Bayerischer VGH, Beschluss vom 17.12.2019 - 9 ZB 19.34094
Fundstelle
openJur 2020, 52350
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.

Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 - 9 ZB 19.31503 - juris Rn. 3). Dem wird das gesamte Zulassungsvorbringen nicht gerecht.

a) Die Frage, ob angesichts der im Zulassungsvorbringen geschilderten Armut in Sierra Leone, der Schwierigkeiten beim Finden von Wohnraum und der fehlenden staatlichen Unterstützung Feststellungen dazu getroffen hätten werden müssen, ob die Klägerin mit Unterstützung einer Familie bzw. Freunden rechnen könnte oder dürfte, sowie die Frage, "Muss angesichts der Tatsache, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebt, zu dem Vorhanden - oder Nichtvorhandensein von Familienangehörige bzw. einer Großfamilie keine Feststellungen getroffen wurden, davon ausgegangen werden, dass sich die Klägerin zumindest sein Existenzminimum sichern kann oder muss davon ausgegangen werden, dass angesichts der Gesamtumstände und auch den speziellen Umstände bei der Klägerin bei einer Rückkehr davon ausgegangen werden muss, dass er unter dem Existenzminimum (und somit unter den inländischen Maßstäben unter Verstoß eines selbstbestimmten würdevollen Lebens) bleiben muss", lassen keine allgemeine, über den Einzelfall der Klägerin hinausreichende Bedeutung erkennen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht im Wege der Bezugnahme auf den angefochten Bescheid nach § 77 Abs. 2 AsylG auf die schwierigen Lebensbedingungen in Sierra Leone abgestellt und ist auf dieser Basis zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin, für die anzunehmen sei, dass sie gemeinsam mit Kind und Lebensgefährte nach Sierra Leone zurückkehren werde, die zudem aber auch nicht glaubhaft gemacht habe, dass sie nicht wisse, wo sich ihre in Sierra Leone verbliebene Familie aufhalte bzw. dass sie zu dieser keinen Kontakt habe, den Lebensunterhalt für die dreiköpfige Familie gemeinsam mit dem Vater ihrer Tochter werde aufbringen können. Dem wird im Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegengetreten.

b) Mit der im Zulassungsantrag weiter aufgeworfenen Frage, ob bei einer Gesamtschau der Umstände davon ausgegangen werden müsse, dass für die Tochter der Klägerin die konkrete und überwiegende Gefahr einer Genitalverstümmelung bei einer Rückkehr nach Sierra Leone bestehe, oder ob die Klägerin die Tochter vor einer Genitalverstümmelung schützen könne, legt die Klägerin keine eigenen Asylgründe dar (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG), sondern bezieht sich ausschließlich auf eine Betroffenheit ihrer minderjährigen Tochter (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2019 - 9 ZB 19.31228 - juris Rn. 3). Soweit noch die Frage gestellt wird, ob die Klägerin sich selbst schützen könne, fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit. Das Verwaltungsgericht ist unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid und aufgrund eigener weiterer Erwägungen davon ausgegangen, dass der Klägerin, die bereits beschnitten ist, keine weitere Beschneidung drohe.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) zuzulassen.

Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2018 - 9 ZB 18.31509 - juris Rn. 7 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht, weil kein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet wird, der von einem Rechtssatz eines Divergenzgerichts abweichen soll.

a) Dies gilt zunächst, soweit die Klägerin darlegen lässt, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht existiere und somit nicht im Urteil des Verwaltungsgerichts habe bestätigt werden dürfen. Im Übrigen ändert auch die seit 21. August 2019 gültige Neufassung des § 11 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG (Gesetz vom 15.8.2019, BGBl I S. 1294), wonach ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert angeordnet werden muss, nichts daran, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage in einer behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. - wie hier im angefochtenen Bescheid vom 13. Juni 2019 - regelmäßig auch die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer zu sehen ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018 - 1 C 21.17 - juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 11.9.2019 - 10 C 18.1821 - juris Rn. 13 m.w.N.).

b) Ebenso ist den Darlegungsanforderungen aber auch nicht genügt, soweit ein Abweichen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Rückkehrsituation der Klägerin geltend gemacht wird. Das Verwaltungsgericht hat Bezug nehmend auf die im Zulassungsantrag trotz abweichender Datumsangabe wohl angesprochene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2019 (1 C 45.18 - juris Rn. 16 m.w.N.) und auch in Übereinstimmung mit dieser die realistische Situation zugrunde gelegt, dass die Klägerin mit ihrer Tochter und deren Vater, mit dem die Klägerin zusammenlebt, zurückkehren wird.

3. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO).

Die Klägerin kann einen Gehörsverstoß nicht mit Erfolg darauf stützen, dass das Verwaltungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob sie im Fall ihrer Rückkehr mit Unterstützung einer Familie bzw. durch Freunde rechnen könne. Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht statuiert Art. 103 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 - 1 BvR 1011/17 - juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 10.4.2019 - 9 ZB 18.33046 - juris Rn. 5). Wie bereits ausgeführt, ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin zusammen mit ihrem Lebensgefährten in der Lage sein werde, den Unterhalt für die dreiköpfige Familie aufzubringen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).