OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.04.2020 - 6 W 31/20
Fundstelle
openJur 2020, 45482
  • Rkr:

1. Die vor Einreichung eines Eilantrages im Kosteninteresse des Antragsgegners in der Regel erforderliche Abmahnung ist entbehrlich, wenn neben anderen Ansprüchen mit dem Eilantrag auch ein auf die Sicherung eines Vernichtungsanspruchs gerichteter Sequestrationsantrag gestellt wird (hier: Herausgabe von Schuhen an den Gerichtsvollzieher).

2. Wird die Sequestrationsanordnung erlassen und lediglich Kostenwiderspruch eingelegt, kann die sachliche Berechtigung der Anordnung im Beschwerdeverfahren nicht mehr überprüft werden.

3. Um der Gefahr einer missbräuchlichen Geltendmachung des Sequestrationsanspruchs zu begegnen, kann im Einzelfall eine Prüfung notwendig sein, ob ein schützenswertes Sicherungsinteresse für die Sequestration tatsächlich bestand. Das kann zu verneinen sein, wenn die beantragte Sequestration später nicht vollzogen wird. In solchen Fällen ist zu verlangen, dass der Antragsteller schlüssig darlegt, wieso auf die Sequestration verzichtet wurde (so schon OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.8.2013, 11 W 12/13).

Tenor

Die Beschwerde wird auf Kosten der Antragsgegnerinnen zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert entspricht dem Kosteninteresse der Antragsgegnerinnen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Kosten eines einstweiligen Verfügungsverfahrens.

Die Antragstellerin erwirkte gegen die Antragsgegnerinnen mit Beschluss vom 31.7.2019 eine auf ein Designrecht gestützte einstweilige Verfügung, mit der den Antragsgegnerinnen untersagt worden ist, ein bestimmtes Sandalenmodell anzubieten und in den Verkehr zu bringen. Das Landgericht hat den Antragsgenerinnen außerdem aufgegeben, die in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen Exemplare an einen Gerichtsvollzieher herauszugeben. Eine vorherige Abmahnung erfolgte nicht.

Die Antragsgegnerinnen haben mit anwaltlichen Schreiben vom 20.8.2019 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Darin haben sie sich auch verpflichtet, die streitgegenständlichen Schuhe an den Gerichtsvollzieher herauszugeben (Anlage AG2). Mit Schriftsatz vom 6.12.2019 haben sie Kostenwiderspruch eingelegt.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 19.2.2020 die einstweilige Verfügung im Kostenpunkt bestätigt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen.

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19.2.2020 die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Der Widerspruch der Antragsgegnerinnen gegen die Beschlussverfügung des Landgerichts war auf die Kostenentscheidung beschränkt. Bei dem Urteil des Landgerichts, mit dem die Kostenentscheidung der einstweiligen Verfügung bestätigt worden ist, handelt es sich damit der Sache nach um ein Anerkenntnisurteil gemäß § 99 Abs. 2 ZPO, gegen das das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statthaft ist (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 18.8.1989 - 6 W 92/89 = WRP 1996, 799).

2. In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg.

Das Landgericht hat mit Recht die Voraussetzungen des § 93 ZPO als nicht erfüllt angesehen, weil die Antragstellerin auch ohne vorherige Abmahnung Anlass zur Einreichung des Eilantrages hatten.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Beschluss vom 24.10.2005 - 6 W 149/05 = GRUR 2006, 264 sowie Beschlüsse vom 9.7.2015 - 6 W 59/15, vom 9.11.2005 - 6 W 138/05 - und vom 8.7.2010 - 6 W 92/10; veröffentlicht bei juris) ist die vor Einreichung eines Eilantrages im Kosteninteresse des Antragsgegners in der Regel erforderliche Abmahnung grundsätzlich entbehrlich, wenn neben anderen Ansprüchen mit dem Eilantrag auch ein auf die Sicherung eines Vernichtungsanspruchs gerichteter Sequestrationsantrag (Herausgabe von Verletzungsgegenständen an den Gerichtsvollzieher) gestellt wird; denn eine solche Abmahnung liefe dem Zweck der Sequestrationsanordnung zuwider, da sie dem Antragsgegner Zeit und Gelegenheit gäbe, diejenigen Maßnahmen zur Beiseiteschaffung der Verletzungsgegenstände zu ergreifen, die mit der einstweiligen Verfügung gerade unterbunden werden sollen.

b) Ohne Erfolg berufen sich die Antragsgegnerinnen darauf, der Sequestrationsantrag sei zu Unrecht gestellt worden. Wird die Sequestrationsanordnung erlassen, und wird lediglich Kostenwiderspruch eingelegt, kann die sachliche Berechtigung der Sequestrationsanordnung nicht mehr überprüft werden. Denn die Sequestrationsanordnung ist durch den Kostenwiderspruch nach § 93 ZPO anerkannt worden (vgl. Senat, Beschluss vom 9.7.2015 - 6 W 59/15, Rn. 7; Beschluss vom 24.10.2005 - 6 W 149/05 = GRUR 2006, 264 - Rn. 2). Nichts anderes lässt sich auch der Senatsentscheidung vom 25.1.2010 - 6 W 4/10 entnehmen. Soweit dort von der fehlenden Abmahnobliegenheit bei einem "begründeten" Sequestrationsanspruch die Rede ist, wird damit keineswegs gesagt, dass die Begründetheit ungeachtet des Anerkenntnisses noch im Kostenwiderspruchsverfahren überprüft werden kann. Wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, hätten die Antragsgegnerinnen die Möglichkeit gehabt, die Berechtigung der Sequestration im Widerspruchsverfahren anzugreifen, wenn der Widerspruch nicht auf den Kostenpunkt beschränkt worden wäre.

c) Es bestehen im Übrigen auch keine Gründe, die für ein nicht hinreichendes Sicherungsbedürfnis sprechen.

aa) Die Anordnung der Herausgabe rechtsverletzender Gegenstände zur Verwahrung an den Gerichtsvollzieher im Eilverfahren (Sequestration) setzt das Bestehen eines Vernichtungsanspruchs sowie ein hinreichendes Sicherungsbedürfnis des Verletzten voraus. Entscheidend ist, wie hoch nach den Gesamtumständen die Gefahr einzuschätzen ist, dass der Verletzer nach einem Hinweis auf die Entdeckung der Verletzungshandlung versuchen wird, die Verletzungsgegenstände beiseite zu schaffen und sich dadurch dem Vernichtungsanspruch zu entziehen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.1.2010 - 6 W 4/10, juris). Maßgeblich ist dabei, ob die Umstände des konkreten Einzelfalls geeignet sind, bei dem Berechtigen die ernste Besorgnis zu begründen, dass der Unterlassungsschuldner sich bei einer vorherigen Abmahnung um schnelle Beseitigung eines etwa vorhandenen Warenbestandes bemühen werde. Diese Besorgnis ist grundsätzlich berechtigt, wenn es sich um einen Fall der Weiterverbreitung schutzrechtverletzender Ware handelt. In diesen Fällen darf der Unterlassungsgläubiger regelmäßig davon ausgehen, dass der Verletzer die Sequestrierung zu vereiteln versucht, um die sich aus einer Sequestrationsanordnung ergebenden wirtschaftlichen Nachteile zu vermeiden (LG Hamburg, Urteil vom 19.3.2004, 308 O 58/04 = GRUR-RR 2004, 191). In diesen Fällen muss der Gläubiger die Gefahr einer Vereitelung des Rechtsschutzes nicht durch besondere Verdachtsmomente belegen. Es besteht vielmehr von vornherein die ernste Besorgnis, der Schuldner werde versuchen, die fragliche Ware bei Seite zu schaffen. Nur wenn diese Gefahr ausnahmsweise ausgeschlossen erscheint, ist dem Gläubiger eine Abmahnung zuzumuten.

bb) Um der Gefahr einer missbräuchlichen Geltendmachung des Sequestrationsanspruchs zu begegnen bzw. die Beantragung der Sequestration ausschließlich zur Umgehung des Abmahnungserfordernisses auszuschließen, kann im Einzelfall eine Prüfung notwendig sein, ob ein schützenswertes Sicherungsinteresse für die Sequestration tatsächlich bestand. Das kann etwa zu verneinen sein, wenn die beantragte Sequestrationsanordnung später nicht vollzogen wird. In solchen Fällen ist zu verlangen, dass von Antragstellerseite schlüssig dargelegt wird, wieso trotz eines bestehenden objektiven Sicherungsinteresses gerade im Einzelfall aufgrund welcher Erkenntnisse auf eine Sequestration verzichtet wurde (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.8.2013 - 11 W 12/13, Rn. 11, 12, juris).

cc) Solche besonderen Umstände liegen nicht vor. Die Antragstellerin hat die beantragte Sequestrationsanordnung vollzogen. Nach dem glaubhaft gemachten Vortrag der Antragsgegnerinnen hat die Antragstellerin allerdings nur in der Zentrale und in einer von insgesamt 23 Filialen der Antragsgegnerinnen Waren in Verwahrung nehmen lassen (Anlage AG1). Dieser Umstand reicht nicht aus, um von einer missbräuchlichen Geltendmachung des Sequestrationsanspruchs ausgehen zu können. Es ist schon nicht ersichtlich, warum die Antragstellerin annehmen musste, dass die Antragsgegnerinnen die streitgegenständliche Sandale in allen 23 Filialen vorrätig halten. Von einer vollständigen Nichtvollziehung kann jedenfalls nicht ausgegangen werden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

4. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht erfüllt (§§ 574 Abs. 2 i.V.m. 542 Abs. 2 ZPO).