Hessischer VGH, Beschluss vom 10.03.2020 - 1 B 327/20
Fundstelle
openJur 2020, 45677
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 22. Januar 2020 - 9 L 90/20.F - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1972 geborene Antragsteller steht als Polizeibeamter in Diensten der Antragsgegnerin und ist im Innendienst tätig.

Seit 2008 leidet der Antragsteller an einer Suchterkrankung (Alkoholmissbrauch) mit wiederholten Rückfällen, Entgiftungen und Entwöhnungsmaßnahmen.

Nach einem alkoholbedingten Rückfall des Antragstellers am 28. Januar 2019 erstellte Medizinaldirektor ... vom Sozialmedizinischen Dienst der Bundespolizei auf Antrag der Antragsgegnerin vom 1. Februar 2019 am 28. Mai 2019 ein sozialmedizinisches Gutachten. Er kam zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller gesundheitlich nicht (uneingeschränkt) geeignet ist für den Polizeivollzugsdienst, aber gesundheitlich geeignet für den allgemeinen Verwaltungsdienst (Bl. 22 d.GA). Weiter heißt es u.a.: "Sollte ein erneuter Rückfall in die Alkoholkrankheit erfolgen, bitten wir um eine erneute Vorstellung des Beamten zur sozialmedizinischen Untersuchung" (Bl. 21 d.GA). Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 28. Mai 2019 verwiesen (Bl. 16 ff. d.GA).

Ab dem 14. Oktober 2019 war der Antragsteller dienstunfähig erkrankt. Er teilte am 15. Oktober 2019 seinem Vorgesetzten einen weiteren alkoholbedingten Rückfall mit.

Am 2. Dezember 2019 ordnete die Antragsgegnerin eine sozialmedizinische Untersuchung für den 19. März 2020 beim Sozialmedizinischen Dienst der Bundespolizei zur Prüfung der weiteren Verwendung des Antragstellers an. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anordnung vom 2. Dezember 2019 Bezug genommen (Bl. 54 ff. d.GA).

Am 13. Januar 2020 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Das Verwaltungsgericht hat die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 22. Januar 2020 abgelehnt. Zwar stehe dem Antrag nicht die Regelung des § 44a VwGO entgegen. Dem Antragsteller könne bei einer Untersuchungsanordnung nicht zugemutet werden, eine abschließende Entscheidung (Ruhestandsversetzung) abzuwarten. Die Anordnung zur ärztlichen Untersuchung vom 2. Dezember 2019 sei jedoch nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Die erforderlichen Zweifel an der Dienstfähigkeit des Antragstellers lägen aufgrund seiner Suchterkrankung vor. Der Antragsteller habe einen erneuten Rückfall erlitten und sei zum Zeitpunkt der Anordnung bereits seit sieben Wochen dienstunfähig erkrankt. Aufgrund der Vorgeschichte lasse der Rückfall den Schluss zu, dass der Antragsteller erneut Alkohol in körperlich schädigender Menge getrunken habe und hierdurch eine weitere Veränderung der Persönlichkeit eingetreten sein könne. Die Antragsgegnerin komme nur ihrer Fürsorgepflicht nach, um einen aktuellen Gesundheitsstatus des Antragstellers zu erhalten. Es bestehe ein öffentliches Interesse an einer funktionierenden Verwaltung. Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung seien näher eingegrenzt, die beabsichtigten Maßnahmen ferner mit einer geringen Eingriffsintensität verbunden.

Gegen diesen ihm am 29. Januar 2020 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 31. Januar 2020 Beschwerde eingelegt.

Zur Begründung trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, der Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichts habe sich auf die in der Untersuchungsanordnung dargelegten Gründe zu beschränken. Das Gutachten vom 28. Mai 2019 habe bereits alle Fragen geklärt und sei auch davon ausgegangen, dass etwaige Rückfälle die Eignung für den allgemeinen Verwaltungsdienst nicht berührten. Weitergehende medizinische Indizien für eine Intensivierung der Suchterkrankung bzw. Verschlechterung des Gesundheitszustandes hätte die Antragsgegnerin selbst darlegen müssen. Die Untersuchungsanordnung enthielte keine konkreten medizinischen Maßnahmen bzw. Untersuchungshandlungen. Die Art der Untersuchung dürfe aber nicht dem Amtsarzt überlassen werden. Die Suchterkrankung sei eine ausschließlich psychische Erkrankung. Die Anordnung der Untersuchung auf körperliche Beeinträchtigungen sei daher unverhältnismäßig. Insbesondere stünden die angeordneten Feststellungen körperlicher Leistungsfähigkeit (Herz-Kreislauf, Lunge, Augen, Ohren) in keinem Zusammenhang mit seiner Suchterkrankung, sondern beträfen allenfalls seine bereits durch Gutachten ausgeschlossene Polizeivollzugsdienstfähigkeit. Gleiches gelte für die Evaluierung seiner persönlichen Situation. Ein milderes Mittel sei eine Nachfrage bei ihm gewesen. Die Antragsgegnerin dürfe sich kein umfassendes Bild von seiner Dienstfähigkeit verschaffen, sondern nur mögliche Auswirkungen seines letzten Rückfalls untersuchen.

Der Antragsteller beantragt,

1.

der Antragsgegnerin im Wege einer Hängeverfügung zu untersagen, die Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung zur Überprüfung der Dienstfähigkeit des Antragstellers durch Verfügung vom 02.02.2019 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den vorliegenden Antrag auszusetzen bzw. nicht zu vollziehen,

2.

der Antragsgegnerin zu untersagen, die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung zur Überprüfung der Dienstfähigkeit mit Verfügung vom 02.02.2019 zu vollziehen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt die angegriffene Entscheidung. Zunächst listet er die alkoholbedingten Erkrankungen der letzten Jahre auf (näher Bl. 151 d.GA). Die sozialmedizinische Untersuchung vom April 2019 habe den letzten Rückfall in die Alkoholsucht vom Oktober 2019 nicht berücksichtigen können. Eine neue Untersuchung sei daher zwingend und alternativlos, um sich ein Bild vom Antragsteller, seiner allgemeinen Dienstfähigkeit und möglichen weiteren dienstlichen Verwendung machen zu können. Psychische und körperliche Beeinträchtigungen durch Alkoholmissbrauch seien nicht auszuschließen. Nur der Amtsarzt könne aufgrund seiner medizinischen Expertise eigene Untersuchungen anstellen und Befunde auswerten, weshalb eine Eingrenzung in Art und Umfang der Untersuchung im Detail nicht möglich sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens sowie des Akteninhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Beschwerdevorbringen, das gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Prüfungsumfang des Senats bestimmt, rechtfertigt keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung. Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Dabei lässt das Beschwerdegericht dahinstehen, ob § 44a VwGO der Zulässigkeit des gegen die Untersuchungsanordnung vom 2. Dezember 2019 gerichteten Eilantrags entgegensteht.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zumindest unbegründet.

Denn der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Die streitgegenständliche Anordnung zur amtsärztlichen Untersuchung genügt den für ihre Rechtmäßigkeit geltenden formellen und materiellen Anforderungen.

Die Antragsgegnerin hat die tatsächlichen Umstände, auf die sie die Zweifel an der Dienstfähigkeit stützt, in der Untersuchungsaufforderung angeben. Der Antragsteller konnte so anhand der Begründung die Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen, ob die angeführten Gründe tragfähig und verhältnismäßig sind.

Die Untersuchungsanordnung enthält Angaben zu Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung. Die Antragsgegnerin hat dies entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht dem Belieben des Arztes überlassen. Durch die Auflistung der Fragestellungen für den sozialmedizinischen Dienst wird deutlich, dass der Dienstherr sich bereits im Vorfeld des Erlasses zumindest in den Grundzügen darüber klar war, in welcher Hinsicht Zweifel am körperlichen Zustand oder der Gesundheit des Beamten bestehen und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. März 2019 - 2 VR 5/18 - NVwZ 2020, 312 [316] Rn. 43 f.). Geringere Anforderungen der Ausgestaltung der Untersuchungsanordnung können sich aus der dienstlichen Treuepflicht des Beamten ergeben. So kann es im Rahmen der allgemeinen Gehorsamspflicht gerechtfertigt und dem Beamten zuzumuten sein, an der für die Durchführung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebes erforderlichen Klärung seines Gesundheitszustandes mittels Offenlegung der gesamten Krankheitsgeschichte samt den dazugehörigen Unterlagen mitzuwirken. Das gilt insbesondere, wenn - wie hier - aufgrund tatsächlicher Umstände Zweifel an seiner Dienstfähigkeit bestehen (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 18. Februar 2016 - 3 CE 15.2768 - juris Rn. 28).

Die Untersuchungsanordnung ist verhältnismäßig.

Sie ist geeignet, die Frage des aktuellen Gesundheitszustandes des Antragstellers und etwaige Auswirkungen des letzten Rückfalls (Alkoholmissbrauch) auf seine Dienstfähigkeit (insbesondere im allgemeinen Verwaltungsdienst) zu klären. Ziel ist die Überprüfung, ob Einschränkungen für den allgemeinen Verwaltungsdienst bestehen und wie eine mögliche Weiterverwendung des Antragstellers auszugestalten ist. Entgegen der Ansicht des Antragstellers konnte das Gutachten vom 28. Mai 2019 nicht alle Fragen seiner Dienstfähigkeit klären. Dies gilt umso mehr, als sich die vom Gutachter ... im Gutachten vom 28. Mai 2019 aufgestellte Prognose ("Es finden sich zum aktuellen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte für einen neuen Rückfall innerhalb der nächsten sechs Monate", Bl. 21 d.GA) bereits vom Zeitablauf her nicht bewahrheitet hat. Der erneute Rückfall in den Alkoholmissbrauch fand bereits im Oktober 2019 statt.

Die Anordnung ist erforderlich. Eine bloße Befragung wäre zwar ein milderes, aber nicht gleich geeignetes Mittel gewesen, um den Antragsteller wegen seiner Suchterkrankung auf deren psychische und physische Auswirkungen zu untersuchen. Hierzu gehört auch die Feststellung der körperlichen Leistungsfähigkeit.

Die Maßnahme ist auch angemessen, da sie lediglich mit einer kurzfristigen Einschränkung geringer Eingriffsintensität verbunden ist. Ferner entspricht die erneute Untersuchungsanordnung der medizinischen Empfehlung des Gutachters ("Sollte ein erneuter Rückfall in die Alkoholkrankheit erfolgen, bitten wir um eine erneute Vorstellung des Beamten zur sozialmedizinischen Untersuchung", Bl. 21 d.GA). Nur so kann sich die Antragsgegnerin ein umfassendes Bild von der Dienstfähigkeit des Antragstellers verschaffen.

Für den mit dem Antrag zu 1. begehrten Erlass einer "Hängeverfügung" fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Denn infolge der rechtzeitig vor dem in Streit stehenden Untersuchungstermin (19. März 2020) getroffenen Entscheidung über den Antrag zu 2. besteht keine Notwendigkeit für die begehrte Zwischenentscheidung.

Zur weiteren Begründung nimmt das Beschwerdegericht gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main Bezug, die auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens weiterhin Geltung beanspruchen.

Der Antragsteller hat gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, da seine Beschwerde erfolglos geblieben ist.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG und folgt der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.