Hessischer VGH, Beschluss vom 18.02.2020 - 5 A 1646/18
Fundstelle
openJur 2020, 45298
  • Rkr:

Ein Sondervorteil im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 4 Hess KAG ergibt sich auch bei einem nicht gefangenen Hinterliegergrundstück im Regelfall dann, wenn hinsichtlich Anlieger- und Hinterliegergrundstück Eigentümeridentität besteht und beide Grundstücke einheitlich genutzt werden.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 28. November 2017 - 6 K 917/13.KS - abgeändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens und des erstinstanzlichen Verfahrens zu tragen.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110 % des aufgrund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 14.351,72 € festgesetzt.

Gründe

I.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 28. November 2017, soweit das Verwaltungsgericht ihren Heranziehungsbescheid zu einem Straßenausbaubeitrag vom 3. April 2013 betreffend das Grundstück Gemarkung Witzenhausen, Flur A..., Flurstück B..., in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2013 aufgehoben hat.

Soweit die Beklagte den Kläger ebenfalls mit Bescheiden vom 3. April 2013 zu Ausbaubeiträgen für seine Grundstücke Gemarkung Witzenhausen, Flur A..., Flurstücke C..., D..., E... und F..., herangezogen hat, hat das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage des Klägers abgewiesen. Diese Bescheide sind nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.

Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bezug genommen, da sich der erkennende Senat diese Feststellungen in vollem Umfang zu Eigen macht (vgl. § 130b Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO

Zur Begründung des Urteils vom 28. November 2017 hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Heranziehungsbescheide sei der Kläger Eigentümer der Flurstücke B..., C..., D..., E... und F... gewesen. Die Flurstücke B..., C..., E... seien mit einem Altenwohnheim bebaut und würden vom Kläger einheitlich genutzt. Bei dem Flurstück B... handele es sich um ein sogenanntes nicht gefangenes Hinterliegergrundstück des Flurstücks C.... Das Flurstück C... liege unmittelbar an dem Elsterweg an, der einen unselbstständigen Annex des um- und ausgebauten Conrad-Bischoff-Wegs darstelle. Das Flurstück B... grenze an die Straße Am Frauenmarkt an. Der ausgebaute Conrad-Bischoff-Weg gewähre dem Hinterliegergrundstück B... nur dann einen beitragsrelevanten Sondervorteil, wenn im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten mit einer (noch) relevanten Wahrscheinlichkeit typischerweise angenommen werden könne, dass die ausgebaute Straße - ungeachtet der Anliegerstraße, an die das Hinterliegergrundstück unmittelbar angrenze - von diesem Grundstück über das Anliegergrundstück in nennenswertem Umfang tatsächlich in Anspruch genommen werde. Davon könne aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse nicht ausgegangen werden. Der gesamte Gebäudekomplex des Altenwohnheims, der sich über die Flurstücke B..., C... und E... erstrecke, sei zu der Straße Am Frauenmarkt ausgerichtet. Dort gebe es eine breite Zufahrt sowie mehrere Parkplätze und auch zwei Eingänge zum Gebäude. Von dem Flurstück C... gebe es keinen Weg auf das höher gelegene Grundstück B.... Lediglich über das Gebäude könne man auf das Flurstück B... gelangen. Auf dem Grundstück Flurstück E..., das ebenfalls an den Elsterweg angrenze, befinde sich ein dritter (Seiten-)Eingang, der zu vernachlässigen sei. Die örtlichen Gegebenheiten der Stadt Witzenhausen zeigten zudem, dass der Hauptverkehrsstrom aus der Stadtmitte über die Straße Am Frauenmarkt zu dem Altenwohnheim gelange. Selbst wenn vereinzelt fußläufig über den Conrad-Bischoff-Weg und den Elsterweg, an dem es selbst keine Parkmöglichkeiten gebe, z. B. Besucherverkehr über den Eingang auf dem Flurstück E... in das Altenwohnheim gelange, sei nicht davon auszugehen, dass dies mit relevanter Wahrscheinlichkeit in nennenswertem Umfang erfolge.

Auf Antrag der Beklagten vom 11. Januar 2018 hat der Senat mit Beschluss vom 13. August 2018 - 5 A 100/18.Z - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.

Zur Begründung der Berufung trägt der Bevollmächtigte der Beklagten vor, dass unabhängig vom Vorhandensein einer Zufahrt vom Hinterliegergrundstück zur Ausbaustraße der beitragsrelevante Sondervorteil auch einem nicht gefangenen Hinterliegergrundstück dann vermittelt werde, wenn hinsichtlich des Anlieger- und des Hinterliegergrundstücks Eigentümeridentität und eine vom Willen des Eigentümers getragene einheitliche Nutzung beider Grundstücke vorliege. Die einheitliche Nutzung werde hier durch die grenzüberschreitende Bebauung mit dem großen Gebäudekomplex des Altenwohnheims dokumentiert, die sich über die Flurstücke B..., C... und E... erstrecke. Der weitergehenden Anforderung des Verwaltungsgerichts, für nicht gefangene Hinterliegergrundstücke müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Grundstück durch die tatsächliche Inanspruchnahme der - zusätzlichen - Verkehrsanlage ein nennenswerter Vorteil zuwachsen, habe der Senat für das Erschließungsbeitragsrecht mit Beschluss vom 14. Dezember 2012 - 5 A 1884/12 -, Juris, eine Absage erteilt.

Zudem sei eine vorteilsrelevante Inanspruchnahmemöglichkeit der abgerechneten Ausbauanlage vom Flurstück B... selbst dann zu bejahen, wenn man mit dem Verwaltungsgericht eine zusätzliche Einzelfallbewertung der tatsächlichen Inanspruchnahme durch das nicht gefangene Hinterliegergrundstück fordere. Es gebe einen Eingang zum Gebäude, der sich auf dem Flurstück E... befinde. Zudem könne man das Flurstück B... auch erreichen, indem man von dem Flurstück E... um das Gebäude herumgehe.

Die Beklagte beantragt,

unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 28. November 2017 - 6 K 917/13.KS - die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, dass das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen sei, dass bei einem nicht gefangenen Hinterliegergrundstück auch bei Eigentümeridentität eine zusätzliche Bewertung der Inanspruchnahmemöglichkeit anhand der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall geboten sei. Eine einheitliche Nutzung sei dabei nicht ausreichend. Denn die einheitliche Nutzung sei ebenso wie eine Eigentümeridentität als solche wertneutral und lasse nicht den Schluss zu, dass die abzurechnende Anlage von einem nicht gefangenen Hinterliegergrundstück über das Anliegergrundstück in nennenswertem Umfang genutzt werde. Hinzukommen müsse vielmehr ein tatsächliches Element. Die Bewertung habe zu erfolgen nach dem Umfang der (wahrscheinlichen) tatsächlichen Inanspruchnahme der ausgebauten Verkehrsanlage. Je mehr die Verkehrsanlage nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit tatsächlich in Anspruch genommen werde, desto wertvoller sei die gebotene Inanspruchnahmemöglichkeit (so auch Driehaus in Driehaus (Hrsg.), Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2019, § 8 Rn. 401 n).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (ein Ordner) Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.

II.

Die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig und begründet. Da der Senat einstimmig dieser Auffassung ist und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, entscheidet er gemäß § 130a VwGO durch Beschluss. Die Beteiligten sind zu dieser Vorgehensweise gehört worden (§ 130a Satz 2 in Verbindung mit § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der Beklagten über die Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag vom 3. April 2013 betreffend das Grundstück Gemarkung Witzenhausen, Flur A..., Flurstück B..., in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2013 aufgehoben.

Auch soweit die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 3. April 2013 zur Zahlung eines Straßenausbaubeitrages für das Grundstück Flurstück B... in Höhe eines Betrages von 14.351,72 € heranzieht, ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Klägers zur Zahlung eines Straßenausbaubeitrages ist § 11 Abs. 1 Hessisches Gesetz über kommunale Abgaben - Hess KAG - in der Fassung vom 24. März 2013 in Verbindung mit den Bestimmungen der Straßenbeitragssatzung der Beklagten vom 29. April 2008, öffentlich bekanntgemacht am 31. Mai 2008 (im Folgenden: Straßenbeitragssatzung - StrBS -).

Nach § 11 Abs. 1 Hess KAG können die Gemeinden und Landkreise zur Deckung des Aufwands für die Schaffung, Erweiterung und Erneuerung öffentlicher Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtung nicht nur vorübergehende Vorteile bietet. Für den Fall des Um- und Ausbaus von Straßen, Wegen und Plätzen als öffentliche Einrichtungen sieht § 11 Abs. 4 Hess KAG in Abhängigkeit vom Überwiegen einer bestimmten Verkehrsart Mindestanteile des Aufwands vor, die von der Gemeinde zu tragen sind. Die auf dieser gesetzlichen Grundlage erlassene StrBS der Beklagten weist den durch § 2 Abs. 1 Satz 2 Hess KAG vorgeschriebenen Mindestinhalt auf und entspricht auch im Übrigen den gesetzlichen Vorgaben.

Die Beklagte war grundsätzlich berechtigt, für den Ausbau des Conrad-Bischoff-Wegs in dem Abschnitt von der Straße Am Frauenmarkt bis zur Steingasse Straßenbeiträge zu erheben, denn es handelt sich bei dieser Baumaßnahme um den beitragsfähigen Ausbau einer Straße im Sinne des § 11 Abs. 1 Hess KAG und des einschlägigen Satzungsrechts der Beklagten.

Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass es sich bei dem Elsterweg weder um eine selbstständige Verkehrsanlage noch einen gesondert abrechnungsfähigen Abschnitt der ausgebauten Verkehrsanlage handelt. Der Elsterweg ist als unselbstständiger Annex des Conrad-Bischoff-Wegs anzusehen.

Nach der Rechtsprechung des Senats deckt sich nach dem Hessischen Kommunalabgabenrecht der Anlagenbegriff im Straßenbaubeitragsrecht im Wesentlichen mit dem des Erschließungsbeitragsrechts. Insofern ist für die Beurteilung der Reichweite einer als öffentliche Einrichtung anzusehenden Straßenanlange ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise maßgeblich auf das durch die tatsächlichen Verhältnisse geprägte Erscheinungsbild abzustellen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Dezember 2005 - 5 TG 1729/05 Juris Rn. 3; vom 5. Juli 2012 - 5 B 1092/12 -, Juris Rn. 9 und vom 8. Februar 2017 - 5 B 3030/16 -, Juris Rn. 4). Auch die Frage nach der Selbstständigkeit eines von einem (Haupt-)Straßenzug abzweigenden Stichwegs als Verkehrsanlage hat nach dieser Betrachtungsweise zu erfolgen. Besondere Bedeutung kommt der Ausdehnung und der Beschaffenheit des Stichwegs, der Zahl der durch ihn erschlossenen Grundstücke und auch dem Maß der Abhängigkeit zwischen ihm und der Straße zu, in die er einmündet (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 2011 - 8 C 77/83 -, Juris Rn. 18 ff., = NVwZ 1985, 346). Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsausbaubeitragsrecht geht der Senat davon aus, dass ein gerade verlaufender Stichweg in der Regel erst ab einer Länge von über 100 m zu einer selbstständigen Anlage wird (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Februar 2017, a.a.O.). Handelt es sich um eine relativ kurze Verzweigung des Hauptstraßenzuges, deren Aufgabe darin besteht, einem oder einigen wenigen Grundstücken im Hintergelände die Zufahrt vom bzw. zum Hauptstraßenzug zu ermöglichen, so scheidet, was die Verzweigung als solche angeht, in der Regel sowohl die Annahme einer selbstständigen Erschließungsanlage als auch eines gesondert abrechnungsfähigen Abschnitts aus. Für einen gesondert abrechnungsfähigen Abschnitt fehlt es in diesem Fall an der erforderlichen Beziehbarkeit (Eingrenzbarkeit) des Vorteils auf das jeweilige Straßenstück. Verzweigungen mit Zufahrtscharakter weisen im Verhältnis zum Hauptstraßenzug eine so starke räumliche und funktionelle Abhängigkeit auf, dass sie sich vorteilsmäßig nicht in der für einen selbstständig abrechenbaren Abschnitt vorausgesetzten Weise verselbstständigen lassen. Ihre Abrechnung ist deshalb zwangsläufig in die Abrechnung des Hauptstraßenzugs eingebettet. Eine das "Erschließungsgebiet" der Zufahrtsstrecke aussparende Bestimmung des Abrechnungsgebiets kommt insoweit auch dann nicht in Betracht, wenn die Ausbaumaßnahme ausschließlich im Bereich des Hauptstraßenzugs durchgeführt wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Dezember 2005 und vom 8. Februar 2017, a.a.O.).

Der Elsterweg ist einschließlich der sich an seinem Ende befindlichen Treppe lediglich ca. 80 m lang und etwa 3 m breit. Er verläuft geradlinig ohne Kurven und endet mit einem Wendehammer und einer Treppe. Das Grundstück Elsterweg ..., Flurstück G..., welches an keiner anderen öffentlichen Einrichtung anliegt und keine andere Zufahrt hat, ist über diesen Stichweg erschlossen. Aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse vermittelt der Elsterweg daher den Eindruck einer Zufahrt. Zudem ist nicht ersichtlich, dass dem Elsterweg eine andere Verkehrsbedeutung als dem ausgebauten Hauptstraßenzug zukommt.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts geht der Senat jedoch davon aus, dass eine Beitragspflicht auch hinsichtlich des nicht gefangenen Hinterliegergrundstücks Flurstück B... besteht, weil sich die Möglichkeit der Inanspruchnahme der ausgebauten Verkehrsanlage auch für das Hinterliegergrundstück als objektiv werthaltig darstellt.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Hess KAG können Kommunen zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Erweiterung und Erneuerung öffentlicher Einrichtungen - damit auch Straßen - Beiträge erheben. Die Beiträge werden von den Grundstückseigentümern erhoben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtungen nicht nur vorübergehende Vorteile bietet (§ 11 Abs. 1 Satz 4 Hess KAG; vgl. hierzu auch Senatsbeschlüsse vom 9. November 2004 - 5 TG 2850/04 -, Juris Rn. 5 und - 5 TG 2864/04 -, Juris Rn. 4).

Grundsätzlich maßgeblich ist im Straßenbeitragsrecht - wie im Erschließungsbeitragsrecht - der bürgerlich-rechtliche Begriff des Grundstücks im Sinne des Grundbuchrechts, der sogenannte formelle Grundstücksbegriff (vgl. Driehaus, a.a.O., § 8 Rn. 392 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung; Senatsbeschluss vom 11. Mai 1993 - 5 TH 963/92 -, Juris Rn. 4).

Die Einbeziehung von Grundstücken in die Verteilung des beitragsfähigen Aufwands, die nicht an die Ausbaustraße angrenzen, kommt hinsichtlich zweier Fallkonstellationen in Betracht, nämlich hinsichtlich gefangener und hinsichtlich anderer (nicht gefangener) Hinterliegergrundstücke. Sowohl bei gefangenen Hinterliegergrundstücken, d. h. den Hinterliegergrundstücken, die ausschließlich über die jeweils vorgelagerten Anliegergrundstücke eine Verbindung zum gemeindlichen Verkehrsnetz haben, als auch bei nicht gefangenen Hinterliegergrundstücken, also den Grundstücken, deren - aus Sicht der betreffenden Anliegergrundstücke - rückwärtige Teilflächen ihrerseits an eine Gemeindestraße angrenzen, ist entscheidend, ob dem Eigentümer des Hinterliegergrundstücks ein beitragsrechtlich relevanter Vorteil geboten wird, weil er vom Hinterliegergrundstück aus eine dauerhafte Möglichkeit zur Inanspruchnahme der ausgebauten Straße besitzt (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 3. September 2008 - 5 A 688/08 -, Juris Rn. 26). Die Annahme eines solchen Sondervorteils durch die Inanspruchnahmemöglichkeit der Verkehrsanlage liegt regelmäßig bei sinnvollen und zulässigen Nutzungen vor, also nicht nur - wie im Erschließungsbeitragsrecht - bei einer baulichen oder gewerblichen Nutzung, soweit sie rechtlich gesichert ausgeübt werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 2. April 2019 - 5 B 1235/18 -, Juris Rn. 4 und Senatsurteil vom 5. Juni 2018 - 5 A 1537/16 -, Juris Rn. 38 m.w.N.).

Auch bei bestehender Eigentümeridentität kann es für das (nicht gefangene) Hinterliegergrundstück bereits an einer Zugangsmöglichkeit zur ausgebauten Straße über das Anliegergrundstück fehlen, wenn es wegen einer weitgehenden Überbauung des Anliegergrundstücks bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ausgeschlossen ist, sich vom Hinterliegergrundstück einen Zugang zur Straße zu verschaffen (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2004 - 5 TG 2864/04 -, Juris Rn. 4). Dann kommt eine Beitragspflicht schon wegen der fehlenden Zugangsmöglichkeit nicht in Betracht.

Ist aber - wie im vorliegenden Fall - eine Zugangsmöglichkeit gegeben, entsteht die Beitragspflicht, wenn die Möglichkeit der Inanspruchnahme nicht nur vorübergehende Vorteile bietet, sich die Inanspruchnahmemöglichkeit also nicht als objektiv wertlos für den Eigentümer darstellt (vgl. hierzu auch Driehaus, a.a.O., § 8 Rn. 401j). Anhand objektiver Kriterien ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob sich die Inanspruchnahmemöglichkeit als werthaltig darstellt.

Ein gewichtiges Indiz dafür, dass ein Vorteil werthaltig bzw. nennenswert ist, kann insoweit bei einem nicht gefangenen Hinterliegergrundstück regelmäßig bereits in der einheitlichen Nutzung von Anlieger- und Hinterliegergrundstück erblickt werden. Hat der Eigentümer objektiv die Möglichkeit, einen entsprechenden Zugang zu einem einheitlichen Grundstück zu nutzen, stellt sich auch die tatsächliche Nutzung des Zugangs nach objektiven Gesichtspunkten jedenfalls bei einer einheitlichen Nutzung des Grundstücks als wahrscheinlich dar. Der Vorteil der ausgebauten Straße für das an der Straße unmittelbar anliegende Grundstück strahlt auf das Hinterliegergrundstück aus. Beide Buchgrundstücke werden neben der Eigentümeridentität über die einheitliche Nutzung derart verklammert, dass eine hinreichende räumlich enge Beziehung eine qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit in dem Sinne erwarten lässt, dass auch vom Hinterliegergrundstück aus die Anlage intensiver beansprucht wird als von anderen Grundstücken aus. Ein Sondervorteil im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 4 Hess KAG ergibt sich daher auch bei einem nicht gefangenen Hinterliegergrundstück im Regelfall dann, wenn hinsichtlich Anlieger- und Hinterliegergrundstück Eigentümeridentität besteht und beide Grundstücke einheitlich genutzt werden (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 9. November 2004 - 5 TG 2850/04, Juris Rn. 5 und - 5 TG 2864/04 -, Juris Rn. 4; Senatsurteil vom 6. Mai 2009 - 5 A 2017/08 -, Juris Rn. 22; für eine Beitragspflicht wohl auch: Schleswig-Holsteinisches OVG, Urteile vom 24. Oktober 1996 - 2 L 108/96 - und vom 5. Dezember 2012 - 9 A 94/10 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Oktober 2007 - 6 A 10568/07 -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteile vom 5. November 2014 - 2 L 220/13 - und - 1 L 81/13 -; Sächsisches OVG, Urteil vom 14. März 2018 - 5 A 184/15 -; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11. Oktober 2018 - 9 LA 37/18 -, jeweils zitiert nach Juris).

Soweit teilweise vertreten wird, dass eine einheitliche Nutzung ebenso wie eine Eigentümeridentität als solche wertneutral sei und für sich allein nicht den Schluss zulasse, die abzurechnende Straße werde von einem nicht gefangenen Hinterliegergrundstück über das Anliegergrundstück in Anspruch genommen (vgl. z.B. Bay. VGH, Beschluss vom 3. Juli 2017 - 6 ZB 16.2272 -, Juris Rn. 24; Driehaus, a.a.O., § 8 Rn. 401k), folgt der Senat dem nicht. Zutreffend wird in diesem Zusammenhang zwar darauf hingewiesen, dass anhand der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall zu prüfen ist, ob ein werthaltiger Sondervorteil gegeben ist (vgl. Driehaus, a.a.O., § 8 Rn. 401k). Ob Vorder- und Hinterliegergrundstück, die einheitlich genutzt oder sogar mit einem einheitlichen Gebäude bebaut sind, in die eine oder andere Richtung ausgerichtet sind, kann insoweit im Einzelfall durchaus von Belang sein (vgl. hierzu Bayerischer VGH, Beschluss vom 3. Juli 2017, a.a.O., Rn. 23). So geht auch der Senat davon aus, dass eine Beitragspflicht des Hinterliegergrundstücks nicht gegeben ist, wenn es bereits an einer Zugangsmöglichkeit zur ausgebauten Straße über das Anliegergrundstück fehlt und es wegen einer weitgehenden Überbauung des Anliegergrundstücks bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ausgeschlossen erscheint, sich vom Hinterliegergrundstück einen Zugang zur Straße zu verschaffen (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2004 - 5 TG 2864/04 -, Juris Rn. 4). Letztlich erscheint es jedoch zu kurz gegriffen, bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse allein auf die Ausrichtung des Grundstücks abzustellen. Denn gerade die Eigentumsverhältnisse und auch die jeweilige, gegebenenfalls einheitliche Nutzung sind für die Beurteilung der tatsächlichen Nutzungsvorteile bedeutsam.

Denkt man die Verkehrsanlage Am Frauenmarkt - über die das Flurstück B... derzeit angefahren werden kann - hinweg, so ist offenkundig, dass die Ausbaustraße die Möglichkeit der Inanspruchnahme aller einheitlich genutzten Grundstücke des Anwesens vermittelt, ohne dass sich die durch die Inanspruchnahmemöglichkeit vermittelten Sondervorteile ausnahmsweise auf Teilflächen beschränken ließen (sogenannte Hinwegdenkenstheorie - vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 6. April 2010 - 5 B 2139/09 -, Juris Rn. 5). Schließlich verfügt das Gebäude über einen gesonderten Eingang auf dem Anliegergrundstück, so dass auch insofern eine tatsächliche Zugangsmöglichkeit gegeben ist. Zwar mag es regelmäßig zutreffen, dass ein Grundstückseigentümer einzelne Gebäudezugänge seltener nutzt als andere Zugänge. Ob ein Sondervorteil im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 4 Hess KAG und damit eine Beitragspflicht gegeben ist, ist jedoch anhand objektiver Kriterien zu ermitteln, wobei auch § 11 Abs. 1 Satz 4 Hess KAG an die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtung anknüpft. Auffassungen, die für das Vorhandensein eines relevanten Sondervorteils stärker auf die tatsächliche Nutzung des Grundstücks von der ausgebauten Verkehrsanlage aus abstellen, entfernen sich vom Beitragsbegriff, der allein an die Inanspruchnahmemöglichkeit, und gerade nicht an die konkrete Inanspruchnahme anknüpft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordung - ZPO -.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 3, 47 Gerichtskostengesetz - GKG -.