OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.08.2019 - 13 U 209/19
Fundstelle
openJur 2020, 45650
  • Rkr:

Ein Rechtsanwalt genügt seinen originären anwaltlichen Pflichten nicht, wenn er bei Vorlage der Akten zur Fertigung der Berufungsschrift nicht überprüft, ob die Frist für die Berufungsbegründung von der Rechtsanwaltsgehilfin richtig notiert worden ist.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 16.4.2019 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf

12.888,35 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche aus einem Kaufvertrag vom 5.8.2010 über einen Skoda Modell1 im Rahmen des sog. "Diesel-Skandals" geltend.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen das ihm am 26.4.2019 zugestellte Urteil des Landgerichts Darmstadt mit Schriftsatz vom 27.5.2019 (Montag), eingegangen beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main am selben Tag, Berufung eingelegt. Binnen der gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO zwei Monate betragenden Berufungsbegründungsfrist hat der Kläger keine Berufungsbegründung eingereicht. Auf den schriftlichen Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 3.7.2019 zur Unzulässigkeit der Berufung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 22.7.2019, der am selben Tag bei Gericht eingegangen ist, einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Zuvor hatte er bereits mit Schriftsatz vom 9.7.2019, der am selben Tag bei Gericht eingegangen ist, seine Berufung begründet, ohne auf die Verfristung einzugehen. Hinsichtlich der Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages wird auf den Schriftsatz vom 22.7.2019 (Bl. 473 ff. d.A.) verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers war gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen. Sie ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist bis zum 26.6.2019, sondern erst am 9.7.2019 begründet worden ist.

Der Antrag vom 22.7.2019 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist ist nach § 236 ZPO zulässig, aber unbegründet.

Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Diese Voraussetzung ist vorliegend zu verneinen, denn den Kläger und seiner Prozessbevollmächtigten, deren Verschulden sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, trifft ein Verschulden an der Fristversäumung.

Zu den Aufgaben eines Rechtsanwalts gehört es, wegen der verfahrensrechtlichen Bedeutung von Fristen dafür Sorge zu tragen, dass ein fristgebundener Schriftsatz wie die Berufungsbegründungsschrift fristgemäß bei dem zuständigen Gericht eingereicht wird. Nach allgemeiner Meinung darf der Rechtsanwalt dabei einfache Verrichtungen, die keine juristische Schulung verlangen, zur Erledigung seinem sorgfältig ausgewählten, ausreichend geschulten und zuverlässigen Personal übertragen. Zu solchen Verrichtungen gehört auch die Notierung, Überwachung und Einhaltung von Fristen (Zöller/Greger ZPO, 32. Auflage, § 233 Rn 23 Stichwort "Büropersonal und -organisation" - mit weiteren Nachweisen).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt jedoch den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung vorgelegt wird (BGH in NJW-RR 2012, 293; BGH in FamRZ 2004, 696, BGH in FamRZ 2005, 435 jeweils mit weiteren Nachweisen). In diesem Fall muss der Rechtsanwalt stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Akten prüfen. Hier hätte deshalb Rechtsanwältin A spätestens bei Vorlage der Sache zur Fertigung der Berufungsschrift am 20.5.2019 überprüfen müssen, ob die Frist für die Berufungsbegründung von ihrer Gehilfin richtig notiert worden war. Dann wäre ihr aufgefallen, dass von Frau B die Berufungsbegründungsfrist statt auf den 26.6.2019 auf den 26.7.2019 eingetragen wurde. In diesem Fall hätte der Fehler korrigiert und die Berufungsbegründungsfrist gewahrt werden können.

Ergänzend gilt, dass der Rechtsanwalt bei Übernahme eines neuen Mandats - um eine solches handelt es sich, da der Kläger erstinstanzlich von Rechtsanwalt C vertreten worden war - die Fristen eigenverantwortlich zu prüfen hat (BGH in FamRZ 2001, 1143; Zöller/Greger a.a.O. § 233 Rn 23 Stichwort "Fristbehandlung" - mit weiteren Nachweisen). Rechtsanwältin A hat nach Verkündung des Urteils das Mandat übernommen, kam mithin erstmals bei Einlegung der Berufung als Prozessbevollmächtigte mit dem Rechtsstreit in Berührung. Es hätte daher zu ihren originären anwaltlichen Pflichten gehört, die Fristnotierung im elektronischen System unverzüglich selbst auf laufende Fristen zu überprüfen. Wenn sie dieser Pflicht nachgekommen wäre, hätte sie den Fehler der Rechtsanwaltsfachangestellten B feststellen können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung des Gebührenstreitwertes für das Berufungsverfahren entspricht dem erstinstanzlichen Klageantrag.