LG Fulda, Beschluss vom 05.01.2017 - 2 KLs 27 Js 7440/15
Fundstelle
openJur 2020, 43149
  • Rkr:

Bei einem im EU-Ausland lebenden Angeklagten kann zumindest dann kein flüchtig sein bzw. keine Fluchtgefahr angenommen werden, wenn er familiäre Bindungen nach Deutschland hat und durch eine seinem Verteidiger erteilte Vollmacht nach § 145a Abs.2 StPO sichergestellt ist, dass er zur Hauptverhandlung geladen werden kann.

Tenor

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 27.07.2016 (27 Js 7440/15) wird aufgehoben.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Fulda hat unter dem 19.12.2016 Anklage gegen den Angeschuldigten G. vor der Wirtschaftsstrafkammer erhoben. Sie wirft dem Angeschuldigten vor, in der Zeit vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2012 durch 21 Handlungen jeweils die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und hierdurch Steuern verkürzt zu haben. Insgesamt soll der Angeschuldigte die Steuer um 363.916,18 Euro verkürzt haben, indem er im genannten Zeitraum keine Einkommenssteuererklärungen und auch keine Erklärungen zur Gewerbe- und Umsatzsteuer abgab.

Bereits unter dem 22.07.2016 beantragte die Staatsanwaltschaft Fulda beim Amtsgericht Bad Hersfeld - Ermittlungsrichter - den Erlass eines Haftbefehls, der sich im Wesentlichen auf die Vorwürfe, die sich nunmehr aus der Anklageschrift ergeben, bezog. Der Haftbefehl erging am 27.07.2016 antragsgemäß. Das Gericht nahm in seiner Entscheidung das Vorliegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO an und führt insoweit aus, dass sich der Angeschuldigte durch Flucht der Strafverfolgung entziehe. Er gebe vor, in Irland zu leben und sich nur sporadisch in Deutschland in der gemeinsamen mit seiner Lebensgefährtin und seinem Kind genutzten Wohnung aufzuhalten. Die Entgegennahme von Schriftstücken werde durch die Lebensgefährtin regelmäßig verweigert, mit der Begründung, dass ihr Lebensgefährte sich in Irland aufhalte. Jedwede Zustellung an den Angeschuldigten sei bisher gescheitert und eine Ladung für Ermittlungshandlungen oder zu einem Hauptverfahren sei nicht möglich. Tatsächlich lebe der Angeschuldigte nicht in Irland, sondern in Deutschland. Er halte sich hier bewusst und gewollt verborgen, um der Strafverfolgung zu entgehen.

Der Angeschuldigten wurde am 21.11.2016 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft in der JVA Fulda.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 28.11.2016 (Bl. 672 d.A.) beantragte der Angeschuldigte die Außervollzugsetzung des Haftbefehls. Mit weiterem Schriftsatz vom 08.12.2016 (Bl. 685 d.A.) wurde Haftprüfungstermin beantragt.

Mit Schriftsatz vom 21.12.2016 wurde Beschwerde gegenüber dem Amtsgericht Bad Hersfeld dagegen erhoben, dass dort keine Haftprüfung durchgeführt werde. Am 28.12.2016 wurde erneut Haftprüfung beantragt. In einem weiteren Schriftsatz vom 14.12.2016 (Bl. 688 d.A.) erklärte der Pflichtverteidiger Rechtsanwalt V, bereit zu sein für das weitere Verfahren als Zustellungsbevollmächtigter des Angeschuldigten zu fungieren. Dort wird des Weiteren erklärt, dass sich der Angeschuldigte dem Verfahren stellen werde. Mit weiterem Schriftsatz vom 03.01.2017 wurde seitens des Pflichtverteidigers eine auf den 19.10.2016 datierende Vollmacht vorgelegt, in der er auch ermächtigt ist, Zustellungen entgegenzunehmen. Des Weiteren wird in einem weiteren Schriftsatz vom 03.01.2017 erklärt, der Angeschuldigte könne Wohnsitz bei seiner Lebensgefährtin U in Bad Hersfeld nehmen. Er sei bereit bei der weiteren Aufklärung und Schadensminderung mitzuwirken, als es um die Inhalte der Anklage gehe. Am 04.01.2017 wurde eine weitere Vollmacht des Angeschuldigten zugunsten seines Verteidigers Rechtsanwalt V vorgelegt, in der diesem ausdrückliche Vollmacht gemäß § 145a StPO erteilt wird.

II.

Der Haftbefehl war im Rahmen der Haftprüfung mangels Vorliegens eines Haftgrundes nach § 120 StPO aufzuheben.

Unabhängig davon, ob ein dringender Tatverdacht gegen den Angeschuldigten besteht, mangelt es jedenfalls an einem Haftgrund.

Der Haftbefehl ist auf Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gestützt. Dieser Haftgrund ist jedoch nicht gegeben, andere Haftgründe sind nicht aus der Akte oder sonst ersichtlich.

Fluchtgefahr liegt dann vor, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Angeschuldigte dem Strafverfahren entziehen als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (Meyer-Goßner/Schmitt: StPO 58. Aufl. 2015, § 112 Rdnr. 17). Bei der Beurteilung sind die Straferwartung, die Persönlichkeit des Angeschuldigten, seine Lebensverhältnisse, sein Vorleben, sein Verhalten vor und nach der Tat und auch das Bestehen weiterer Verfahren sorgfältig miteinander abzuwägen (Meyer-Goßner/Schmitt: StPO 58. Aufl. 2015, § 112 Rdnr. 19).

Der Angeschuldigte gibt selbst an, seinen Wohnsitz in Irland zu haben und sich nur gelegentlich in Deutschland aufzuhalten. Der Angeschuldigte hat jedoch zum einen durch sein bisheriges Verhalten gezeigt, dass er sich trotz Kenntnis der gegen ihn gerichteten Ermittlungen seit dem Jahr 2011 immer wieder in Deutschland aufhält und nach eigenem Bekunden auch den Kontakt zur Polizei gesucht hat. Zum anderen ergibt sich ein enger familiärer Bezug des Angeschuldigten zu dessen leiblichen Kind, welches in Bad Hersfeld wohnt.

Des Weiteren hat der Angeschuldigte nunmehr Vollmachten vorgelegt, die zum einen seinen Pflichtverteidiger dazu ermächtigen, Zustellungen entgegen zu nehmen und zum anderen durch den ausdrücklichen Bezug auf § 145a StPO auch zur Entgegennahme von Ladungen ermächtigen. Hinzu kommt, dass der Angeschuldigte erklären lässt, für das Verfahren zur Verfügung zu stehen und bei der weiteren Aufklärung mitwirken zu wollen.

Bei Abwägung dieser Umstände kann Fluchtgefahr nicht bejaht werden:

Es mag zwar in der Vergangenheit mit Problemen verbunden gewesen zu sein, den Angeschuldigten im Rahmen der Ermittlungen zu erreichen oder diesem Schriftstücke zuzustellen. Auch reicht bei Flucht des Angeschuldigten die bloße postalische Erreichbarkeit nicht aus. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Angeschuldigte seinem Verteidiger eine Ladungsermächtigung nach § 145a Abs. 2 StPO erteilt (Meyer-Goßner a.a.O., § 112 Rn. 13 m.w.N.). Eine solche Vollmacht wurde nunmehr seitens des Pflichtverteidigers am 04.01.2016 vorgelegt. Dort wird Herrn Rechtsanwalt V eine ausdrückliuche "Zustellvollmacht gemäß § 145 a StPO" erteilt. Durch den expliziten Bezug auf die Vorschrift des § 145 a StPO ist demnach nach Ansicht der Kammer auch eine Vollmacht zur Entgegennahme von Ladungen im Sinne des § 145 a Abs. 2 StPO umfasst. Die Erreichbarkeit und auch Ladungsfähigkeit des Angeschuldigten ist demnach nunmehr gesichert

Auf die Frage, ob der Angeschuldigte seinen Wohnsitz in Irland hat - wovon die Anklage ja gerade nicht ausgeht - kommt es letztlich aufgrund der vorliegenden Ladungsermächtigung und in Anbetracht der hinzutretenden Erwägungen nicht an. zumal allein die Begründung eines Wohnsitz im Ausland - hier überdies innerhalb der EU - für sich alleine keine Fluchtgefahr begründet (Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 17a). Insoweit war zu berücksichtigen, dass sich der Angeschuldigte auch lange nach Kenntnis des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens - Durchsuchungen wurden bereits im Jahr 2011 durchgeführt - offensichtlich mehrfach wieder nach Deutschland begeben hat. Hinzu kommt vorliegend, dass seitens des Angeschuldigten auch wegen seines in Bad Hersfeld lebenden minderjährigen Kindes und der Beziehung zu seiner Lebensgefährtin U eine enge familiäre Bindung besteht, was gegen Fluchtgefahr spricht (Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 21).

Nach alledem war mangels eines Haftgrundes der Haftbefehl vom 27.07.2016 aufzuheben.

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