungsführerin auf und vereinbarte einen Anhörungstermin, in dem er sich mit der Begutachtung seiner Dienstfähigkeit einverstanden erklärte. Der Beklagte unterzog sich am 09.03.2017 der Begutachtung durch die Amtsärztin. Die Amtsärztin kam in ihrem Gutachten vom 17.07.2017 zu dem Ergebnis, dass der Beklagte wegen eines Alkoholmissbrauchs-/Abhängigkeitssyndroms mit depressiver Symptomatik nicht dienstfähig sei und für ihn sich eine stationäre fachärztliche Langzeitbehandlung empfehle. In einem weiteren Gutachten vom gleichen Tage kam die Amtsärztin zu dem Ergebnis, dass die Schuldfähigkeit des Beklagten nicht generell und über Jahre hinweg eingeschränkt sei. Das Gutachten zur Dienstfähigkeit hat die Klägerin mit Schreiben vom 20.07.2017 dem Beklagten übersandt. Mit Anschreiben vom 13.09.2017 erinnerte die Klägerin den Beklagten an sein Versprechen zur aktiven Mitwirkung und fragte nach, welche Schritte er bisher übernommen habe, um die von der Amtsärztin als notwendig erachtete Behandlung durchzuführen. Trotz Beifügung eines frankierten Rückumschlages und der Terminsetzung zum 04.10.2017 hat der Beklagte auf das Anschreiben nicht reagiert. Unter dem 27.12.2017 mahnte die Klägerin nochmals die Beantwortung des Schreibens vom 13.09.2017 an und setzte dem Beklagten hierfür eine weitere Frist bis zum 05.01.2018. Auch hierauf hat der Beklagte nicht geantwortet.

Unter dem 13.02.2018, dem Beklagten unter der Adresse seiner Lebensgefährtin zugestellt am 14.02.2018, übersandte die Klägerin den Ermittlungsbericht vom 22.01.2018. In dem Bericht wird dem Beklagten neben dem Nichterscheinen zu den Terminen zur Untersuchung seiner Dienstfähigkeit auch die unterlassene Therapie seiner Erkrankung vorgeworfen. Der Präsident der A. hat den Ermittlungsbericht vom 22.01.2018 gebilligt

Mit der Disziplinarklage vom 21.02.2019 (Eingang am 07.03.2019) wird der Ruhestandsbeamte angeschuldigt, rechtswidrig und schuldhaft seine Pflichten, sich nach Weisung der zuständigen Behörde ärztlich untersuchen zu lassen (§ 46 Abs. 7 Satz 1 BBG) und zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit an geeigneten und zumutbaren, gesundheitlichen und beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen teilzunehmen (§ 46 Abs. 4 Satz 1 BBG), verletzt und damit ein schwerwiegendes einheitlich zu bewertendes Dienstvergehen begangen zu haben. Das Verhalten des Beklagten habe erhebliches disziplinarisches Gewicht und erfordere die Aberkennung des Ruhegehaltes. Der Beklagte habe schuldhaft gehandelt. Schuldausschließungsgründe lägen nicht vor. Das Gutachten der Amtsärztin vom 17.07.2017 komme zu dem Ergebnis, eine zeitweise Einschränkung der Steuerungsfähigkeit sei durchaus möglich, eine generelle Einschränkung der Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit lasse sich daraus aber nicht ableiten. Bei der schuldhaften Verletzung der Pflicht eines Ruhestandsbeamten, sich untersuchen zu lassen, handele sich, um ein schweres Dienstvergehen. Erschwerend komme hinzu, dass sich der Beklagte hartnäckig jeglichen Kontaktversuchen der Klägerin entzogen habe. Er habe nur dann Kontakt aufgenommen, wenn die Versorgungsbezüge eingestellt wurden. Auch handele es sich nicht um eine einmalige Verfehlung des Beklagten. Die Klägerin hat ihn wiederholt und eindringlich auf die Erforderlichkeit einer Therapie hingewiesen. Den Beklagten habe man nicht reaktivieren können, weil er seine Krankheit nicht hatte behandeln lassen, obwohl Aussicht auf Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit bestanden habe. Für den Beklagten bestünde keine günstige Zukunftsprognose und sein Verhalten habe über die Jahre zu einem endgültigen Vertrauensverlust geführt. Die psychische Alkoholerkrankung des Beklagten und seine fehlende straf- und disziplinarrechtliche Vorbelastung seien zwar mildernd zu berücksichtigen. Die psychische Erkrankung wiege im Verhältnis zu den wiederholten Pflichtverletzungen über einen langen Zeitraum aber nicht so schwer, dass sie als Milderungsgrund die Höchstmaßnahme zu verhindern vermöge. Das Vertrauensverhältnis sei endgültig zerstört.

Die Klägerin beantragt,

dem Beamten das Ruhegehalt abzuerkennen.

Der Beklagte hat sich zur Disziplinarklage nicht geäußert und keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Gründe

Trotz Abwesenheit des Beklagten in der mündlichen Verhandlung konnte in der Sache verhandelt und entschieden werden. Denn er wurde in der Ladung darauf hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO). Der Beklagte ist auch ordnungsgemäß unter der dem Gericht zuletzt bekannten Anschrift geladen worden.

Die zulässige Disziplinarklage ist begründet.

1. Das behördliche Disziplinarverfahren leidet an keinem wesentlichen Mangel im Sinne des § 55 BDG. Zwar hat der Dienstvorgesetzte des Beklagten nicht in einem gesonderten Vermerk das Disziplinarverfahren auch auf die unterlassene Therapie der Erkrankung des Beklagten gemäß § 19 BDG ausgedehnt und ihn hierüber gesondert informiert. Dieser Verstoß führte jedoch zu keinem wesentlichen Mangel des Verfahrens; denn er wirkt sich nicht aus.

Der Begriff des wesentlichen Mangels im Sinne von § 55 BDG (gleichlautend mit den länderrechtlichen Vorschriften; vgl. § 52 DG LSA) erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die in behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (BVerwG; Urt. v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; beide juris). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußeren Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung betreffen und sich auf das behördliche Ergebnis, d. h. die Entscheidung für die Erhebung der Disziplinarklage ausgewirkt haben können (BVerwG, Urt. v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschluss vom 18.11.2008, 2 B 63/08; vgl. auch zuletzt: BVerwG, Urt. v. 28.02.2013, 2 C 3.12; VG Magdeburg, Urt. v. 06.11.2013, 8 A 9/12 MD; VG Magdeburg, Urteil v. 15.04.2014, 8 A 2/13; VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08; alle juris). Maßgebend ist nicht der Zweck der verletzten Bestimmung des Disziplinarverfahrensrechts, sondern die Bedeutung des konkreten Verstoßes für den Fortgang des behördlichen Disziplinarverfahrens (vgl. BVerwG, B. v. 18.03.2013 - 2 B 113.12; U. v. 24.06.2010 - 2 C 15.09; alle juris).

Hiervon ausgehend kann vorliegend nicht von einem wesentlichen Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ausgegangen werden. Durch die Ausdehnung des Disziplinarverfahrens und die Pflicht, diese aktenkundig zu machen, wird für das weitere Disziplinarverfahren dokumentiert, dass und welche neuen Handlungen wann in das Disziplinarverfahren einbezogen werden. Dabei handelt es sich nicht nur um einen deklaratorischen, sondern um einen konstitutiven Akt, der den einzigen nach außen nachprüfbaren Akt darstellt, an dem auch im Nachhinein der Zeitpunkt der Einleitung nachvollziehbar ist (Gansen, DiszR, § 17 BDG Rz. 22). Dem Beamten ist die Ausdehnung entsprechend § 20 Abs. 1 Satz 2 BDG mitzuteilen (Hummel/Baunack in: Hummel/Köhler/Meyer/Baunack, BDG, 6. Aufl. 2016, § 19, Rdnr. 2 a. E.). Dieser Zeitpunkt eröffnet die dem Beamten im BDG vorgesehenen Verfahrensrechte und setzt den Fristenlauf in Gang (VG Wiesbaden, Urteil v. 05.06.2013, 28 K 296/12.WI.D; juris). Der hierdurch bezweckte Schutz des Beamten, der sich zu neu erhobenen Tatvorwürfen äußern können soll, ist vorliegend jedoch gewahrt worden.

Die Klägerin hat im Rahmen der abschließenden Anhörung zum Ermittlungsbericht vom 22.01.2018 den Beamten über den neuen Vorwurf, er habe es unterlassen, sich der Behandlung seiner Erkrankung zu unterziehen, in Kenntnis gesetzt. Den Ermittlungsbericht vom 22.01.2018 hat der Dienstvorgesetzte des Beklagten durch seine Unterschrift genehmigt. Hierdurch hat die Klägerin hinreichend dokumentiert, dass das Disziplinarverfahren auch auf diesen Tatvorwurf ausgedehnt werden sollte und dem Kläger Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern. Die Klägerin hat den Beklagten mithin in die Lage versetzt, seine Verteidigung darauf einzustellen und seine Verfahrensrechte auszuüben (vgl. VG Ansbach, U. v. 21.03.2019 - AN 13b d 18.00616 -, juris, Rdnr. 240 ff.). Von einer willkürlichen Ausdehnung und Bestimmung des Gegenstandes des Disziplinarverfahrens kann nicht ausgegangen werden (vgl. dazu: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08; juris). Der erweiterte Vorwurf wurde somit nicht erstmalig in der Disziplinarklageschrift dem Beamten gegenüber erhoben und formuliert. Es bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger bei einem Erlass einer förmlichen Ausdehnungsverfügung anders verteidigt und so den Umfang der Disziplinarklage der Klägerin, mithin das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens, beeinflusst hätte (vgl. VG Ansbach, U. v. 21.03.2019 - a. a. O., Rdnr. 244)

2. Der Ruhestandsbeamte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 46 Abs. 7 Satz 1 BBG und § 46 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 77 Abs. 2 Nr. 4 BBG begangen, das die Aberkennung seines Ruhegehaltes rechtfertigt (§ 12 BDG).

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass die dem Ruhestandsbeamten in der Disziplinarklage vorgehaltenen Pflichtenverstöße zutreffen und er damit ein schwerwiegendes, als einheitlich zu bewertendes, Dienstvergehen begangen hat.

2.1. Nach § 77 Abs. 2 Nr. 4 BBG gilt es bei Ruhestandsbeamten als Dienstvergehen, wenn sie ihre Verpflichtungen nach § 46 Abs. 7 Satz 1 BBG verletzen. Danach kann die Dienstfähigkeit des Ruhestandsbeamten untersucht werden. Der Ruhestandsbeamte ist dabei verpflichtet, sich nach Weisung der zuständigen Behörde ärztlich untersuchen zu lassen. Demnach war der Beklagte zur Mitwirkung bei der Überprüfung seiner Dienstfähigkeit verpflichtet, da er seinen Teil dazu beitragen muss, seinem Dienstvorgesetzten die Überprüfung der Dienstfähigkeit/Dienstunfähigkeit zu ermöglichen. Dagegen hat der Beklagte ohne Angabe von Gründen verstoßen.

Unstreitig ist der Beklagte den dienstlichen Weisungen in den Schreiben vom 26.05.2015 und vom 15.09.2015, sich am 13.07.2015, 09.10.2015 und am 23.10.2015 beim Gesundheitsamt ärztlich untersuchen zu lassen und die dazu erforderlichen Unterlagen ausgefüllt vorzulegen, nicht nachgekommen und hat auch keine Hinderungsgründe vorgetragen.

Zwar ist der Beklagte letztendlich im Jahr 2017 der Aufforderung zur ärztlichen Untersuchung nachgekommen. Zu diesem Zeitpunkt war das Dienstvergehen aber bereits vollendet. Denn mit dem Ablauf der dem Beamten gesetzten Untersuchungstermine hat der Beamte durch sein Nichterscheinen den disziplinarrechtlichen Tatbestand nach § 46 Abs. 7 BBG erfüllt und den Pflichtenverstoß begangen.

Das Dienstvergehen wiegt schwer. Denn der Beamte reagierte jahrelang nicht auf die versuchten Kontaktaufnahmen durch den Dienstherrn und lies mehrere Termine zur Untersuchung seiner Dienstfähigkeit ohne Angabe von Gründen verstreichen.

Der Ruhestandsbeamte ist von der Klägerin mehrfach und unmissverständlich mit Belehrung über seine Dienstpflicht zur Mitwirkung bei der Feststellung seines Gesundheitszustandes und die Folgen seiner Weigerung sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, aufgefordert worden. Damit hat der Beamte gegen eine Kernpflicht verstoßen, welche darüber hinaus als leicht einsehbare Pflicht gilt. Denn es ist ohne größeres Nachdenken oder erforderlicher Rechtskenntnisse nachvollziehbar, dass der Dienstherr bei unklarer gesundheitlicher Lage des Beamten ein Interesse daran hat, die Dienstfähigkeit/Dienstunfähigkeit des Beamten festzustellen.

2.2. Bei Ruhestandsbeamten gilt es gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 4 BBG auch als Dienstvergehen, wenn sie ihrer Verpflichtung nach § 46 Abs. 4 Satz 1 BBG nicht nachkommen, zur Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit an geeigneten und zumutbaren gesundheitlichen und beruflichen Rehabilitierungsmaßnahmen teilzunehmen. Hiernach sind auch Ruhestandsbeamte nach Eintritt einer Alkoholabhängigkeit mit Auswirkungen auf ihre dienstliche Leistungsfähigkeit verpflichtet, alles ihnen Mögliche und Zumutbare zu unternehmen, damit die volle Dienstfähigkeit wiederhergestellt wird. Die Pflicht setzt ein, sobald der Ruhestandsbeamte über die gesundheitlichen dienstlichen Risiken informiert ist. Falls es dem Beamten nicht gelingt, durch konsequentes Handeln aus eigener Kraft von der Alkoholabhängigkeit loszukommen, muss er einer aus ärztlicher Sicht vom Dienstherrn empfohlenen Therapie - einschließlich einer Entziehungskur - nachkommen (vgl. BayVGH, U. v. 25.10.2017 - 16a D 15.1110 -, juris, Rdnr. 41; VG München, B. v. 29.08.2019 - M 5 e 19.2937 -, juris, Rdnr. 16).

Dem Beklagten war es zumutbar, sich einer fachärztlichen stationären Langzeitbehandlung zu unterziehen. Die Amtsärztin hat dem Beklagten in ihrem Gutachten zur Feststellung seiner Dienstfähigkeit vom 17.07.2017 ausdrücklich eine solche Maßnahme empfohlen. Die Klägerin hat dem Beklagten das Gutachten vom 17.07.2017 unter dem 20.07.2017 übersandt und mit Schreiben 13.09.2017 um Mitteilung bis zum 04.10.2017 gebeten, welche Schritte er unternommen habe, um die von der Amtsärztin als notwendig erachtete fachärztliche Langzeitbehandlung durchzuführen. Hierauf hatte der Beklagte nicht reagiert. Unter dem 27.12.2017 erinnerte die Klägerin nochmals an die Beantwortung des Schreibens vom 13.09.2017 und bat um Information zum Sachstand bis zum 05.01.2018. Dem Beklagten ist eine fachärztliche stationäre Langzeitbehandlung zumutbar. Denn es ist nicht erkennbar, dass eine solche Behandlung mit gesundheitlichen Risiken verbunden wäre. Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte dafür, dass dem Beklagte nicht möglich ist, sich der von der Amtsärztin empfohlenen Therapie zu unterziehen.

2.3. Schuldausschließungs- oder Schuldmilderungsgründe nach den §§ 20, 21 StGB liegen beim Beklagten nicht vor. Zur Beurteilung, ob bei dem Beklagten eine psychische Störung vorliegt, welche seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit aufhebt oder herabsetzt, hat die Klägerin eine Begutachtung durch die Amtsärztin durchführen lassen. In ihrem Gutachten vom 17.07.2017 kam die Amtsärztin zu dem Ergebnis, dass bei dem Beklagten eine psychiatrische Erkrankung, ein Alkoholmissbrauchs-/Abhängigkeitssyndrom mit depressiver Symptomatik vorliege. Eine Störung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit liege jedoch nicht vor. Die bestehende psychiatrische Erkrankung erfülle keinen psychopathischen Kriterien, welche für die Annahme einer aufgehobenen Steuerungsfähigkeit bzw. einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit vorliegen sollten. Eine zeitweise Einschränkung der Steuerungsfähigkeit durch Alkoholmissbrauch sei zwar möglich, daraus lasse sich aber keine generelle Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ableiten. Diese Ausführungen im Gutachten der Amtsärztin sind nachvollziehbar. Demzufolge hat der Beklagte bei den ihm zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen schuldhaft gehandelt.

2.4. Wegen seinen psychischen Erkrankungen liegt bei dem Beklagten - wie die Klägerin in der Disziplinarklage zu Recht ausführt - eine Besonderheit vor, die aber gleichwohl in diesem Einzelfall zur Überzeugung des Disziplinargerichts im Ergebnis bei der Maßnahmenbemessung nicht mildernd oder entlastend durchschlägt.

Bekanntlich sind die im Disziplinarrecht stets zu prüfenden Milderungs- und Entlastungsgründe nicht mehr auf die früheren in der Rechtsprechung anerkannten Gründe beschränkt. Vielmehr bedarf es stets einer Prüfung im Einzelfall um besonderen Lebens- und Tatumständen gerecht zu werden (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 24.09.2019, 15 A 5/17; juris gemeldet). Entlastende (mildernde) Umstände müssen schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urt. v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urt. v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urt. v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urt. v. 17.10.2013, 8 A 6/13; Urteil v. 15.11.2016, 15 A 10/16; alle juris). Die Disziplinargerichte müssen bei der Gesamtwürdigung auch nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO dafür offen sein, dass mildernde Umstände im Einzelfall auch dann ein beachtliches Gewicht für die Maßnahmebemessung zukommen, wenn sie zur Erfüllung eines - nach früherer Rechtsprechung - so genannten anerkannten Milderungsgrundes nicht ausreichen (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2013, 2 B 35.13; juris).

Die langjährige Alkoholerkrankung hat dem Beklagten die Einhaltung auch für ihn als Ruhestandsbeamten geltenden dienstlichen Pflichten erschwert. Denn durch den langjährigen Substanzmissbrauch kam es bei dem Beklagten zu weiteren Veränderungen seiner Persönlichkeit, wie insbesondere der Abbau der sozialen Verantwortung, Unzuverlässigkeit, nachlassendes Interesse für soziale Beziehungen, Verlust an Kritik- und Urteilsfähigkeit (vgl. amtsärztliches Gutachten vom 17.07.2017, Seite 3). Dem behördlichen Disziplinarvorgang ist sein stetiger Verwahrlosungsgang mit Verlust von Wohnung, Konten und Personaldokumenten zu entnehmen. Ebenso ist dokumentiert, wie einfühlsam der Dienstherr und die Ermittlungsführerin sich um den Beklagten bemühte.

Gleichwohl muss natürlich festgestellt werden, dass es zur Dienstpflicht des Ruhestandsbeamten gehört, auf die dienstlichen Aufforderungen zur Überprüfung seiner weiteren Dienstunfähigkeit bzw. Feststellung der Dienstfähigkeit zu reagieren und es ein Leichtes gewesen wäre, sich beim Dienstherrn zu melden und den Sachverhalt aufzuklären. Zumal die Disziplinarbehörde ihn mehrfach - äußerst fürsorglich - zur Mitarbeit unter Nennung der Konsequenzen aufforderte. Ebenso gehört es zu seinen Dienstpflichten, sich zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit einer ihm möglichen und zumutbaren stationären Langzeitbehandlung zu unterziehen. Dies ist ihm weiterhin disziplinarrechtlich vorzuwerfen.

Zudem hat der Beamte weder im behördlichen noch im gerichtlichen Disziplinarverfahren mitgewirkt und dem Gericht somit keine weiteren Anhaltspunkte für die Ermittlung mildernder Einzelfallumstände geliefert. Der Beklagte erschien nicht zur mündlichen Verhandlung und scheint insgesamt "den Kopf in den Sand gesteckt" zu haben. Dabei ist das Disziplinargericht auf die Mitarbeit des Beamten zur Aufklärung der in seiner Sphäre liegenden höchstpersönlichen Angelegenheiten angewiesen, um überhaupt die Möglichkeit einer disziplinarrechtlichen Milderung im Sinne der Disziplinarrechtsprechung prüfen zu können (vgl. nur VG Magdeburg, Urt. v. 17.10.2013, 8 A 6/13, Urt. v. 28.02.2013, 8 A 13/12; beide juris).

2.5. Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 BDG nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild des Beamten sowie dem Umfang der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist regelmäßig dann auszusprechen, wenn der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen, das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn, aber auch der Allgemeinheit endgültig zerstört hat (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; beide juris).

Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. bei Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhegehalts ist regelmäßig dann auszusprechen, wenn der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen, das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn, aber auch der Allgemeinheit endgültig zerstört hat (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 05.11.2019, 15 A 24/18; juris). Dieses Vertrauensverhältnis ist auch Grundlage des Dienstverhältnisses bei einem Ruhestandsbeamten.

Gemessen an diesen Grundsätzen hält das Gericht vorliegend den beantragten Ausspruch der so genannten disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme bei dem Ruhestandsbeamten als angemessen und erforderlich an. Die Disziplinarmaßnahmen sind bei einem Ruhestandsbeamten nach § 5 Abs. 2 BDG auf die Kürzung des Ruhegehaltes (§ 11 BDG) und die Aberkennung des Ruhegehalts (§ 12 BDG) beschränkt.

Durch die Verletzung seiner Pflichten, sich einer amtsärztlichen Untersuchung und zur Widerherstellung seiner Dienstfähigkeit, sich einer ihm möglichen und zumutbaren Therapie zu unterziehen, hat der Beklagte sich jeweils der Begehung eines schweren Dienstvergehens schuldig gemacht.

§ 77 Abs. 2 BBG, der eine erschöpfende Aufzählung derjenigen Handlungen enthält, die im Ruhestand als Dienstpflichtverletzung gelten, führt in Nr. 4 Verstöße gegen Pflichten auf, die als Nachwirkungen des aktiven Dienstes bestehen und in § 46 BBG kodifiziert sind.

Die Möglichkeit, die schuldhafte Nichtbefolgung einer auf § 46 Abs. 7 BBG gestützte Untersuchungsanordnung und die schuldhafte Pflichtverletzung, sich zur Widerherstellung seiner Dienstfähigkeit einer Therapie zu unterziehen, disziplinarisch zu ahnden, wurde erstmals mit Wirkung vom 11. Juli 2013 durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Familienpflegezeit und zum flexibleren Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte des Bundes vom 3. Juli 2013, BGBl I, S. 1978, geschaffen.

Ausweislich der amtliches Begründung zum Gesetzesentwurf (BT-Drs. 17/12356 vom 14.2.2013, S. 12) waren die Pflichten aus dem § 46 Abs. 4 und 7 BBG bisher nicht Teil des Katalogs nach § 77 Abs. 2 BBG und konnten demzufolge auch nicht disziplinarisch verfolgt werden. Sowohl die Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen als auch die ärztliche Untersuchung zur Prüfung der Dienstfähigkeit stünden in einem sehr engen Zusammenhang zu der Pflicht, einer erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis nachzukommen, die ihrerseits disziplinarisch geahndet werden könne. Eine Nichtbefolgung dieser Pflichten führe faktisch dazu, eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis zu vereiteln, so dass diese Vorschrift ergänzt werde (VG Ansbach, U. v. 16.02.2016 - AN 13a D 15.00582 -, juris, Rdnr. 127).

Die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 77 Abs. 2 BBG erfolgte in der Kenntnis, dass das Bundesdisziplinargesetz gegen Ruhestandsbeamte nur die Disziplinarmaßnahmen der Kürzung und der Aberkennung des Ruhegehaltes vorsieht (§ 5 Abs. 2 BDG). Mit der Aufnahme des § 77 Abs. 2 Nr. 4 BBG hat der Gesetzgeber deshalb deutlich gemacht, dass die schuldhafte Verletzung der Pflicht zur Befolgung einer Untersuchungsanordnung ein schweres Dienstvergehen darstellt, das mit einer Kürzung des Ruhegehaltes geahndet werden kann. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht sogar bei aktiven Beamten - bei welchen eine deutlich größere Bandbreite möglicher Disziplinarmaßnahmen besteht (vgl. § 5 Abs. 1 BDG) - davon aus, dass die Missachtung einer Weisung zu einer ärztlichen Untersuchung einen gravierenden Pflichtenverstoß darstellt, der bereits eine Gehaltskürzung rechtfertigen kann. Dies muss nach dem oben Gesagten erst Recht für Ruhestandsbeamte gelten, die sich einer solchen Untersuchungsanordnung im Rahmen eines Reaktivierungsverfahrens widersetzen (VG Ansbach, U. v. 16.02.2016 - AN 13a D 15.00582 -, juris, Rdnr. 128 m. w. N.).

Bei dem Beklagten besteht derzeit keine günstige Zukunftsprognose. Sein Verhalten hat über die Jahre zu einem endgültigen Vertrauensverlust seines Dienstherrn geführt. Nach seiner vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand haben sich seine psychische Erkrankung und die hieraus resultierenden Folgen beim Beklagten manifestiert. Der Beklagte hatte über Jahre hinweg kaum soziale Kontakte, zeitweise war er ohne festen Wohnsitz. Darüber hinaus hat sein Alkoholkonsum ein bedenkliches Ausmaß erreicht, der von der Amtsärztin als Missbrauch angesehen wird. Schädliche Folgen für bestimmte Organe, insbesondere erhöhte Leberwerte, sind bereits eingetreten.

Aus den Disziplinarvorgängen ist bekannt, dass der Beklagte seit 2010 zwar wieder eine Lebensgefährtin zu haben scheint, bei der er auch wohnt. Die gesamten Lebensumstände beider sind der nachvollziehbaren Einschätzung der Klägerin zufolge äußerst bescheiden. Auch die Lebensgefährtin sei arbeitslos und scheint ihm keine wirkliche Stütze bei der Bewältigung seiner Probleme sein zu können. Die gesundheitlichen und finanziellen Probleme sind über die Jahre hinweg kontinuierlich angewachsen. Die insgesamt gezeigte Labilität und Unzuverlässigkeit entspricht derzeit seinem Charakter. Er hat alles hingenommen, beginnend mit der Kündigung der Wohnung und der Versicherung. Dem Ablaufen des Personalausweises folgte die Kündigung der Bankverbindung. Ohne Krankenversicherung war dem Beklagten kein Arztbesuch mehr möglich. Ohne gültigen Personalausweis und festen Wohnsitz konnte er kein neues Konto errichten.

Zur Überzeugung des Disziplinargerichts ergibt die vorzunehmende Gesamtabwägung nach § 13 BDG, dass die bei dem Beamten vorliegende psychische Beeinträchtigung im Verhältnis zu den wiederholten schweren Pflichtverletzungen über einen längeren Zeitraum und dem endgültigen Verlust des Vertrauensverhältnisses nicht so schwer wiegt, dass sie der Maßnahmebemessung der Aberkennung des Ruhegehaltes als der Höchstmaßnahme entgegenstünde.