LG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.11.2018 - 2-09 S 88/17
Fundstelle
openJur 2020, 43137
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichtes Frankfurt am Main vom 22.11.2017 (Az.: 33 C 2243/17 (53)) abgeändert und der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 03.07.2017 zu TOP 4 für ungültig erklärt.

Die Kosten des Rechtsstreites haben die Beklagten zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft der Liegenschaft ... in .... Die Kläger sind die Eigentümer der in der Teilungserklärung mit Nr. 43 und Nr. 44 bezeichneten Wohnungen im .... Stock der streitgegenständlichen Liegenschaft (... und ...).

Am 03.07.2017 fassten die Eigentümer unter TOP 4 folgenden Beschluss:

"TOP 4 - Rückbau und Abtrennung des Treppenhauses der Eigentümer ... und .... Ggfs. Durchsetzung des Rückbaus mit anwaltlicher und gerichtlicher Unterstützung

Nach ausführlicher Erörterung wird antragsgemäß beschlossen, dass die Eigentümer ... und ... die Abtrennung im Treppenhaus vor ihren Wohnungen zurückbauen müssen.

Ggfs. Ist der Rückbau mit anwaltlicher und gerichtlicher Unterstützung durchzusetzen.

Beschlussfassung: 11 Ja-Stimmen

2 Enthaltungen

2 Nein-Stimmen

Der Verwalter hat das Beschlussergebnis verkündet.

Der Verwalter hatte vor der Beschlussfassung darüber informiert, dass die betroffenen Eigentümer, bezugnehmend auf § 25 Abs. 5 WEG, auch mit den ihnen übertragenen Vollmachten (soweit keine besondere Weisung erteilt ist) nicht an der Abstimmung teilnehmen dürfen. Damit sind 9 Stimmen entfallen."

Diesem Beschluss ging voraus, dass die Kläger den vor ihren Wohnungen liegenden Bereich des gemeinschaftlichen Treppenhauses (ca. 3,5 qm) von dem Treppenhaus abgetrennt und ihren Wohnungen zugeschlagen hatten. Vor Durchführung dieser Maßnahme hatten sie keinen Antrag auf Genehmigung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft gestellt.

In der Zeit ab 1990 wurden sechs andere Wohnungen in gleicher oder ähnlicher Weise miteinander verbunden. Auch hier waren entsprechende Anträge auf Veränderung nicht gestellt worden. Mit Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft vom 24.04.1995 zu TOP 9a wurden diese im Beschlusstext einzelnen aufgeführten Veränderungen nachträglich genehmigt und zugleich die Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung von 5 DM pro Quadratmeter zu Gunsten der Instandhaltungsrücklage beschlossen. Hinsichtlich des Beschlussinhalts wird auf die zur Akte gereichte Kopie des Protokolls der Eigentümerversammlung vom 24.4.1995 (BI. 31-36 der Akte) verwiesen.

Die Kläger teilten der Verwaltung den von ihnen vorgenommenen Umbau mit Schreiben vom 24.03.2015 mit und überwiesen zugleich zu Gunsten der Instandhaltungsrücklage die von ihnen ermittelte Nutzungsentschädigung i.H.v. 105,06 €. Nachdem der von den Klägern vorgenommene Umbau von einigen Eigentümern gerügt worden war, forderte die Verwaltung die Kläger mit Schreiben vom 15.10.2016 auf, eine erhöhte "Flurmiete" zu zahlen. Die Kläger überwiesen daraufhin die geforderte Miete für die Jahre 2015, 2016 und 2017.

In der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung vom 03.07.2017 waren 913 Miteigentumsanteile von 1000 Miteigentumsanteilen vertreten. Die Kläger selbst, denen von sieben weiteren Eigentümern Vollmachten für die Eigentümerversammlung erteilt worden war, waren von der Abstimmung zu TOP 4 ausgeschlossen worden.

Die Kläger waren bereits erstinstanzlich der Ansicht, aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz folge, dass auch ihnen der Umbau des Treppenhauses zu genehmigen sei. Sie hätten diesen Umbau in dem guten Glauben vorgenommen, dass eine generelle Genehmigung oder Duldung durch die Gemeinschaft durch Beschlussfassung vom 24.04.1995 erfolgt sei.

Die Kläger beantragen erstinstanzlich,

den Beschluss der Eigentümerversammlung vom 03.07.2017 zu TOP 4 für ungültig zu erklären.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten trugen vor, die Genehmigung hinsichtlich der bereits im Jahr 1995 durchgeführten Umbauten stelle keine generelle Genehmigung da, sondern habe sich nur auf die zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossenen Umbauten bezogen.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Kläger hätten keinen Anspruch auf Ungültigerklärung des zu TOP 4 gefassten Beschlusses, da Nichtigkeitsgründe nicht vorlägen und der Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung im Sinne von § 21 Abs. 4 WEG entspreche.

Der Beschluss sei unter formalen Gesichtspunkten ordnungsgemäß zu Stande gekommen und die Kläger seien bei der Beschlussfassung zu TOP 4 zu recht von ihrem Stimmrecht ausgeschlossen worden. Gemäß § 25 Abs. 5 WEG sei ein Wohnungseigentümer dann nicht stimmberechtigt, wenn die Beschlussfassung die Vornahme eines auf die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums bezüglichen Rechtsgeschäftes mit ihm oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits der anderen Wohnungseigentümer gegen ihn betreffe. So läge der Fall hier, da die Gefahr bestünde, dass sich der Wohnungseigentümer, gegen den unter Umständen ein Rechtsstreit geführt werden muss, bei der Stimmabgabe von privaten Interessen leiten lasse. Er unterliegt daher einem Stimmverbot. Auch sei die Eigentümerversammlung vom 03.07.2017 auch beschlussfähig gewesen, da mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile anwesend bzw. wirksam vertreten gewesen seien (§ 25 Abs. 3 WEG).

Auch seien zu Recht die Miteigentumsanteile der von den Klägern vertretenen Eigentümer bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit unberücksichtigt geblieben.

Auch sei der in der Versammlung vom 03.07.2017 zu TOP 4 gefasste Beschluss inhaltlich nicht zu beanstanden. Insbesondere folgt die Nichtigkeit des vorgenannten Beschlusses nicht aus einer fehlenden Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer, weil die Aufforderung zum Rückbau der Flurabtrennung lediglich einen Vorbereitungsbeschluss enthalte und nicht einen eigenen Anspruch oder ein Recht der Wohnungseigentümergemeinschaft begründen solle. Gleiches gelte, soweit der Verwalter darin die Befugnis erhalte, den Rückbauanspruch der Gemeinschaft gegebenenfalls mit anwaltlicher und gerichtlicher Unterstützung durchzusetzen.

Die Aufforderung zum Rückbau der Abtrennung entspräche ordnungsgemäßer Verwaltung, da der Wohnungseigentümergemeinschaft ein Anspruch auf Rückbau gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. §§ 15 Abs. 3, 14 Nr. 1 WEG zustehe. Darüber hinaus sei den übrigen Eigentümern nach § 985 BGB ein Anspruch auf Verschaffung des unmittelbaren Mitbesitzes am gemeinschaftlichen Eigentum einzuräumen, da die bauliche Veränderung zu dessen Entzug geführt habe.

Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Sie wiederholen ihren erstinstanzlichen Vortag und weisen erneut darauf hin, dass es der Eigentümergemeinschaft an der erforderlichen Beschlusskompetenz fehle, da eine Leistungspflicht durch einen Mehrheitsbeschluss nicht begründet werden könne.

Sie beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichtes Frankfurt am Main, Az. 33 C 2243/17 (51) vom 22.11.2017, den Beschluss der Eigentümerversammlung vom 03.07.2017 zu TOP 4 für ungültig zu erklären.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie wiederholen ihre erstinstanzlich vorgetragenen Ansichten.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze sowie das angefochtene Urteil Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist begründet. Das Amtsgericht hat die Klage hinsichtlich des TOP 4 der Eigentümerversammlung vom 03.07.2017 zu Unrecht abgewiesen.

Der angefochtenen Beschluss zu TOP 4 ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichtes mangels Beschlusskompetenz nichtig.

Nach der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass eine Leistungspflicht gegen den Willen des Schuldners durch einen Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümer nicht konstitutiv begründet werden kann (vgl. Urteil vom 15.01.2010, V ZR 72/09, NZM 2010, 285 ff. Rdn. 10 f.). Ist eine Angelegenheit weder durch das Gesetz noch durch eine Vereinbarung dem Mehrheitsprinzip unterworfen, fehlt den Wohnungseigentümern von vornherein die Beschlusskompetenz; ein gleichwohl gefasster Mehrheitsbeschluss ist nichtig. Die gesetzlichen Vorgaben können nach § 10 Abs. 2 WEG nur durch Vereinbarung aller Wohnungseigentümer, nicht aber im Beschlusswege abbedungen werden. Was danach zu vereinbaren ist, kann nicht beschlossen werden, solange nicht vereinbart ist, dass auch dies beschlossen werden darf (vgl. BGHZ 145, 158, 163 ff.).

Für Beseitigungsansprüche, mit denen die Beseitigung einer baulichen Veränderung gefordert wird, gilt nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 18. Juni 2010 - V ZR 193/09 -, Rn. 11, juris) nichts anderes. Zwar sind Angelegenheiten, die die Regelung des Gebrauchs (§ 15 WEG), der Verwaltung (§ 21 WEG) und der Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 22 WEG) betreffen, der Regelung durch Mehrheitsbeschluss zugänglich (BGHZ 145, 158, 168 f.). Die genannten Kompetenzen begründen jedoch nicht die Befugnis, den Wohnungseigentümern außerhalb der gemeinschaftlichen Kosten und Lasten (vgl. auch § 21 Abs. 7 WEG) Leistungspflichten aufzuerlegen. Beschließen die Wohnungseigentümer in den genannten Bereichen Maßnahmen, können die damit verbundenen Kosten zwar notfalls auch unter Abänderung des laufenden Wirtschaftsplanes durch Mehrheitsbeschluss auf die Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft umgelegt werden (BGHZ 108, 44, 47). Eine Kompetenz zur Begründung darüber hinausgehender - von gesetzlichen Schuldgründen losgelöster - Leistungsverpflichtungen durch Mehrheitsbeschluss geht damit jedoch nicht einher. Das Schaffen eines Schuldgrundes ist nach dem unter Wohnungseigentümern grundsätzlich geltenden Vertragsprinzip nur mit Zustimmung des beeinträchtigenden Eigentümers möglich (Niedenführ/Vandenhouten, WEG, 12. Aufl. § 23 Rn. 28). Insoweit können die Wohnungseigentümer durch Mehrheitsbeschluss lediglich festlegen, ob und in welchem Umfang ein ihrer Meinung nach bestehender Anspruch gerichtlich geltend gemacht und ggf. durchgesetzt werden soll (BGH, Urteil vom 18. Juni 2010 - V ZR 193/09 -, Rn. 11, juris). Die Beurteilung, ob der von der Gemeinschaft behauptete Anspruch aber tatsächlich besteht, bleibt jedoch dem Gericht vorbehalten (Niedenführ/Vandenhouten, WEG, 12. Aufl. § 23 Rn. 28).

Etwas anderes gilt für einen sog. Aufforderungsbeschluss, in welchem kein neuer Schuldgrund geschaffen werden soll, sondern die betroffenen Eigentümer allein zum Rückbau aufgeforderte werden. Mit einem solchen Beschluss bringen die Eigentümer lediglich zum Ausdruck, dass ihres Erachtens nach ein Anspruch auf das bestimmte Tun oder Unterlassen beseht ohne einen unmittelbaren Anspruch gegenüber einem der Eigentümer zu schaffen (vgl. Niedenführ/Vandenhouten, WEG, 12. Auflage, § 23 Rn. 30 m.w.N.).

Bei dem streitgegenständlichen Beschluss zu TOP 4 handelt es sich aber entgegen der Ansicht der Beklagten und des Amtsgerichtes gerade nicht um einen bloße Aufforderung.

Nach der Rechtsprechung des BGH, der sich die Kammer anschließt, gilt für die Auslegung von Beschlüssen, das gleiche wie für die Auslegung von Eintragungen im Grundbuch, so dass das Gericht die Erklärungen uneingeschränkt selbst auslegen kann (BGHZ 37, 147, 149; 113, 374, 379; 121, 236, 239; 136, 187). Maßgebend sind dabei der Wortlaut der Eintragung und ihr Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (BGHZ 121, 239; 113, 378). Denn die Eigentümerbeschlüssen gelten auch für gegen Sondernachfolger. Es besteht daher wie bei der Gemeinschaftsordnung ein Interesse des Rechtsverkehrs, die durch die Beschlussfassung eingetretenen Rechtswirkungen der Beschlussformulierung entnehmen zu können. Die Beschlüsse sind deshalb "aus sich heraus" - objektiv und normativ - auszulegen. Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind, z.B. weil sie sich aus dem - übrigen - Versammlungsprotokoll ergeben (BGH, Beschluss vom 10. September 1998 - V ZB 11/98 -, Rn. 16, juris).

Die Eigentümer haben wörtlich beschlossen, dass"die Eigentümer ... und ... [...] zurückbauen müssen". Ein "Muß" ist nichts anderes als eine Verpflichtung und eben gerade keine Aufforderung. Hätten die Eigentümer eine Aufforderung beschließen wollen, hätten sie dies eindeutig formulieren können. Auch ergibt sich nicht anderes aus dem weiteren Teil des Beschlusses, wonach der Rückbau ggfs. mit anwaltlicher und gerichtlicher Unterstützung durchzuführen ist.

Zwar können sich die Eigentümer durch Mehrheitsbeschluss entschließen, gegen ein Mitglied der Gemeinschaft ein Gerichtsverfahren einzuleiten. Durch einen solchen Beschluss wird nicht ein Anspruch oder Recht begründet, sondern lediglich die Durchsetzung eines (vermeintlichen) Rechtes oder Anspruchs vorbereitet als sog. Vorbereitungsbeschluss (Niedenführ/Vandenhouten, WEG, 12. Auflage, § 23 Rn. 30 m.w.N.). Bei Satz zwei des angegriffenen Beschlusses handelt es sich nach objektiv normativer Auslegung aber allein um einen Annex der ggf. erforderlichen Durchsetzung der im Satz zuvor geschaffenen Verpflichtung. Damit war der Beschluss zu TOP 4 auch für insgesamt ungültig zu erklären und eine teilweise Aufrechterhaltung dieses unselbständigen Teiles konnte nicht ausgesprochen werden.

Da der Beschluss zu TOP 4 bereits aufgrund mangelnder Beschlusskompetenz nichig war, kommt es auf die Frage, ob die die Kläger zu Recht von ihrem Stimmrecht ausgeschlossen wurden und ob der Beschluss gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt hier nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht ersichtlich.

Gem. § 49 a Abs. 1 Satz 1 GKG bestimmt sich der Streitwert nach dem hälftigen Interesse der Parteien, wobei er nach § 49 a Abs. 1 Satz 2 GKG das Interesse des Klägers nicht unterschreiten und das Fünffache des Wertes des Interesses nicht überschreiten darf.

Dabei kommt es wegen der Rechtskraftwirkung der angestrebten Entscheidung für und gegen alle Beteiligte auf das Interesse aller Beteiligten an (vgl. BayObLGZ 1981, 202/203; 1993, 119/121). Ist ein konkreter Gegenstand im Streit, bestimmt sich der Geschäftswert nach dem Wert des Gegenstandes (BayObLGZ 1967, 25/33; BayObLG WE 1992, 347), das sind hier die Einbau- und Beseitigungskosten.

Mangels konkreter Angaben zu den tatsächlichen Kosten schätzt die Kammer den hälftigen Wert von beiden Kostenpositionen entsprechend des seitens des Amtsgerichtes festgesetzten Wertes auf 4.000,00 Euro.

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