OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.08.2018 - 8 U 211/14
Fundstelle
openJur 2020, 43466
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten zu 3) und 4) gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 05. November 2014 (Az.: 2-04 O 324/12) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Feststellungsausspruch wie folgt lautet:

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 3) und 4) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden, die ihr aus der unterlassenen Befunderhebung am Abend des 05. August 2009 entstanden sind oder noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese nicht unter Ziffer 1 und 2 des Tenors des landgerichtlichen Urteils abgegolten sind und vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsübergangs.

Die Beklagten zu 3) und 4) haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten zu 3) und 4) dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schmerzensgeld, Schadensersatz sowie die Feststellung der Verpflichtung des Ersatzes sämtlicher weiterer Schäden wegen einer angeblich fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind nur noch Ansprüche gegen die Beklagten zu 3) und 4).

Die Klägerin begab sich wegen anhaltender Schmerzen im rechten Kniegelenk im Juli 2009 in die Gemeinschaftspraxis der Beklagten zu 1) und 2) in Behandlung. Dort wurde ein Meniskus-Innenband-Anriss festgestellt, der am 30. Juli 2009 durch den Beklagten zu 1) im A-Krankenhaus in Stadt1 operiert wurde.

Nach Entlassung am 03. August 2009 stellte sich die Klägerin in der Gemeinschaftspraxis der Beklagten zu 1) und 2) vor. Es wurden ihr dort von dem Beklagten zu 2) Schmerzmittel verordnet. Am Abend des 05. August 2009 rief die Klägerin den Beklagten zu 1) an und teilte diesem mit, dass sie erhebliche Schmerzen habe. Sie äußerte gegenüber dem Beklagten zu 1) den Verdacht einer Thrombose, was dieser unter Verweis auf die gegebene Prophylaxe jedoch für unwahrscheinlich hielt. In Absprache mit dem Beklagten zu 1) begab sich die Klägerin in die Notaufnahme der Klinik der Beklagten zu 4) in Stadt2.

In der Klinik der Beklagten zu 4) wurde die Klägerin durch den Beklagten zu 3), der Internist ist, untersucht. Die körperliche Untersuchung zeigte im Bereich des rechten Knies eine Schwellung und Rötung. Der Beklagte zu 3) schloss eine Thrombose bei der Klägerin aus. Er stelle nebenbefundlich einen Gelenkerguss rechts fest, und es präsentierte sich für ihn das Bild eines möglichen Empyems (Ansammlung von Eiter). Er entließ die Klägerin sodann nach Hause mit der Vorgabe, sich am nächsten Tag wieder bei ihrem behandelnden Arzt vorzustellen.

Am darauffolgenden Tag, dem 06. August 2009, begab sich die Klägerin wegen der anhaltenden Beschwerden in die Klinik der Beklagten zu 4) in Stadt3. Dort stellte man eine massiv fortgeschrittene Infektion fest, und es drohte bei der Klägerin ein Multiorganversagen. Die Klägerin befand sich in Lebensgefahr. Zum Aufnahmezeitpunkt wurde bei der Klägerin unter anderem ein Kniegelenksempyem, eine nekrotisierende Fasziitis im Bereich des Kniegelenks und des Unterschenkels, eine Nekrose im Bereich der linken Zehen, Knochennekrosen im Bereich des Fußes und des Sprunggelenks, ein Spannungspneumothorax mit kollabierter Lunge, ein akutes Nierenversagen, eine Blutvergiftung, eine vollständige systemische Entzündungsreaktion des ganzen Organismus der Klägerin sowie eine Infektion mit Staphylococcus areus festgestellt. Die Klägerin wurde daraufhin noch am gleichen Tag operiert und lag anschließend circa zwei Wochen im Koma. Am 12. und 17. August 2009 erfolgten weitere Operationen. Im Rahmen eines vierten Eingriffs am 20. August 2009 wurde das rechte Bein der Klägerin amputiert. Der Beinstumpf wurde am 24. August 2009 erneut operiert. Bei zwei weiteren Operationen am 22. September und 12. Oktober 2009 wurde bei der Klägerin eine Teilamputation der linken Zehen vorgenommen.

Die Klägerin hat hinsichtlich des Beklagten zu 3) behauptet, dass dieser am Abend des 05. August 2009 weitere diagnostische Maßnahmen hätte veranlassen müssen, insbesondere eine Blutuntersuchung vornehmen und einen Abstrich aus der Wunde entnehmen und labortechnisch untersuchen lassen müssen. Hätte der Beklagte zu 3) entsprechend dem ärztlichen Standard gehandelt, hätte er die schwere Infektion noch am Abend des 05. August 2009 festgestellt. Sie hätte dann nach Feststellung der Infektion sofort stationär aufgenommen und notfallmedizinisch behandelt werden müssen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie einangemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch einen Betragin Höhe von EUR 150.000,- nebst Zinsen in Höhe von5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem06. August 2009 zu zahlen;die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie, hilfsweisedie B AG, Straße1, Stadt4, einen weiteren Betrag in Höhe von EUR 4.907,56 nebstZinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen; undfestzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr sämtliche weiteren Schäden, die aus der fehlerhaften Behandlungentstanden sind oder noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diesenicht mit den Klageanträgen zu 1) und 2) abgegolten sind oder dieForderungen auf Dritte übergegangen sind oder übergehen können.Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 03. Januar 2013 (Bl. 171 f. d. A.) durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Facharztes für Unfallchirurgie und Orthopädie X. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen X vom 14. September (Bl. 218 ff. d. A.) sowie dessen mündliche Erläuterung im Termin vom 02. Juli 2014 (Bl. 315 ff. d. A.) verwiesen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 05. November 2014 (Bl. 353 ff. d. A.) die Klage gegen die Beklagten zu 1) und 2) abgewiesen und die Beklagten zu 3) und 4) zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von EUR 150.000,-, und von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt sowie festgestellt, dass die Beklagten zu 3) und 4) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden, die aus der fehlerhaften Behandlung entstanden sind, zu ersetzen. Es hat ausgeführt, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen X feststehe, dass der Beklagte zu 3) im Rahmen der Behandlung der Klägerin am 05. August 2009 gegen den ärztlichen Standard verstoßen und dies zu den seitens der Klägerin geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt habe. Ein Verstoß der Beklagten zu 1) und 2) gegen den ärztlichen Standard sei nicht festzustellen. Insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 357 ff. d. A.).Mit ihrer Berufung begehren die Beklagten zu 3) und 4) die Klageabweisung insgesamt. Das Landgericht sei zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagte zu 3) im Rahmen seiner Behandlung der Klägerin am 05. August 2009 abends gegen den ärztlichen Standard verstoßen habe und dieser Behandlungsfehler kausal für die bei der Klägerin eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geworden sei. Das Landgericht und auch der Sachverständige hätten beide die unzutreffende Annahme zugrunde gelegt, dass der Beklagte zu 3) bei der Vorstellung der Klägerin am 05. August abends ein Knieempyem in Betracht gezogen habe. Dies sei aber gerade nicht der Fall gewesen und ergebe sich auch nicht aus der vorgelegten Behandlungsdokumentation. Die Untersuchung des Beklagten zu 3) am 05. August 2009 habe vielmehr nur ein geschwollenes und gerötetes Knie ergeben, nirgends seien bei der klinischen Untersuchung Hinweise auf einen Infekt festgestellt worden. Der seitens des Beklagten zu 3) nebenbefundlich festgestellte Gelenkerguss sei jedenfalls vertretbar. Für eine Infektion - geschweige denn eine nekrotisierende Fasziitis - habe es am 05. August 2009 abends keinerlei Hinweiszeichen gegeben. Vorzuwerfen wäre dem Beklagten zu 3) allenfalls ein - haftungsrechtlich nicht relevanter - Diagnoseirrtum; denn das seitens des Beklagten zu 3) diagnostisch gewonnene Ergebnis sei jedenfalls noch vertretbar gewesen. Der Diagnosefehler sei auch nicht als grob zu bewerten, weswegen eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin nicht eintrete. Auch eine Beweislastumkehr auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH zum einfachen Befunderhebungsfehler mit reaktionspflichtigem Befund trete zugunsten der Klägerin nicht ein. Jedenfalls habe der Sachverständige X nicht bestätigt, dass ein positives Befundergebnis im Falle der (fiktiven) Erhebung der Befunde hinreichend wahrscheinlich gewesen wäre. Ein Differenzialblutbild habe zu dem Zeitpunkt, als die Klägerin abends in der Klinik der Beklagten zu 4) behandelt worden ist, gar nicht mehr durchgeführt werden können. Möglich wäre allein die Anfertigung eines kleinen Blutbildes sowie die Bestimmung des CRP gewesen. Dies hätte allerdings nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit den Verdacht einer schweren Infektion ergeben. Mangels genauer Kenntnis des Erregers wäre - auch - die Gabe eines Breitbandantibiotikums nicht indiziert gewesen. Auch mit der Diagnose eines Kniegelenksempysems sei es jedenfalls äußerst unwahrscheinlich gewesen, dass die weitere Entwicklung und Ausbildung einer nekrotisierenden Fasziitis zu verhindern gewesen wäre. Insoweit habe es das Landgericht unterlassen, im Hinblick auf das äußerst komplexe und auch nur wenigen spezialisierten Ärzten vertraute Krankheitsbild einer nekrotisierenden Fasziitis ein Gutachten eines mit diesem Sachgebiet vertrauten Sachverständigen einzuholen.

Die Beklagten zu 3) und 4) beantragen unter Aufhebung des angefochtenen Urteils,

die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil, soweit die Beklagten zu 3) und 4) zur Zahlung verurteilt worden sind.Der Senat hat Beweis erhoben durch mündliche Gutachtenerläuterung des Sachverständigen X im Termin vom 05. Juni 2018. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 05. Juni 2018 (Bl. 662 ff. d. A.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten zu 3) und 4) ist zulässig, aber nicht begründet.

A. Der Klägerin stehen gegenüber den Beklagten zu 3) und 4) sowohl aus dem abgeschlossenen Behandlungsvertrag wie auch aus Delikt Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche sowie der geltend gemachte Feststellungsanspruch zu (§§ 611 ff., 278, 280 Abs. 1, 823, 831 Abs. 1, 249 ff., 253 BGB).

1. Dem bei der Beklagten zu 4) beschäftigen Beklagten zu 3) ist am Abend des 05. August 2009 anlässlich der Behandlung der Klägerin ein - grober - Befunderhebungsfehler unterlaufen, weil er die notwendigen weiteren Befunde in Richtung auf ein mögliches Empyem nicht erhoben hat.

a) Ein Befunderhebungsfehler ist gegeben, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird. Im Unterschied dazu liegt ein Diagnoseirrtum vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen - therapeutischen oder diagnostischen - Maßnahmen ergreift. Ein Diagnoseirrtum setzt aber voraus, dass der Arzt die medizinisch notwendigen Befunde überhaupt erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen. Hat dagegen die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund bereits darin, dass der Arzt die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat - er mithin aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose gelangt, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunde abzuklären - dann ist dem Arzt ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Denn bei einer solchen Sachlage geht es im Kern nicht um die Fehlinterpretation von Befunden, sondern um deren Nichterhebung (BGH, Urteil vom 26.01.2016 - VI ZR 146/14, NJW 2016, 1447, 1448).

Ein grober Behandlungsfehler durch Nichterhebung von Diagnostik- und Kontrollbefunden liegt vor, wenn es in erheblichem Ausmaß an der Erhebung einfacher, grundlegender Diagnose- und Kontrollbefunde fehlt. Ausreichend ist, dass die Unterlassung eines aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung als grober Fehler zu werten ist. Das Unterlassen der gebotenen Therapie ist nicht Voraussetzung für die Annahme eines groben Fehlers in der Befunderhebung mit der Folge einer Beweislastumkehr (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., S. 223).

b) So liegt es hier. Vorliegend ist davon auszugehen, dass dem Beklagten zu 3) am Abend des 05. August 2009 ein grober Befunderhebungsfehler unterlaufen, weil er die notwendigen weiteren Befunde in Richtung auf ein mögliches Empyem nicht erhoben hat.

aa) Dabei sind im Streitfall die Feststellungen des erstinstanzlichen Tatbestands zugrunde zu legen, wonach sich für den Beklagten zu 3) das Bild eines möglichen Empyems präsentierte. Zwar rügen die Beklagten zu 3) und 4) mit ihrer Berufung u.a., dass es sich hierbei um eine unzutreffende Annahme des Landgerichts wie auch des Sachverständigen X handele und der Beklagte zu 3) die Diagnose eines Kniegelenkempyems am Abend des 05. August 2009 nicht in Betracht gezogen habe. Der Tatbestand des landgerichtlichen Urteils vom 05. November 2014 behandelt es allerdings als unstreitig, dass der Beklagte zu 3) nebenbefundlich einen Gelenkerguss feststellte und sich für ihn das Bild eines möglichen Empyems präsentierte (Bl. 355 d. A.). Im Übrigen haben die Beklagten zu 3) und 4) dies so auch in der Klageerwiderung vom 04. Dezember 2012 behauptet (Bl. 117 d. A."Da sich für den Beklagten zu 3) klinisch jedoch das Bild eines möglichen Knieempyems präsentierte, wurde folgerichtig und zutreffend eine weitere orthopädische Abklärung durch den Operateur bereits am nächsten Morgen empfohlen".).

Der Tatbestand des Ersturteils liefert nach § 314 ZPO den Beweis für das mündliche Vorbringen einer Partei im erstinstanzlichen Verfahren (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.1995 - V ZR 179/94, WM 1996, 89, 90; Urteil vom 02.02.1999 - VI ZR 25/98, BGHZ 140, 335, 339 ; Versäumnisurteil vom 15.06.2000 - III ZR 305/98, WM 2000, 1548, 1549; Urteil vom 28.06.2005 - XI ZR 3/04, juris). Diese Beweiswirkung erstreckt sich auch darauf, ob eine bestimmte Behauptung bestritten ist oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 17.05.2000 - VII ZR 216/99, WM 2000, 1871, 1872 [BGH 17.05.2000 - VIII ZR 216/99] ; Urteil vom 28.06.2005 - XI ZR 3/04, juris). Daher ist eine im Tatbestand des angefochtenen Urteils als unstreitig dargestellte Tatsache selbst dann, wenn sie in den erstinstanzlichen Schriftsätzen tatsächlich umstritten war, als unstreitig und als für das Berufungsgericht bindend anzusehen, wenn der Tatbestand nicht berichtigt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24.06.2010 - III ZR 277/09, juris; Urteil vom 06.06.2012 - VIII ZR 198/11, NJW 2012, 2659, Tz. 17; Urteil vom 18.07.2013 - III ZR 208/12, MDR 2013, 1115; Senat, Urteil vom 24.05.2016 - 8 U 159/14, juris). So liegt es hier, so dass davon auszugehen ist, dass der Beklagte zu 3) nebenbefundlich einen Gelenkerguss feststellte und sich für ihn das Bild eines möglichen Empyems präsentierte. Es kommt daher nicht darauf an, ob sich hierzu am 05. August 2009 ein Vermerk in den Behandlungsunterlagen findet oder nicht.

bb) Der Sachverständige X hat in seinen schriftlichen und mündlichen Gutachten vom 14. September 2013 (Bl. 218 ff. d. A.), 02. Juli 2014 (Bl. 315 ff. d. A.) sowie 05. Juni 2018 (Bl. 662 ff. d. A.) ausgeführt, dass es sich bei einem Kniegelenksinfekt um einen Notfall handele und das Outcome des Patienten entscheidend davon abhänge, wie schnell die Therapie eingeleitet werde (Bl. 264, 662 RS f. d. A.). Bereits 24 bis 48 Stunden nach der Infektion komme es zur Schädigung des Knorpels, im weiteren Verlauf zu Knochenauflösungserscheinungen (Bl. 260 d. A.). Für die Behandlung eines Verdachts einer Gelenkinfektion lägen Leitlinien vor und es existiere ein allgemeingültiger Standard (Bl. 316 f. d. A.). Es wäre daher auf jeden Fall erforderlich gewesen, auch am späten Abend noch eine entsprechende Basisdiagnostik zu betreiben (Bl. 663 d. A.). Wenn ein Arzt bei einem Verdacht auf ein Empyem im Ultraschall eine Raumforderung sehe, dann sei es nicht möglich, allein auf dieser Grundlage zu beurteilen, ob es sich insoweit um einen Gelenkerguss oder aber um eine Eiteransammlung handele. Wenn noch hinzukomme, dass sich das Knie am 05. August 2009 als gerötet und geschwollen dargestellt habe, dann falle es wirklich sehr schwer, sich hier vorzustellen, warum keine weitergehende Diagnostik betrieben worden sei (Bl. 663 d. A.).

Insoweit die Beklagten insbesondere in der Berufung darauf abstellen, dass es in der Klinik der Beklagten zu 4) am Standort Stadt2 gar nicht möglich gewesen wäre, um 22:29 Uhr ein entsprechendes differentialdiagnostisches Blutbild anzufertigen, entlastet das die Beklagten zu 3) und 4) nicht, da dann in Anbetracht der Notfallsituation eine Verlegung hätte erfolgen müssen. Auch ist irrelevant, dass der Beklagte zu 3) Internist war. Denn insoweit ist zugrunde zu legen, dass sich für ihn - wie nunmehr jedenfalls in der Berufung zugrunde zu legen ist - das Bild eines möglichen Empyems präsentierte und er insoweit im Hinblick auf seine individuellen Spezialkenntnisse weitere Diagnostik hätte veranlassen müssen.

Damit ist es aus medizinischer Sicht schlicht unverständlich, dass der Beklagte zu 3) keine weiteren Untersuchungen veranlasste, obwohl sich ihm anlässlich der Untersuchung am Abend des 05. August 2009 das Bild eines möglichen Empyems präsentierte.

2. Die grob behandlungsfehlerhaft unterlassene Befunderhebung zur Feststellung eines Empyems am Abend des 05. August 2009 ist auch kausal für die bei der Klägerin eingetretene nekrotisiernede Fasziitis sowie die sich hieraus ergebenen Folgen.

Für die ursächliche Verknüpfung zwischen dem Behandlungsfehler und dem in Betracht stehenden Schaden ist generell der Patient mit dem Vollbeweis gemäß § 286 ZPO beweisbelastet. Hat der Patient allerdings - wie vorliegend - den Beweis eines Sachverhaltes geführt, der die Bewertung eines Behandlungsfehlers als grob trägt, wird im Ergebnis - als Folge der Umkehr der Beweislast - zu Lasten der Behandlungsseite ein Kausalzusammenhang zwischen dem groben Behandlungsfehler und der Primärschädigung vermutet (bgl. nunmehr § 630 h Abs. 5 Satz 1 BGB).

Primärschaden ist vorliegend die gesundheitliche Befindlichkeit der Klägerin, die dadurch entstanden ist, dass am Abend des 05. August 2009 das Empyem unbehandelt geblieben ist. Dem Primärschaden sind dabei alle allgemeinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin unter Einschluss der sich daraus ergebenden Risiken zuzuordnen, die sich aus der der unterlassenen Befunderhebung ergeben können. Damit unterfällt dem Primärschaden auch die nekrotisiernede Fasziitis; diese ist zwar äußerst selten, aber dennoch immer Folge eines Gelenkinfekts.

Sekundärschäden als typische Folge der Primärverletzung sind u.a. die umfangreichen Folgebehandlungen, die Amputation des rechten Beines und der Zehen am linken Fuß sowie die sich hieraus ergebenen erheblichen Beeinträchtigungen.

3. Hat der Patient einen groben Behandlungsfehler bewiesen, steht - zur Beweislast der Behandlerseite - aber zugleich fest, dass der Primärschaden auch bei rechtzeitiger sachgerechter Behandlung in gleicher Weise eingetreten wäre, ist der grobe Behandlungsfehler für den Schaden rechtlich nicht ursächlich geworden und eine Haftung entfällt. Es hat sich dann nicht das Risiko verwirklicht, das den Fehler als grob erscheinen lässt.

Diesen Beweis haben die Beklagten zu 3) und 4) hier nicht geführt. Der gerichtliche Sachverständige X hat insoweit ausgeführt, dass bei einer rechtzeitigen Intervention - nämlich einer Notfallintervention - die Chance bestanden hätte, den schweren Verlauf, hier insbesondere die nekrotisierende Fasziitis, zu mildern oder zu verhindern (Bl. 664 d. A.). Bei Feststellung eines Empyens handele es sich um eine Notfallindikation. Dies bedeute, dass so schnell wie möglich chirurgisch interveniert und flankierend hierzu ein Antibiotikum gegeben werden müsse. Die Chancen hätten sich vorliegend dadurch verschlechtert, dass nicht noch am Abend des 05. August 2009 operiert und der Eiter abgelassen sowie flankierend ein Breitbandantibiotikum gegeben worden sei (Bl. 663 RS d. A.). Insoweit die Beklagten zu 3) und 4) in der Berufung Ausführungen dazu machen, dass eine Antibiose erst nach Keimbestimmung zu erfolgen habe und vorab kein Breitbandantibiotikum zu geben sei, hat der Sachverständige diese Behauptung nicht bestätigt. Er hat ausgeführt, dass bis zur Klärung, um welchen Erreger es sich handelt, in jedem Fall flankierend zur chirurgischen Intervention ein Breitbandantibiotikum zu geben gewesen wäre. Dieses hätte vorliegend auch gewirkt, da man bei der Klägerin ausweislich der Behandlungsunterlagen eine Infektion mit dem Erreger Staphylococcus areus festgestellt habe; dieser Erreger reagiere überlicherweise sensibel auf alle getesteten Antibiotika (Bl. 663 RS d. A.).

Es bestehen auch keine Bedenken an der Qualifikation des Sachverständigen. Die nekrotisierende Fasziitis als Folge einer insbesondere unterbliebenen chirurgischen Intervention fällt auch in das Gebiet eines Orthopäden und Unfallchirurgen.

4. Im Hinblick auf die erheblichen lebenslangen Beeinträchtigungen der Klägerin ist das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld in Höhe von EUR 150.000,- angemessen. Die Klägerin hat durch die Amputationen an beiden unteren Extremitäten erhebliche und dauerhafte Verletzungen erlitten (vgl. etwa die Feststellungen des Sachverständigen auf den S. 22 f. seines Gutachtens vom 14.09.2013, Bl. 239 f. d. A.). Sie hat insgesamt sieben Eingriffe über sich ergehen lassen müssen und zwei Wochen im Koma gelegen. Angesichts der Schwere der Verletzungen und der erheblichen Schmerzen sowie der eingetretenen Dauerschäden und der dadurch bedingten Einbuße der bisherigen Lebensumstände und Lebensqualität ist das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld angemessen.

Des Weiteren ist auch die Feststellung auszusprechen, dass die Beklagten zu 3) und 4) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden, die ihr aus der unterlassenen Befunderhebung am Abend des 05. August 2009 entstanden sind oder noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese nicht unter Ziffer 1 und 2 des Tenors abgegolten sind. Allerdings muss der diesbezügliche Ausspruch des Landgerichts redaktionell abgeändert werden. Dieser ist auf die unterlassene Befunderhebung am Abend des 05. August 2009 zu konkretisieren. Des Weiteren ist die Feststellung "vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsübergangs" auszusprechen.

Des Weiteren hat die Klägerin auch Anspruch auf die seitens des Landgerichts ausgeurteilten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie die ausgeurteilten Zinsen.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, Satz 1, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Ein Grund zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes.