Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.03.2018 - 20 ZB 16.30038
Fundstelle
openJur 2020, 56505
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wird abgelehnt, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen bzw. schon nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Art und Weise dargelegt sind.

1. Der Rechtssache kommt nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten (Klärungsfähigkeit) und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Klärungsbedürftigkeit; vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Diese Voraussetzungen liegen bezüglich der von den Klägern aufgeworfenen Fragen jedoch nicht vor.

a) Die Kläger halten für grundsätzlich bedeutsam zunächst die Frage,

"ob im Nord- und Zentralirak, speziell in der Provinz Samara Al-Din [gemeint wohl: Salah-ad-Din] bzw. der Stadt Samara, ein regionaler, innerstaatlicher oder internationaler Konflikt existiert."

Diese Frage ist nicht mehr klärungsbedürftig, weil es jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats über den Zulassungsantrag (§ 77 Abs. 1 AsylG) an einem solchen bewaffneten Konflikt in der maßgeblichen Herkunftsregion der Kläger, der Provinz Salah-ad-Din, Region bzw. Stadt Samarra, fehlen dürfte. Denn wie das Verwaltungsgericht in seinem Urteil ausführt, wurden die Städte Samarra und Tikrit in der Provinz Salah-ad-Din bereits im April 2015 vom sog. IS befreit; die Sicherheitslage ist dort vergleichsweise stabil (vgl. Lifos, Thematic Report: The Security Situation in Iraq, Juli 2016 – November 2017, 2017-12-18, Version 4.0, S. 29 f.; vgl. auch Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Stand 24.8.2017, S. 24 ff., insb. Karte S. 26). Im Übrigen ist diese Frage in einem Berufungsverfahren auch nicht klärungsfähig, weil sie für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich war und sich auch in einem Berufungsverfahren nicht in entscheidungserheblicher Weise stellen würde. Denn das Verwaltungsgericht hat zwar festgestellt, dass in Samarra und der näheren Umgebung nach der Zurückdrängung des IS aus Samarra und Tikrit bereits im Jahr 2015 kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr vorliege (vgl. zur Definition BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 24 m.w.N.). Es hat aber seine Entscheidung, dass den Klägern kein Schutzstatus nach §§ 3 ff. oder § 4 AsylG zustehe, darüber hinaus auf das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Khanaqin gestützt.

b) Des Weiteren halten die Kläger für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob bei der Situation im Nord- und Zentralirak unter Berücksichtigung des aggressiven Vorgehens des IS  im Irak und in Syrien, einzelne Städte, hier Samara, die noch 2015 vom IS besetzt waren, isoliert betrachtet werden können, oder ob nicht bei dieser Konstellation auf die gesamte Region abzustellen ist."

Diese Frage ist jedoch nicht klärungsbedürftig, weil in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt ist, dass der Bezugspunkt der Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 15c der Qualifikationsrichtlinie (QRL), welchen § 4 Abs. 1 AsylG im deutschen Recht umsetzt, der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr ist. Das ist in der Regel die Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12. – juris Rn. 13 m.w.N.; vgl. auch Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 4 AsylG Rn. 16). Wie groß der geografische Bereich ist, der als Herkunftsregion betrachtet werden kann, hängt demnach von den Gegebenheiten des Einzelfalles ab. Ob das Verwaltungsgericht im vorliegenden Falle den geografischen Rahmen zu eng gezogen hat, indem es bei seiner Gefahrenprognose im Wesentlichen die Stadt Samarra und deren Umgebung in den Blick genommen hat, entzieht sich somit einer grundsätzlichen Klärung. Im Übrigen ist die aufgeworfene Frage aus den unter a) genannten Gründen nicht entscheidungserheblich und damit auch nicht klärungsfähig.

c) Des Weiteren werfen die Kläger als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,

"ob die kurdische Autonomieregion (KAR) zur Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Irak noch in der Lage ist und ihnen mehr zu bieten hat als ein Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums."

Auch diese Frage ist im Ergebnis nicht entscheidungserheblich und damit klärungsfähig. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung tragend darauf abgestellt, dass den Klägern aufgrund ihrer individuellen Umstände (u.a. ursprüngliche Herkunft aus und langjähriger Aufenthalt in Khanaqin, unterstützungsfähige Familienangehörige im Herkunftsland) eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Khanaqin zur Verfügung stehe. Khanaqin liegt jedoch, wovon auch das Verwaltungsgericht ausgeht (UA S. 13), nicht in der Kurdischen Autonomieregion (KAR) im Nordirak. Die KAR setzt sich zusammen aus den Gebieten der nordirakischen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaiymanya. Die Stadt Khanaqin liegt jedoch in der südlich an die Provinz Sulaiymanya angrenzenden Provinz Diyala, die territorial dem irakischen Zentralstaat zuzurechnen ist und mittlerweile auch unter dessen Kontrolle steht (Lifos a.a.O., S. 7). Die Frage nach einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in der KAR würde sich somit in einem Berufungsverfahren nicht in entscheidungserheblicher Weise stellen. Dem gegenüber handelt es sich bei der für das Verwaltungsgericht ausschlaggebenden und von den Klägern angegriffenen Einschätzung, dass diesen aufgrund ihrer individuellen Umstände in Khanaqin eine erreichbare und zumutbare Fluchtalternative offen steht, um eine Beurteilung des Einzelfalles (vgl. unten d)), die keiner grundsätzlichen Klärung zugänglich ist. Deshalb kann auch der mit Schriftsatz vom 6. November 2017 vorgelegte Behandlungsplan eines Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten für den Kläger zu 1) nicht zu einer Zulassung der Berufung führen.

d) In diesem Zusammenhang begehren die Kläger auch die grundsätzliche Klärung,

"welche über das Existenzminimum hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen und ob die gemäß Art. 2 Qualifikations-Richtlinie zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes in Verbindung mit Art. 4 Qualifikations-Richtlinie für die Zumutbarkeit eine Rolle spielen."

Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil die allgemeinen Anforderungen an eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative (internen Schutz) im Sinne des § 3e AsylG, welcher Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie (QRL) umsetzt und gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch im Rahmen des subsidiären Schutzes anzuwenden ist, in der Rechtsprechung bereits geklärt sind. Dabei sind nach § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers gemäß Art. 4 QRL zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtes (§ 77 Abs. 1 AsylG) zu berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass der Zumutbarkeitsmaßstab über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinausgehe, es hat allerdings offen gelassen, welche weiteren wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 20 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, B.v. 9.3.2017 – 20 ZB 17.30213 – juris Rn. 10; B.v. 13.3.2014 – 13a ZB 14.30043 – juris Rn. 7 m.w.N.; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 3e AsylG Rn. 3 m.w.N.; Kluth in Kluth/Heusch, Beck´scher Onlinekommentar Ausländerrecht, Stand 1.2.2017, § 3e AsylG Rn. 3). Die Frage ist daher grundsätzlich bereits geklärt. Nicht klärungsbedürftig ist jedoch die einzelfallbezogene Anwendung von bereits grundsätzlich Geklärtem. Die behauptete bloße Unrichtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidung gibt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 38).

e) Schließlich begehren die Kläger noch die Klärung der Frage,

"ob angesichts der unter oben I.1. beschriebenen allgemeinen Lage im Irak das Alter und die familiäre Bindung zu den zwei in Deutschland lebenden Söhnen vor dem sozialen Hintergrund der Kläger bei der Auslegung von § 4 I 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigen ist [sind]."

Dieser Frage kommt jedoch keine grundsätzliche, d.h. über den konkreten Einzelfall hinausreichende, allgemeine Bedeutung zu, da es sich um eine Frage des Einzelfalles handelt. Im Übrigen musste sich dem Verwaltungsgericht die Frage nach einer Berücksichtigung der familiären Bindungen der Kläger im Bundesgebiet nicht stellen und würde sich auch in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Denn bei gegebenenfalls nach Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK schutzwürdigen familiären Bindungen zu Personen, die sich im Bundesgebiet aufhalten, könnte es sich allenfalls um ein innerstaatliches Abschiebungshindernis handeln, welches nicht in einem asylgerichtlichen Verfahren, sondern im Falle einer tatsächlichen Aufenthaltsbeendigung von der Ausländerbehörde zu prüfen wäre.

2. Die Kläger machen des Weiteren eine Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) geltend. Diese ist jedoch schon nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt und liegt im Übrigen auch nicht vor.

a) Die Darlegung einer Divergenz erfordert, dass aufgezeigt wird, welchen abstrakten Rechtssatz das erstinstanzliche Gericht in der angefochtenen Entscheidung aufgestellt hat und von welchem abstrakten Rechtssatz eines Divergenzgerichtes i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG dieser in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abweicht. Dazu ist eine Gegenüberstellung der divergierenden Rechtssätze erforderlich, aus der die Abweichung deutlich wird (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 73).

b) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Kläger nicht, denn sie legen nicht dar, welchen divergierenden Rechtssatz das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll. Vielmehr führen die Kläger aus, dass das Verwaltungsgericht die Zumutbarkeitskriterien einer innerstaatlichen Fluchtalternative bzw. internen Schutzes gemäß § 3e AsylG nicht dargelegt habe, sondern lediglich ausgeführt habe, dass das hohe Alter der Kläger unschädlich sei, dass anzunehmen sei, dass die Kläger dort wieder Anschluss finden und dass sie schließlich über eine große Familie verfügten, die sie auch materiell unterstützen würde. Des Weiteren rügen die Kläger, dass das Verwaltungsgericht (angeblich) missverständliche Ausführungen in den von ihnen angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; U.v. 29.5.2008 – 10 C 11.07 – juris) sowie des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 13.3.2014 – 13a ZB 14.30043 – juris) zur Zumutbarkeit der Fluchtalternative unzutreffend interpretiert habe. Damit greifen die Kläger jedoch die Rechtsanwendung im Einzelfall an, nicht das Aufstellen eines divergierenden Rechtssatzes. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht auf Seite 14 die von den Klägern herangezogene ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung zutreffend zitiert und sodann in Anwendung dieser abstrakten Grundsätze begründet, weshalb den Klägern die Fluchtalternative in Khanaqin zumutbar sei. Eine Abweichung von der Rechtsprechung eines Divergenzgerichtes im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt damit auch nicht vor.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Berufungszulassung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).