OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 12.06.2019 - 2 UF 112/18
Fundstelle
openJur 2020, 44018
  • Rkr:

Bei einer darlehensweisen Gewährung von Sozialleistungen findet kein gesetzlicher Forderungsübergang nach § 33 SGB II bzw. SGB XII statt.

Tenor

Auf die Berufungen der Klägerin und des Beklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Melsungen vom 05.04.2018 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen rückständigen nachehelichen Unterhalt für die Zeit vom 1.12.2008 bis 31.12.2015 in Höhe von 42.500 Euro nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 10.000 Euro seit dem 24.8.2010, sowie aus jeweils 500 Euro seit dem 1.8.2010, 1.9.2010, 1.10.2010, 1.11.2010, 1.12.2010, 1.1.2011, 1.2.2011, 1.3.2011, 1.4.2011, 1.5.2011, 1.6.2011, 1.7.2011, 1.8.2011, 1.9.2011, 1.10.2011, 1.11.2011, 1.12.2011, 1.1.2012, 1.2.2012, 1.3.2012, 1.4.2012, 1.5.2012, 1.6.2012, 1.7.2012, 1.8.2012, 1.9.2012, 1.10.2012, 1.11.2012, 1.12.2012, 1.1.2013, 1.2.2013, 1.3.2013, 1.4.2013, 1.5.2013, 1.6.2013, 1.7.2013, 1.8.2013, 1.9.2013, 1.10.2013, 1.11.2013, 1.12.2013, 1.1.2014, 1.2.2014, 1.3.2014, 1.4.2014, 1.5.2014, 1.6.2014, 1.7.2014, 1.8.2014, 1.9.2014, 1.10.2014, 1.11.2014, 1.12.2014, 1.1.2015, 1.2.2015, 1.3.2015, 1.4.2015, 1.5.2015, 1.6.2015, 1.7.2015, 1.8.2015, 1.9.2015, 1.10.2015, 1.11.2015 und seit dem 1.12.2015 zu zahlen.

Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens haben die Klägerin zu 75 % und der Beklagte zu 25 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 24.706,92 Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um nachehelichen Ehegattenunterhalt.

Die am XX.XX.1959 geborene Klägerin und der am XX.XX.1957 geborene Beklagte heirateten am 25.5.1983. Aus der Ehe gingen der am XX.XX.1983 geborene A und die am XX.XX.1988 geborene B hervor. Die Parteien trennten sich im Dezember 1998, wobei die Kinder bei der Klägerin blieben. Der Scheidungsantrag wurde am 16.2.2000 zugestellt. Die Ehe wurde durch Urteil des Amtsgerichts Melsungen vom 19.2.2001, welches am selben Tage rechtskräftig wurde, geschieden.

Die Parteien hatten sich zunächst außergerichtlich über den Unterhalt geeinigt. Am 28.7.1999 vereinbarten sie einen Trennungsunterhalt von monatlich 900 €, den der Beklagte auch nach der Scheidung in dieser Höhe als nachehelichen Unterhalt weiterzahlte, und zwar bis Ende April 2004. Nachdem der Beklagte die Zahlungen eingestellt hatte, leitete die Klägerin beim Amtsgericht Melsungen unter dem Aktenzeichen ... ein Unterhaltsverfahren ein. In diesem Verfahren erstattete der Sachverständige C am 18.8.2005 ein sozialmedizinisches Gutachten zur Leistungsfähigkeit der Klägerin, auf das Bezug genommen wird (Bl. 281 ff. des beigezogenen Verfahrens ...). Am 31.10.2005 schlossen die Parteien in dem vorgenannten Verfahren einen gerichtlichen Vergleich. Darin verpflichtete sich der Beklagte, an die Klägerin rückständigen Unterhalt und ab dem 1.11.2005 einen monatlichen nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 900 € zu zahlen, und zwar festgeschrieben bis zum 31.10.2008. Weiterhin legten sie fest, dass der nacheheliche Ehegattenunterhalt für die Zeit ab dem 1.11.2008 neu zu berechnen sei. Den im Vergleich festgelegten Unterhalt zahlte der Beklagte bis zum 31.10.2008. Danach stellte er seine Zahlungen ein, und zwar bis heute.

In dem vorliegenden Verfahren macht die Klägerin mit einer am 12.5.2009 beim Amtsgericht eingegangenen und am 15.6.2009 zugestellten Stufenklage Ehegattenunterhalt für die Zeit ab Dezember 2008 geltend, nachdem die Klägerin den Beklagten mit Schriftsatz vom 3.12.2008 aufgefordert hatte, zum Zwecke der Unterhaltsberechnung Auskunft über sein Einkommen zu erteilen.

Die Parteien hatten sich im Jahr 1978 kennengelernt und noch im selben Jahr verlobt. Die Klägerin war damals 19 Jahre alt und besuchte die 11. Klasse der Gesamtschule Stadt1. Sie brach die Gesamtschule im Jahr 1978 ab und verließ diese mit dem Realschulabschluss. Im Jahr 1979 zogen die Parteien zusammen, indem sie gemeinsam in ein ca. 150 Jahre altes Fachwerkhaus in Stadt1-Stadtteil1 zogen, welches der Klägerin von ihrem Vater, Herrn D, im Jahr 1979 zu Alleineigentum zugewandt worden war. Auf Wunsch des Vaters sollte die Klägerin im Januar 1979 eine Ausbildung zur Hotelfachfrau an der Hotelfachschule Gemeinde1 beginnen. Hierzu kam es nicht, wobei der Grund zwischen den Parteien streitig ist. Die Klägerin behauptet, dass die weite Entfernung die Ursache gewesen sei. Der Beklagte behauptet, dass die Klägerin die Ausbildung aufgrund schlechter Erfahrungen anlässlich eines Praktikums im Hotel E in Stadt2 abgelehnt habe. Unstreitig schlug der Beklagte der Klägerin sodann vor, das Fachabitur für Bauingenieurwesen an der F-Schule in Stadt2 zu absolvieren und im Anschluss das Y-studium anzustreben. Dementsprechend besuchte die Klägerin von 1978 oder 1979 bis 1980 die Fachoberschule für Bauwesen. Diesen Fachoberschulbesuch brach die Beklagte jedoch nach etwa 1 ½ Jahren vorzeitig ab. Anschließend begann sie im Betrieb ihres Vaters, als ungelernte Sekretärin (Schreibkraft) zu arbeiten. Ihr Vater, Herr D, war von Beruf X und betrieb in Stadt1 bis zu seinem Tod im XX 1997 ein G-büro mit ca. 50 Mitarbeitern. In diesem Büro arbeitete die Klägerin auf Halbtagsbasis. Zu ihren Aufgaben gehörten Schreibarbeiten aller Art, insbesondere Erläuterungsberichte zu Bauentwürfen, Fertigstellen von Kostenvoranschlägen sowie das Schreiben von Rechnungen. Hierbei erhielt sie von ihrem Vater einen Monatslohn von ca. 1000 DM netto. Diese Berufstätigkeit im Büro des Vaters stellte die Klägerin mit der Geburt des zweiten Kindes im Jahr 1988 ein. Sie kümmerte sich fortan um den Haushalt und versorgte die Kinder. Seither war die Klägerin nie wieder berufstätig und verfügt bis heute über keine qualifizierte Berufsausbildung.

Die Klägerin bewohnt weiterhin das in ihrem Alleineigentum stehende Fachwerkhaus in Stadt1-Stadtteil1. Das Fachwerkhaus ist stark renovierungsbedürftig. Die Höhe des Wohnvorteils haben die Parteien erstinstanzlich mit 330 € unstreitig gestellt.

Der Beklagte übt den Beruf eines selbständigen Y aus. Als sich die Parteien kennenlernten, war der Beklagte noch bei der Bundeswehr. Sein Y-studium absolvierte er von 1979 bis 1989 an der Gesamthochschule Stadt2. Während seines Studiums lebten beide Parteien von den Einkünften der Klägerin aus ihrer Tätigkeit im Büro des Vaters. Inwieweit der Beklagte hierzu noch eigene nennenswerte Einkünfte beisteuerte, ist zwischen den Parteien streitig. Dem Vortrag der Klägerin zufolge reichten ihre eigenen Einkünfte aus ihrer Halbtagsbeschäftigung im G-büro des Vaters für den Lebensunterhalt der Parteien nicht vollständig aus. Unstreitig wendete der Vater ihnen weitere Geldbeträge zu, wobei die Höhe dieser Beträge streitig ist. Auch ist streitig, ob die Zuwendungen des Vaters beiden Parteien oder nur der Beklagten zuflossen. Die Klägerin hat insoweit monatliche Zuwendungen von 1000 DM "zuzüglich der Kosten für das Haus" behauptet. Da Herr D einen Nachfolger für sein Büro suchte, ließ sich der Beklage nach seinem Studium im April 1989 im Büro seines Schwiegervaters anstellen. Dort war der Beklagte bis zum Tod seines Schwiegervaters im XX 1997 beschäftigt. Da das Büro von Herrn D überschuldet war, wurde nach seinem Tod das Nachlassinsolvenzverfahren eingeleitet. Der Nachlassinsolvenzverwalter kündigte das Anstellungsverhältnis des Beklagten und das Büro wurde zum XX.XX.1999 geschlossen. Am XX.XX.1999 gründete der Beklagte ein eigenes G-büro unter einer anderen Anschrift in Stadt1. Hierbei übernahm der Beklagte zumindest einen Teil des Personals und der Geschäftsverbindungen des verstorbenen Schwiegervaters. Dieses neue Büro betreibt der Beklagte bis heute.

Beide Eheleute waren kurz vor der Trennung oder kurz danach Affären eingegangen, und zwar die Klägerin mit dem Nachbarn H und der Beklagte mit Frau I. Die jeweiligen Zeitpunkte, zu denen die Parteien ihre Affären begonnen hatten, sind streitig. Später ging der Beklagte eine Beziehung zur Ehefrau des Bruders der Klägerin ein, wobei streitig ist, ob die Ehefrau und der Bruder zu diesem Zeitpunkt bereits getrennt lebten. Mit dieser Frau ist der Beklagte seit dem XX.XX.2007 in zweiter Ehe verheiratet. Von 2009 bis 2012 ging die Klägerin eine Beziehung zu dem in Stadt3 lebenden J ein. Seit 2012 ist die Beziehung beendet.

Nach der Trennung erhielt die Klägerin aus einer Lebensversicherung 50.000 € ausgezahlt. Im Jahr 2006 erhielt sie eine Steuererstattung in Höhe von 24.934 €, die auf die Einkommensteuer aus den Jahren 1998 und 1999 zurückging. Der Beklagte kam für den gesamten Ausbildungsunterhalt der gemeinsamen Kinder auf.

Mit Bescheid des ...-Kreises vom 22.4.2009 wurden der Klägerin ab dem 27.2.2009 Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII als Darlehen bewilligt. Seit März 2010 erhält die Klägerin vom ...-Kreis auf der Grundlage eines Bescheides vom 18.2.2010 Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Diese Leistungen erhält die Klägerin bis heute als Darlehen. Die rentenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer gesetzlichen Erwerbsminderungsrente (mindestens 3 Jahre Pflichtbeitragszeiten in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung) erfüllt die Klägerin nicht. Grundlage des Bescheides vom 18.2.2010 war ein für die gesetzliche Rentenversicherung vom K erstattetes Gutachten zur Arbeitsfähigkeit der Klägerin vom 15.12.2009 mit den folgenden Diagnosen:

"1. Anpassungsstörung2. Angst- und depressives Syndrom gemischt in chronifizierter Form3. Defekt verheilte distale Radiusfraktur rechts mit erschwerter Belastbarkeit des rechten Handgelenkes4. geringgradiges sensibles Karpaltunnelsyndrom bds. ohne funktionelle Einschränkung."

Wörtlich führte der K aus:

"Wesentlich wird das Leistungsvermögen in der Zeit durch einen psychosenahen anmutenden Residualzustand geprägt, der trotz wiederholter psychotherapeutischer und psychiatrischer Intervention keine Wende herbeiführen konnte. Die ungeordnete Einnahme der Psychopharmaka verweist auf Kritik- und Urteilsschwäche. Im aktuellen psychiatrischen Querschnitt fand sich eine misstrauische, labile und vorwiegend gedrückte Grundhaltung mit paranoidem Einschlag möglicherweise auf dem Boden einer Traumatisierung. Es überwiegt eine resignative nicht mehr fragende Lebenseinstellung, die jegliches Selbsthilfekonzept außerhalb künstlerischer Tätigkeit und Tierliebe vermissen lässt. Das Leistungsvermögen als Sekretärin ist als erloschen anzusehen."

Der Beklagte wohnt mit seiner jetzigen Ehefrau mietfrei in einer eigenen Immobilie. Ausweislich der Gewinnermittlungen erzielte der Beklagte in den Jahren 2007 bis 2010 aus dem Betrieb seines G-büros folgende Bruttogewinne:

2007: 126.298,11 €2008: 131.595,04 €2009: 145.690,32 €2010: 144.663,15 €

Seine unterhaltsrechtlichen Abzugspositionen waren erstinstanzlich streitig. Zu seinem Einkommen ab 2011 ist erstinstanzlich nicht mehr vorgetragen worden.

In der beim Amtsgericht am 17.10.2016 durchgeführten mündlichen Verhandlung hat sich der Beklagte hinsichtlich folgender Unterhaltsbeträge für leistungsfähig erklärt:

Dezember 2008 bis Dezember 2010:

440 €

Januar 2011 bis Dezember 2012:

490 €

Januar 2013 bis Dezember 2014:

493,50 €

Januar 2015 bis Oktober 2016:

592,50 €

Mit Schriftsatz vom 21.3.2019, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hält der Beklagte nun im Rechtsmittelverfahren neuen Vortrag zu seinen Einkommensverhältnissen (einschließlich Mieteinnahmen). Daraus ergeben sich nach Abzug von Steuern, Krankenversicherung und privater Rentenversicherung folgende monatliche Nettoeinkünfte:

2007: 6278,79 €2008: 6231,79 €2009: 5627,36 €2010: 6556,58 €2011: 9892,54 €2012: 6648,23 €2013: 6383,36 €2014: 5935,47 €2015: 6400,68 €2016: 2002,52 €

Dabei beliefen sich die Bruttogewinne aus dem Betrieb des Ingenieurbüros ausweislich der Steuerbescheide auf folgende Jahresbeträge:

2011: 233.355 €2012: 147.214 €2013: 149.841 €2014: 131.826 €2015: 135.598 €

Für die Jahre 2016 und 2017 hat der Beklagte im Beschwerdeverfahren seine Gewinnermittlungen vorgelegt. Hiernach betrug der steuerliche Gewinn im Jahr 2016 insgesamt 52.158,68 € und im Jahr 2017 nur noch 29.390,24 €. Nach der betriebswirtschaftlichen Auswertung ist für das Jahr 2018 von einem vorläufigen Gewinn von 170.591,13 € auszugehen. Die Klägerin bestreitet die jeweiligen Beträge mit Nichtwissen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich nachehelichen Krankheitsunterhalt (§ 1572 BGB) auf der Grundlage der relativen Sättigungsgrenze in Höhe von damals 2200 € geltend gemacht. Unter Anrechnung des zunächst behaupteten Wohnvorteils (290 €) verlangt sie bis heute einen Unterhalt von monatlich 1.910 €, wobei sie die bis Juli 2010 erhaltenen Hilfeleistungen nach dem SGB XII in Höhe von bis dahin 10.939,36 € bei der Antragstellung in Abzug bringt. Hilfsweise hat sie ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen des Beklagten in Höhe von 5.100 € behauptet, so dass der geltend gemachte Unterhalt auch als Quotenunterhalt geschuldet sei. Dabei hat die Klägerin zunächst die Auffassung vertreten, dass die Unterhaltsansprüche nicht auf den ...-Kreis übergegangen seien. Nach einem rechtlichen Hinweis des Amtsgerichts hat sie ihre Anträge umgestellt und für die Zeit ab August 2010 zum Teil Zahlung an den ...-Kreis beantragt. Dabei hat die Klägerin behauptet, dass sie arbeitsunfähig erkrankt sei. Am Arbeitsmarkt sei sie nicht vermittelbar. Bereits aus dem im Verfahren ... des Amtsgerichts Melsungen erstatteten Gutachten des Sachverständigen C ergebe sich, dass bei ihr eine chronifizierte seelische Beeinträchtigung bestehe, die durch Angstzustände und Panikattacken gekennzeichnet sei. Des Weiteren sei ihre Wirbelsäule belastungsgemindert (Skoliose der BWS). Der nacheheliche Unterhalt sei nicht nach § 1578 b BGB zu beschränken oder zu befristen. Sie habe ehebedingte Nachteile erlitten und sei dringend auf den Unterhalt angewiesen. Es habe in der Ehe die Absprache gegeben, dass sie sich um den Haushalt und die Kinder kümmere. Bis heute profitiere der Beklagte davon, dass er faktisch den Betrieb des verstorbenen Vaters übernommen habe. Mit ihren eigenen Einkünften aus ihrer damaligen Halbtagstätigkeit im Büro des Vaters habe die Klägerin damals den Unterhalt der jungen Familie sichergestellt. Ihre Einkünfte seien damals dringend nötig gewesen, da der Beklagte bis zum Abschluss seines Studiums im Jahr 19XX über keine nennenswerten Einkünfte verfügt habe. Hierdurch sei sie damals gehindert gewesen, eine eigene Ausbildung aufzunehmen. Als ausgebildete Hotelfachfrau könnte sie heute monatlich 1.910 € netto verdienen. Der Unterhalt sei nicht wegen ihres damaligen Verhältnisses zu dem Nachbarn H verwirkt, da die Klägerin dieses Verhältnis erst begonnen habe, als die ehebrecherische Beziehung des Klägers zu Frau I bereits bestanden habe. Diese Beziehung habe der Beklagte nämlich bereits heimlich im August 1998 aufgenommen. Anschließend, nämlich schon im Dezember 1998, habe der Kläger das Verhältnis zu seiner jetzigen zweiten Ehefrau aufgenommen. Es sei also der Beklagte gewesen, der aus der damals intakten Ehe ausgebrochen sei. Herr J sei nicht ihr Lebenspartner, sie habe zu keinem Zeitpunkt mit ihm zusammengelebt.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu folgenden Zahlungen zu verpflichten:

1. an die Klägerin für die Zeit von Dezember 2008 bis Juli 2010 rückständigen nachehelichen Ehegattenunterhalt von 27.260,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit,

2. an den ...-Kreis für die Zeit von August 2010 bis Dezember 2016 insgesamt 58.623,22 € sowie ab Januar 2017 bis zum Ende des Monats, in dem die letzte mündliche Verhandlung stattfindet, jeweils monatlich 696,44 €,

3. an die Klägerin

a) für August 2010 bis Dezember 2016 insgesamt 88.446,78 €,

b) ab Januar 2017 bis zum Ende des Monats, in dem die letzte mündliche Verhandlung stattfindet, jeweils monatlich 1213,56 € und

c) ab der Zeit ab dem auf die letzte mündliche Verhandlung folgenden Monat jeweils monatlich 1910 €.

Der Beklagte hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, nicht mehr zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet zu sein, da die Scheidung lange zurückliege und er bereits über einen langen Zeitraum Unterhalt gezahlt habe. Die Klägerin könne und müsse ihren eigenen angemessenen Lebensbedarf selbst decken. Seiner Meinung nach seien nur noch die ehebedingten Nachteile auszugleichen. Es sei "nicht ersichtlich, aus welchen Gründen eine Befristung des eigenen angemessenen Unterhaltsanspruchs wegen der Dauer der Ehezeit und der ehebedingten Nachteile nicht in Betracht kommt". Die Klägerin sei arbeitsfähig und könne selbst als ungelernte Kraft heute monatlich 1500 € bis 1700 € netto verdienen. Hilfsweise hat er geltend gemacht, dass die Klägerin es unterlassen habe, ihre Arbeitsfähigkeit durch geeignete medizinische Behandlungen und Therapien wiederherzustellen. Er habe die Beklagte bereits nach der Einschulung des jüngsten Kindes aufgefordert, wieder arbeiten zu gehen. Zu keinem Zeitpunkt habe es die Vereinbarung gegeben, dass die Klägerin sich nur um den Haushalt und die Kinder kümmern sollte. Er habe diese Aufgaben in gleicher Weise erfüllt. Was seine eigenen Einkünfte angehe, könne lediglich auf die Einkünfte aus dem damaligen Angestelltenverhältnis beim Schwiegervater in Höhe von 6.000 DM netto abgestellt werden. Die späteren höheren Einkünfte beruhten auf einem "Karrieresprung", hätten die Ehe nicht geprägt und seien daher nicht zu berücksichtigen. Den Betrieb des verstorbenen Schwiegervaters habe er damals nicht übernommen, sondern einen eigenen Betrieb gegründet. Zusätzlich hat er vorgetragen, dass er während seines Studiums durchaus über eigene Einkünfte verfügt habe. Bis 1981 habe er BAföG-Leistungen erhalten. Auch habe er das staatliche Kindergeld bezogen und ab 1981 regelmäßig als Kurierfahrer gearbeitet und dabei umgerechnet 400 € netto verdient. Zusätzlich sei er als Auslieferungsfahrer für einen Baumarkt tätig gewesen. Der Unterhalt sei verwirkt, nachdem die Klägerin aus intakter Ehe im September 1998 eine ehewidrige Beziehung zu dem Nachbarn Herrn H aufgenommen habe. Seine eigene Beziehung zu Frau I habe er erst im November 1998 aufgenommen. Die Beziehung der Klägerin mit J sei als verfestigte Lebensgemeinschaft anzusehen. Dieser habe seit Sommer 2009 "praktisch" bei der Klägerin gelebt und halte sich "ständig und ununterbrochen mit eigenem Mobiliar" bei der Klägerin auf. Sein Auto stehe sehr oft vor dem Haus der Klägerin. Am 18.2.2011 habe er beide zweimal gemeinsam beim Einkaufen beobachtet. Sie und ihr Lebensgefährte hätten Heiratsabsichten gehabt. Soweit die Klägerin nunmehr teilweise Zahlung an den ...-Kreis verlange, hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Er habe vom ...-Kreis keine Überleitungsanzeige erhalten.

Das Amtsgericht hat zur Frage der Arbeitsfähigkeit der Klägerin Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten. Wegen der Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Sachverständigen L vom 16.5.2011 (Bl. 486 ff. Bd. II d.A.), die mündlichen Erläuterungen des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung vom 7.5.2012 (Bl. 648 ff. Bd. III), sowie auf das orthopädische Gutachten des Sachverständigen M vom 8.1.2013 (Bl. 754 ff. Bd. III d.A.) verwiesen.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 5.4.2018 hat das Amtsgericht den Beklagten unter Anwendung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) verpflichtet, an den ...-Kreis für den Zeitraum von August 2010 bis Februar 2018 übergegangenen rückständigen nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 48.687 € zu zahlen. Weiter ist der Beklagte verpflichtet worden, an die Klägerin für die Zeit von Dezember 2008 bis Februar 2009 rückständigen nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von insgesamt 1252,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.6.2009 sowie ab März 2018 laufenden nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 611 € monatlich zu zahlen. Die darüber hinausgehenden Anträge der Klägerin hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Nach Auffassung des Amtsgerichts sind die Unterhaltsansprüche der Klägerin trotz der nur darlehensweise gewährten SGB XII- Leistungen auf den öffentlichen Träger der Grundsicherungsleistungen übergegangen. Hierbei hat das Amtsgericht einen Anspruch auf Aufstockungsunterhalt angenommen und ausgeführt, dass die Klägerin trotz der bestehenden krankheitsbedingten Einschränkungen grundsätzlich in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie habe aber nur eine reale Beschäftigungschance im Rahmen eines so genannten "Minijobs". Hierbei hat sich das Amtsgericht im Einzelnen mit den Gutachten der Sachverständigen L, M und C auseinandergesetzt und auch das Gutachten des Sachverständigen K gewürdigt. Der Klägerin sei daher neben dem Wohnvorteil lediglich ein eigenes Erwerbseinkommen auf der Basis eines fiktiven Minijobs in Höhe von 400 € (bis Dezember 2012) bzw. 450 € (ab Januar 2013) zuzurechnen, welches noch um die 5 %- Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen und die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu bereinigen sei. Im Übrigen sei der Aufstockungsunterhalt auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile beschränkt. Solche Nachteile seien der Klägerin im Verlauf ihrer Ehe entstanden, da sich die Klägerin ab der Geburt des zweiten Kindes nur noch um den Haushalt und die gemeinsamen Kinder gekümmert habe und ihr berufliches Fortkommen in Gänze hintangestellt habe. Die nacheheliche Einkommensdifferenz der Parteien sei jedoch nur in geringem Umfang auf die ehebedingten Nachteile zurückzuführen. Bis 1983 habe die Klägerin nämlich ausreichend Gelegenheit gehabt, ihre berufliche Ausgangssituation durch Absolvierung einer qualifizierten Ausbildung zu verbessern. Deshalb komme eine Orientierung an den ehelichen Lebensverhältnissen im Sinne einer dauerhaften Lebensstandardgarantie nicht in Betracht. Der volle Unterhalt sei ihr nur für eine Übergangszeit zuzugestehen, die vorliegend auf sechs Jahre ab Rechtskraft der Scheidung - also bis einschließlich Februar 2007 - zu bemessen sei. Danach stehe der Klägerin nur noch der angemessene Unterhalt zu, ausgehend von dem Einkommen, das die Klägerin ohne die Ehe hätte. Allerdings müsse das Existenzminimum beachtet werden, so dass sich der sicherzustellende monatliche Bedarf der Klägerin ausgehend von den unterhaltsrechtlichen Selbstbehaltsgrenzen auf 1000 € (bis zum Jahr 2010), 1050 € (für die Jahre 2011 und 2012), 1100 € (2013 und 2014) und 1200 € (seit 2015) belaufe. Auf diese Bedarfssätze hat das Amtsgericht den Wohnvorteil (330 €) und die erzielbaren Nettoerwerbseinkünfte der Klägerin angerechnet und auf diese Weise den zugesprochenen laufenden und rückständigen Ehegattenunterhalt ermittelt. Eine zeitliche Befristung der Unterhaltsansprüche gemäß § 1578 b BGB sei nicht geboten. In Anbetracht des fortgeschrittenen Alters der Klägerin und der langen Ehedauer gebiete die nacheheliche Solidarität eine unbefristete Sicherstellung des angemessenen Lebensbedarfs durch den Beklagten. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin aller Voraussicht nach nicht mehr in der Lage sein werde, auch nur diesen Bedarf aus eigenen Mitteln zu decken, wohingegen der Beklagte weiterhin erhebliche Einkünfte erzielen werde, die ihm erst durch den Einsatz der Klägerin durch Kinderbetreuung und Haushaltsführung ermöglicht worden seien. Die Voraussetzungen für eine Verwirkung des Unterhalts nach § 1579 Nr. 2 oder Nr. 7 BGB seien nicht gegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 5.4.2018 Bezug genommen.

Dieser Beschluss ist beiden Parteien jeweils am 12.4.2018 zugestellt worden. Am 9.5.2018 haben sowohl die Klägerin als auch der Beklagte beim Amtsgericht jeweils Beschwerde eingelegt. Die Akten mit den Beschwerdeschriftsätzen beider Parteien sind am 16.5.2018 beim Oberlandesgericht eingegangen. Nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 12.7.2018 hat der Beklagte seine Beschwerde am 29.6.2018 beim Oberlandesgericht begründet. Die Klägerin hat ihre Beschwerde mit am 7.8.2018 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Begründungsfrist bis zum 10.8.2018 verlängert worden war.

Die Klägerin wiederholt im Rechtsmittelverfahren ihr Vorbringen, dass bei ihr nach wie vor eine volle Erwerbsminderung bestehe. Sie könne noch nicht einmal einen Minijob ausüben. Sie befinde sich weiterhin in laufender ambulanter Behandlung bei Frau N und nehme dort Termine im Abstand von zwei bis drei Wochen wahr. Das ihr verschriebene Antidepressivum "Mirtazapin" nehme sie regelmäßig ein. Ausweislich einer fachärztlichen Stellungnahme von Frau N vom 8.4.2019 habe sie sich vom 17.10.- 24.10.2011, vom 1.10.- 11.10.2012 und vom 7.3.- 15.3.2013 in stationärer Behandlung befunden. Ihr stehe weiterhin ein zeitlich unbefristeter Unterhalt auf der Grundlage der sogenannten relativen Sättigungsgrenze zu. Der Beklagte habe nicht dargelegt, diesbezüglich leistungsunfähig zu sein.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Melsungen vom 5.4.2018 abzuändern und neu zu fassen, dass an die Klägerin ein Unterhaltsrückstand in Höhe von 229.720 € nebst Zinsen aus 27.260,64 € seit dem 24.8.2010 sowie weiteren Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 1.910 € monatlich beginnend mit dem Monat Juli 2010 (jeweils monatlich nach Fälligkeit) bis einschließlich Mai 2019 sowie ein monatlicher nachehelicher Ehegattenunterhalt in Höhe von 1.910 € seit dem Monat Juni 2019 zu zahlen sind,

sowie hilfsweise

den Beklagten unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts zu verpflichten,

1. an die Klägerin rückständigen Ehegattenunterhalt für den Zeitraum Dezember 2008 bis einschließlich Juli 2010 in Höhe von 27.260,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. an den Schwalm-Eder-Kreis für den Zeitraum August 2010 bis einschließlich Dezember 2016 rückständigen Unterhalt in Höhe von 54.191,01 € sowie ab Januar 2017 bis zum Ende des Monats, in dem die letzte mündliche Verhandlung stattfindet, monatlich jeweils 696,44 € zu zahlen,

3. an die Klägerin

a) für den Zeitraum August 2010 bis einschließlich Dezember 2016 rückständigen Unterhalt in Höhe von 92.878,99 €,

b) ab Januar 2017 bis Ende des Monats, in dem die letzte mündliche Verhandlung stattfindet, jeweils monatlich 1213,56 €,

c) ab dem auf den Tag der letzten mündlichen Verhandlung folgenden Monat jeweils monatlich 1910 € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Beschwerde der Klägerin zurückzuweisen.

Weiterhin beantragt der Beklagte,

unter Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses die Anträge auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Beschwerde des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte macht erstmals im Rechtsmittelverfahren ausdrücklich geltend, dass auf Seiten der Klägerin keine ehebedingten Nachteile erkennbar seien. Auch vor dem Hintergrund der nicht besonders langen Ehedauer sei der Unterhalt zeitlich zu befristen. Die Klägerin könne ihren eigenen Unterhalt selbst decken, wobei sie nicht auf einen Minijob zu beschränken sei. Die Klägerin habe trotz ihrer Obliegenheit, ihren eigenen angemessenen Unterhalt selbst zu erwirtschaften, nichts unternommen, um ihre gesundheitliche Situation zu stabilisieren und zu therapieren. Die entsprechenden medizinischen Möglichkeiten seien bereits vom Sachverständigen C aufgezeigt worden. Auch im Übrigen habe die Klägerin sich in keiner Weise um eine Erwerbstätigkeit bemüht. Schon in der Ehe sei die Klägerin immer antriebsloser geworden. Seit 1993 sei sie erst gegen Mittag aufgestanden und habe den Haushalt vernachlässigt. Die Nachmittagsstunden habe sie in der Regel mit dem Konsumieren alkoholischer Getränke verbracht. Schon während des Kindergartenbesuchs der Kinder habe er die Klägerin zu motivieren versucht, eine Berufstätigkeit aufzunehmen. Der Beklagte hält auch sein Vorbringen aufrecht, dass der Unterhalt aufgrund der aus intakter Ehe heraus begonnenen Affäre der Klägerin mit dem Zeugen H und wegen der Lebenspartnerschaft mit Herrn J verwirkt sei. Anlässlich seines 60. Geburtstages am XX.XX.2011 hätten beide erklärt, alsbald die Ehe schließen zu wollen. Zusätzlich bringt der Beklagte im Rechtsmittelverfahren vor, dass er hinsichtlich des verlangten Unterhalts (1910 €) aktuell nicht mehr leistungsfähig sei. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die in den Jahren 2016 und 2017 stark zurückgegangenen Gewinne. Er habe im Jahr 2017 eine schwere Krebserkrankung (Prostatakarzinom) erlitten und habe sich im Jahr 2018 einer Operation unterziehen müssen. Deshalb sei er inzwischen in Höhe von mindestens 50 % erwerbsgemindert. Er werde seine berufliche Tätigkeit im Jahr 2020 voraussichtlich gänzlich aufgeben müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseiteigen Schriftsätze verwiesen.

II.

Die Rechtsmittel der Parteien haben jeweils teilweisen Erfolg.

1. Beide Rechtsmittel sind zulässig.

Gemäß Art. 111 Abs. 1 S. 1 des FGG-Reformgesetzes vom 17.12.2008 findet auf das vorliegende Verfahren das bis zum 31.8.2009 geltende Verfahrensrecht Anwendung, weil das vorliegende familiengerichtliche Verfahren vor Inkrafttreten des FamFG eingeleitet wurde, nämlich am 12.5.2009. Ein Tatbestand, aufgrund dessen das laufende Verfahren in das neue Verfahrensrecht übergeleitet worden sein könnte, ist nicht erfüllt. Das Verfahren war zu keinem Zeitpunkt ausgesetzt oder zum Ruhen gebracht worden (Art. 111 Abs. 3 FGG-RG). Der nacheheliche Unterhalt war vorliegend auch nicht im Verbund anhängig (Art. 111 Abs. 4 und 5 FGG-RG). Dies hat das Amtsgericht übersehen, indem es das Verfahren durch Beschluss und nicht mit Urteil abgeschlossen hat und auch im Übrigen dazu übergegangen war, das FamFG anzuwenden.

Das statthafte Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung ist demzufolge die Berufung gemäß §§ 511 ff. ZPO. Die diesbezüglichen Zulässigkeitsanforderungen sind nicht erfüllt. Denn gemäß §§ 517, 519 Abs. 1 ZPO hätten die Rechtsmittel der Parteien binnen der einmonatigen Berufungsfrist beim Oberlandesgericht eingehen müssen. Innerhalb dieser Frist haben die Parteien ihre Rechtsmittel jedoch beim Amtsgericht eingelegt. Als die Akten am 16.5.2018 beim Oberlandesgericht eingingen, war die Berufungsfrist bereits abgelaufen.

Gleichwohl sind die Rechtsmittel beider Parteien nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz zulässig. Hat ein Gericht eine Entscheidung abweichend von der im Gesetz vorgesehenen Form als Urteil oder Beschluss erlassen, dann darf der Fehler des Gerichts nicht zulasten der Parteien gehen. Deshalb ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung sowohl das Rechtsmittel gegeben, das der erkennbar gewordenen Entscheidungsart entspricht, wie dasjenige, das der Entscheidung entspricht, für die die Voraussetzungen gegeben waren (BGH NJW 1997, 1448; BGH MDR 2002, 1204; BGH MDR 2018, 615; Heßler, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, Rn. 30 vor § 511 m.w.N.). Diese Grundsätze entsprechen auch der Rechtsprechung des erkennenden Senates (Beschluss des OLG Frankfurt vom 20.12.2018, 2 UF 126/18, juris). Damit sind beide Rechtsmittel der Parteien als zulässig zu behandeln. Nach der äußeren Form der erstinstanzlichen Entscheidung und der darin enthaltenen Rechtsmittelbelehrung durften die Parteien davon ausgehen, dass das Rechtsmittel der Beschwerde gemäß §§ 58 ff. FamFG eröffnet war. Die betreffenden Zulässigkeitsanforderungen sind erfüllt, da beide Parteien ihre Beschwerden form- und fristgerecht beim Amtsgericht eingelegt und innerhalb der jeweils verlängerten Begründungsfrist beim Oberlandesgericht begründet haben (§§ 63, 64, 117 Abs. 1 FamFG).

Gleichwohl ist für das weitere Verfahren im zweiten Rechtszug das bis zum 31.8.2009 geltende Verfahrensrecht anzuwenden. Das Rechtsmittelgericht braucht nämlich dem Untergericht nicht auf dem eingeschlagenen falschen Weg zu folgen, sondern hat das Verfahren selbst in die richtige Bahn zu lenken (BGH MDR 2018, 615; Heßler, in: Zöller, a.a.O., Rn. 33 m.w.N.; siehe auch OLG Frankfurt a.a.O.). Demgemäß richtet sich das weitere Verfahren nach der ZPO in der bis zum 31.8.2009 geltenden Fassung.

2. In der Sache sind die Berufungen teilweise begründet. Die Berufung des Beklagten ist teilweise begründet, da der Klägerin lediglich ein nachehelicher Unterhalt in Höhe von monatlich 500 € zusteht, und zwar begrenzt bis zum 31.12.2015. Die Berufung der Klägerin ist teilweise begründet, weil dieser Unterhalt und die erst in der zweiten Instanz beantragten Zinsen der Klägerin und nicht dem Schwalm-Eder-Kreis zuzusprechen sind.

Im Einzelnen gilt folgendes:

a) Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Krankheitsunterhalt gemäß § 1572 BGB. Beweisbelastet für die nach dieser Vorschrift erforderliche krankheitsbedingte Beschränkung seiner Erwerbsfähigkeit ist der Unterhaltsberechtigte (BGH FamRZ 2005, 1897; BGH FamRZ 2001, 1291; Maurer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, Rn. 55 zu § 1572; Brudermüller, in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, Rn. 20 zu § 1572, jeweils m.w.N.). Diesen Beweis hat die Klägerin nicht geführt. Denn aus den vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten ergibt sich, dass die Klägerin nicht aufgrund einer Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte im Sinne von § 1572 BGB an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehindert ist.

In seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 16.5.2011 hat der Sachverständige L der Klägerin folgende Diagnosen gestellt:

1. Agoraphobie mit Panikstörung,2. rezidivierend depressive Störung, zur Zeit remittiert,3. spezifische Phobie,4. essentieller Tremor.

Nach den sehr gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen äußert sich die festgestellte Agoraphobie mit Panikstörung darin, dass die Klägerin etwa viermal pro Monat für 5-10 Minuten anhaltend ein Zittern, Kopfdruck, Herzrasen und ein Engegefühl der Brust erlebt, so dass sie bestimmte auslösende Situationen vermeidet, wie z.B. allein an einer Supermarktkasse zu stehen oder allein in eine Tiefgarage zu gehen. Zusätzlich hat sie eine spezifische Phobie (Angst) vor Höhen, weshalb sie es vermeidet, über den zweiten Stock in einem Haus hinaufzusteigen. Des Weiteren stellte der Sachverständige der Klägerin die Diagnose einer rezidivierend depressiven Störung, die aber zum Begutachtungszeitpunkt remittiert war. Depressive Symptome konnte der Sachverständige nicht feststellen. Die Einschränkung der Leistungs- und Partizipationsfähigkeit aufgrund der psychiatrischen Störungen sei jedoch als leicht einzuschätzen. Trotz der psychiatrischen Störungen sei die Klägerin in der Lage, allen Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen, die nicht in großen Höhen oder in Menschenmengen stattfinden und nicht in Räumen, in denen die Klägerin den Ausgang nicht findet und benutzen kann. Aus nervenärztlicher Sicht kann sie alle Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durchführen, die keine besonderen Ansprüche an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit darstellen und mit denen keine besonderen psychischen Belastung einhergehen, und zwar 8 Stunden pro Tag an 5 Tagen pro Woche. Gleichzeitig hat der Sachverständige die kontinuierliche Einnahme eines niedrig dosierten Antidepressivums empfohlen. Damit sei die Agoraphobie mit Panikstörung zurückzudrängen und es werde sowohl eine vorbeugende Wirkung bezüglich der rezidivierend depressiven Störung eintreten als auch eine therapeutische Wirkung, wenn es zu einer depressiven Episode komme.

In seinem orthopädischen Gutachten vom 8.1.2013 hat der Sachverständige M der Klägerin folgende Diagnosen gestellt:

1. Lumbosakrale Übergangsstörung mit sekundärer leichtgradiger Torsionsskoliose der Rumpfwirbelsäule und Verschleißveränderungen der unteren beiden Bewegungssegmente, jedoch ohne funktionelles oder neurogenes Defizit.

2. Abortive Hüftdysplasie beidseits ohne sekundäre Verschleißveränderungen oder Funktionsstörungen.

3. Minderung der Knorpelschichtdicke im innerseitigen Kompartiment des linken Kniegelenkes ohne Funktionsstörungen des rechten Kniegelenkes.

Gegenüber dem Sachverständigen M hatte die Klägerin Rückenbeschwerden angegeben, nämlich Schmerzempfindungen im Beckenbereich und im Steißbein. Diese hat der Sachverständige als "pseudoradikuläres Syndrom" qualifiziert, welche seiner Überzeugung nach einer beruflichen Tätigkeit in aller Regel nicht im Wege steht. Nach den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen sollten lediglich Arbeiten mit schweren körperlichen Belastungen gemieden werden, insbesondere dann, wenn sie verknüpft sind mit tiefem Rumpfbeugen und Heben und Tragen von schweren Lasten. Ansonsten sei Patienten mit solchen Problemen zu empfehlen, sich vielfältig zu bewegen und sich auch muskeldynamisch fitzuhalten, was die Klägerin allerdings nicht tue. Eine solide muskuläre Kompensation könne im Idealfall sogar zu einer weitgehenden Beschwerdefreiheit führen. Die im Wirbelsäulenbereich festgestellte flache S-förmige Skoliose bewege sich unterhalb der relevanten Grenze und sei damit "so gut wie gänzlich bedeutungslos". Zusätzliche Leistungseingrenzungen seien hieraus nicht abzuleiten. Ähnliches gelte für die vermehrte und teilkontrakte Kyphose der Brustwirbelsäule, die lediglich schweren körperlichen Arbeiten im Wege stehe. Zeitliche Leistungseingrenzungen seien nach einer Wiedereingliederungsphase nicht begründbar, so dass es vorstellbar sei, die Klägerin in das Berufsleben zu reintegrieren. Der Klägerin sei theoretisch eine vollschichtige Tätigkeit mit Ausnahme schwerer körperlicher Arbeiten möglich. Hierbei kämen Verpackungsarbeiten von Kleinteilen in Betracht, wie sie im Versand anfallen. Eine Tätigkeit als Raumpflegerin sei nicht wünschenswert.

Zusätzlich hat der Sachverständige M ausgeführt:

"Dem wird man allerdings hinzufügen müssen, dass bei dem Gesamt-Erscheinungsbild der Probandin - deutlich vorgealtert wirkend, das blass-fahle Hautkolorit "Krankheit" signalisierend, ungepflegtes Auftreten, denkbar ungünstigste berufliche Biografie etc. - jeglicher Versuch zur beruflichen Wiedereingliederung erfolglos bleiben dürfte, da kein Arbeitgeber bereit sein dürfte, eine Frau in diesem Erscheinungsbild mit dieser beruflichen Biografie auch nur probeweise einzustellen. Die Ehrlichkeit gebietet, dies auch einmal so unverblümt auszusprechen, um damit auch zum Ausdruck zu bringen, dass die rein auf medizinische Aspekte abgestellte Leistungsbeurteilung eigentlich nur fiktiver Natur ist. Kurz formuliert: Die Probandin ist mit Sicherheit nicht auf dem sogenannten freien Arbeitsmarkt vermittelbar."

Aus diesen beiden vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten ergibt sich, dass die Klägerin grundsätzlich aus medizinischer Sicht erwerbsfähig ist, wenn auch nicht auf jedem Arbeitsplatz und unter Ausschluss schwerer körperlicher Arbeiten. Hierbei macht sich der Senat die überzeugende erstinstanzliche Würdigung zu Eigen. Die Annahmen der Sachverständigen L und M sind schlüssig, zumal die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen L eine geregelte Tagesstruktur angegeben hat. Sie stehe zwischen 8.30 Uhr und 9.00 Uhr auf, erledige nach dem Frühstück den Garten (700 m2) und die Hausarbeit des 180 m2 großen Hauses, koche anschließend das Mittagessen und empfange nachmittags nach der Mittagspause manchmal Freunde. Damit hat die Klägerin eine Krankheit im Sinne von § 1572 BGB nicht bewiesen, woran auch die Ausführungen des orthopädischen Sachverständigen M zur Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt nichts ändern.

Den erforderlichen Beweis hat die Klägerin auch nicht durch das sozialrechtliche Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie K vom 15.12.2009 geführt. Da es sich nicht um ein gerichtliches Sachverständigengutachten handelt, stellt es bereits kein Beweismittel im Sinne von §§ 402 ff. ZPO dar. Zudem ist das Gutachten inhaltlich nicht überzeugend. Denn die Annahme, dass das Leistungsvermögen der Klägerin als Sekretärin als erloschen anzusehen sei, ist nicht schlüssig. Es ist bereits nicht erkennbar, ob die Klägerin vollständig untersucht wurde. Die gestellten Diagnosen sind zu knapp begründet. Zudem setzt sich das Gutachten nicht ansatzweise damit auseinander, welche konkreten Auswirkungen die Diagnosen auf die Erwerbsfähigkeit der Klägerin haben.

Ebenso wenig hat die Klägerin die erforderliche krankheitsbedingte Beschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit durch das im Vorverfahren des Amtsgerichts Melsungen unter dem Aktenzeichen ... erstattete Gutachten des Sachverständigen C vom 18.8.2005 bewiesen. Dieser hat die Klägerin damals zwar als "derzeit arbeitsunfähig krank für den gesamten Arbeitsmarkt" eingeschätzt. Diese Einschätzung kann aber schon aufgrund der Kürze des schriftlichen Gutachtens, welches lediglich sechs Seiten umfasste, nicht als schlüssig angesehen werden. Weitere durchgreifende Bedenken bestehen vor dem Hintergrund, dass damals eine komplette Befunderhebung durch den Sachverständigen mangels ausreichender Untersuchungsmöglichkeit überhaupt nicht möglich war. Zudem ist aufgrund der im Verfahren ... am 31.10.2005 vom Amtsgericht Melsungen durchgeführten mündlichen Befragung des Sachverständigen C deutlich geworden, dass der Sachverständige C seine Diagnose damals vorwiegend auf die ihm vorgelegten schriftlichen Stellungnahmen der Ärzte und Psychologen der Klägerin gestützt hat, und dass die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen C im Gegensatz dazu einen unauffälligen psychischen Eindruck gemacht hatte. Der Sachverständige C hat beim Amtsgericht Melsungen ausdrücklich erklärt, dass er die Klägerin ohne die schriftlichen Stellungnahmen für arbeitsfähig befunden hätte. Weitere Zweifel ergeben sich daraus, dass der Sachverständige L am 7.5.2012 gegenüber dem Amtsgericht Melsungen dargelegt hat, dass die Diagnose des Sachverständigen C ("chronifizierte seelische Beeinträchtigung, gekennzeichnet durch Angstzustände und Panikattacken - ICD 10 F 409") unspezifisch ist und sogar außerhalb des Fachgebietes des Sachverständigen C liegt. Auf die weiteren Bedenken, die der Sachverständige L anlässlich seiner mündlichen Befragung am 7.5.2012 geäußert hat, wird verwiesen.

Selbst wenn die Klägerin krankheitsbedingt in ihrer Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt wäre - wovon der Senat nicht ausgeht - ist auszuführen, dass den Bedürftigen die Obliegenheit trifft, seine Krankheit behandeln und therapieren zu lassen (Bömelburg, in: Wendl/ Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrechtlichen Praxis, 9. Aufl. 2015, § 4 Rn. 243 f.; Maurer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, Rn. 42 zu § 1572; OLG Hamm FamRZ 2012, 1732). Dieser Obliegenheit ist die Klägerin nicht ausreichend nachgekommen. Die Klägerin ist von der Senatsvorsitzenden aufgefordert worden, im Einzelnen dazu vorzutragen, was sie zur Verbesserung ihres Gesundheitszustandes unternommen hat. Daraufhin hat die Klägerin dargelegt, dass sie weiterhin in laufender ambulanter Behandlung bei Frau N steht, und dass sie dort Termine in Abstand von 2 bis 3 Wochen wahrnimmt. Frau N habe ihr das Antidepressivum "Mirtazapin" verordnet, welches die Klägerin auch einnehme. Diese Bemühungen sind jedoch nicht ausreichend. Der Sachverständige L hat im Rahmen seiner mündlichen Befragung am 7.5.2012 erläutert, dass eine hochfrequente psychotherapeutische Behandlung Aussicht auf Erfolg hätte, nämlich zweimal pro Woche für ca. 40 bis 50 Sitzungen. Dass sie derartiges unternommen hat, hat die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nicht vorgetragen. Als weitere Möglichkeit hatten sowohl der Sachverständige L als auch der Sachverständige C stationäre Behandlungsmaßnahmen empfohlen, denen sich die Klägerin aber nie über einen längeren Zeitraum gestellt hat. Zwar ergeben sich aus der aktuellen fachärztlichen Stellungnahme von Frau N vom 8.4.2019 kurze stationäre Behandlungen vom 17.10.- 24.10.2011, vom 1.10.- 11.10.2012 und vom 7.3.- 15.3.2013. Bei diesen kurzen Zeitabschnitten kann jedoch von einer stationären Langzeittherapie keine Rede sein.

b) Der Klägerin steht auch kein Unterhaltsanspruch wegen Erwerbslosigkeit (§ 1573 Abs. 1 BGB) zu. Dieser Tatbestand setzt voraus, dass der Unterhalt Begehrende aus Gründen der Arbeitsmarktlage nach der Scheidung keine angemessene Erwerbstätigkeit findet (BGH FamRZ 1988, 927; BGH FamRZ 1988, 265; Bömelburg, in: Wendl/ Dose, a.a.O., § 4 Rn. 272). Dabei ist die Klägerin ihrer Obliegenheit, sich um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen, zweifellos nicht nachgekommen. Sie trägt zu ihren Bemühungen überhaupt nichts vor, offensichtlich hat sie seit der Trennung bzw. Scheidung keinerlei Bewerbungen unternommen. Dies wäre allerdings unschädlich, wenn überhaupt keine reale Beschäftigungschance bestehen würde. Diese hängt von den jeweiligen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt ab sowie von den persönlichen Eigenschaften und Verhältnissen des Arbeitsuchenden, wie z.B. Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Gesundheitszustand und Ähnliches (BGH FamRZ 2003, 1471; BGH FamRZ 2008, 2104; BGH FamRZ 2009, 314; Bömelburg, in: Wendl/ Dose, a.a.O., § 4 Rn. 277; Brudermüller, in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, Rn. 40 zu § 1361 m.w.N.). Hat der Berechtigte keine ausreichenden Bewerbungsbemühungen dargelegt, kann im Regelfall nicht ausgeschlossen werden, dass er eine angemessene Stelle gefunden hätte. Auch wenn die Arbeitsplatzsuche im speziellen Fall erschwert ist, kann deshalb nur ausnahmsweise - obwohl es an hinreichenden Bemühungen des Berechtigten mangelt - vom Fehlen jeglicher Beschäftigungschance ausgegangen werden (Bömelburg, in: Wendl/ Dose, a.a.O., § 4 Rn. 277; OLG Köln BeckRS 2005, 30349120).

Einerseits bestehen aus heutiger Sicht Zweifel, ob die Klägerin derzeit eine reale Beschäftigungschance hat. Die Klägerin wird demnächst ihr 60. Lebensjahr vollenden. Sie verfügt über keinerlei Berufsausbildung und hat seit dem Jahr 1988 - also seit mehr als dreißig Jahren - nicht mehr gearbeitet. Bei etwaigen Bewerbungsbemühungen wird sie die im Büro des Vaters gesammelte Berufserfahrung nicht in die Waagschale werfen können, weil sich der Arbeitsalltag in Büros aller Art seither aufgrund der stattgefundenen Computerisierung und Digitalisierung grundlegend geändert hat. Der berufliche Lebenslauf der Klägerin weist seit dem Jahr 1988 eine einzige große Lücke auf. Die ersten Jahre der Nichterwerbstätigkeit kann die Klägerin in etwaigen Vorstellungsgesprächen zwar noch ohne weiteres mit den Kindererziehungszeiten begründen. Die späteren Jahre der Erwerbslosigkeit kann die Klägerin aber nur unter Hinweis auf ihre zumindest aus subjektiver Sicht bestehenden Erkrankungen erklären. Hierbei muss zusätzlich beachtet werden, dass die Klägerin seit Anfang 2010 von Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII lebt, was die Klägerin bei Vorstellungsgesprächen ebenfalls wahrheitsgemäß angeben müsste. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Klägerin letztlich sogar behördlicherseits eine Erwerbsminderung bescheinigt wurde, bestehen Zweifel, dass der Klägerin bei entsprechenden Bemühungen tatsächlich Arbeitsplatzangebote unterbreitet werden würden. Von daher spricht manches dafür, mit dem Sachverständigen M - auch wenn dies nicht in seinen Kompetenzbereich als Facharzt für Orthopädie fällt - davon auszugehen, dass die Klägerin aus heutiger Sicht und zum Begutachtungszeitpunkt (8.1.2013) auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar ist bzw. war.

Andererseits entsprach der äußere Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 15.5.2019 vermittelt hat, nicht demjenigen, den der Sachverständige M beschrieben hat. In der mündlichen Verhandlung machte die Klägerin einen durchaus gepflegten und körperlich gesunden Eindruck. Ihr Gesamtbild wirkte altersentsprechend, ohne dass jedoch Anhaltspunkte bestanden, ihr Lebensalter deutlich höher einzuschätzen. Von daher kann der Senat im Ergebnis nicht auszuschließen, dass die Klägerin heute zumindest im Geringlohnbereich, welcher keine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt, eine reale Beschäftigungschance hat. Nach den dargelegten Grundsätzen gehen diese Zweifel zulasten der Klägerin.

Für die Frage der realen Beschäftigungschance ist außerdem nicht auf den Zeitpunkt der ersten tatsächlichen Bewerbungsbemühungen, sondern darauf abzustellen, ob eine solche bestanden hätte, wenn der Berechtigte von Anfang an, das heißt von Beginn seiner Erwerbsobliegenheit an, dieser genügt hätte. Sofern der Unterhaltsberechtigte durch seine unzureichende Eigeninitiative die Chance einer stufenweisen beruflichen Eingliederung hat verstreichen lassen, darf sich dies nicht zu Lasten des Unterhaltspflichtigen auswirken (BGH FamRZ 2008, 2104; Bömelburg, in: Wendl/ Dose, a.a.O., § 4 Rn. 277). Nach dieser Maßgabe kann das Fehlen einer jeglichen Beschäftigungsmöglichkeit unter keinem Gesichtspunkt angenommen werden. Denn die Klägerin traf schon nach dem bis zum 31.12.2007 geltenden Unterhaltsrecht eine - wenn auch teilweise eingeschränkte - Erwerbsobliegenheit nach §§ 1574, 1577 BGB (a.F.). Zum Zeitpunkt der Scheidung im Jahr 2001 war das jüngste Kind fast dreizehn Jahre alt, so dass die Klägerin auch nach dem damals geltenden Altersphasenmodell zumindest teilschichtig erwerbspflichtig war. Im Jahr 2004 vollendete das jüngste Kind das 16. Lebensjahr, so dass ab diesem Zeitpunkt eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit galt (vgl. zum bis 2007 geltenden Recht: Mauer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2000, Rn. 10 ff. zu § 1570 BGB a.F.). Im Jahr 2001 war die Klägerin 42 Jahre alt, im Jahr 2004 war sie 45 Jahre alt. Bis zum Jahr 2001 belief sich ihre Erwerbsunterbrechung auf 13 Jahre. Vor dem Hintergrund ihrer fehlenden Berufsausbildung und dieser immer noch verhältnismäßig langen Erwerbsunterbrechung kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass sie einen qualifizierten Arbeitsplatz gefunden hätte. Aufgrund ihres damals noch mittleren Lebensalters bestanden aber realistische Aussichten auf eine Einstellung im geringen Lohnbereich. In den Jahren 2001 bzw. 2004 war ihre Erwerbsbiografie noch nicht so abschreckend, dass etwaige Bewerbungsbemühungen als von vornherein erfolglos einzustufen waren. Die Erwerbsobliegenheit der Klägerin war auch schon Gegenstand des Verfahrens ... des Amtsgerichts Melsungen. Da die Parteien in dem dortigen Vergleich vom 31.10.2005 geregelt hatten, dass der Unterhalt für die Zeit ab dem 1.11.2008 neu zu berechnen sei, durfte sich die Klägerin auch nicht darauf verlassen, nie mehr arbeiten zu müssen. Auf der Grundlage der von den Sachverständigen L und M festgestellten Arbeitsfähigkeit der Klägerin und in der Annahme frühzeitiger Bewerbungsbemühungen in den ersten Jahren nach der Scheidung hätte die Klägerin damit im gesamten hier streitgegenständlichen Unterhaltszeitraum über eine reale Beschäftigungschance verfügt, so dass der Tatbestand des § 1573 Abs. 1 BGB nicht erfüllt ist.

In Ermangelung jeglicher Bewerbungsbemühungen kann der Senat das Fehlen einer jeden Beschäftigungschance zum jetzigen Zeitpunkt letztlich nicht annehmen.

c) Die Klägerin hat jedoch gegen den Beklagten einen Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB in Höhe von monatlich 500 € bis einschließlich 31.12.2015. Für die Zeit danach besteht kein Unterhaltsanspruch mehr.

Dabei bestimmt sich das Maß des Unterhaltes im Ausgangspunkt nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 S. 1 BGB) und ist im Gegensatz zur Auffassung des Amtsgerichts nicht von vornherein auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile beschränkt.

Zur Bestimmung des eheangemessenen Unterhalts sind zunächst die Einkünfte des Beklagten heranzuziehen. Für den Zeitraum bis Ende 2015 verfügte der Beklagte nach seinem eigenen Vortrag über durchschnittliche bereinigte Nettoeinkünfte von mindestens 6.000 € monatlich. Hierbei besteht keine Veranlassung, einen Teil dieser Einkünfte unberücksichtigt zu lassen. Zwar ist Einkommen aus einer nach der Trennung erfolgten unerwarteten, vom Normalverlauf erheblich abweichenden Entwicklung der Erwerbsverhältnisse nicht bedarfsbestimmend (sog. Karrieresprung, BGH FamRZ 2009, 411; vgl. Maier, in: Gerhardt/ v.Heintschel-Heinegg/ Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 11. Aufl. 2018, 6. Kapitel, Rn. 753 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BGH). Hiervon kann vorliegend aber keine Rede sein. Zwar hat sich der Beklagte erst nach der Trennung selbständig gemacht und hat erst infolgedessen seine Einnahmen erheblich steigern können. Während der Ehe war er lediglich im G-büro des Schwiegervaters abhängig beschäftigt. Gleichwohl waren seine späteren Einnahmen aus der Selbständigkeit in der Ehe angelegt. Denn die während der Ehe ausgeübte abhängige Beschäftigung beim Schwiegervater war die Grundlage dafür, dass der Beklagte nach dem Tod des Schwiegervaters ein eigenes Büro gründen konnte. Eine solche Entwicklung konnte durchaus erwartet werden, zumal es unstreitig ist, dass zumindest der Schwiegervater die Vorstellung hatte, dass der Beklagte sein Büro übernehmen würde.

Was die Einkünfte der Klägerin angeht, so stellen die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII kein teilweise bedarfsdeckendes unterhaltsrechtliches Einkommen dar. Derartiges kann schon aufgrund der lediglich darlehensweisen Gewährung der SGB XII-Leistungen nicht angenommen werden. Unabhängig davon führen Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII, die die Klägerin bis Februar 2010 erhielt, in der Regel nicht zur Bedarfsdeckung (Diehl, in: Gerhardt/ v.Heintschel-Heinegg/ Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 11. Aufl. 2018, 14. Kap. Rn. 143). Ausgenommen ist lediglich der Fall, dass ein Forderungsübergang nicht stattfindet, die staatliche Leistung beim Leistungsberechtigten verbleibt und der Berechtigte gleichwohl die zivilrechtliche Unterhaltsforderung in vollem Umfang geltend machen könnte (Diehl, a.a.O, Rn. 107). Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben, da die Grundsicherungsleistungen lediglich darlehensweise gewährt wurden. Auch soweit die Klägerin ab März 2010 Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff. SGB XII erhält, sind diese Leistungen nicht bedarfsdeckend. Derartiges ist zwar in der Regel im Fall des Verwandtenunterhaltes anzunehmen (Diehl, a.a.O., Rn. 147), nicht aber beim Ehegattenunterhalt (Ziffer 2.9 der Unterhaltsgrundsätze des OLG Frankfurt am Main).

Jedoch ist der Klägerin wegen des Verstoßes gegen ihre Erwerbsobliegenheit ein fiktives Erwerbseinkommen zuzurechnen. Da die Darlegungs- und Beweislast für seine Bedürftigkeit den Unterhaltsberechtigten - hier also die Klägerin - trifft (Gutdeutsch, in: Wendl/Dose, a.a.O., § 4 Rn. 932; Brudermüller, in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, Rn. 72 zu § 1361, jeweils m.w.N.), ist auch in diesem Zusammenhang davon auszugehen, dass die Klägerin die behaupteten Einschränkungen ihrer Fähigkeit, einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden, nicht bewiesen hat. Auf die obigen Ausführungen zu §§ 1572, 1573 Abs. 1 BGB wird verwiesen. Im Zweifel ist daher davon auszugehen, dass die Klägerin heute über eine Anstellung im geringen Lohnsektor verfügen würde, wenn sie sich um einen solchen Arbeitsplatz unmittelbar nach der Scheidung anstrengungsbereit bemüht hätte. Selbst wenn man die von den Sachverständigen L und M beschriebenen schweren körperlichen Arbeiten sowie Tätigkeiten in großen Höhen und in Menschenmengen ausnimmt, hätten der Klägerin genügend andere Tätigkeiten im Geringlohnbereich offen gestanden, etwa die vom Sachverständigen M benannten Verpackungsarbeiten. Dabei teilt der Senat nicht die Meinung des Amtsgerichts, dass lediglich von einer geringfügigen Beschäftigung im Umfang von 450 € ausgegangen werden kann. Auf der Grundlage einer nach den Sachverständigengutachten möglichen Vollzeit-Beschäftigung könnte sie heute ca. 1200 € netto verdienen, was die folgende Brutto-Netto-Rechnung auf der Grundlage eines erzielbaren Stundenlohns von 10 € verdeutlicht:

Stundenlohn:

10,00 Euro

Stundenzahl:

173,9

insgesamt:

1.739,00 Euro

LSt-Klasse 1

Zusatzbeitrag zu KV (%)

0,9

Lohnsteuer:

-125,33 Euro

Solidaritätszuschlag

-6,89 Euro

Rentenversicherung (18,6 % / 2)

-161,73 Euro

Arbeitslosenversicherung (2,5 % / 2)

-21,74 Euro

Krankenversicherung: (14,6%/2 + 0.9%/2)

-134,77 Euro

Pflegeversicherung (AN-Anteil 1,525 %)

-26,52 Euro

Nettolohn:

1.262,02 Euro

abzüglich 5 % berufsbedingte Aufwendungen

-63,10 Euro

bleibt

1.198,92 Euro

Dies entspricht dem derzeitigen Ehegatten-Selbstbehalt in Höhe von 1200 € (Ziffer 21.4 der Unterhaltsgrundsätze des OLG Frankfurt am Main), den der Senat auch für die zurückliegenden Unterhaltszeiträume als fiktiv erzielbares Einkommen annimmt. Wie sich aus den jeweils gültigen Unterhaltsgrundsätzen ergibt, sind dies monatlich 1000 € bis Dezember 2010, monatlich 1050 € bis Dezember 2012 und monatlich 1100 € bis Dezember 2014. Mit einer solchen abhängigen Beschäftigung wäre die Klägerin gesetzlich kranken- und pflegeversichert, so dass die Klägerin insoweit auch nicht bedürftig ist.

Hieraus ergibt sich nach der Quotenberechnung der folgende eheangemessene Unterhalt in mindestens der folgenden Höhe:

Dezember 2008 bis Dezember 2010:

Einkünfte des Beklagten:

mindestens 6.000 €

abzgl. 1/7 Erwerbstätigenbonus

- 857 €

bleiben

= 5.143 €

fiktive Einkünfte der Klägerin:

1.000 €

abzgl. 1/7 Erwerbstätigenbonus

- 143 €

bleiben

= 857 €

zuzüglich Wohnvorteil (330 €)

= 1.187 €

Differenz der bereinigten Nettoeinkommen: 3.956 €

davon 50 % = 1.978 €

Januar 2011 bis Dezember 2012:

Einkünfte des Beklagten:

mindestens 6.000 €

abzgl. 1/7 Erwerbstätigenbonus

- 857 €

bleiben

= 5.143 €

fiktive Einkünfte der Klägerin:

1.050 €

abzgl. 1/7 Erwerbstätigenbonus

- 150 €

bleiben

= 900 €

zuzüglich Wohnvorteil (330 €)

= 1.230 €

Differenz der bereinigten Nettoeinkommen: 3.913 €

davon 50 % = 1.957 €

Januar 2013 bis Dezember 2014:

Einkünfte des Beklagten:

mindestens 6.000 €

abzgl. 1/7 Erwerbstätigenbonus

- 857 €

bleiben

= 5.143 €

fiktive Einkünfte der Klägerin:

1.100 €

abzgl. 1/7 Erwerbstätigenbonus

- 157 €

bleiben

= 943 €

zuzüglich Wohnvorteil (330 €)

= 1.273 €

Differenz der bereinigten Nettoeinkommen: 3.870 €

davon 50 % = 1.935 €

Januar 2015 bis Dezember 2015:

Einkünfte des Beklagten:

mindestens 6.000 €

abzgl. 1/7 Erwerbstätigenbonus

- 857 €

bleiben

= 5.143 €

fiktive Einkünfte der Klägerin:

1.200 €

abzgl. 1/7 Erwerbstätigenbonus

- 171 €

bleiben

= 1.029 €

zuzüglich Wohnvorteil (330 €)

= 1.359 €

Differenz der bereinigten Nettoeinkommen: 3.784 €

davon 50 % = 1.892 €

Unerheblich ist hierbei, dass der Beklagte seine Kranken- und Altersvorsorgeaufwendungen nur zum geringen Teil nachgewiesen hat. Denn selbst unter Abzug der von ihm behaupteten Versicherungsbeiträge beläuft sich sein monatliches bereinigtes Nettoeinkommen bis Ende 2015 auf mindestens 6.000 €. Hierbei besteht in Ermangelung konkreter Darlegungen allerdings kein Anlass, den Kindesunterhalt für die volljährigen Kinder auf Seiten des Beklagten in Abzug zu bringen. Auf der anderen Seite ist sein Wohnvorteil noch nicht berücksichtigt. Ebenso wenig ist berücksichtigt, dass in den angegebenen Einkünften des Beklagten zum geringen Teil Mieteinnahmen enthalten sind, so dass sein Erwerbstätigenbonus (1/7) tatsächlich etwas geringer ausfällt als oben angegeben.

Hierauf kommt es jedoch nicht an, weil sich aufgrund der zusätzlich zu beachtenden sogenannten relativen Sättigungsgrenze durchgehend ein geringerer eheangemessener Unterhalt ergibt. Gemäß Ziffer 15.3 der Unterhaltsgrundsätze des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung konnte der Unterhaltsbedarf nämlich nur bis zu einem Gesamtbedarf von 2.500 € als Quotenunterhalt geltend gemacht werden. Ein darüber hinausgehender Bedarf muss konkret geltend gemacht werden. Diese Vorgehensweise wird vom Bundesgerichtshof grundsätzlich gebilligt (BGH FamRZ 2010, 1637; BGH FamRZ 2018, 260). Seit dem 1.1.2018 beträgt die relative Sättigungsgrenze im hiesigen Bezirk 4.000 €. Bis zum 30.6.2010 waren es 2.200 €. Da die Klägerin keinen konkreten Bedarf dargelegt hat, beläuft sich der eheangemessene Unterhalt unter Anrechnung des eigenen fiktiven Einkommens und des Wohnvorteils der Klägerin damit auf folgende Beträge:

Dezember 2008 bis Juni 2010:

2.200 € abzgl. 1.330 € (fiktives Einkommen + Wohnvorteil) = 870 €.

Juli bis Dezember 2010: 2.500 € abzgl. 1.330 € = 1.170 €

2011 und 2012: 2.500 € abzgl. 1.380 € = 1.120 €

2013 und 2014: 2.500 € abzgl. 1.430 € = 1.070 €

2015 bis 2017: 2.500 € abzgl. 1.530 € = 970 €.

Dieser Unterhalt ist nach der zum 1.1.2008 eingeführten Regelung des § 1578 b BGB herabzusetzen. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung ist darauf abzustellen, ob eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinsamen Kindes unbillig wäre. Dabei ergeben sich die Kriterien für die vorzunehmende Billigkeitsabwägung aus § 1578b Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Danach ist bei der Billigkeitsabwägung vorrangig zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Gestaltung von Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie aus der Dauer der Ehe ergeben. Dabei äußert sich ein ehebedingter Nachteil nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in der Regel darin, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte nachehelich nicht die Einkünfte erzielt, die er ohne die Ehe und Kinderbetreuung erzielen würde (BGH FamRZ 2012, 197; BGH FamRZ 2010, 1971; BGH FamRZ 2010, 2059; BGH FamRZ 2016, 1345; BGH FamRZ 2014, 1276; BGH FamRZ 2014, 823; BGH FamRZ 2013, 1291). § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB sieht deswegen eine Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts lediglich bis auf den angemessenen Lebensbedarf vor, der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes durch die eigene Lebensstellung ohne Ehe und Kindererziehung definiert ist (BGH FamRZ 2010, 1971; BGH FamRZ 2010, 629). Weil dem Unterhaltsberechtigten regelmäßig der angemessene Lebensbedarf nach den ohne Ehe und Kindererziehung erzielbaren Einkünften zu belassen ist, sind ihm ehebedingte Nachteile grundsätzlich auszugleichen. Eine Befristung des nachehelichen Unterhalts nach § 1578b Abs. 2 BGB kommt deswegen regelmäßig nur dann in Betracht, wenn der Unterhaltsberechtigte Einkünfte erzielt, die diesem angemessenen Lebensbedarf entsprechen, wenn also keine ehebedingten Nachteile (mehr) vorliegen (BGH FamRZ 2010, 1971). Ehebedingte Nachteile sind vor allem Erwerbsnachteile, die durch die von den Ehegatten praktizierte Rollenverteilung während der Ehe entstanden sind. Dazu genügt es, wenn ein Ehegatte sich entschließt, seinen Arbeitsplatz aufzugeben, um die Haushaltsführung und Kinderbetreuung zu übernehmen (BGH FamRZ 2011, 628).

§ 1578 b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität. Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien von Bedeutung, so dass der Tatrichter in seine Abwägung auch einzubeziehen hat, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist und in welchem Maße der Unterhaltspflichtige - unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten - durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird. In diesem Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, vgl. BGH FamRZ 2016, 1345; BGH FamRZ 2014, 823; BGH FamRZ 2013, 1291; siehe auch BGH FamRZ 2012, 699; BGH FamRZ 2012, 93; BGH FamRZ 2010, 1971; BGH FamRZ 2010, 629). Dabei gewinnt die Ehedauer durch eine wirtschaftliche Verflechtung an Gewicht, die insbesondere durch Aufgabe einer eigenen Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder der Haushaltsführung eintritt (BGH FamRZ 2012, 951; BGH FamRZ 2011, 713; BGH FamRZ 2010, 1971; BGH FamRZ 2010, 1637), was durch die am 01.03.2013 in Kraft getretene Neufassung des § 1578 b Abs. 1 BGB keine grundlegenden Änderungen erfahren hat (BGH FamRZ 2013, 853; BGH FamRZ 2013, 864).

Ehebedingte Nachteile sind für den hier fraglichen Unterhaltszeitraum ab Dezember 2008 auf Seiten der Klägerin nicht mehr festzustellen. Zwar haben die Parteien ab der Geburt des zweiten Kindes im Jahr 1988 die klassische Rollenverteilung gelebt, nach der die Klägerin sich ab diesem Zeitpunkt vollständig dem Haushalt und der Kindererziehung gewidmet und seither nicht mehr gearbeitet hat. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte die Klägerin im weiteren Verlauf der Ehe aufgefordert hat, wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Denn jedenfalls haben die Eheleute die dargestellte Rollenverteilung tatsächlich praktiziert. Aufgrund dieser Rollenverteilung ist die Klägerin ab der Geburt des zweiten Kindes während der Ehe keiner Berufstätigkeit nachgegangen. Dieser berufliche Nachteil besteht jedoch schon lange nicht mehr. Dabei ist für die hier maßgebliche Zeit ab Dezember 2008 festzustellen, dass die Klägerin recht genau diejenigen Einkünfte erzielen kann, die sie ohne die Ehe und Kinderbetreuung erzielen würde. Ihr heutiges Ausbildungsniveau entspricht demjenigen, welches sie bei Eingehung der Ehe hatte. Schon damals verfügte die Klägerin lediglich über einen Realschulabschluss und keine weitere Ausbildung. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin durch den Beklagten daran gehindert wurde, eine Ausbildung aufzunehmen. Es ist vielmehr unstreitig, dass die Klägerin im Jahr 1979 die Möglichkeit hatte, eine Ausbildung zur Hotelfachfrau in Gemeinde1 zu beginnen. Soweit die Nichtannahme dieses weit entfernten Ausbildungsplatzes seinen Grund in dem damals schon bestandenen Verlöbnis mit dem in der Region lebenden Beklagten gehabt haben sollte, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Klägerin ohne Weiteres eine entsprechende Ausbildung auch in der Region hätte absolvieren können. Zudem sind deutlich vor der Ehe liegende Entwicklungen, die durch das voreheliche Zusammenleben veranlasst wurden, vom Vertrauen in den Bestand der Ehe grundsätzlich nicht geschützt und können daher keinen ehebedingten Nachteil begründen (BGH FamRZ 2010, 1238; BGH FamRZ 2010, 1971; BGH FamRZ 2011, 1377). Aus diesen Gründen kann es auch nicht als ehebedingter Nachteil angesehen werden, dass die Klägerin im Jahr 1979 oder 1980 den Besuch der F-Schule abbrach, wo sie das Fachabitur hätte erlangen können. Diese Entwicklung ereignete sich lange vor der im Jahr 1983 erfolgten Eheschließung und lag ohnehin in keiner Weise in dem Verlöbnis mit dem Beklagten begründet.

Dabei übersieht der Senat nicht, dass die Klägerin gleichwohl ab der am 15.5.1983 erfolgten Eheschließung bis zum Ende des Studiums des Beklagten daran gehindert war, eine Ausbildung aufzunehmen. Denn solange der Beklagte noch studierte und den Y-beruf noch nicht ausübte, hatte die Klägerin mit ihren damaligen Einkünften aus ihrer beruflichen Tätigkeit im Büro ihres Vaters wesentlich den Unterhalt der damals jungen Familie sichergestellt, ohne dass es im Einzelnen auf die damaligen Einkünfte des Beklagten ankommt. Bis April 1989, als der Beklagte seinen Beruf als Y aufnahm, waren die Eheleute damit auf die Einkünfte der Klägerin angewiesen. Die junge Familie konnte es sich nicht erlauben, dass die Klägerin eine Ausbildung aufnahm und auf die bisherigen Einkünfte verzichtete. Auch in der nachfolgenden Zeit der Kindererziehung und -betreuung war die Klägerin ehebedingt daran gehindert, eine Ausbildung aufzunehmen. Diese eheliche Rollenverteilung ist aber für die mangelnde Ausbildung der Klägerin nicht kausal. Der voreheliche Ausbildungsverlauf zeigt nämlich, dass die Klägerin überhaupt nicht an einer qualifizierten Berufsausbildung interessiert war- Das zeigt sich daran, dass sie die Möglichkeit der Ausbildung zur Hotelfachfrau nicht wahrnahm und später das Fachabitur abbrach. Dies spricht dafür, dass die Klägerin auch ohne die Ehe und die Kindererziehung durchgehend als ungelernte Kraft im Büro ihres Vaters weitergearbeitet und von jeglichen weiteren Ausbildungen abgesehen hätte. Zudem war die Klägerin nach der Scheidung noch in einem Alter, in dem sie ohne Weiteres eine Ausbildung hätte aufnehmen können. Damit bestand bis Dezember 2008 ausreichend Gelegenheit, den Nachteil einer fehlenden Berufsausbildung auszugleichen.

Gleichwohl kommt eine Befristung des nachehelichen Unterhalts gemäß § 1578 b Abs. 2 S. 1 BGB aus dem Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität nicht in Betracht. Die aufgrund der Ehe eingetretene wirtschaftliche Verflechtung der Parteien liegt offen auf der Hand. Auch ist in diesem Zusammenhang erneut zu berücksichtigen, dass die Klägerin zugunsten der Ehe und zugunsten der gemeinsamen Kinder ab 1988 davon abgesehen hat, einer Berufstätigkeit nachzugehen. Dies hat sicher zu ihrer derzeitigen Lebenssituation beigetragen. Auf der anderen Seite ist zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass die Klägerin auf Unterhalt angewiesen ist und dem Beklagten aufgrund seiner bis 2015 sehr soliden Einkommensverhältnisse die Zahlung eines herabgesetzten Unterhalts - siehe dazu sogleich - zugemutet werden kann. Zusätzlich ist im Rahmen der nachehelichen Solidarität die berufliche Entwicklung des Beklagten zu berücksichtigen. Dass der Beklagte früher im Ingenieurbüro des Vaters der Klägerin angestellt war und heute ein eigenes Y-büro am selben Ort betreibt, wirkt sich allerdings nicht zugunsten der Klägerin aus. Denn aufgrund des Nachlassinsolvenzverfahrens hat der Beklagte den Betrieb seines Schwiegervaters nach dessen Tod nicht übernommen. Das entscheidende Gewicht kommt jedoch dem Umstand zu, dass die Klägerin bis 1988 mit ihren damaligen Einkünften den Familienunterhalt wesentlich sichergestellt und damit dafür gesorgt hat, dass der Beklagte seine Ausbildung zu Ende führen konnte, aus der er seine heutigen Einkünfte bezieht. Da ihre damalige Berufstätigkeit und die Kinderbetreuung für den beruflichen Erfolg des Beklagten nach der Scheidung wesentlich sind, wäre eine zeitliche Befristung des nachehelichen Unterhalts unbillig.

Andererseits ergibt sich aus der Ehedauer, für die auf den Zeitraum ab der Eheschließung bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages abzustellen ist (BGH FamRZ 2012, 699), keine besondere nacheheliche Solidarität. Bis zur am 16.2.2000 erfolgten Zustellung des Scheidungsantrages dauerte die Ehe 16 Jahre und ca. 9 Monate. Dies stellt zwar eine erhebliche Dauer dar, ist aber noch keine lange Ehe im Sinne von § 1578 b Abs. 1 S. 3 BGB. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Scheidung noch keine 42 Jahre alt war. Als sich die Rechtslage zur Begrenzung des Unterhalts infolge des Urteils des BGH vom 12.4.2006 (FamRZ 2006, 1006) grundlegend änderte, war die Klägerin fast 47 Jahre alt und damit immer noch in einem erst mittleren Alter, in dem sie sich auf die neue Rechtslage hätte einstellen müssen, zumal der damalige Unterhaltstitel nur bis Oktober 2008 Bestand hatte. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin nach der Trennung 50.000 € aus einer Lebensversicherung und im Jahr 2006 eine Steuererstattung in Höhe von 24.934 € erhalten hat, und dass der Beklagte bis zum Beginn des vorliegenden Verfahrens bereits 10 Jahre lang Unterhalt gezahlt hat. Er ist auch für den gesamten Ausbildungsunterhalt der Kinder aufgekommen.

Deswegen ist der nacheheliche Unterhalt gemäß § 1578 b Abs. 1 S. 1 BGB spätestens ab Dezember 2008 herabzusetzen. Das Gesetz ermöglicht eine Herabsetzung bis auf den angemessenen Bedarf, der vorliegend mit den fiktiven Einkünften der Klägerin in Höhe des Ehegattenselbstbehaltes gleichzusetzen ist und sich damit auf monatlich 1000 € (bis Dezember 2010), 1050 € (bis Dezember 2012), 1100 € (bis Dezember 2014) bzw. 1.200 € (ab Januar 2015) beläuft. Eine Herabsetzung ist angezeigt, weil die Ehescheidung zu Beginn des hier streitgegenständlichen Unterhaltszeitraums (Dezember 2008) bereits fast acht Jahre zurücklag. Bis dahin hatte der Beklagte zehn Jahre lang durchgehend Unterhalt gezahlt. Seine Einkünfte waren zwar bis 2015 sehr solide, aber mit Ausnahme des Jahres 2011 nicht außergewöhnlich hoch. Unter erneuter Abwägung sämtlicher Umstände, die bereits weiter oben dargelegt sind, wäre die Zuerkennung des vollen eheangemessenen Unterhalts auf der Basis der relativen Sättigungsgrenze daher unbillig. Da die Klägerin im Dezember 2008 noch 49 Jahre alt war und ihr seit der Scheidung bis dahin nahezu acht Jahre zur Verfügung standen, um sich auf einen niedrigeren Lebensstandard einzustellen, ergibt die durchzuführende Abwägung vielmehr eine Herabsetzung ihres Bedarfs für die Zeit ab Dezember 2008. Allerdings bildet der angemessene Lebensbedarf nur die Untergrenze der Herabsetzung. Trotz des anderslautenden Wortlauts des § 1578 b Abs. 1 BGB besteht hinsichtlich des Umfangs der Herabsetzung ein Spielraum, der nach den Umständen des Einzelfalls auch zur Erhaltung eines höheren Lebensstandards zwischen dem angemessenen und dem eheangemessenen Bedarf führen kann (BGH FamRZ 2010, 629; BGH FamRZ 2010, 1633; BGH FamRZ 2011, 192). Solches ist hier bis Dezember 2015 angezeigt. Auch wenn das Einkommen des Beklagten bis auf 2011 nicht außergewöhnlich hoch war, so verfügte der Beklagte bis 2015 doch immerhin über ein überdurchschnittlich hohes Einkommen, indem sich sein unterhaltsrechtliches Einkommen bis 2015 (mit Ausnahme des Jahres 2011) konstant auf einen Durchschnittsbetrag von ca. 6.000 € bis 6.500 € belief. Unter Berücksichtigung dieser konstanten und als sehr solide zu bezeichnenden Einkünfte des Beklagten bis Dezember 2015 ist es dem Beklagten bis zu diesem Zeitpunkt zuzumuten, einen Bedarf auf Seiten der Klägerin sicherzustellen, der ihren eigenen angemessenen Bedarf um jeweils 500 € pro Monat übersteigt. Für die Zeit bis Dezember 2015 setzt der Senat den Bedarf der Klägerin damit auf 1500 € (bis Dezember 2010), 1550 € (bis Dezember 2012), 1600 € (bis Dezember 2014) bzw. 1700 € (ab Januar 2015) herab. Hierauf sind die eigenen fiktiven Erwerbseinkünfte der Klägerin anzurechnen, woraus sich bis Dezember 2015 ein monatlicher Aufstockungsunterhalt von jeweils 500 € ergibt.

Hierbei kommt es auf den Ehegattenunterhaltsanspruch der zweiten Ehefrau des Beklagten nicht an, da diese nachrangig ist (§ 1609 Nr. 3 BGB).

Für die Zeit ab dem 1.1.2016 ergibt die nach § 1578 b Abs. 1 BGB durchzuführende Billigkeitsabwägung jedoch eine weitergehende Herabsetzung auf den angemessenen Bedarf (1.200 €), den die Klägerin mit ihren fiktiven Einkünften vollständig selbst decken kann mit der Folge, dass ab Januar 2016 kein Unterhaltsanspruch mehr besteht. Ausschlaggebend hierfür ist der eingetretene Zeitablauf. Im Januar 2016 lag die Scheidung bereits fast fünfzehn Jahre zurück. Die Unterhaltspflicht des Beklagten hat bis dahin 17 Jahre lang bestanden, und damit etwa so lange wie die Ehe bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages gedauert hat. Im Hinblick auf die Ehedauer wäre die Zuerkennung eines Bedarfes, der über den angemessenen Bedarf hinausgeht, für die Zeit ab Januar 2016 nicht mehr verhältnismäßig.

Hinzu kommt, dass die Gewinne des Beklagten in den Jahren 2016 und 2017 gravierend zurückgegangen sind. Im Jahr 2013 betrug der Bruttogewinn noch 149.841 € und entsprach damit, unter Außerachtlassung von 2011, ungefähr dem Gewinn der Vorjahre. Eine erste - wenn auch leichte - Negativentwicklung trat in den Jahren 2014 und 2015 ein, indem sich der Bruttogewinn auf 131.826 € bzw. 135.598 € reduzierte. Während dieser Gewinnrückgang noch im Bereich einer normalen und daher hinzunehmenden Schwankungsbreite liegt, ist für die Jahre 2016 und 2017 ein relevanter Gewinneinbruch festzustellen. Im Jahr 2016 betrug der steuerliche Gewinn nur noch 52.158,68 € und im Jahr 2017 lediglich 29.390,24 €. Demzufolge behauptet der Beklagte ein bereinigtes Nettoeinkommen im Jahr 2016 von nur noch 2.002 € monatlich. Von dem Jahresgewinn 2017 (29.390,24 €) verbleiben unter Abzug der Steuern (ca. 5.500 €) und der behaupteten Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge (ca. 19.900 €) sogar nur rund 4.000 € pro Jahr. Dabei übersieht der Senat nicht, dass der Beklagte zusätzlich über den Wohnvorteil aufgrund mietfreien Wohnens und über Mieteinkünfte verfügt, die sich nach dem Steuerbescheid für 2016 auf 5.390 € im Jahr beliefen. Auch hat der Beklagte die behaupteten Vorsorgeaufwendungen (Krankenversicherung und private Rentenversicherung) bislang nicht hinreichend belegt, so dass der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte für eine Leistungsunfähigkeit (§ 1581 S. 1 BGB) keinen ausreichenden Vortrag gehalten hat. Entscheidend ist aber, dass die eheprägenden Einnahmen des Beklagten aus seinem Ingenieurbüro in diesen beiden Jahren einen so gravierenden Rückschritt erfahren haben, dass die Einkommenssituation des Beklagten in 2016 und 2017 nicht mehr als solide bezeichnet werden kann. Dies muss im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 1578 b Abs. 1 S. 1 BGB Beachtung finden.

Dabei hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Gewinnermittlungen 2016 und 2017 die tatsächliche Einnahmen- und Ausgabensituation des Beklagten wiedergeben. Eine Manipulation der Jahresabschlüsse hält der Senat für ausgeschlossen, da es im Falle einer Manipulation nahegelegen hätte, bereits die vorangegangenen Jahresgewinne herunterzurechnen. Solche Versuche hat der Beklagte ersichtlich nicht unternommen. Auch im Übrigen sind keinerlei Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Buchführung ersichtlich. Ungewöhnlich hohe Abschreibungen wurden nicht getätigt. Die Gewinneinbußen sind auch nicht auf Investitionen zurückzuführen, die unberücksichtigt bleiben müssten. Investitionen größeren Umfangs sind den vorgelegten Gewinnermittlungen nicht zu entnehmen. Vielmehr geht daraus hervor, dass der vom 31.12.2015 bis zum 31.12.2017 zu verzeichnende Gewinnrückgang in Höhe von ca. 106.000 € im Wesentlichen mit gesunkenen Einnahmen (minus 85.000 €) und gestiegenen Personalkosten (plus 10.000 €) zu erklären ist. Unter erneuter Abwägung sämtlicher Umstände unter gleichzeitiger besonderer Berücksichtigung des Zeitablaufes seit der Scheidung, der Ehedauer und des in 2016 und 2017 eingetretenen Rückgangs des eheprägenden Einkommens des Beklagten ist daher ab Januar 2016 eine Herabsetzung auf den angemessenen Bedarf (1.200 €) angemessen. Aufgrund ihrer eigenen erzielbaren Einkünfte in entsprechender Höhe ist die Klägerin jedoch nicht bedürftig, so dass der Unterhaltsanspruch ab dem 1.1.2016 erloschen ist.

Die Tatsache, dass aufgrund der vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertung im Jahr 2018 von einem vorläufigen Jahresgewinn des Beklagten von 170.591,13 € auszugehen ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn unter Berücksichtigung des anzulegenden 3-Jahres-Zeitraums (Niepmann/ Schwamb, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 13. Auflage 2016, Rn. 680 m.w.N.) ergibt sich aus den letzten drei Jahren lediglich ein Durchschnittsgewinn von ca. 83.000 € brutto. Da dieser Durchschnittsbetrag das Niveau der bis 2013 erzielten Einnahmen um ca. 45 % unterschreitet, bleibt es dabei, dass in der Gesamtbetrachtung seit Anfang 2016 ein gravierender Einkommensrückgang auf Seiten des Beklagten stattgefunden hat, der in der dargestellten Weise im Rahmen des § 1578 b BGB zu berücksichtigen ist.

Aber selbst wenn für die Zukunft mit Jahreseinnahmen von 170.000 € brutto auszugehen wäre, woran der Senat wegen der zu berücksichtigenden letzten drei Jahre gehindert ist, wäre die Unterhaltskette seit Anfang 2016 unterbrochen. Das Erfordernis der lückenlosen Unterhaltskette gebietet, dass die tatbestandsspezifischen Voraussetzungen der jeweiligen Unterhaltsnorm ohne Unterbrechung vorgelegen haben müssen (BGH FamRZ 2016, 2013; Bömelburg, in: Wendl/ Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Aufl. 2015, § 4 Rn. 112; Maier, in: Gerhardt/ v.Heintschel-Heinegg/ Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 11. Auflage 2018, 6. Kap. Rn. 632). Dabei hat der Bundesgerichtshof dargelegt, dass sowohl ein nicht vorwerfbarer nachehelicher Einkommensrückgang als auch eine nicht vorwerfbare nacheheliche Arbeitslosigkeit aufseiten des Unterhaltspflichtigen für die ehelichen Lebensverhältnisse prägend sind und daher auf das Maß des Unterhalts durchschlagen (BGH a.a.O., BGH FamRZ 2012, 281). Ausgenommen ist lediglich ein vorübergehender Einkommensrückgang, der nach Auffassung des Bundesgerichtshofes die Unterhaltskette noch nicht unterbricht (BGH FamRZ 2016, 2013). Dieser vorübergehende Einkommensrückgang erstreckte sich im vom BGH entschiedenen Fall auf 3 Monate. Von einem solchen lediglich vorrübergehenden Einkommensrückgang kann vorliegend jedoch keine Rede sein. Nach dem Sach- und Streitstand zum 31.12.2017 war festzustellen, dass die Gewinne des Beklagten seit 24 Monaten und damit für eine gravierende Zeitdauer zurückgegangen waren. Ähnliches ergibt sich aus dem Durchschnittsbetrag der Jahre 2015 bis 2017, wenn auch weniger gravierend, aber immer noch im relevanten Umfang. Damit ist die Unterhaltskette seit dem 1.1.2016 aufgrund der zu diesem Zeitpunkt durchzuführenden Herabsetzung auf den angemessenen Bedarf unterbrochen. Der Umstand, dass sich die Einkommenssituation des Beklagten in 2018 wieder verbessert hat, was ohne die lange Verfahrensdauer nicht bekannt geworden wäre, kann nicht zum Wiederaufleben des Unterhaltsanspruches führen.

Mit dem Einwand des § 1578 b BGB ist der Beklagte nicht präkludiert, da die Parteien im Vergleich vom 31.10.2005 ausdrücklich vereinbart haben, dass der Unterhalt ab November 2008 neu zu berechnen ist. Zudem haben die Parteien den Vergleich vor dem für eine Präklusion maßgeblichen Stichtag (12.4.2006, welcher sich aus der an diesem Tag geänderten Rechtsprechung des BGH ergibt, vgl. BGH FamRZ 2006, 1006) geschlossen.

e) Der bis Dezember 2015 zuzuerkennende Aufstockungsunterhalt ist weder gemäß § 1579 Nr. 2 BGB noch nach § 1579 Nr. 7 BGB verwirkt. Die Klägerin hat nicht in einer verfestigten Lebensgemeinschaft im Sinne von § 1579 Nr. 2 BGB gelebt. Eine verfestigte Lebensgemeinschaft im Sinne von § 1579 Nr. 2 BGB kann insbesondere angenommen werden, wenn objektive, nach außen tretende Umstände wie etwa ein über einen längeren Zeitraum hinweg geführter gemeinsamer Haushalt, das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, größere gemeinsame Investitionen wie der Erwerb eines gemeinsamen Familienheims oder die Dauer der Verbindung den Schluss auf eine verfestigte Lebensgemeinschaft nahelegen (BGH FamRZ 2011, 1356; BGH FamRZ 2011, 1498). Was die Dauer der Verbindung angeht, so verlangt die Rechtsprechung im Regelfall für eine Verfestigung im Sinne von § 1579 Nr. 2 BGB eine Dauer von zwei bis drei Jahren (BGH NJW 1989, 1083; NJW 1997, 1851; NJW 2002, 1947). Dabei indiziert ein gemeinsamer Haushalt in der Regel die Annahme einer verfestigten Gemeinschaft, die sich aufgrund starker Verflechtung der Lebensbereiche auch für Außenstehende als eine gleichsam an die Stelle einer Ehe getretenen Lebensgemeinschaft im Sinne einer "ehegleichen ökonomischen Solidarität" darstellt (Palandt/ Brudermüller, a.a.O., § 1579 Rz. 12; BGH NJW 1983, 1548; BGH NJW 1989, 1083). Diese Voraussetzungen sind nach dem Vortrag des darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht erfüllt. Die Klägerin hat den Zeugen J zwar gegenüber dem Sachverständigen L als ihren "Freund" bezeichnet, den sie sehr liebe. Es fehlt aber an dem erforderlichen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenschluss im Sinne einer ehegleichen ökonomischen Solidarität. Es kann weder eine wirtschaftliche Verflechtung der beiden Lebensbereiche noch ein gegenseitiges Einstehen füreinander festgestellt werden. Auf der Grundlage des Vortrages des darlegungspflichtigen Beklagten kann nicht hinreichend angenommen werden, dass beide ständig wie ein Paar auftraten und nach dem Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit wie Eheleute zusammenlebten. Dass der Beklagte beide zweimal beim gemeinsamen Einkaufen beobachtet hat, lässt einen solchen Schluss noch nicht zu. Der weitere Vortrag, dass sich der Zeuge J "ständig und ununterbrochen mit eigenem Mobiliar bei der Klägerin" aufgehalten habe, ist unsubstantiiert. Gleiches gilt, soweit der Beklagten behauptet hat, das Auto von Herrn J stehe "sehr oft" vor dem Haus der Klägerin. Die am 6.5.2011 nach dem Vortrag des Beklagten bekundeten Heiratsabsichten haben nicht lang genug angedauert. Denn die Klägerin war mit dem Zeugen J lediglich von 2009 bis 2012 befreundet. Seit 2012 ist die Freundschaft beendet. Dieser Zeitraum genügt bei ansonsten getrennten Lebensbereichen nicht, um eine Verfestigung im Sinne von § 1579 Nr. 2 BGB annehmen zu können.

Ebenso wenig kann der Klägerin ein offensichtlich schwerwiegendes Fehlverhalten im Sinne von § 1579 Nr. 7 BGB vorgeworfen werden. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang eine ehewidrige Beziehung der Klägerin mit dem Nachbarn H behauptet, erfüllt dies die Voraussetzungen des § 1579 Nr. 2 BGB nicht. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Klägerin diese Beziehung "aus intakter Ehe heraus" aufgenommen haben sollte, so genügt Ehebruch allein noch nicht zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs. Ein Härtegrund im Sinne von § 1579 Nr. 7 BGB kann vielmehr erst bei Aufnahme eines nachhaltigen, auf längere Dauer angelegten intimen Verhältnisses angenommen werden, wenn darin, unabhängig vom Zeitpunkt, die Ursache für das Scheitern der Ehe lag (BGH FamRZ 2008, 1414; BGH FamRZ 2012, 779). Nach dem Vortrag des Beklagten ist bereits nicht ersichtlich, dass die Affäre mit Herrn H längere Zeit dauerte. Außerdem kann nicht angenommen werden, dass hierin die alleinige Ursache für das Scheitern der Ehe zu sehen ist. Vielmehr hat der Beklagte angegeben, nur zwei Monate später (im November 1998) selbst eine Affäre mit Frau I und anschließend die Beziehung zu seiner jetzigen Ehefrau aufgenommen zu haben. Da beide Eheleute im näheren zeitlichen Zusammenhang mit der Trennung außereheliche Affären eingingen, muss sich die Ehe schon lange in einer Krise befunden haben, ohne dass es darauf ankommt, welcher der beiden Eheleute seine bzw. ihre außereheliche Beziehung zuerst aufgenommen hat.

f) Der bis Dezember 2015 bestehende Anspruch auf Aufstockungsunterhalt in Höhe von monatlich 500 Euro ist nicht gemäß § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII auf den Landkreis ... übergegangen, da die Klägerin die Sozialhilfeleistungen des Landkreises lediglich als Darlehen erhalten hat. Ob eine solche Sozialhilfegewährung zu einem Übergang von Unterhaltsansprüchen nach § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII bzw. § 33 Abs. 2 SGB II führt, ist streitig. Die früher überwiegende Meinung hat dies angenommen, da sich aus dem Wortlaut des Gesetzes insoweit keine Einschränkung ergibt (OLG Celle FamRZ 2008, 928; OLG Hamm FamRZ 2001, 129; Klinkhammer, in: Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Aufl. 2015, § 8 Rn. 238; Armbruster, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Rn. 47 zu § 94 SGB XII). Der erkennende Senat schließt sich jedoch der gegenteiligen Rechtsauffassung an. Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 16.3.2016 (II-8 UF 58/14, FamRZ 2016, 1889) entschieden, dass bei einer darlehensweisen Gewährung von Sozialleistungen kein gesetzlicher Forderungsübergang nach § 33 SGB II bzw. § 94 SGB XII stattfindet, weil nicht davon auszugehen sei, dass der Sozialleistungsträger die auf ihn übergegangenen Unterhaltsforderungen in diesem Fall gegenüber dem Unterhaltspflichtigen geltend machen werde. Aus den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (Stand 21.12.2015, Ziffer 33.13) ergebe sich nämlich, dass die darlehensweise Erbringung von Leistungen keinen Anspruchsübergang nach § 33 SGB II auslöse. Dies habe nach Auffassung des OLG Düsseldorf zur Folge, dass die Unterhaltsansprüche weder von dem Sozialleistungsträger - wegen anderer Rechtsansicht -, noch von dem Unterhaltsberechtigten - wegen fehlender Aktivlegitimation - geltend gemacht werden können (OLG Düsseldorf a.a.O.). Diese Argumentation ist weiterhin zutreffend, weil es in den aktuell geltenden fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 33 SGB II (Stand: 5.10.2017) unter Ziffer 33.9 ausdrücklich heißt: "Werden Leistungen nur in Form eines Darlehens erbracht, löst diese Erbringung keinen Anspruchsübergang nach § 33 aus. Der Nachrang des SGB II wird über die Rückzahlung des Darlehens hergestellt." Ebenso überzeugend ist die in der Literatur vertretene Auffassung, wonach der Sinn und Zweck von Darlehen dagegen spricht, Darlehen als "Leistungen" im Sinne von § 94 SGB XII einzubeziehen. Diese Form der Hilfe zielt auf die Rückzahlung durch den Leistungsempfänger ab, so dass der Nachrang der Sozialhilfe wiederhergestellt ist, sobald er das Geld erstattet hat. Ein Anspruchsübergang hätte hier zur Folge, dass der Sozialhilfeträger vom Leistungsempfänger die Rückzahlung einfordern könnte und zugleich Gläubiger des Unterhaltsanspruchs würde und als solcher vom Unterhaltsschuldner die Erfüllung der Forderung verlangen könnte. Dem Hilfebedürftigen wäre durch den Anspruchsübergang aber zugleich die Möglichkeit genommen, sich die für die Rückzahlung des Darlehens erforderlichen Mittel zu verschaffen, weil er nicht mehr Gläubiger dieser Forderung ist (Kirchhoff, in: Hauck/ Noftz, SGB, 1/2018, Rn. 31 zu § 94 SGB XII; ebenso Diehl, in: Gerhardt/v.Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 11. Auflage 2018, 14. Kap. Rn. 101; Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, Rn. 12 zu § 94; Ehmann, in: Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber, Gesamtkommentar SRB, 2.Aufl. 2018, Rn. 9 zu § 94 SGB XII; Adams, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, 52. Edition, Stand: 1.3.2019, Rn. 1 zu § 94 SGB XII). Deshalb erscheint es sachgerecht, als Leistung im Sinne von § 94 SGB XII nur endgültige Leistungen anzusehen, woran es im Falle einer darlehensweisen Gewährung fehlt (Conradis/Münder, in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie, SGB XII, 11. Auflage 2018, Rn. 8 zu § 94).

Demzufolge hat ein Anspruchsübergang gemäß § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII in keiner Weise stattgefunden. Soweit die Klägerin im Widerspruch hierzu die bis Juli 2010 erhaltenen Leistungen bei ihren Anträgen gleichwohl in Abzug gebracht hat, ändert das nichts daran, dass der Klägerin auch für diesen Zeitraum monatlich 500 Euro zuzusprechen sind. Denn zumindest in dieser Höhe hat sie auch bis Juli 2010 eine entsprechende Zahlung an sich selbst beantragt.

Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Unterhaltsanspruch bereits mit der am 15.6.2009 zugestellten Stufenklage rechtshängig wurde.

Über den Hilfsantrag hat der Senat nicht zu befinden, da dieser nur für den Fall gestellt war, dass der Senat einen teilweisen Anspruchsübergang gemäß § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII annimmt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in §§ 42 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1, 47 GKG in der bis zum 31.8.2009 geltenden Fassung und entspricht dem erstinstanzlich festgesetzten Betrag (24.706,92 €). Dabei entfällt auf die ersten zwölf Monate nach der am 12.5.2009 erfolgten Einreichung der Stufenklage - also für die Monate Juni 2009 bis Mai 2010 - ein Wert von 15.241,58 €. Diesen Betrag hatte die Klägerin für diesen Zeitraum beantragt, wie sich im Einzelnen aus dem Prozesskostenhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 24.8.2010 in Verbindung mit dem Schriftsatz der Klägerin vom 26.7.2010 mitsamt Anlagen ergibt. Die bei Einreichung der Klage fälligen Beträge (§ 42 Abs. 5 S. 1 GKG) bis einschließlich Mai 2009 beliefen sich nach dem Antrag der Klägerin auf 9.465,34 €. Bei beiden Teilbeträgen hatte die Klägerin die gewährten Leistungen des Schwalm-Eder-Kreises in Abzug gebracht, woran der Senat bei der Streitwertbestimmung gebunden ist. Hieraus ergibt sich der festgesetzte Gesamtstreitwert von 24.706,92 €. Dass für den späteren Unterhaltszeitraum ab August 2010 durchgehend ein höherer monatlicher Unterhalt von 1.910 € beantragt wurde, muss bei der Streitwertbestimmung unberücksichtigt bleiben. Denn soweit nach Ablauf von zwölf Monaten höhere laufende Unterhaltsbeträge verlangt werden, wirkt sich dies in der Regel auf die Wertbestimmung nicht aus und der Senat sieht keinen Anlass, in Anwendung des Rechtsgedanken des § 51 Abs. 3 FamGKG höhere Werte anzusetzen (Borth/ Grandel, in: Musielak/Borth, FamFG, 6. Auflage 2018, Rn. 46 zu § 51 FamGKG).

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung angesichts einander widersprechender Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Forderungsübergang gemäß § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII im Fall der darlehensweisen Gewährung von Sozialhilfeleistungen eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.