VG Cottbus, Beschluss vom 08.10.2019 - 1 L 502/19
Fundstelle
openJur 2020, 42158
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.250,00 € festgesetzt.

Gründe

I. Der Antrag auf Wiederherstellung und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines noch einzulegenden Widerspruchs des Antragstellers gegen die Regelungen nach Ziffer 1. bis 5. der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 25. September 2019 ist nach § 80 Abs. 5 S. 1 i. V. m. Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zwar statthaft und auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den formellen Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer muss aus der Begründung zwar an sich hinreichend nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen Gründen die Behörde im konkreten Einzelfall dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts den Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen eingeräumt hat; sofern die den Erlass des Verwaltungsakts rechtfertigenden Gründe allerdings zugleich - wie regelmäßig im Bereich des Straßenverkehrsrechts als Teils des Gefahrenabwehrrechts - die Dringlichkeit der Vollziehung zu begründen geeignet sind, kann sich die Behörde auf die den Verwaltungsakt selbst tragenden Erwägungen stützen (zur Begründungspflicht in den Fällen der Anordnung des Sofortvollzugs der Fahrerlaubnisentziehung vgl. etwa Beschlüsse der Kammer v. 17. April 2012 - VG 1 L 102/12 -, Beschlussabdruck [BA] S. 3 und v. 06. Juni 2012 - VG 1 L 126/12 -, juris Rn. 2 ff.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 10. Juni 2009 - OVG 1 S 97.09 -, juris Rn. 3; OVG f. d. Ld. Brandenburg, Beschl. v. 05. Februar 1998 - 4 B 134/97 -, juris Rn. 10 ff.).

Der Antragsgegner hat zur Begründung der Entscheidung nach Ziffer 5. der Ordnungsverfügung ausgeführt, an der unverzüglichen Erfüllung der Mängelbeseitigung bestehe ein öffentliches Interesse und mit dem Vollzug der Maßnahmen könne nicht bis zum Abschluss eines "Verwaltungsverfahrens" - richtig: verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - gewartet werden; das öffentliche Interesse genieße den Vorrang vor dem privaten Aussetzungsinteresse. Diese Begründung entspricht in der vorliegenden Fallkonstellation - Betriebsuntersagung im Anschluss an den vom Kraftfahrt-Bundesamt überwachten Rückruf des Kraftfahrzeugs - den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO. Einer darüber hinausgehende, insbesondere stärker einzelfallbezogene Begründung - auch - der Anordnung der sofortigen Vollziehung wäre zwar wünschenswert gewesen, es bedurfte ihrer entgegen der Auffassung des Antragstellers aus Rechtsgründen jedoch nicht, denn schon die im Bescheid enthaltene Begründung bringt - noch - hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters dieser Anordnung bewusst war. Ob die Begründung in der Sache geeignet wäre, den Sofortvollzug zu rechtfertigen, ist in dem vorliegenden Zusammenhang unerheblich.

Die Ermessensentscheidung des Gerichts fällt ebenfalls zu Lasten des Antragstellers aus, weil die angefochtenen Regelungen mit jedenfalls überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtmäßig sind und Gründe der Verkehrssicherheit das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegen.

Nach § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr (Fahrzeug-Zulassungsverordnung [FZV]) i. d. F. vom 06. Juni 2019 (BGBl. I S. 756) kann die Zulassungsbehörde dem Eigentümer oder Halter eine angemessene Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen, wenn sich ein Fahrzeug als nicht vorschriftsmäßig nach der Fahrzeug-Zulassungsverordnung oder der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung erweist.

Das streitgegenständliche Kraftfahrzeug, ein Mitsubishi Outlander des Baujahrs 2005 - 2012, erweist sich nach dem maßgeblichen Kenntnisstand des Antragsgegners (vgl. VG Augsburg, Urt. v. 29. März 2016 - Au 3 K 15.1733 -, juris Rn. 42; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 5 FZV Rn. 2 a. E.) als in diesem Sinne "nicht vorschriftsmäßig". Zwar machen bereits der Wortlaut des § 5 Abs. 1 FZV ("erweist sich") und der systematische Zusammenhang mit § 5 Abs. 3 FZV ("Besteht Anlass zu der Annahme") deutlich, dass die dem Kraftfahrzeug fehlende Vorschriftmäßigkeit durch Offenkundigkeit oder durch Augenschein festgestellt, jedenfalls aber erwiesen, sein muss (Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 5 FZV Rn. 3; MüKoStVR/Huppertz, 1. Aufl. 2016, FZV § 5 Rn. 7; beide zit. nach https://beck-online.beck.de; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 5 FZV Rn. 3). Davon ist jedoch - zumindest nach derzeitiger Sachlage in dem vorliegenden Eilverfahren - auszugehen.

Zwar ist das Kraftfahrzeug SPN-RG 300 entsprechend § 40 Abs. 2 S. 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) i. d. F. v. 26. April 2012 (BGBl. S. 679) mit "selbsttätig wirkenden Scheibenwischern" ausgestattet und es ist im vorliegenden Einzelfall gerade nicht festgestellt worden, dass eine "Korrosion innerhalb des Scheibenwischermotors oder des Wischergelenks" vorläge. Hierauf kommt es in dem vorliegenden Zusammenhang jedoch bei summarischer Prüfung auch nicht entscheidend an. Der Antragsteller berücksichtigt nicht hinreichend, dass sein Kraftfahrzeug einer vom Kraftfahrt-Bundesamt überwachten Rückrufaktion des Fahrzeugherstellers unterliegt und dass es im Zuge dieser Aktion der individuellen Feststellung eines konkreten Mangels nicht bedarf. Ein vom Kraftfahrt-Bundesamt überwachter Rückruf durch den Hersteller erfolgt, wenn dieser Informationen darüber hat, dass ein Produkt ein ernstes Risiko darstellt. Im Rahmen der Rückrufaktion ist eine maximale Erfüllungsquote anzustreben, zu deren Erreichung in der Regel die Halter aller betroffenen Fahrzeuge, die zum Zeitpunkt des Rückrufs in der Bundesrepublik Deutschland als zugelassen oder im Verkehr befindlich im Zentralen Fahrzeugregister registriert sind, zu informieren sind (vgl. unter Nr. 2.2.4.2 und 2.5, S. 7, des Kodex zur Durchführung von Rückrufaktionen des Kraftfahrt-Bundesamtes, Stand: September 2019, zit. nach: https://www.kba.de/DE/Marktueberwachung/Rueckrufe/Kodex/kodex_pdf.pdf?__blob=public-ation File&v=6). Das Kraftfahrzeug des Antragstellers unterliegt einer Rückrufaktion des Herstellers Mitsubishi, die offenbar bereits seit August 2017 in Amerika durchführt wurde und weltweit 688.000 Fahrzeuge, in Deutschland 25.000 Exemplare der Modelljahre 2006 bis 2012 betrifft. Die Vertragsbetriebe tauschen im Rahmen der Aktionen mit dem internen Code R30328 und R30341 sowohl Motor als auch Wischergestänge aus, weil es durch eine Korrosion im Inneren des Motors oder des Wischergelenkes zu einem plötzlichen Ausfall des Scheibenwischers kommen kann (vgl. https://www.kfz-rueckrufe.de/mitsubishi-outlander-rueckruf-nun-auch-in-europa/3985/ und https://www.kba-online.de/gpsg/auskunftServlet zur KBA-Referenznummer 7886).

Hiervon ausgehend sind sämtliche Kraftfahrzeuge, die der sachverständigen Einschätzung des Herstellers nach der Rückrufaktion unterliegen, (produkt-)mangelbehaftet, und zwar selbst dann, wenn sich der Mangel im Einzelfall noch nicht gezeigt oder ausgewirkt haben sollte. Entgegen der Auffassung des Antragstellers bedarf es - gerade im Rahmen des nicht auf eine Klärung des Sachverhalts angelegten Eilverfahrens - in diesem Zusammenhang nicht weiteren Nachforschungen, welche Umstände den Hersteller des Kraftfahrzeugs bewogen haben, die Rückrufaktion einzuleiten; dass dem Autohersteller für den Rückruf hinreichende Fakten vorlagen, kann schon mit Blick auf die hohen Kosten und den Imageverlust, die mit jeder - vorliegend gar offenbar weltweiten - Rückrufaktion eines Produkts für einen Hersteller verbunden sind, ohne Weiteres unterstellt werden (zu einer vergleichbaren Konstellation: VG Augsburg, Urt. v. 17. Februar 2012 - Au 3 K 11.1708 -, juris). Dass das Kraftfahrzeug des Antragstellers mangelfrei ist, wird von ihm nicht belegt, insbesondere ist auch der Umstand, dass vor Kurzem erfolgreich die Hauptuntersuchung durchgeführt wurde, schon deshalb ohne hinreichende Aussagekraft, weil in deren Rahmen jedenfalls eine Korrosion des Scheibenwischermotors kaum festgestellt werden dürfte.

Der Antragsteller ist auch zutreffend als Halter oder Eigentümer des Fahrzeugs in Anspruch genommen worden. Der Antragsteller stellt die Annahme des Antragsgegners, dieser sei jedenfalls Eigentümer des Kraftfahrzeugs nicht in Frage, und die Behörde dürfte auch zutreffend davon ausgegangen sein, dass der Antragsteller Halter, d.h. derjenige ist, der das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat und der die Verfügungsgewalt besitzt (zu diesem Begriff etwa Urt. d. Kammer v. 11. Dezember 2014 - 1 K 118/13 -, Urteilsausfertigung [UA] S. 8 m. w. N.). So wird der Antragsteller nicht nur bei dem Antragsgegner, sondern etwa auch in dem von ihm nachgereichten Bericht des TÜV Rheinland als Halter bezeichnet.

Entgegen des Vorbringens des Antragstellers ist die angeordnete Betriebsuntersagung auch nicht wegen eines Ermessensausfalls rechtswidrig. Ein Entschließungsermessen steht dem Antragsgegner nicht mehr zu, nachdem der Antragsteller nicht an der Rückrufaktion des Fahrzeugherstellers teilgenommen und die ihm mit Schreiben vom 01. Juli 2019 gesetzte Frist, die Beseitigung der Mängel nachzuweisen, ungeachtet der am 16. Juli 2019 gewährten Fristverlängerung hat verstreichen lassen. Auch das Auswahlermessen des Antragsgegners war vorliegend gebunden, insbesondere ist eine praktikable Möglichkeit, den Betrieb des Fahrzeugs lediglich zu beschränken, nicht ersichtlich; die Hinweise des Antragstellers aus dem Schriftsatz vom 05. Oktober 2019 sind jedenfalls nicht geeignet, die naheliegende Annahme einer hohen Selbst- und Fremdgefährdung bei Ausfall des Scheibenwischers in Frage zu stellen.

Die Verpflichtung, das Kraftfahrzeug außer Betrieb zu setzen, ergibt sich aus § 5 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 14 FZV. Die Androhung der Ersatzvornahme findet ihre Rechtsgrundlagen in den §§ 3, 27, 28 und 32 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg (VwVGBbg); die fehlerhafte Angabe der Rechtsgrundlagen in dem angefochtenen Bescheid ist unschädlich, wenn und soweit - wie vorliegend - tatsächlich die Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage vorliegen.

Auch ein öffentliches Vollzugsinteresse liegt vor. Es ergibt sich aus dem Umstand, dass der Antragsteller einen Nachweis über die Ordnungsmäßigkeit des Kraftfahrzeugs nicht geführt hat und dass der Betrieb des Fahrzeugs im Straßenverkehr mit einem hohen Risiko für die Verkehrssicherheit, insbesondere auch das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit von Unbeteiligten, verbunden wäre. Demgegenüber hat das private Interesse des Antragstellers und/oder seiner Ehefrau, das Kraftfahrzeug ohne Teilnahme an der Rückrufaktion des Herstellers weiter nutzen zu können, zurückzutreten.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Hinsichtlich der danach maßgeblichen Bedeutung der Sache für den Antragsteller lehnt sich das Gericht an Ziffer 46.16 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (in der Fassung der am 31. Mai/01. Juni 2012 und 18. Juli 2013 beschlossenen Änderung) an (abgedruckt u. a. bei Kopp/Schenke, VwGO, 24. A. 2018, Anh. § 164 Rn. 14), wonach für die Stilllegung eines Kraftfahrzeugs von dem halben Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG (mithin im Ergebnis: 2.500,00 €) auszugehen ist. Hiervon setzt das Gericht im Eilverfahren wiederum lediglich die Hälfte an (Ziffer 1.5 des Katalogs).