OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 18.04.2019 - 4 UF 81/19
Fundstelle
openJur 2020, 42870
  • Rkr:
Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Entscheidung über die Auswahl der von dem Kind A, geb. am XX.XX.2010, besuchten Grundschule wird auf den Kindesvater übertragen.

Von der Erhebung von Gerichtskosten wird für das Beschwerdeverfahren ebenso abgesehen, wie von der Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten. Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszugs bleibt es bei der Kostenentscheidung im angefochtenen Beschluss.

Der Verfahrenswert wird für den zweiten Rechtszug auf 1.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kindesmutter wendet sich mit ihrem Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für ihre Tochter A mit dem Teilbereich des Rechts zur Regelung der schulischen Angelegenheiten auf den Kindesvater.

Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts wird zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Das Familiengericht hat dem Antrag des Kindesvaters auf Übertragung der alleinigen Vertretung As in schulischen Angelegenheiten nach Bestellung eines Verfahrensbeistandes und persönlicher Anhörung der Beteiligten stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag finde seine Rechtfertigung in § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB, dem in der vorliegenden Konstellation aufgrund der langfristigen Auswirkungen der Entscheidung über die Schulwahl gegenüber § 1628 BGB der Vorrang einzuräumen sei. In der Sache sei das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten im Hinblick auf den sich daraus ergebenden vorzugswürdigen Besuch der vom Vater für A ausgewählten Grundschule Ortsteil1 auf diesen zu übertragen. Die Eltern hätten durch Vereinbarung vom 15.08.2018 den väterlichen Haushalt in Ortsteil1 als vorläufigen Lebensmittelpunkt des Mädchens bestimmt, so dass ein weiterer Besuch der zuvor besuchten B-Grundschule in Stadt1 bereits aufgrund der räumlichen Entfernung nicht mehr dem Kindeswohl entspreche.

Mit ihrer am 11. Februar 2019 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde gleichen Datums gegen den ihr am 30.01.2019 zugestellten Beschluss begehrt die Kindesmutter die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und führt zur Begründung im Wesentlichen aus, es entspreche dem Kindeswohl, wenn der Schulwechsel nach Ortsteil1 nicht stattfinde. Bei der B-Schule in Stadt1 sei derzeit ein Antrag auf sonderpädagogischen Förderbedarf mit dem Schwerpunkt Lernhilfe für A anhängig. Der Kindesvater tritt dem Rechtsmittel entgegen, hat sich auf Hinweis des Senats aber - ebenso wie der Verfahrensbeistand - angesichts des bereits im Februar begonnenen Schulbesuchs in Ortsteil1 ausdrücklich mit einer Regelung nach § 1628 BGB einverstanden erklärt. Das Jugendamt hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 11. März 2019 die angefochtene Entscheidung mit der Maßgabe verteidigt, dass ein künftiger Besuch der Ortsteil1er Schule befürwortet werde.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf den Akteninhalt, insbesondere auch den Schriftwechsel der Beteiligten in beiden Instanzen, Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Familiengerichts ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 58 ff., 57 S. 2 Nr. 1, 151 Nr. 1 FamFG), und hat in der Sache auch teilweise Erfolg.

Allerdings begegnet die angefochtene Entscheidung keinen Bedenken, soweit darin mit sorgfältig abgewogener Begründung ein Schulbesuch A in Ortsteil1 und daher auch die Übertragung der die Schulwahl betreffenden Entscheidungsbefugnis auf den Kindesvater befürwortet wird. Denn angesichts der einvernehmlich erfolgten Veränderung des Lebensmittelpunkts As von Stadt1 nach Ortsteil1 bereits im August 2018 steht - ungeachtet möglicherweise ohnehin entgegenstehender schulrechtlicher Vorgaben - schon aufgrund der Entfernung zwischen den beiden in unterschiedlichen Landkreisen liegenden Orten und der daraus resultierenden Beförderungsschwierigkeiten das Kindeswohlinteresse einem weiteren Besuch der Stadt1er Grundschule entgegen. Bereits in einem Bericht der Stadt1er Schule vom 28. Januar 2019 ist die Rede davon, dass A oft müde und erschöpft wirke. Es liegt nahe, mit der Stellungnahme des Jugendamts vom 11. März 2019 die Ursache der Erschöpfung in dem deutlich längeren Schulweg von Ortsteil1 nach Stadt1 und der dadurch bedingten kürzeren Nachtruhe des Kindes zu sehen. Da derzeit auch kein unbegleiteter Kontakt zwischen Mutter und Tochter stattfindet, vermag auch die Nähe zum Wohnort der Mutter einen weiteren Schulbesuch in Stadt1 nicht zu rechtfertigen. Angesichts des seit dem Wechsel As nach Ortsteil1 im Februar 2019 eingetretenen Zeitablaufs würde ein weiterer Schulwechsel zurück nach Stadt1 dem Mädchen zudem eine erneute Anpassungs- und Eingewöhnungsleistung abfordern, die dem Kindeswohl vor allem angesichts der aufgrund des elterlichen Konflikt ohnehin belasteten familiären Situation ebenfalls abträglich wäre.

Allerdings ist für die Sicherung des vom Kindesvater angestrebten Schulbesuchs in Stadt1 eine Übertragung eines Teils der elterlichen Sorge nicht erforderlich. Der Senat hat dazu bereits mit Beschluss vom 07.03.2019 ausgeführt:

"... Allerdings erfordert die Regelung der elterlichen Entscheidungsbefugnis über den Schulbesuch nicht den Teilentzug der elterlichen Sorge mit dem Bereich der Sorge für schulischen Angelegenheiten nach § 1671 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 2 BGB. Gerade in Verfahren der einstweiligen Anordnung dürfte eine Übertragung der Regelungsbefugnis über den Schulbesuch nach § 1628 S. 1 BGB ausreichend und die angefochtene Entscheidung deshalb entsprechend abzuändern sein."

Dem haben sich Kindesvater und Verfahrensbeistand ausdrücklich angeschlossen.

Während § 1671 BGB einen dauerhaften Teilentzug der elterlichen Sorge vorsieht, findet im Fall des § 1628 BGB nur eine Übertragung der Entscheidungsgewalt hinsichtlich einer konkreten, das Kind betreffenden Angelegenheit der elterlichen Sorge statt. § 1628 BGB beschränkt sich daher auf die Auflösung elterlicher Meinungsverschiedenheiten, die "punktuell-sachbezogene Konflikte" zum Gegenstand haben (BeckOGK-Amend-Traut BGB § 1628 Rz. 34). Dazu zählt auch die in der Regel nur einmalig zu treffende Entscheidung über die Auswahl der von dem Kind zu besuchenden Grundschule (vgl. ebenso KG Berlin ZKJ 2018, 230-233; OLG Dresden FamRZ 2017, 39-40; OLG Brandenburg, Beschluss vom 13. Juli 2015 - 3 UF 155/14 -, juris [=NZFam 2015, 868, LS und Kurzwiedergabe]; OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. Juli 2013 - 3 UF 47/13 -, juris [=FamRZ 2014, 856, LS]). Zwar ist dem Familiengericht in der Erwägung beizupflichten, dass die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis über die durch das Kind zu besuchende Schule geeignet ist, weitreichende Auswirkungen auch hinsichtlich des zukünftigen Aufenthaltsorts und des von den Eltern gewählten Betreuungsmodells zu zeitigen, wenn die alternativen Schulen in verschiedenen Orten liegen. Dies ist im Rahmen der Entscheidung nach § 1628 BGB aber hinzunehmen und rechtfertigt einen Teilentzug der elterlichen Sorge alleine noch nicht (BeckOGK-Amend-Traut aaO.).

Darüber hinaus hätte die vom Familiengericht vorgenommene Übertragung des Rechts zur Regelung der schulischen Angelegenheiten auf den Kindesvater einen angesichts des vorliegend lediglich die Schulwahl betreffenden Konflikts nicht erforderlichen und damit auch nicht angemessenen Teilausschluss der Kindesmutter von der diesen Lebensbereich ihrer Tochter betreffenden elterlichen Sorge zur Folge. Im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist vor diesem Hintergrund einer Entscheidung nach § 1628 BGB auch im Hinblick auf den weniger intensiven Eingriff in das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht und der geringeren Auswirkungen im Vergleich zu einem Teilentzug der elterlichen Sorge gem. § § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB der Vorrang einzuräumen (vgl. zur Frage der religiösen Erziehung BGH FamRZ 2005, 1167-1168; ferner BeckOGK-Amend-Traut aaO., Rz. 15 mwN.). Der auf eine familiengerichtliche Entscheidung nach § 1671 BGB bezogene Antrag eines Elternteils enthält als "Minus" auch den Antrag auf eine Entscheidung nach § 1628 BGB und kann daher mit hier sogar ausdrücklich erteilter Zustimmung des Kindesvaters (vgl. Schriftsatz vom 27. März 2019) entsprechend ausgelegt werden (vgl. AG Erfurt FamRZ 2018, 1671-1673).

Maßgebendes Kriterium für die Entscheidung nach § 1628 BGB ist gemäß § 1697a BGB das Kindeswohl. Das Gericht trifft diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes insgesamt am besten entspricht. Es ist zu prüfen, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung zu treffen, und die Vorstellungen der Eltern über die jeweils gewünschte Schulwahl sind an diesem Maßstab zu messen (BVerfG FamRZ 2003, 511-512). Aus den bereits oben ausführlich dargelegten Gründen war danach die Entscheidungsbefugnis über die Schulwahl für A auf den Kindesvater zu übertragen.

Eine erneute Anhörung der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz war ausnahmsweise nicht veranlasst, da diese bereits im ersten Rechtszug durchgeführt wurde und von einer wiederholten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind, § 68 Abs. 3 FamFG (vgl. BGH FamRZ 2017, 119-122).

Im Hinblick auf die teilweise Abänderung der familiengerichtlichen Entscheidung entspricht es vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelung in §§ 81, 84 FamFG billigem Ermessen, für die Rechtsmittelinstanz sowohl von der Erhebung von Gerichtskosten, als auch von der Anordnung einer Erstattung außergerichtlicher Kosten abzusehen.

Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen ersichtlich nicht vor, § 70 Abs. 2 FamFG.

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