VG Potsdam, Urteil vom 25.04.2019 - 8 K 5019/16
Fundstelle
openJur 2020, 41879
  • Rkr:

1. Ist ein Beitragsbescheid bestandskräftig geworden, aber unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (1 BvR 2961/14 und 1 BvR 3051/14) verfassungswidrig zustande gekommen, so folgt allein aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Reduzierung des in § 130 Abs. 1 AO eingeräumten Rücknahmeermessens auf null.

2. Eine Reduzierung des Rücknahmeermessens auf null folgt nicht aus dem Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 12. November 2015 annahm, die Verfassungsbeschwerden seien im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG "offensichtlich begründet". Dem Offensichtlichkeitskriterium in § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG und der Frage, ob die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes "offenkundig" im Rahmen des in § 130 Abs. 1 AO angelegten Rücknahmeermessen ist, liegen unterschiedliche Maßstäbe zugrunde.

3. Entspricht die Erhebung eines Beitrags der damaligen obergerichtlichen Rechtsprechung (hier: OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 12. Dezember 2007 - OVG 9 B 44.06 und OVG 9 B 45.06 -, jeweils juris Rn. 49 ff.), die höchstrichterlich bestätigt worden war (hier: BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2008 - 9 B 22.08 -, juris Rn. 7, 9; Beschluss vom 11. September 2014 - 9B 22.14 -, juris; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 21. September 2012 - 46/11 -, juris), so handelte ein Verbandsvorsteher, der auf Basis dessen einen Beitragsbescheid erlässt, unter Zugrundelegung einer zumindest vertretbaren Rechtsauffassung. Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände liegt in diesen Fällen ein bewusster Verfassungsverstoß oder ein Handeln in Kenntnis der Rechtswidrigkeit des erlassenen Bescheids fern.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung eines bestandskräftigen Beitragsbescheides.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Z ... 26a in 1 ... (Gemarkung B ..., Flur, Flurstück ).

Für dieses Grundstück zog der Beklagte sie mit Bescheid vom 15. April 2015 zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag in Höhe von 1 558,75 € heran. Die nach erfolglosem Widerspruch hiergegen erhobene Klage (VG 8 K 1273/15) nahm die Klägerin im September 2015 zurück. Zuvor war sie durch die damalige Berichterstatterin darauf hingewiesen worden, dass die Erfolgsaussichten der Klage zweifelhaft sein dürften; es werde daher angeregt, die Fortführung des Verfahrens zu überdenken. Die Kammer habe in einem vorangegangenen Urteil die einschlägige Beitragssatzung für rechtmäßig gehalten und zugleich die Frage der Beitragspflicht sogenannter altangeschlossener Grundstücke grundsätzlich bejaht. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - sei die Heranziehung für Grundstücke, die schon zu DDR-Zeiten an die Kanalisation angeschlossen gewesen seien, verfassungsrechtlich zulässig.

Unter dem 16. Februar 2016 beantragte die Klägerin das Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG. Durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14, NVwZ 2016, 300) und die im Anschluss dazu ergangene Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (Urteile vom 11. Februar 2016 - OVG 9 B 1.16 und OVG 9 B 43.15 -) habe sich die dem Beitragsbescheid vom 15. April 2015 zu Grunde liegende Sach- und Rechtslage gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG zu ihren Gunsten geändert.

Mit Bescheid vom 8. September 2016 lehnte der Beklagte die Rücknahme des Beitragsbescheides vom 15. April 2015 ab. Den Widerspruch der Klägerin wies er mit Bescheid vom 22. November 2016 zurück. Zur Begründung führte er aus, nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 verstoße die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. in den Fällen, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. nicht mehr hätten erhoben werden können, gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot. Das Grundstück der Klägerin habe bereits vor dem 1. Januar 2000 über eine beitragsrechtliche Vorteilslage durch einen vorhandenen Anschluss verfügt. Der Beitragsbescheid sei jedoch bestandskräftig geworden. Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG blieben unanfechtbare Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhten, unberührt.

Im Falle der Klägerin liege keine für verfassungswidrig erklärte Norm vor, vielmehr habe das Bundesverfassungsgericht im Wege der verfassungskonformen Auslegung lediglich bestimmte Anwendungsfälle des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG für verfassungswidrig erklärt. Insofern folge aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Rücknahmepflicht, sondern es sei nach Ermessen zu entscheiden. Dabei sei zwischen der Gerechtigkeit im Einzelfall und dem Interesse der Allgemeinheit an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden abzuwägen. Die Aufhebung eines bestandskräftigen Bescheides setze besondere Gründe voraus, die seine Aufrechterhaltung als schlechthin unerträglich erscheinen ließen. Solche Gründe seien nicht vorgetragen und nicht ersichtlich. Daher sei der Bestandskraft des Bescheides und damit der Rechtssicherheit der Vorzug zu geben. Hierbei sei insbesondere auch zu bedenken, dass die Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides Folgen für gleichgelagerte Fälle haben würde. Auch andere bestandskräftige Bescheide, bei denen eine identische Sachlage gegeben sei, müssten zurückgenommen und bereits entrichtete Beiträge erstattet werden. Dies hätte nicht unerhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage des Verbandes.

Mit der am 22. Dezember 2016 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, sie habe die gegen den Beitragsbescheid vom 15. April 2015 erhobene Klage im Vertrauen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung der Fachgerichte, insbesondere die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2007 (OVG 9 B 44.06) und vom 14. November 2013 (OVG 9 B 34.12 und OVG 9 B 35.12), den Beschluss des Landesverfassungsgerichts vom 21. September 2012 (VfGBbg 46/11), den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2014 (9 B 21/14) und im Vertrauen auf die Hinweise des Gerichts zurückgenommen. Eine weitere Ausnutzung der Primärrechtsmittel habe sie für aussichtslos gehalten, was bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 auch der Fall gewesen sei.

Entgegen der Auffassung des Beklagten sei ein übergeordnetes öffentliches Interesse, den schadenrechtlichen Ausgleich für eine grundgesetzwidrige Beitragserhebung zu versagen, nicht erkennbar. Dies gelte umso mehr, als keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass der Beklagte von sich aus gewillt sei, sein Ermessen zu Gunsten einer Aufhebung des rechtswidrigen Beitragsbescheides auszuüben und damit den Schaden zu beseitigen. Das zeige sich auch darin, dass er ihre Forderung auf Schadensersatz nach dem Staatshaftungsgesetz im Januar 2017 abgelehnt habe.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 8. September 2016 und des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2016 zu verpflichten, den Beitragsbescheid vom 15. April 2015 zurückzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Verpflichtungsklage für unzulässig. Er könne allenfalls zu einer Neubescheidung des Antrags unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts, nicht aber zur Rücknahme des Bescheides verpflichtet werden, da eine Ermessensreduzierung auf null nicht gegeben sei und damit eine Verpflichtung zur Rücknahme des Bescheides nicht bestehe.

Im Übrigen sei die Klage aus den Gründen des Widerspruchsbescheides unbegründet. Ergänzend sei darauf zu verweisen, dass sich der Beitragsbescheid nach der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts zwar als rechtswidrig erweise, dies aber nicht zu einem Rücknahmeanspruch der Klägerin, sondern lediglich dazu führe, dass im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 130 Abs. 1 AO eine Abwägung zwischen den verschiedenen Interessen vorzunehmen sei. Dies habe er getan und dabei aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen der Bestandskraft den Vorzug eingeräumt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der Verwaltungsvorgang des Beklagten (1 Hefter, Bl. 1-34) und die Gerichtsakte zum Verfahren VG 8 K 1273/15 haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.

1. Sie ist allerdings entgegen der Auffassung des Beklagten zulässig. Mit seiner gegenteiligen Auffassung übersieht der Beklagte, dass in einem Verpflichtungsantrag regelmäßig das in dieselbe Richtung weisende, aber inhaltlich hinter der Verpflichtung zurückbleibende Begehren auf Neubescheidung enthalten ist (BVerwG, Urteil vom 31. März 2004 - 6 C 11.03 - BVerwGE 120, 263, 276 = juris, Rz. 43; Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 6 B 47.06 -, juris, Rz. 13), und vermengt zudem Aspekte der - vermeintlichen - Unbegründetheit der Klage mit der davon gesondert zu beantwortenden Frage ihrer Zulässigkeit.

2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 8. September 2016 und der Widerspruchsbescheid vom 22. November 2016 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, da ihr weder ein Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Beitragsbescheides vom 15. April 2015 noch auf erneute Bescheidung ihres dahingehenden Antrags zusteht (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).

a) Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin ist § 130 Abs. 1 AO, der hier gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG entsprechende Anwendung findet. Nach § 130 Abs. 1 AO kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Zu Recht hat der Beklagte diese Vorschrift herangezogen, obwohl die Klägerin das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen Verfahrens nach § 51 VwVfG beantragt hat. § 51 VwVfG findet im vorliegenden Zusammenhang keine Anwendung. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfGBbg ist die Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes in denjenigen Verwaltungsverfahren ausgeschlossen, in denen Rechtsvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind. Das gilt uneingeschränkt für Verwaltungsverfahren nach dem Kommunalabgabengesetz, auch wenn hier nicht die Abgabenordnung allgemein, sondern lediglich die in § 12 Abs. 1 KAG aufgeführten einzelnen Vorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Mai 2006 - OVG 9 M 9.06 -, juris, Rz. 2; OVG Frankfurt [Oder], Beschluss vom 10. Juli 1998 - 2 A 197/97 -, juris, Rz. 3).

Der Anwendungsbereich des § 130 Abs. 1 AO ist eröffnet, weil der bestandskräftige Beitragsbescheid vom 15. April 2015 wegen einer verfassungswidrigen rückwirkenden Anwendung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 rechtswidrig ist. Das ist zwischen den Beteiligten (zu Recht) unstreitig und bedarf daher keiner näheren Darlegung.

b) § 130 Abs. 1 AO räumt auf der Rechtsfolgenseite ausweislich seines Wortlauts Ermessen bei der Entscheidung über die Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts ein (Klein/Rüsken, AO, 14. Aufl. 2018, § 130 Rn. 27 f.) Allein die Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheids begründet keinen Anspruch auf dessen Rücknahme, weil sie lediglich die tatbestandliche Voraussetzung für die von der Behörde zu treffende Ermessensentscheidung ist (vgl. zu § 48 VwVfG: BVerwG, Urteil vom 30. Januar 1974 - VII C 20.72 -, juris, Rz. 25; Urteil vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 -, juris, Rz. 13).

Bei der Ausübung des Rücknahmeermessens kommt dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit, der zu Gunsten des Adressaten des rechtswidrigen Verwaltungsakts streitet, prinzipiell kein größeres Gewicht zu, als dem Grundsatz der Rechtssicherheit, den der durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt Begünstigte für sich in Anspruch nehmen kann (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007, a.a.O., Rz. 13). Dementsprechend gibt es keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben (BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 -, juris, Rz. 80; Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 -, juris, Rz. 33; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011 - 2 C 50.09 -, juris, Rz. 14), und zwar auch dann nicht, wenn die Rechtsgrundlage des bestandskräftigen Verwaltungsaktes gegen Verfassungsrecht verstößt (BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2008 - 1 BvR 943/07 -, juris, Rz. 26; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011, a.a.O.). Vielmehr ist die materielle Gerechtigkeit grundsätzlich im gesetzlich zugelassenen Rechtsmittelverfahren zu verwirklichen. Ist dieses beendet oder ist die Rechtsmittelfrist ohne Einlegung eines Rechtsmittels abgelaufen, schließt der Grundsatz der Rechtssicherheit einen Rechtsanspruch auf Beseitigung einer unanfechtbaren behördlichen Entscheidung grundsätzlich aus. Auch im Rahmen des § 130 Abs. 1 AO ist deshalb die Entscheidung der Behörde, einen Verwaltungsakt, dessen Fehlerhaftigkeit sich nachträglich herausgestellt hat, gleichwohl nicht zurückzunehmen, grundsätzlich vom Prinzip der Rechtssicherheit gedeckt und mit Rücksicht auf den im Abgabenrecht bedeutsamen Grundsatz der Verwaltungspraktikabilität im Regelfall zu billigen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Januar 2007 - 9 LA 252/03 -, juris, Rz. 5 m.w.N.).

Das Ermessen kann allerdings in einer Weise reduziert sein, dass jede andere Entscheidung als die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtswidrig wäre, wenn das Festhalten an dem rechtswidrigen Verwaltungsakt schlechthin unerträglich wäre bzw. für den Betroffenen unzumutbare Folgen hätte (zu § 48 VwVfG: BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007, a.a.O.; VGH München, Beschluss vom 29. November 2011 - 19 BV 11.1915 -, juris, Rz. 44; VGH Mannheim, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 2 S 2567/13 -, juris, Rz. 7; ebenso zu § 130 AO: OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Januar 2007, a.a.O.; OVG Münster, Beschluss vom 9. September 2009 - 15 A 1881/09 -, juris, Rz. 4; OVG Magdeburg, Beschluss vom 1. Februar 2011 - 4 L 158/10 -, juris, Rz. 3). Schlechthin unerträglich in diesem Sinne ist das Festhalten an dem rechtswidrigen Verwaltungsakt insbesondere dann, wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007, a.a.O.; OVG Münster, a.a.O.; OVG Magdeburg, a.a.O.; VGH Mannheim, a.a.O., Rz. 8). Maßgeblich sind immer die Umstände des Einzelfalls und eine Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte. Die vorgenannten Fallgruppen stellen lediglich nicht abschließende Beispiele dar (OVG Magdeburg, a.a.O.).

c) Umstände, die nach den dargelegten Maßstäben zu Gunsten der Klägerin zu einer Reduzierung des Ermessens auf null führen, liegen hier bei einer Gesamtbetrachtung nicht vor.

aa) Das Rücknahmeermessen ist nicht schon deswegen reduziert, weil das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 12. November 2015 die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. (in der seit dem 1. Februar 2004 geltenden Fassung) auf Fälle, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. (in der bis zum 31. Januar 2004 geltenden Fassung) nicht mehr hätten erhoben werden können, als verfassungsrechtlich unzulässig erachtet hat.

(1) Dies folgt bereits aus § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, der auf den vorliegenden Fall (doppelt) analog anzuwenden ist (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. September 2018 - OVG 9 S 10.18 -, juris Rzn. 9 ff.; OLG Brandenburg, Urteil vom 17. April 2018 - 2 U 21/17 -, juris Rzn. 45 ff.). Nach dieser Norm bleiben die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, grundsätzlich unberührt. § 79 Abs. 2 BVerfGG findet analoge Anwendung, wenn eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung auf einer Auslegungsvariante beruht, deren Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 1905/02 -, juris, Rz. 39).

Dabei kann es dahinstehen, ob das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 12. November 2015 eine bestimmte Auslegungsvariante des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. für verfassungswidrig erklärt und eine verfassungskonforme Auslegung dieser Norm vorgenommen hat (so OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. September 2018 - OVG 9 S 10.18 -, juris, Rz. 9), oder die Anwendung der Norm auf eine bestimmte, aber eine Vielzahl von Fällen betreffende Konstellation für verfassungswidrig erklärt hat. Auch auf die letztgenannte Fallgruppe findet § 79 Abs. 2 BVerfGG analoge Anwendung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst die analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG auch Entscheidungen, durch welche Gerichte angehalten werden, bei der Auslegung und Anwendung von Generalklauseln und sonstigen auslegungsbedürftigen Regelungstatbeständen die jeweils einschlägigen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleiben. Das Bundesverfassungsgericht erblickt zwar zwischen dieser Art, die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das einfache Recht durchzusetzen, und den Fällen, in denen es den Fachgerichten die verfassungskonforme Auslegung einer Regelung vorgibt, Unterschiede. Sie sind jedoch im Hinblick auf den Grundrechtsschutz nicht von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die Ungleichbehandlung derjenigen, die von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der einen oder der anderen Art betroffen werden, rechtfertigen könnten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, a.a.O., Rzn. 41 ff.). Zwischen dieser Fallgruppe und derjenigen, die dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 zugrunde liegt, besteht sachlich mit Blick auf den Grundrechtsschutz des Einzelnen kein wesentlicher Unterschied: Erklärt das Bundesverfassungsgericht die rückwirkende Anwendung einer Norm auf bestimmte Fallkonstellationen für verfassungsrechtlich unzulässig mit der Folge, dass dies über den konkreten Einzelfall hinaus für alle gleichgelagerten Fällen Geltung beansprucht, so sind Behörden und Gerichte in diesen Fällen ebenso gebunden, wie wenn das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsvorschrift verfassungskonform in der Weise auslegt, dass es die verfassungswidrige Interpretationsmöglichkeit ausschließt. Zudem verbleibt den Gerichten in den seitens des Bundesverfassungsgerichts festgestellten Fällen einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung keine Möglichkeit, in gleichgelagerten Fallgestaltungen abweichende Entscheidungen zu treffen. Es gibt somit hinsichtlich des Grundrechtsschutzes des Einzelnen keinen wesentlichen Unterschied zu den Fällen, in welchen das Bundesverfassungsgericht eine Norm verfassungskonform ausgelegt hat.

Ferner findet § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nach der überzeugenden Begründung des 9. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 11. September 2018, a.a.O., Rzn. 9 ff.; so auch OLG Brandenburg, Urteil vom 17. April 2018, a.a.O., Rzn. 50 ff.; a.A. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Januar 2017 - OVG 3 K 58.16 -, juris, Rz. 6; VG Frankfurt [Oder], Urteil vom 18. April 2018 - 5 K 977/17 -, juris, Rz. 44, und Urteil vom 24. Oktober 2018 - 5 K 3943/17 -, juris, Rz. 45) auch dann analoge Anwendung, wenn die verfassungskonforme Auslegung einer Norm nicht im Wege einer Senatsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, sondern - wie hier - in einem stattgebenden Kammerbeschluss erfolgt ist.

(2) Selbst wenn eine (doppelt) analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG auf den vorliegenden Fall ausscheiden sollte, folgt aus dem hinter dieser Norm stehenden Rechtsgedanken im Ergebnis nichts anderes (so auch OLG Brandenburg, Urteil vom 17. April 2018, a.a.O., Rz. 53). § 79 Abs. 2 BVerfGG bringt den allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass die nachteiligen Wirkungen, die von unanfechtbar gewordenen Akten der öffentlichen Gewalt ausgehen, die in verfassungswidriger Weise zustande gekommen sind, nicht rückwirkend aufgehoben und die nachteiligen Wirkungen, die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangen sind, nicht beseitigt werden sollen, dass aber für die Zukunft die sich aus der Durchsetzung dieser Akte ergebenden Rechtsfolgen abgewendet werden sollen (BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 178/64 -, Rz. 16; Beschluss vom 21. Mai 1974 - 1 BvL 22/71 -, Rz. 131; Beschluss vom 10. Mai 1994 - 1 BvR 1534/92 -, Rz. 23; Beschluss vom 27. November 1997 - 1 BvL 12/91 -, Rz. 46; Nichtannahmebeschluss vom 19. Dezember 2006 - 1 BvR 2723/06 -, Rz. 13, jew. bei juris; Beschluss vom 6. Dezember 2005, a.a.O., Rz. 34). Dieser allgemeine Rechtsgedanke beansprucht auch dann Geltung, wenn § 79 Abs. 2 BVerfGG auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 keine Anwendung findet.

bb) Ferner folgt eine Reduzierung des Rücknahmeermessens auf null nicht daraus, dass der Verstoß des Bescheids vom 15. April 2015 gegen höherrangiges Recht offensichtlich wäre.

(1) Das wäre der Fall, wenn die Behörde den bestandskräftigen Bescheid in Kenntnis seiner Rechtswidrigkeit erlassen hätte (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 9. September 2009, a.a.O., Rz. 6; OVG Magdeburg, Beschluss vom 1. Februar 2011, a.a.O., Rz. 4; Urteil der Kammer vom 25. Juli 2018 - VG 8 K 4589/16 -, juris, Rzn. 31 ff.; VG Cottbus, Urteil vom 10. September 2018 - 6 K 977/17 -, juris, Rz. 23). Angesichts der Bindung der Behörden an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG darf der abgabenpflichtige Bescheidempfänger darauf vertrauen, dass die abgabenerhebende Körperschaft nicht vorsätzlich einen rechtswidrigen Verwaltungsakt in der Hoffnung erlässt, er werde mangels Anfechtung bestandskräftig und könne dann durchgesetzt werden. Dabei kommt es allerdings nicht allein darauf an, ob die Behörde bei Erlass nur Kenntnis von den Umständen hatte, welche die Rechtswidrigkeit des Bescheids begründeten. Vielmehr muss sie selbst eindeutig und erkennbar von dessen Rechtswidrigkeit ausgegangen sein (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 1. Februar 2011, a.a.O., Rz. 4). Der Beklagte müsste demnach die Beitragserhebung im Fall der Klägerin gleichsam "sehenden Auges" und ungeachtet der fehlenden rechtlichen Grundlagen hierfür vorgenommen haben. Ein solcher bewusster Verstoß der Behörde gegen die Rechtsordnung schließt es aus, dass sie sich auf die aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgende Bestandskraft berufen kann (VG Frankfurt [Oder], Urteil vom 18. April 2018, a.a.O., Rzn. 34 f.; Urteil der Kammer vom 25. Juli, a.a.O.).

(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war die Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheids vom 15. April 2015 für den Beklagten nicht offensichtlich und es kann von einem bewussten Rechtsverstoß bei Erlass des betroffenen Bescheids keine Rede sein. Die dem Bescheid zu Grunde liegende Annahme des Beklagten, § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. erlaube die Beitragserhebung auch in den Fällen, in denen diese nach der Rechtsprechung zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. nicht mehr möglich gewesen wäre, stand im Einklang mit der damaligen ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (grundlegend: Urteile vom 12. Dezember 2007 - OVG 9 B 44.06 und OVG 9 B 45.06 -, jew. juris), mit den diese Rechtsprechung ausdrücklich bestätigenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 14. Juli 2008 - 9 B 22.08 -, juris, Rzn. 7, 9; Beschluss vom 11. September 2014 - 9 B 22.14 -, juris) sowie der Entscheidung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg (Beschluss vom 21. September 2012 - VfGBbg 46/11 -, juris). Soweit zum damaligen Zeitpunkt entgegenstehende Rechtsansichten vertreten wurden (etwa das Gutachten Steiner aus 2009), führt dies allenfalls dazu, dass man die entscheidende Rechtsfrage als "umstritten, aber obergerichtlich mit höchstrichterlicher Bestätigung geklärt" werten konnte. Der Beklagte entschied sich im Rahmen des ursprünglichen Beitrags- und Widerspruchsbescheids für eine Rechtsansicht, die in Übereinstimmung mit der zu diesem Zeitpunkt existenten Rechtsprechung stand. Vor diesem Hintergrund wäre es lebensfremd, anzunehmen, die Verfassungswidrigkeit einer Beitragserhebung auf der Grundlage des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. sei für ihn offensichtlich oder ihm gar bewusst gewesen.

(3) Die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Beitragsbescheids ist auch nicht mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Januar 2017 (- 1 BvR 2406/16 u.a. -, juris) als offensichtlich anzusehen. Zwar obliegt danach dem Verbandsvorsteher eines Zweckverbands nach Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG die Pflicht, das eigene Handeln zu jeder Zeit kritisch auf seine Grundrechtskonformität hin zu überprüfen und auch vermeintlich sichere Überzeugungen zur Disposition zu stellen (a.a.O., Rz. 10). Aus den vorstehend dargelegten Gründen folgt indes nicht, dass der Beklagte als Ergebnis dieser Überprüfung zwangsläufig zu einer Auffassung, die der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg entgegenlief, hätte gelangen müssen.

(4) Etwas anderes lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 12. November 2015 die Verfassungsbeschwerden für "offensichtlich begründet" gehalten hat. Allein hieraus kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass der betroffene Beitragsbescheid auch offensichtlich rechtswidrig war und dass der Beklagte dies eindeutig erkannte und von dessen Rechtswidrigkeit ausging.

Das Verdikt, eine Verfassungsbeschwerde sei "offensichtlich begründet", beruht auf der Regelung des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Nach dieser Norm kann die Kammer des Bundesverfassungsgerichts anstelle des Senats einer Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet und die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden ist. Das Offensichtlichkeitskriterium in § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG und die Frage, wann die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts im Rahmen der Frage, ob das in § 130 Abs. 1 AO angelegte Rücknahmeermessen auf null reduziert ist, offensichtlich ist, sind nicht identisch. Beiden Begriffen liegen unterschiedliche Maßstäbe zugrunde.

Das Bundesverfassungsgericht selbst hat sich - soweit ersichtlich - bislang nicht zu der Frage verhalten, welche Anforderungen an das Merkmal der "offensichtlichen" Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zu stellen sind und statuiert in den jeweiligen Entscheidungen zumeist apodiktisch, dass eine offensichtliche Begründetheit der Verfassungsbeschwerde vorliegt (vgl. Lenz/Hansel, BVerfGG, 2. Auflage 2015, § 93c Rn. 15 m.w.N.; Schenk, in: Burkiczak/ Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 93c Rn. 4). Es lässt aber zu, dass die Offensichtlichkeit aufgrund einer vorgängigen gründlichen Prüfung unter allen rechtlichen Gesichtspunkten ermittelt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996 - 2 BvF 2/93 -, juris, Rz. 41 für den Fall der offensichtlichen Unbegründetheit in § 24 Satz 1 BVerfGG). Dementsprechend geht der wohl überwiegende Teil der Literatur davon aus, dass es nicht Voraussetzung ist, dass die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde "auf der Hand liegt" oder sie auf den ersten Blick erkennbar sein müsste (vgl. nur Scheffczyk, in: BeckOK BVerfGG, 6. Edition, Stand: 1. Dezember 2018, § 93c Rn. 10; Lenz/Hansel, a.a.O., Rn. 17). Entscheidend ist, dass die Kammer ihre senatsgleiche Entscheidungskompetenz nur dann ausübt, wenn sie ausschließen kann, dass der Senat oder ein anderer Spruchkörper des Bundesverfassungsgerichts eine andere Auffassung vertreten würde (Lenz/Hansel, a.a.O.; ähnlich Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand: 20. EL Juni 2001, § 93 c Rn. 17; Scheffczyk, a.a.O.). Folglich dient das Offensichtlichkeitskriterium in erster Linie der (gerichtsinternen) Abgrenzung der Entscheidungskompetenz der Senate und Kammern des Bundesverfassungsgerichts. Aus der Perspektive der Kammer muss sowohl die verfassungsrechtliche Vorentscheidung eindeutig sein als auch die Anwendung auf den Einzelfall - gegebenenfalls nach einer ausführlichen Prüfung - derart feststehen, dass auszuschließen ist, dass der Senat des Bundesverfassungsgerichts zu einer abweichenden Entscheidung gelangen würde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass über die Perspektive des Bundesverfassungsgerichts hinaus die Verfassungswidrigkeit der infrage stehenden Maßnahme auch für einen externen Dritten in dieser Art und Weise erkennbar, sie also "offenkundig" sein müsste.

cc) Darüber hinaus ist das Rücknahmeermessen des Beklagten nicht deswegen auf null reduziert, weil anderenfalls ein Verstoß gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 LV verankerten allgemeinen Gleichheitssatz vorliegen würde.

Zwar kann im Rahmen des § 130 Abs. 1 AO eine derartige Ermessensreduzierung dann gegeben sein, wenn die Behörde in gleich gelagerten Fällen die dort betroffenen Bescheide aufhebt. Dann findet eine Selbstbindung der Verwaltung statt und die Ablehnung eines entsprechenden Antrags führt zu einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 LV. Im vorliegenden Fall ist es jedoch nicht ersichtlich und wurde auch seitens der Klägerin nicht substantiiert vorgetragen, dass der Beklagte in gleich gelagerten Fällen bestandskräftige Beitragsbescheide nach § 130 Abs. 1 AO aufgehoben hat.

Die Klägerin ist auch nicht deswegen in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 LV verletzt, weil sie - sollte der Beitragsbescheid vom 15. April 2015 nicht aufgehoben werden - ohne einen sachlichen Grund mehr zur Refinanzierung der Aufwendungen des Zweckverbands beigetragen hätte, als diejenigen beitragspflichtigen "Altanschließer", deren Bescheide am 17. Dezember 2015 noch nicht in Bestandskraft erwachsen waren und im Rechtsbehelfsverfahren aufgehoben wurden.

Zwar liegt insoweit eine Ungleichbehandlung innerhalb einer im Wesentlichen vergleichbaren sozialen Gruppe vor, nämlich derjenigen Beitragspflichtigen, bei denen zum Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheids eine hypothetische Festsetzungsverjährung eingetreten war und die deswegen nicht mehr zu einem Beitrag hätten herangezogen werden dürfen. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch sachlich gerechtfertigt: Sie folgt aus der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, dass auch rechtswidrige Verwaltungsakte in Bestandskraft erwachsen können. Die Bestandskraft von Verwaltungsakten ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Verwaltungsakte sind ebenso wie gerichtliche Entscheidungen aus Gründen der Rechtssicherheit auf Beständigkeit angelegt; sie müssen zur Sicherung ihrer Effizienz und des Rechtsfriedens nach einer bestimmten Zeit, in der sie den dazu berufenen Organen zur inhaltlichen Kontrolle ausgeliefert sind, unangreifbar werden. Dies ist ein rechtsstaatliches Erfordernis, um die aus Gründen der Rechtssicherheit gebotene Stabilität von Verwaltungsentscheidungen zu gewährleisten (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 -, juris, Rzn. 53 ff., insbes. Rz. 58; BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1979 - 6 C 70.78 -, juris, Rz. 35; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 35. EL September 2018, § 74 Rn. 5; Brenner, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 74 Rn. 5 f. m.w.N.). Das Rechtsinstitut der Bestandskraft dient dazu, im konkreten Einzelfall Rechtssicherheit zu schaffen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dem Grundgesetz - wie bereits erwähnt - keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt zu entnehmen, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben (siehe nur BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 -, juris, Rz. 33). Dies gilt auch für bestandskräftige Verwaltungsakte, deren Rechtsgrundlage gegen Verfassungsrecht verstößt. Bei einem Verfassungsverstoß der Verwaltung ist es einem Bürger zuzumuten, hiergegen mit den gegebenen Rechtsmitteln, notfalls mit der Verfassungsbeschwerde vorzugehen (BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966, a.a.O., Rz. 14). Die in § 130 Abs. 1 AO vorgesehene Möglichkeit, rechtswidrige Verwaltungsakte zurückzunehmen, dient nicht dazu, die Folgen eines nicht eingelegten oder nicht weiterverfolgten Rechtsbehelfs auszugleichen. Geht ein Kläger nicht mit den gegebenen Rechtsmitteln und notfalls im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen den ursprünglichen Beitragsbescheid vor, ist die Ablehnung der nachträglichen Korrektur regelmäßig ermessensfehlerfrei, sofern nicht unter Berücksichtigung aller Umstände die Durchführung eines Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens billigerweise unzumutbar erscheint (vgl. BFH, Urteil vom 23. September 2009 - XI R 56/07 -, juris, Rz. 24; VG Frankfurt [Oder], Urteil vom 18. April 2018, a.a.O., Rz. 39; VG Cottbus, Urteil vom 10. September 2018, a.a.O., Rz. 28). Dementsprechend liegt der sachliche Grund für die geltend gemachte Ungleichbehandlung gerade darin, ob die betroffenen Beitragsschuldner von den ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln - gegebenenfalls bis zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde - Gebrauch gemacht haben. Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass es der Klägerin unzumutbar war, diese Rechtsbehelfe zu ergreifen. Vielmehr hätte sie trotz eines etwaigen Kostenrisikos an der damaligen Klage festhalten können. Dies gilt auch dann, wenn angesichts der vorstehend genannten obergerichtlichen Rechtsprechung die Erfolgsaussichten der Klage gering erscheinen mussten. Etwas anders ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 2016 (1 BvR 2322/14, juris). Aus diesem folgt nicht, dass es unzumutbar gewesen wäre, ein Rechtsbehelfsverfahren durchzuführen. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich entschieden, dass es ausnahmsweise im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg mit dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde vereinbar war, diese gegen eine im einstweiligen Rechtsschutz ergangene Entscheidung vor Erschöpfung des Rechtswegs zu erheben, weil eine Klage als von vornherein aussichtslos erscheinen musste (a.a.O., Rz. 12). Das besagt aber nicht, dass seinerzeit die Adressaten von (rechtswidrigen) Beitragsbescheiden von Rechtsbehelfen absehen durften.

dd) Weiterhin ist die Aufhebung des Bescheids nicht deshalb geboten, weil sich die Berufung des Beklagten auf die Unanfechtbarkeit als Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben darstellte. Als treuwidrig bzw. als Verstoß gegen die guten Sitten erweist sich die Ablehnung des Wiederaufgreifens etwa dann, wenn der Betroffene durch ein Verhalten der Behörde "veranlasst" worden ist, von der Einlegung eines Rechtsmittels abzusehen, wobei es allerdings nicht ausreicht, dass diese ihn nur in einer falschen Rechtsansicht bestärkt hat. Ebenfalls reicht es nicht aus, wenn die Nichtverfolgung von Rechtmitteln im Wesentlichen auf eigenen Überlegungen zum Prozess- und Kostenrisiko beruht hat (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Januar 2007, a.a.O., Rz. 8). Anhaltspunkte für ein derartiges Verhalten des Beklagten zeigt die Klägerin nicht auf und dafür ist in ihrem Falle auch nichts ersichtlich.

Auf den richterlichen Hinweis in dem Verfahren VG 8 K 1273/15 kann sich die Klägerin mit dem Ziel einer Reduzierung des Ermessens aus § 130 Abs. 1 AO nicht berufen. Den richterlichen Hinweis muss sich der Beklagte nicht mit der Folge zurechnen lassen, dass sich deswegen die Ablehnung der Rücknahme des Verwaltungsaktes als treuwidrig erweisen würde. Denn den Vorwurf der Treuwidrigkeit muss er sich nur für eigenes, zumindest seinem Einflussbereich unterliegendes Handeln entgegen halten lassen. Dazu zählen richterliche Hinweise in einem gerichtlichen Verfahren nicht.

Abgesehen davon ist die Klägerin durch den Hinweis auch nicht dazu bestimmt worden, die Klage zurückzunehmen. Der Hinweis ist allgemein gehalten und hat nur zum Inhalt, dass die Erfolgsaussichten der Klage zweifelhaft sein dürften. Die Klägerin hat sich damit in ihrem nachfolgenden Schriftsatz vom 15. September 2015 auseinandergesetzt und unter anderem auch auf das Gutachten S ... verwiesen. Dies hat die damalige Berichterstatterin zu dem weiteren Hinweis veranlasst, dass dieses Gutachten bekannt sei und dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 28. August 2015 - OVG 9 N 8.15 - (n.v.) es abgelehnt habe, beitragsrechtliche Verfahren wegen der beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerden von Altanschließern auszusetzen. Erst daraufhin, also in Kenntnis des genannten Gutachtens sowie bereits anhängiger Verfassungsbeschwerden, hat die Klägerin die Klage zurückgenommen. Dies unterstreicht, dass es sich dabei um eine eigenständige und eigenverantwortliche Entscheidung, die nicht auf einer unzutreffenden Belehrung oder Empfehlung durch das Gericht beruhte, gehandelt hat.

ee) Auch ist das Rücknahmeermessen nicht deswegen auf null reduziert, weil das Beharren des Beklagten auf der Bestandskraft des betroffenen Beitragsbescheids deswegen rechtsmissbräuchlich wäre, weil er ohnehin nach dem Staatshaftungsgesetz zu einer Aufhebung des Bescheids oder zu einer Rückzahlung des Betrags verpflichtet wäre. Der Beklagte hat vielmehr im Rahmen des § 130 Abs. 1 AO eine eigenständige, nicht mit § 1 Abs. 1 StHG vergleichbare, Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. VG Frankfurt [Oder], Urteil vom 18. April 2018, a.a.O., Rz. 44; VG Cottbus, a.a.O., Rz. 32). Ob der Klägerin im Übrigen überhaupt ein Anspruch gemäß § 1 Abs. 1 StHG zusteht, ist zumindest zweifelhaft (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 17. April 2018, a.a.O., nicht rechtskräftig). Der Erfolg eines solchen Begehrens liegt keineswegs "auf der Hand".

ff) Dass in dem einschlägigen Fachrecht, hier also dem Brandenburgischen Kommunalabgabengesetz, eine bestimmte Richtung der über die Rücknahme zu treffenden Entscheidung in der Weise vorgegeben wäre, dass das Ermessen regelmäßig nur zu Gunsten der Rücknahme des Verwaltungsakts rechtmäßig ausgeübt werden könnte, ist nicht ersichtlich. Dem mit dem bestandskräftig gewordenen Beitragsbescheid veranlagten Grundstück der Klägerin wird durch die dauerhaft gesicherte Anschlussmöglichkeit an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung des Zweckverbandes, dem der Beklagte vorsteht, ein Vorteil gewährt und der Anschlussbeitrag darf lediglich wegen des Eintritts der hypothetischen Festsetzungsverjährung nicht mehr erhoben werden. Dem Grunde nach war die Klägerin jedoch beitragspflichtig, woran der Umstand, dass das Grundstück bereits vor dem 1. Januar 2000 über eine rechtlich gesicherte tatsächliche Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung verfügt hat, nichts geändert hat (so auch VG Frankfurt [Oder], Urteil vom 18. April 2018, a.a.O., Rz. 40; VG Cottbus, Urteil vom 10. September 2018, a.a.O., Rz. 29).

d) Es liegt auch kein Ermessensfehler vor, der die Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung des Antrags vom 16. Februar 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO rechtfertigen würde. Den ihm zustehenden Ermessensspielraum hat der Beklagte erkannt und das Ermessen ausweislich der angefochtenen Bescheide auch ausgeübt. Dass die Ermessensausübung fehlerhaft wäre, ist nicht zu erkennen. Die Klägerin selbst rügt nicht, dass sich der Beklagte auf sachfremde Erwägungen gestützt oder berücksichtigungsbedürftige Umstände des Einzelfalles außer Acht gelassen hätte. Im Übrigen ist es in aller Regel ermessensfehlerfrei, wenn die Behörde dem Aspekt der Rechtssicherheit im Rahmen ihrer Ermessensausübung den Vorzug gibt, sofern nicht die Aufrechterhaltung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes schlechthin unerträglich und damit das Wiederaufgreifens- oder Rücknahmeermessen auf null reduziert ist. In einem solchen Fall bedarf es auch keiner ins Einzelne gehender Ermessenserwägungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 C 9.11 -, juris, Rz. 29; Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 -, juris, Rz. 30; vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 13. Juni 2000 - 13 S 1378/98 -, juris, Rz. 21).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Der Rechtsstreit betrifft eine noch nicht geklärte Rechtsfrage, die entscheidungserheblich für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle ist, die derzeit beim Verwaltungsgericht rechtshängig sind. Die Klärung dieser Rechtsfrage liegt daher im allgemeinen Interesse und eine Entscheidung im Berufungsverfahren wird voraussichtlich dazu führen, dass die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten wird.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß § 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG auf 1 558 € festgesetzt.