SG Darmstadt, Urteil vom 21.10.2019 - S 1 AS 58/17
Fundstelle
openJur 2020, 45366
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Übernahme von Kosten i.H.v. 280 € für ein mehrtägiges Vermessungspraktikum in Tschechien.

Die 1999 geborene Klägerin lebt mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester D. zusammen. Die Familie bezieht seit 01.01. 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Die Klägerin besuchte zunächst für mehrere Jahre die E-Schule in E-Stadt, welche jährlich einen mehrtägigen Aufenthalt in einem Landschulheim in F-Stadt mit Übernachtungen durchführte. In den Jahren 2012, 2013 und 2014 nahm die Klägerin an diesen Fahrten teil. Die hierfür entstandenen Kosten von 110,00 € bzw. 150,00 € wurden von dem Beklagten übernommen.

Ab dem Jahr 2016 besuchte die Klägerin die Freie Waldorfschule E-Stadt. Diese organisierte vom 04.07.2016 bis zum 13.07.2016 eine als Feldmesspraktikum bezeichnete Klassenfahrt nach G-Stadt (Tschechien). Mit E-Mail vom 10. und 11.06.2016 hatte die Schule die Eltern über die Klassenfahrt und die anfallenden Kosten i.H.v. 280 € informiert. Gleichzeitig hatte sie die Eltern aufgefordert, das Geld bis zum 29.06.2016 zu überweisen. Dieser Aufforderung kamen die Eltern der Klägerin nach.

Ein auf den 20.06.2016 datiertes Schreiben der Schule mit Informationen über den Aufenthaltsort, wichtige Telefonnummern, Treffpunkt für Abfahrt und Rückkehr und eine Liste über die mitzubringen Gegenstände erhielten die Eltern am 03.07.2016. Daraufhin rief der Vater der damals noch minderjährigen Klägerin am selben Tag bei dem Beklagten an und erkundigte sich, ob die Kosten übernommen würden. Mit wem genau telefoniert hat, ist unbekannt.

Am 20.07.2016 stellten die Eltern der Klägerin einen schriftlichen Antrag auf Übernahme der Kosten für die Klassenfahrt. Diesen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 26.08.2016 ab und begründete dies damit, dass sich hierbei um den vierten Schulausflug der Klägerin innerhalb der Jahrgangsstufen 5-10 handeln würde. Nach I.1. Nr. 3 S. 1 des Erlasses des Hessischen Kultusministeriums über Schulwanderungen und Schulfahrten vom 07.12.2009 dürften Schüler an höchstens drei mehrtägigen Veranstaltungen, die sich auf drei verschiedene Schuljahre und drei verschiedene Kalenderjahre verteilen müssten, teilnehmen. Deswegen könne auch die Behörde die Kosten für die vierte Schulfahrt nicht übernehmen.

Hiergegen erhoben die Eltern der Klägerin am 07.09.2016 Widerspruch. Der Ministerialrat hebele ein Bundesgesetz aus, was unzulässig sei. § 28 Abs. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - kenne keine Einschränkung von Schulfahrten in Bezug auf deren Häufigkeit.

Mit Bescheid vom 30.12.2016 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. § 28 Abs. 2 S. 1 SGB II verweise auf die schulrechtlichen Bestimmungen, bei welchen es sich um Landesrecht handele und zu welchem auch untergeordnete Verwaltungsvorschriften wie Erlasse gehörten. Die Bestimmungen dieses Erlassen müssten daher eingehalten sein, damit die Klassenfahrt den schulrechtlichen Bestimmungen entspreche. Es werde dadurch nicht versucht, Bundesgesetz auszuheben, vielmehr verweise das Bundesgesetz selbst ergänzend auf landesrechtliche Bestimmungen.

Am 17.01.2017 hat die Klägerin Klage erhoben. Die Klägerin ist der Ansicht, der Ministerialerlass verstoße gegen das Bildungspaket des Bundesministeriums und setze ein Bundesgesetz außer Kraft, indem er nur eine Bezahlung für drei Fahrten erlaube. Der Erlass stünde nicht im Einklang mit der sozialgerichtlichen Rechtsprechung auf Bundes-Länderebene. Auch sei das Transparenzgebot missachtet und Eltern müssten spekulieren, ob sie ihr Kind an diesem oder jenem Ausflug teilnehmen ließen oder auf bessere Fahrten warteten. Ließe man eine solche Klassenfahrt wie diese aus, sei dies ausschlaggebend für die Note in Mathematik. Vor allem sei es auch wichtig gewesen, in Teams zu arbeiten.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 26.08.2016 Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.12.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Leistungen i.H.v. 280,00 € zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, im Zeitpunkt der Antragstellung habe schon gar kein Bedarf bestanden, da die Eltern der Klägerin die Teilnahmegebühr bereits vor der Antragstellung an die Lehrerin der Klägerin überwiesen hätten. Die Voraussetzungen der berechtigten Selbsthilfe nach § 30 SGB II lägen nicht vor. Der Beklagte ist weiter der Ansicht, Ministeralerlass sei rechtmäßig und im Rahmen des § 28 SGB II anzuwenden. Da Schulrecht Landesrecht sei und daher in einzelnen Bundesländern voneinander abweichen könne, gebe es keine allgemeine, bundesweit gültige Definition für das Tatbestandsmerkmal der schulrechtlichen Bestimmungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten - Behördenakte Band I zu A.H., Az. 123456789 - Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 21.10.2019 gewesen.

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gerichtet auf Erstattung der selbst aufgebrachten Kosten für die bereits durchgeführte Klassenfahrt (vgl. BSG Urteil vom 22. November 2011, Az. B 4 AS 204/10 R - juris Rn. 10) statthaft. Bei den Kosten der Klassenfahrt gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB II handelt es sich um einen Individualanspruch des jeweiligen Schülers bzw. Klägers, der isoliert und unabhängig von den übrigen Grundsicherungsleistungen geltend gemacht werden kann (BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az.: B 14 AS 1/09 R, Urteil vom 13. November 2008, B 14 AS 36/07 R - zitiert nach juris).

Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erbringung von Leistungen für Zeiten vor der Antragstellung. Auch besteht kein Anspruch auf Anerkennung von tatsächlichen Aufwendungen für eine Klassenfahrt, die nicht im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen durchgeführt wird.

Nach § 19 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB II haben leistungsberechtigte Schülerinnen und Schüler einen Anspruch auf die Anerkennung der tatsächlichen Aufwendungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen.

Die formellen Voraussetzungen dieses Anspruchs liegen nicht vor.

Nach § 37 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen nach diesem Buch, d.h. nach dem SGB II, auf Antrag erbracht. Nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II werden Leistungen nach diesem Buch nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht, wobei nach S. 2 der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Ersten des Monats zurückwirkt. Mithin musste die Klägerin, um einen Anspruch auf die Anerkennung der Aufwendungen für die Klassenfahrt zu erhalten, zum einen einen Antrag hierauf gestellt haben, und zum anderen, diesen Antrag vor Ablauf des Monats gestellt haben, in welchem der Beklagte die Leistung zu erbringende hatte.

In der zum streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung des § 37 SGB II musste ein Antrag auf Leistungen nach § 28 Abs. 2 SGB II gesondert gestellt werden und war nicht vom Antrag auf Grundsicherungsleistungen umfasst. Dies bestimmte § 37 Abs. 1 S. 2 SGB II a.F. Damit begrenzte § 37 Abs. 1 S. 2 SGB II a.F. die in § 2 Abs. 2 Hs. 2 SGB I enthaltene Meistbegünstigtenregelung, wonach in der Regel davon auszugehen ist, dass in der Stellung des Antrages auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende alle Leistungen als beantragt anzusehen sind, die nach Lage des Falles ernsthaft in Betracht kommen (BSG 19.08.2010 - B 14 AS 10/09 R - juris). Diese Regel findet nur auf solche Leistungen Anwendung, die vom Antrag auf Leistungen zur Grundsicherung umfasst sein können. Indem § 37 Abs. 1 S. 2 SGB II normierte, dass die Anerkennung von Bedarfen nach § 28 Abs. 2 SGB II gesondert zu beantragen ist (vgl. Schoch in LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 37 Rn. 5, 20), sind diese gerade nicht vom Antrag auf Leistungen zur Grundsicherung mit anzusehen gewesen.

Die vom Beklagten zu erbringende Leistung war hier die Direktzahlung an die Schule der Klägerin i.S.d. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II. Die Terminsvertreter des Beklagten und der Vater der Klägerin teilten übereinstimmend in der mündlichen Verhandlung mit, dass Zahlungen auf mehrtägige Klassenfahrten direkt an die Schule überwiesen würden. Dies deckt sich auch mit dem Vorgehen bei den gewährten Kosten für die vergangenen Schulausflüge der Klägerin, vgl. Bl. 01 0061, 01 0077, 01 0085 der Verwaltungsakte. Die Frist, bis zu der die Kosten für die Klassenfahrt gezahlt werden mussten, lief am 30. Juni ab. Mithin hätte auch der Antrag der Klägerin spätestens am 30. Juni bei dem Beklagten eingehen müssen. Der Antrag wurde jedoch erst am 4. Juli telefonisch gestellt und damit nach Ablauf des Monats, in welchem die Zahlung hätte erfolgen müssen.

Eine berechtigte Selbsthilfe nach § 30 SGB S. 2 II liegt nicht vor.

Hierfür ist erforderlich, dass es dem Leistungsberechtigten nicht möglich gewesen ist, rechtzeitig einen Antrag zu stellen, § 30 S. 2 SGB II. In diesem Fall gilt der verspätet gestellte Antrag als zum Zeitpunkt der Selbstvornahme gestellt.

Die Vorschrift wurde zur Erfassung solcher Fälle geschaffen, in welchen der Träger rechtswidrig die Leistung verweigert oder säumig handelt, aber auch kurzfristig auftretende Bedarfslagen (BT-Drs. 17/12036, S. 8), etwa kurzfristig angesetzte Ausflüge von Kindertagesstätten oder Schulen (Berlit, a.a.O.) Keine Anwendung findet die Vorschrift hingegen in solchen Fällen, in welchen sich Leistungsberechtigte die Leistung "aus freien Stücken" selbst beschaffen und die Erstattung ihrer Aufwendungen fordern (BT-Drs. 17/12036, a.a.O.).

Bei der von der Schule der Klägerin organisierten Klassenfahrt handelt es sich nicht um einen kurzfristig angesetzten Ausflug im Sinne des Gesetzgebers. Der Klägerin war es möglich, rechtzeitig einen Antrag zu stellen. Die Klägerin bzw. deren Eltern wussten bereits seit dem 11. Juni und damit knapp einen Monat vor Beginn der Klassenfahrt, dass die Fahrt 280,00 € kosten würde. An diesem Tag ging ihnen nämlich die E-Mail der Lehrerin J. mit dem genannten Inhalt zu, wie sich aus dem vom Kläger vorgelegten Ausdruck auf Blatt 20 der Gerichtsakte ergibt. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätten die Eltern der Klägerin einen Antrag bei dem Beklagten auf Anerkennung der Kosten stellen können. Dass dieser unter Umständen erst später beschieden werden konnte, da die Informationen, welche für die Prüfung der Voraussetzungen des §§ 28 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB II notwendig waren, zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlagen, ist unerheblich. Es kommt bei § 30 S. 2 SGB II lediglich darauf an, dass die Stellung eines Antrages, nicht dessen Bescheidung, möglich war. Die Tatsache, dass der Vater der Klägerin den Antrag am 4. Juli telefonisch stellen konnte, zeigt, dass die Antragstellung selbst zügig und formlos vorgenommen werden kann.

Auch die materiellen Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt.

Zwar ist die Klägerin nach §§ 7 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nr. 4, 19 Abs. 2, 28 Abs. 2 SGB II leistungsberechtigt. Sie ist die Tochter von K.A. und H., welche beide zu den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach § 7 Abs. 1 SGB II gehören. Sie hat das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet und lebte zum Zeitpunkt der Antragstellung im Haushalt ihrer Eltern. Eigenes Einkommen oder Vermögen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes hat sie nicht. Im Zeitraum der beantragten Leistung war sie Schülerin und hatte weder einen Anspruch aus dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - SGB XII - noch einen Anspruch aus § 6b Bundeskindergeldgesetz.

Auch handelt es sich bei der Fahrt um eine mehrtägige Klassenfahrt.

Allerdings handelt es sich nicht um eine solche im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen.

Durch den Verweis auf schulrechtliche Bestimmungen enthält das Gesetz bereits dem Wortlaut nach einen klaren Hinweis darauf, dass der Begriff der mehrtägigen Klassenfahrt nicht allein nach bundesrechtlichen Maßstäben auszulegen ist, sondern vorrangig nach landesrechtlichen. Das Bundesgesetz gibt lediglich den Rahmen vor, innerhalb dessen ein Anspruch auf Leistungen bestehen kann, der Anspruch selbst ist durch Landesrecht auszuformen (BSG, Urteil vom 22. November 2011, Az. B 4 AS 204/10 R - juris Rn. 14). Das Landesrecht regelt, welche Veranstaltungen dem Grunde nach üblich sind und in welcher Höhe Aufwendungen hierfür regional übernommen werden (BSG, a.a.O.) Dies entspricht auch der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Land über das Schulrecht; dieses ist nach Art. 70 Grundgesetz ausschließlich Aufgabe des Landesgesetzgebers (ebenso BSG, Urteil vom 22. November 2011, Az. B 4 AS 204/10 R - juris Rn. 17 unter Verweis auf BVerfG vom 08.04.1987 - 1 BvL 8/84, 1 BvL 16/84; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2012 - L 7 AS 409/11 - juris Rn. 59). Die Länder haben daher eine weitgehend eigenständige Gestaltungsfreiheit bei der Festlegung der Schulorganisation, der Erziehungsprinzipien und Unterrichtsgegenständen haben (BVerfG vom 26.02.1980 - 1 BvR 684/78 - juris Rn. 33).

Zu den schulrechtlichen Bestimmungen gehören nicht nur die Schulgesetze der Länder, sondern auch Verordnungen, Richtlinien und Erlasse der zuständigen Behörden (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, Stand 30.07.2019, § 28 Rn. 79; Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, 10/18, § 28 SGB II Rn. 39). Dies ergibt sich daraus, dass die Länder nach Art. 30 GG für die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zuständig sind und sie somit im Rahmen der landeseigenen Gesetzgebungskompetenz auch grundsätzlich selbst entscheiden können, in welcher Form sie ihre Befugnisse wahrnehmen (vgl. BVerfG, a.a.O.).

In diesem Sinne handelt es sich bei dem Erlass des Hessischen Kultusministeriums über Schulwanderungen und Schulfahrten vom 07. Dezember 2009 um eine solche schulrechtliche Bestimmung. Dieser regelt unter I. 1. 3.: In Jahrgangsstufen 5-10 kann eine Schülerin oder ein Schüler höchstens 3 mehrtägige Veranstaltungen, die sich auf 3 verschiedene Schuljahre 3 verschiedene Kalenderjahre, teilnehmen. In der Oberstufe kann eine Schülerin oder ein Schüler höchstens einer Studienfahrt teilnehmen.

Da die Klägerin bereits an drei mehrtägigen Veranstaltungen in den Jahrgangsstufen 5-10 teilgenommen hat, konnte sie nach schulrechtlichen Bestimmungen an der streitgegenständlichen vierten mehrtägigen Veranstaltung nicht teilnehmen.

I.1.3 des Erlasses ist rechtmäßig. Er verstößt nicht gegen höherrangiges Bundes- oder Landesrecht und ist daher anzuwenden.

I.1.3 des Erlasses verstößt insbesondere nicht gegen § 28 Abs. 2 SGB II und führt nicht zu einer Benachteiligung von Kindern in einkommensschwachen Haushalten.

Die Leistungen des § 28 SGB II dienen dazu, die materielle Basis für die Chancengerechtigkeit der Kindern und Jugendlichen im Grundsicherungsbezug bereitzustellen, die nachhaltige Überwindung von Hilfebedürftigkeit durch Bildung zu ermöglichen und für die Beendigung gesellschaftlicher Exklusionsprozesse zu sorgen (Lenze in LPK-SGB II, § 28 Rn. 1; Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 28 Rn. 5)

Ein Verstoß kann daher nur dann angenommen werden, wenn Kinder und Jugendliche im Grundsicherungsbezug durch die Vorschrift des Erlasses von mehrtägigen Klassenfahrten ausgegrenzt werden und ihnen damit nicht dieselben Chancen wie Kinder und Jugendlichen ohne Leistungsbezug ermöglicht werden und kein gleichberechtigtes Maß an Teilhabe gewährleistet wird.

Der Erlass gilt für alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen unabhängig von Einkommen und Vermögen der Eltern. Auch Schülerinnen und Schüler, die nicht im Leistungsbezug des SGB II stehen, ist es nach dem Erlass versagt, an Klassenfahrten teilzunehmen, wenn sie in den Jahren davor bereits an drei mehrtägigen Veranstaltungen teilgenommen haben. Ziffer I.1.3 des Erlasses führt daher nicht zu einer Einschränkung der Chancengerechtigkeit und einer Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen im Grundsicherungsbezug.

Aus einer Gesamtschau der Vorschriften ergibt sich, dass dieser sogar gerade darauf abzielt, Kindern aus einkommensschwachen Haushalten eine Teilnahme an möglichst vielen der angebotenen Fahrten zu ermöglichen. So sieht I.1.7 vor, dass im Hinblick auf die finanzielle Belastung der Eltern bzw. der volljährigen Schülerinnen und Schüler im Laufe eines Schuljahres und eines Kalenderjahres nur eine mehrtägige Veranstaltung durchgeführt werden soll und bei der Planung von mehrtägigen Veranstaltungen darauf zu achten ist, dass niemand aus finanziellen Gründen von der Teilnahme ausgeschlossen werden darf. Ziffer IV beinhaltet die Regelung, dass bei Inlandsfahrten die von Eltern oder Schülern aufzubringenden Gesamtkosten 150,00 Euro, bei Auslandsfahrten 225,00 Euro je Schülerin oder Schüler nicht übersteigen sollen. Allenfalls dann, wenn ein langfristiges Ansparen ermöglicht wird, dürfen die Gesamtkosten bis zu 300,00 Euro bei Inlandsfahrten bzw. 450,00 Euro bei Auslandsfahrten betragen. IV.3 schreibt der Schule vor, darauf zu achten, dass die von den Eltern bzw. den volljährigen Schülerinnen und Schülern aufzubringenden Gesamtkosten sich nicht nur an den zulässigen Höchstgrenzen, sondern vorrangig an den finanziellen Möglichkeiten der Eltern bzw. der volljährigen Schülerinnen und Schüler orientieren.

Es obliegt daher den Schulen, ihren Bildungsauftrag aus § 3 Abs. 5 Schulgesetz Hessen gemäß den Vorgaben des Erlasses - welcher als Verwaltungsvorschrift für die Schulen bindend ist - auszuüben. Die Schulen haben bei der Planung und Organisation von Schulfahrten im Interesse der Schülerinnen und Schüler darauf Rücksicht zu nehmen, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler bei all jenen Klassenfahrten, bei welchen aus pädagogischer Sicht eine Teilnahme aller Schülerinnen und Schüler eines Klassenverbandes für sinnvoll erachtet wird, teilnehmen können. Dies bedeutet auch, dass die Schule darauf zu achten hat, dass in der Jahrgangsstufe 10 keine "notwendige" mehrtägige Veranstaltung angeboten wird, wenn eine Schülerin oder ein Schüler hieran nicht teilnehmen kann, weil er sein "Pensum" an mehrtägigen Veranstaltungen bereits erreicht hat. Wendet die Schule den Erlass nicht an, indem sie diese Schüler ungeachtet dessen an der Klassenfahrt teilnehmen lässt, kann dies nicht zulasten des Trägers der Grundsicherungsleistungen gehen. Dieser ist bei der Anerkennung der Bedarfe für mehrtägige Schulausflüge an die schulrechtlichen Bestimmungen und den Erlass über Schulwanderungen und Schulfahrten, gebunden ist und nicht an dessen (Nicht-)Beachtung durch die Schule.

Bei der Klägerin liegt auch kein von I.1.3 des Erlasses nicht erfasster Ausnahmefall vor, da sie zu diesem Schuljahr die Schule wechselte und daher besonders auf die Eingliederung in den Klassenverband angewiesen ist.

Schulwanderungen und Schulfahrten sind ausweislich der Vorbemerkung des Erlasses wichtige Elemente des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schulen und tragen dazu bei, gemeinsame neue Erfahrungen und Erlebnisse und das gegenseitige Verständnis zu vertiefen und den Gemeinschaftssinn zu fördern. Gleichzeitig stellen sie jedoch nur einen Teil der pädagogischen Konzeption dar. Art und Umfang der Veranstaltungen müssen auch aus dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule abgeleitet werden. Hieraus kann als Zweck der Begrenzung der Anzahl der Schulfahrten - von der finanziellen Komponente abgesehen - abgeleitet werden, dass die klassische Schulbildung einzelner Schülerinnen und Schüler durch die übermäßige Teilnahme an mehrtägigen Veranstaltungen nicht gefährdet wird.

Der Erlass selbst differenziert nicht danach, ob die von der Schülerin oder dem Schüler besuchten mehrtägigen Veranstaltungen an derselben Schule und im selben Klassenverband stattfanden. Vielmehr zählt der Erlass zu den Fahrten auch Fahrten im Austausch mit Partnerschulen, mehrtägige Veranstaltungen mit sportlichem Schwerpunkt und Chor- und Orchesterreisen, welche typischerweise nicht in einem Klassenverband sondern klassen- und zum Teil jahrgangsstufenübergreifend stattfinden. Als primäres Ziel der Fahrten wird daher nicht gesehen, den Gemeinschaftssinn innerhalb eines Klassenverbandes zu fördern. Aufgrund dessen sieht der Erlass selbst auch keine Ausnahmen für den Fall eines Klassen- oder Schulwechsels vor.

Die Annahme einer Ausnahme gebietet sich auch nicht aus Bildungs- und Teilhabeaspekten.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG - und erging nach pflichtgemäßem Ermessen. Hierbei wurde berücksichtigt, dass die Klägerin unterlag und der Beklagte über die ablehnende Entscheidung hinaus keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.

III.

Die Berufung war nicht gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, weil keiner der genannten Zulassungsgründe vorliegt.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte