KG, Beschluss vom 25.10.2019 - 1 Ws 86/19
Fundstelle
openJur 2020, 39698
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts Z., wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 23. August 2019 aufgehoben.

Der Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts Berlin vom 23. Oktober 2018 wird dahingehend abgeändert, dass dem Beschwerdeführer weitere 152,32 € als Pflichtverteidigervergütung aus der Landeskasse Berlin zu gewähren sind.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Rechtsanwalts Z. verworfen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Der Beschwerdeführer ist dem Angeklagten zum Pflichtverteidiger bestellt worden.

Neben anderen Pflichtverteidigergebühren und -auslagen hat er mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2018 die Erstattung einer zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4116 VV RVG (Längenzuschlag) in Höhe von 128,00 € sowie eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV RVG in Höhe von 201,00 € beantragt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat es abgelehnt, diese beiden Gebühren festzusetzen. Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Rechtsanwalts hat das Landgericht Berlin durch den Einzelrichter mit Beschluss vom 23. August 2019 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung des Landgerichts Berlin wendet sich der Rechtsanwalt mit seiner Beschwerde. Die Einzelrichterin des Senats hat die Sache mit Beschluss vom 25. September 2019 auf den Senat übertragen.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist sie rechtzeitig eingelegt worden (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) und der Beschwerdewert ist erreicht (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG).

2. Die Beschwerde ist begründet, soweit sich der Rechtsanwalt gegen die Absetzung des Längenzuschlags wendet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

a) Dem Beschwerdeführer steht die zusätzliche Gebühr für den Hauptverhandlungstermin am 9. Oktober 2018 gemäß Nr. 4116 VV RVG zu, weil er mehr als fünf Stunden an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts (vgl. Beschlüsse vom 10. Dezember 2009 - 1 Ws 162/09 -, vom 23. Mai 2007 - 1 Ws 36/07 - und 8. November 2005 - 4 Ws 127/05 -) ist für die Stundenberechnung der anberaumte Hauptverhandlungstermin maßgebend, wenn der Rechtsanwalt zu diesem Zeitpunkt anwesend ist. Zur Vermeidung von Streitigkeiten wurde und wird allerdings empfohlen (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 8. November 2005 - 4 Ws 127/05 -) aktenkundig zu machen, dass der Rechtsanwalt zum anberaumten Termin anwesend war, bzw. bei seiner etwaigen Verspätung den Zeitpunkt seines Erscheinens festzuhalten.

Hier war der Hauptverhandlungstermin auf den 9. Oktober 2018 um 9.00 Uhr terminiert. Die Anwesenheit des Rechtsanwalts ... ist im Protokoll mit dem Klammerzusatz "anwesend seit 9:10 Uhr" festgestellt. Die Hauptverhandlung begann um 9.25 Uhr und endete um 14.06 Uhr. Ausweislich des Protokolls war Rechtsanwalt ... folglich 4 Stunden und 56 Minuten und damit nicht mehr als fünf Stunden anwesend. Da sich der im Protokoll enthaltene Vermerk "anwesend seit 9.10 Uhr" nicht auf Vorgänge in der Hauptverhandlung selbst erstreckt, entfaltet er keine formelle Beweiskraft im Sinne von § 274 StPO (vgl. Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Auflage, § 274 Rdnr.14). Er erbringt jedoch einen Anscheinsbeweis dafür, dass der Rechtsanwalt erst um 9.10 Uhr verhandlungsbereit im Sitzungssaal erschienen ist. Dieser Anscheinsbeweis kann aber grundsätzlich durch einen substantiierten und schlüssigen Vortrag des Rechtsanwalts erschüttert werden. Rechtsanwalt ... trägt hier vor, er sei pünktlich um 9.00 Uhr vor dem Verhandlungssaal anwesend gewesen. Ob er seine Aktentasche im Gerichtssaal abgestellt habe, könne er nicht erinnern. Er habe sich dann jedenfalls auf dem Flur in Rufweite aufgehalten, um mit dem noch nicht anwesenden Mandanten zu telefonieren. Einen Aufruf zur Sache hätte er gehört und wäre dem unverzüglich nachgekommen. Unmittelbar nach dem Telefonat habe er die Protokollführerin darüber informiert, dass er den Mandanten telefonisch erreicht habe, dieser sich auf dem Weg befinde und in Kürze eintreffen werde. Da der pünktlich erschienene Rechtsanwalt - anders als der verspätete Rechtsanwalt - grundsätzlich nicht die Verpflichtung hat, sich sofort in den Sitzungssaal zu begeben, sondern lediglich dafür zu sorgen hat, dass er sich in Hörweite des Gerichtssaales aufhält, um einem Aufruf zur Sache unmittelbar und ohne jegliche Verzögerung folgen zu können, ist dieser Vortrag des Rechtsanwalts geeignet, den aus dem protokollierten Vermerk "anwesend seit 9.10 Uhr" resultierenden Anscheinsbeweis zu erschüttern. Da die Protokollführerin ihrerseits auf Nachfrage erklärt hat, sie habe an diesen Tag keinerlei Erinnerung mehr und könne nur auf ihr geführtes Protokoll verweisen, ist der aus dem Protokollvermerk resultierende Anscheinsbeweis durch den anwaltlich versicherten Vortrag des Rechtsanwalts widerlegt, so dass davon auszugehen ist, dass der Rechtsanwalt pünktlich um 9.00 Uhr verhandlungsbereit vor dem Gerichtssaal stand und einem Aufruf zur Sache jederzeit hätte Folge leisten können.

Für die Berechnung der Dauer der Teilnahme des Beschwerdeführers an der Hauptverhandlung ist folglich auf den in der Ladung bestimmten Zeitpunkt, nämlich 9.00 Uhr abzustellen. Da die Sitzung um 14.06 Uhr endete, hat der Rechtsanwalt mehr als 5 Stunden an der Hauptverhandlung teilgenommen und hat daher einen Anspruch auf Erstattung des geltend gemachten Längenzuschlags nach Nr. 4116 VV RVG in Höhe von 128,00 € zuzüglich 19 % Umsatzsteuer, also von insgesamt weiteren 152,32 €.

b) Dem Rechtsanwalt steht jedoch keine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG zu, da die von ihm vorgetragene Tätigkeit, nämlich das Anstellen von Nachforschungen hinsichtlich der technischen Geräte zur Überprüfung des insoweit angegebenen Wertes sowie die Prüfung des Facebook Profils des Zeugen H. auf Fotos von technischem Equipment, um gegebenenfalls nachweisen zu können, dass sich die Geräte auch noch nach dem Tatzeitpunkt im Besitz des Zeugen befanden, Teil der allgemeinen Verteidigertätigkeit war und bereits durch die Gebühr nach § 4112 VV RVG vergütet wird. Soweit der Rechtsanwalt vorträgt, er habe seinen Mandanten darauf hingewiesen und entsprechend beraten, dass im Falle einer Verurteilung eine Einziehung des Wertersatzes gemäß § 73c StGB in Höhe der vermeintlichen Tatbeute von 3.383,00 € in Betracht komme, war diese Beratung nach Aktenlage nicht geboten. Allein der Umstand, dass im Falle der Verurteilung eine derartige Maßnahme gegebenenfalls in Betracht kommen könnte, reicht für die Entstehung der Gebühr nicht aus (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2008 - 1 Ws 123/08 -; Burhoff in Gerold /Schmidt, RVG 24. Auflage, Nr. 4142 VV RVG Rdnr. 12). Weder hat die Staatsanwaltschaft einen Antrag nach § 73c StGB gestellt, noch hat das Gericht zu irgendeinem Zeitpunkt den Angeklagten darauf hingewiesen, dass er seine Verteidigung darauf einzurichten habe, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c StGB in Betracht komme. Das Gericht wäre aber, wenn es eine Maßnahme nach § 73c StGB in Betracht gezogen hätte, verpflichtet gewesen, einen derartigen rechtlichen Hinweis zu erteilen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 27. Juni 2018 - 2 OLG 6 Ss 28/18 -), so dass der Angeklagte seine Verteidigung darauf hätte einrichten und sein Verteidiger ihn entsprechend hätte beraten können. Tatsächlich war eine Maßnahme nach § 73c StGB zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Strafverfahrens (vgl. Fromm, JurBüro 2019, 59), so dass eine entsprechende Beratung nicht geboten war.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.