LG Berlin, Beschluss vom 08.04.2019 - 84 T 321/18
Fundstelle
openJur 2020, 40044
  • Rkr:
Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts Wedding vom 14. September 2018 wird geändert. Dem Insolvenzverwalter wird untersagt, den Anspruch des Schuldners gegen seine Verlobte M. F. auf Auskehr des Arbeitslosengeldes II einzuziehen, das vom Jobcenter Berlin-Reinickendorf für den Schuldner auf ihr Konto DE ...14 gezahlt wird.

Gründe

I.

Der Schuldner bildet zusammen mit seiner Verlobten eine Bedarfsgemeinschaft, der Leistungen nach dem SGB II bewilligt sind. Das Jobcenter leistet sämtliche Zahlungen auf das Konto der Verlobten; der Schuldner selbst verfügt nicht über ein Konto. Mit Schreiben vom 31. Januar 2018 forderte der Insolvenzverwalter die Verlobte auf, das auf den Schuldner entfallende Arbeitslosengeld II dem Insolvenzkonto zuzuführen. Der Schuldner beantragte am 15. Februar 2018 zu Protokoll der Geschäftsstelle, den Insolvenzverwalter anzuweisen, ihm die Zahlungen des Jobcenters zu belassen. Mit Schreiben vom 16. April 2018 beantragte er ergänzend, Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO für die auf dem Konto seiner Verlobten eingehenden Sozialleistungen zu gewähren oder diese Sozialleistungen entsprechend § 850k Abs. 2 Nr. 1b ZPO pfändungsfrei zu stellen.

Mit Beschluss vom 14. September 2018 hat das Insolvenzgericht die Anträge des Schuldners zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Pfändungsschutz für Kontoguthaben ausschließlich durch die Einrichtung eines Pfändungsschutzkontos gewährt werde. Richte der Schuldner kein eigenes Pfändungsschutzkonto ein, verzichte er auf den gesetzlichen Pfändungsschutz.

Gegen diesen Beschluss hat der Schuldner mit Schreiben vom 27. September 2009 sofortige Beschwerde eingelegt. Das Insolvenzgericht hat nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 4, 36 Abs. 4 Satz 1 InsO, 569, 793 ZPO zulässig. Das Rechtsmittel ist insbesondere statthaft, da das Insolvenzgericht den angefochtenen Beschluss als besonderes Vollstreckungsgericht erlassen hat.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Dem Schuldner ist auf seinen Antrag nach §§ 4 InsO, 765a ZPO für den im Tenor bezeichneten Anspruch Vollstreckungsschutz gegen den Insolvenzverwalter zu gewähren.

Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist das Insolvenzgericht für die beantragte Anordnung zuständig. Die Zuständigkeit ergibt sich nicht unmittelbar aus § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO, weil das vom Insolvenzverwalter für die Insolvenzmasse beanspruchte Guthaben nicht zu den Gegenständen gehört, die den Pfändungsschutz der in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO genannten Vorschriften erlangen können. Werden laufende Sozialleistungen auf Weisung des Schuldners an einen Dritten wie hier die Verlobte des Schuldners überwiesen, ist Pfändungsgegenstand nicht die Sozialleistung, sondern der Anspruch des Schuldners gegen den Dritten auf Auszahlung des treuhänderisch vereinnahmten Geldes (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2007 - VII ZB 15/07 -, NJW 2007, 2703 Rdn. 13). Das Insolvenzgericht ist aber in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO für die beantragte Anordnung zuständig, weil der Schuldner einen Vollstreckungsschutzantrag nach §§ 4 InsO, 765a ZPO gestellt hat. Die Vorschrift des § 765a ZPO ist im Insolvenzverfahren entsprechend anwendbar (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 - IX ZB 91/12 -, NZI 2014, 414 Rdn. 11; BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008 - IX ZB 77/08 -, NZI 2009, 48 Rdn. 14). Zuständig für die Entscheidung über einen Vollstreckungsschutzantrag ist das Insolvenzgericht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2007 - IX ZB 34/06 -, NZI 2008, 93 Rdn. 10).

Der Antrag ist auch begründet. Nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 4 InsO, 765a Abs. 1 ZPO kann dem Schuldner Vollstreckungsschutz gewährt werden, wenn andere Schutzvorschriften erschöpft sind oder nicht in Betracht kommen. Das ist hier der Fall. Die §§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, 850c, 850i ZPO sind nicht anwendbar, weil die Vollstreckung weder Arbeitseinkommen des Schuldners noch seine sonstigen Einkünfte im Sinne dieser Vorschriften betrifft. Der Pfändungsschutz nach §§ 54 Abs. 4 SGB I, 850ff. ZPO greift ebenfalls nicht ein, weil der Anspruch auf Auszahlung der auf das Konto eines Dritten gezahlten Sozialleistung selbst keine Sozialleistung ist. Die §§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, 850k ZPO sind nicht einschlägig, weil der Schuldner kein eigenes Pfändungsschutzkonto unterhält; eine entsprechende Anwendung der Vorschriften auf den Auszahlungsanspruch des Schuldners gegen den Dritten kommt nicht in Betracht.

Die Anwendung des § 765a ZPO ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Schuldner kein Pfändungsschutzkonto nach § 850k ZPO eingerichtet hat. Insbesondere ist das Verhalten des Schuldners nicht ohne weiteres dahin zu verstehen, dass er mit dem Verzicht auf ein Pfändungsschutzkonto zugleich auf jeden Pfändungsschutz und damit auch auf den Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO verzichtet habe. Vielmehr sind die §§ 765a, 850k ZPO grundsätzlich unabhängig voneinander anwendbar (vgl. BVerfG, NJW 2015, 3083 [3084f. Rdn. 21]). Der Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO und der Pfändungsschutz nach § 850k ZPO haben jeweils unterschiedliche Zielrichtungen. Das Pfändungsschutzkonto dient dazu, das aufgelaufene Guthaben schon kraft Gesetzes und ohne besonderen Schutzantrag in Höhe des Freibetrages zu schützen und dadurch das Existenzminimum des Schuldners zu sichern, während § 765a ZPO als Generalklausel den Schutz des Schuldners vor Eingriffen bezweckt, die zu einem nach Abwägung aller betroffenen Interessen nicht mehr vertretbaren Ergebnis führen würden (vgl. LG Saarbrücken, VuR 2014, 69 [70]).

Die Voraussetzungen des Vollstreckungsschutzes nach §§ 4 InsO, 765a Abs. 1 ZPO sind gegeben. Dem Schuldner ist zur Vermeidung einer unangemessenen Härte der Anspruch gegen seine Verlobte auf Auskehr des Arbeitslosengeldes II zu belassen, das für ihn auf ihr Konto eingezahlt wird. Der Schuldner hat mit der Anweisung an den Sozialleistungsträger, die auf ihn entfallenden Leistungen auf das Konto seiner Verlobten zu überweisen, keine Verfügung zugunsten eines außenstehenden Dritten getroffen. Der Zweck dieser Anweisung liegt nicht darin, Vermögen auf andere Personen zu verschieben oder vor dem Zugriff der Gläubiger in Sicherheit zu bringen. Sie hat vielmehr im Wesentlichen abwicklungstechnischen Charakter. Der Schuldner und seine Verlobte bilden eine sozialhilferechtliche Bedarfsgemeinschaft, für deren Vorstand nach § 38 Abs. 1 SGB II grundsätzlich die Vermutung der Vollmacht zum Empfang von Leistungen für die übrigen Mitglieder besteht. Dementsprechend macht der Sozialleistungsträger von der Möglichkeit Gebrauch, sämtliche der Bedarfsgemeinschaft zustehenden Sozialleistungen an die von ihr bevollmächtigte Verlobte des Schuldners zu zahlen. Diese Verfahrensweise dient der Vereinfachung der Verwaltungsabläufe, weil der Sozialverwaltung nur ein Ansprechpartner gegenübersteht, und ist deshalb vom Gesetzgeber ausdrücklich erwünscht. Der Vollstreckungsschutz für den Auszahlungsanspruch des Schuldners gegen seine Verlobte stellt sicher, dass die Sozialleistung dennoch an den Schuldner als den Empfänger gelangt, für den sie bestimmt ist.

Die Insolvenzgläubigern entsteht kein unverhältnismäßiger Nachteil, wenn der Auszahlungsanspruch des Schuldners gegen seine Verlobte nicht zur Insolvenzmasse gezogen werden kann. Das Arbeitslosengeld II dient dazu, das Existenzminimum des Schuldners zu sichern. Für diese Leistung könnte der Schuldner in voller Höhe Pfändungsschutz beanspruchen, wenn sie auf ein Pfändungsschutzkonto nach § 850k ZPO gezahlt würde. Der Schutz vor der Vollstreckung kann dem Schuldner auch nicht unter Verweis darauf versagt werden, dass es ihm jederzeit offenstehe, ein Pfändungsschutzkonto einzurichten. Die Einrichtung eines eigenen Kontos für den Schuldner wäre notwendig damit verbunden, dass die Leistungen an die Bedarfsgemeinschaft nicht mehr in einer Zahlung an die Verlobte des Schuldners als Bevollmächtigte erbracht werden könnten, sondern an den Schuldner und seine Verlobte getrennt gezahlt werden müssten. Schon deshalb kann es dem Schuldner nicht zum Nachteil ausschlagen, wenn er die Eröffnung eines Pfändungsschutzkontos unterlässt, das in erster Linie den Pfändungsschutz für ihn selbst vereinfachen soll. Es wäre im Gegenteil untragbar, wenn der Auszahlungsanspruch des Schuldners der Insolvenzmasse zuflösse. Denn damit würde im Ergebnis die zur Existenzsicherung des Schuldners bestimmte Sozialleistung verwandt, um seine Insolvenzgläubiger zu befriedigen, während sein Bedarf nach wie vor bestünde und nur durch weitere Sozialleistungen zu sichern wäre.

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