LG Berlin, Urteil vom 18.10.2016 - 16 S 19/15
Fundstelle
openJur 2020, 39624
  • Rkr:
Tenor

1. Das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 13. März 2015 - 206 C 338/14 - wird geändert und die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 955,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Juli 2014 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Gegen das ihr am 17. März 2015 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. April 2015 (Eingang per Fax am selben Tag) Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 17. Juni 2015 (Eingang per Fax am selben Tag) begründet.

Die Klägerin meint, das Amtsgericht habe den Umfang der sekundären Darlegungslast verkannt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 955,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, sie sei ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen. Zu weiteren Nachforschungen sei sie nicht verpflichtet.

II.

Die gemäß §§ 511, 517, 529, 520 ZPO statthafte, form- und fristgerecht erhobene und damit zulässige Berufung ist begründet.

1.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte aus §§ 97, 16 UrhG ein Schadenersatzanspruch wegen unerlaubter Vervielfältigung des Films "Stadt der Gewalt" zu.

Die Klägerin hält die ausschließlichen Videorechte an dem oben genannten Film für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Das ergibt sich aus ihrer vom Amtsgericht im unstreitigen Tatbestand festgestellten Nennung auf dem Cover in Verbindung mit dem Vertrag, den sie mit der der M. II P. BV abschloss. Die Angabe auf dem Cover der DVD stellt auch außerhalb des § 10 UrhG eine gewichtiges Indiz dafür dar, dass die Klägerin Rechte am dem Werk inne hält. Dem als Anlage K 5 vorgelegten Vertrag ist zu entnehmen, dass es sich u. a. um Rechte für Home Video Rental und Home Video Sell-Thru handelt. Von der diesbezüglichen Rechtsinhaberschaft der Klägerin ist daher auszugehen, zumal die Beklagte über das Bestreiten mit Nichtwissen hinaus keine substantiellen Einwendungen gegen die vorgelegten Unterlagen erhebt.

Die Beklagte verletzte das mit der Übertragung der genannten Rechte einhergehende exklusive Verwertungsrecht der Klägerin schuldhaft, indem sie den Film über ein Tauschbörsenprogramm jedem anderen Teilnehmer dieses Programms zur Verfügung stellte und damit vervielfältigte. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Klägerin das Recht des öffentlichen Zugänglichmachens in Form von generellen Onlinerechten oder in Form des Rechts auf Verwertung des Films in peer-to-peer-Netzwerken zustand, sondern dass die Beklagte durch die Verletzungshandlung in dasjenige Ausschließlichkeitsrecht der Klägerin eingriff, das die Klägerin tatsächlich erworben hatte. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass durch das Bereitstellen eines Films in Internettauschbörsen das der Klägerin exklusiv zustehende Verwertungsrecht (Videorecht) eine erhebliche Beeinträchtigung erfährt. Das Abstellen auf die Auswirkungen, die von der als rechtsverletzend gerügten Handlung auf das Ausschließlichkeitsrecht ausgehen, ist deswegen gerechtfertigt, weil das Verbietungsrecht des Rechteinhabers weiter reicht als sein positives Benutzungsrecht (BGH GRUR 1992, 697, 698 - Alf). Deshalb ist es nicht von Bedeutung, dass die Klägerin nicht auch über die ausschließlichen Nutzungsrechte im gesamten Online-Bereich und damit auch nicht über das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung verfügt, denn ihre Rechtsposition in Bezug auf die Verwertung mittels Datenträgern (DVD) oder elektronischer Übermittlung wird durch die öffentliche Zugänglichmachung über Online-Tauschbörsen in erheblichem Umfang beeinträchtigt (LG Düsseldorf, Urteil vom 11. März 2015 - 12 S 21/14 -, Rn. 16, juris).

Dass die Beklagte den Film im Rahmen eines Tauschbörsenprogramms unerlaubt anbot, folgt aus den Ermittlungen der Fa. G. in Verbindung mit der Auskunft der ... Soweit die Beklagte bestreitet, dass die Fa. G. die IP-Adresse fehlerfrei ermittelte, steht dies ihrer Inanspruchnahme nicht entgegen. Die Bezugnahme auf die Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 05. Mai 2011 - 16 O 55/11 - ist unbehelflich, denn Gegenstand des unter diesem Aktenzeichen geführten Verfügungsverfahrens war eine wettbewerbsrechtliche Streitigkeit über Äußerungen. Über die tatsächliche Qualität der eingesetzten Software ist damit nichts gesagt. Konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Fehlerhaftigkeit der eingesetzten Software sind nicht ersichtlich. Die Klägerin hat die Ermittlungsabläufe ausführlich vorgetragen, ohne dass die Beklagte konkrete Beanstandungen erhoben hätte. Zudem erwiesen sich die Ermittlungen auch dann als zutreffend, wenn einer der Söhne den Film über ein Tauschbörsenprogramm hochgeladen hätte. Die Klägerin selbst schließt nicht aus, dass es sich so verhielt.

Die Beklagte haftet für die Rechtsverletzung als Täterin.

Täter ist, wer die Tathandlung selbst begeht. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt die Klägerin. Allerdings spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen diesen Internetanschluss benutzen konnten. Eine die tatsächliche Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist anzunehmen, wenn der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. In diesen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt zwar weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und ggfls. welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber zu Nachforschungen verpflichtet (BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 - I ZR 75/14 - Rdnr. 37 - Tauschbörse III -).

Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast hier nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Da ihr im Umfang ihrer sekundären Darlegungslast eine Nachforschungspflicht obliegt, genügt es nicht, die Personen, die zu ihrem Internetanschluss Zugang hatten, nur abstrakt und ohne Bezug zum konkreten Verletzungszeitpunkt zu benennen. Jedenfalls hinsichtlich ihrer nicht dauerhaft im Haushalt lebenden Söhne ... und ... erforderte die Nachforschungspflicht zumindest ein Befragen dazu, ob sie sich zur Tatzeit überhaupt in ihrer Wohnung aufhielten. Zwar lag der Tag, an dem die Verletzungshandlung begangen wurde, im Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung schon mehrere Monate zurück (Tatzeit 22. Januar 2010, Abmahnung 07. Juni 2010). Das schließt es aber nicht aus, dass sich die An- oder Abwesenheit der Söhne noch nachträglich rekonstruieren ließ, bspw. anhand markanter Daten wie Urlaub oder Familienereignissen oder weil die eigene Wohnung vorübergehend nicht zur Verfügung stand, wie es bspw. bei Sanierungsarbeiten der Fall ist. Darüber hinaus gebot es die Nachforschungspflicht aber auch unabhängig davon, die Söhne zur Abmahnung zu befragen. Da dies nicht geschehen ist, kam die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast unter Berücksichtigung der ihr obliegenden Nachforschungspflicht nicht im gebotenen Umfang nach. Mithin bleibt es bei der Vermutung, wonach in erster Linie der Anschlussinhaber selbst als Täter in Betracht kommt.

Die Beklagte handelte schuldhaft, denn Schuldausschließungsgründe sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.

Der nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie geltend gemachte Schaden ist mit 400,00 € angemessen bewertet. Das Bestreiten der Schadenshöhe im Schriftsatz vom 18. Februar 2015 ist unsubstantiiert, da die Beklagte keinen ihrer Ansicht nach angemessenen Betrag entgegen setzt. Gleichwohl sei zur Schadenshöhe noch auf die nachfolgenden Gesichtspunkte hingewiesen. Maßgeblich ist der Betrag, den vernünftige Parteien für die konkrete Nutzung vereinbart und bezahlt hätten. Bei der hier in Rede stehenden Nutzung des Films in Tauschbörsen begegnet die auf dieser Grundlage vorzunehmende Schadensschätzung insofern Schwierigkeiten, als die Verbreitung des Films über Tauschbörsen keine abgrenzbare Nutzungsart darstellt und damit einer Lizenzierung entzogen ist. Auf "benachbarte" Nutzungsarten wie bspw. dem Vertrieb des Werkes durch kostenpflichtiges Herunterladen kann allenfalls im Ansatz zurückgegriffen werden. Die Besonderheit von Tauschbörsen liegt im Gegensatz zu den herkömmlichen körperlosen Distributionswegen nämlich in der unkontrollierten und unkontrollierbaren exponentiellen Vervielfältigungsrate. Da jeder der in dem Netzwerk verbundenen Computer die Datei mit dem Empfang zugleich auch hochlädt, verbreitet sich das Werk nicht nur über Gebühr schnell, sondern auch an eine unbestimmte Vielzahl von Empfängern. Der BGH hat bei Musiktiteln eine im Rahmen der Schadensschätzung unterstellte Abrufrate von 400 Aufrufen gebilligt (BGH aaO Rdnr. 53). Selbst wenn man bei Spielen wegen der größeren Datenmenge von einer geringeren Aufrufrate von bspw. 200 Aufrufen ausgeht, erwiese sich ein Betrag von 2,00 € pro Aufruf keinesfalls als übersetzt.

Die Schadenersatzforderung ist nicht verjährt.

Die Verjährung beginnt mit dem Ende des Jahres zu laufen, in dem der Rechteinhaber Kenntnis von der Rechtsverletzung und der Person des Verletzers erlangt. Das war hier der Ablauf des 31. Dezember 2010. Der Anspruch wäre danach am 01. Januar 2014 verjährt gewesen. Die Frist wurde jedoch gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB durch den am 06. Dezember 2013 zugestellten Mahnbescheid gehemmt. Die Hemmung endete sechs Monate nach der letzten Verfahrenshandlung, § 204 Abs. 2 BGB. Die letzte Verfahrenshandlung der Klägerin lag hier, nachdem die Beklagte am 19. Dezember 2013 Widerspruch eingelegt hat, in der Entrichtung der am 20. Dezember 2013 bei der Klägerin erforderten Kosten. Eine erste Zahlung über 32,00 € datiert vom 03. Februar 2014, eingegangen am 04. Februar 2014, die zweite über 127,00 € vom 15. Juli 2014. Das liegt damit noch innerhalb der gehemmten Verjährungsfrist (03. Februar 2014 + 6 Monate = 03. August 2014). Verjährung ist damit nicht eingetreten.

2.

Da sich die Abmahnung aus den vorstehend genannten Gründen als berechtigt erwies, schuldet die Beklagte gemäß § 97 a UrhG a. F. zusätzlich Ersatz der Abmahnkosten in der geltend gemachten und nicht bestrittenen Höhe.

Dass die Klägerin ihren Unterlassungsanspruch nicht gerichtlich durchsetzte, steht der Berechtigung der Forderung nicht entgegen. § 97 a UrhG a. F. knüpft den Erstattungsanspruch nur an die Berechtigung der Abmahnung, nicht daran, dass sich der Abgemahnte tatsächlich unterwirft oder der Verletzte einen gerichtlichen Titel erlangt. Die Klägerin nachvollziehbar dargelegt, dass sie von der weiteren Verfolgung ihres Unterlassungsanspruchs deshalb abgesehen habe, weil keine weiteren Rechtsverletzungen über den Anschluss der Beklagten begangen wurden und im relevanten Zeitraum eine Vielzahl von Urheberrechtsverletzungen zu beobachten gewesen sei. Anders wäre die Sache möglicherweise nur dann zu beurteilen, wenn die Klägerin schon bei Ausspruch der Abmahnung eine notfalls auch gerichtliche Durchsetzung ihres Unterlassungsanspruchs ausgeschlossen hätte. Dafür fehlt jeder Anhaltspunkt.

Soweit die Beklagte geltend macht, die Klägerin sei gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten zur Bezahlung der durch seine vorprozessuale Tätigkeit ausgelösten Honorarforderung nicht verpflichtet, weil der Vergütungsanspruch inzwischen verjährt sei, verhilft ihr dieser Einwand nicht zum Erfolg. Der Auftrag, den die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten zur Erwirkung eines Mahnbescheids erteilte, umfasste auch die Abmahnkosten. Er ist deshalb als ein verjährungshemmendes Anerkenntnis der Klägerin gegenüber dem Vergütungsanspruch ihres Prozessbevollmächtigten zu werten. Die Kammer teilt dazu die Rechtsansicht des OLG Köln in der Entscheidung vom 20. Dezember 2013 - 6 U 205/12 - (ZUM-RD 2014, 495 Tz. 52, abrufbar über juris). Der BGH hat sich im anschließenden Revisionsverfahren zur Verjährung des Vergütungsanspruchs nicht mehr geäußert, was auf eine Billigung dieser Rechtsauffassung hindeutet (BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 - I ZR 19/14 - Tauschbörse I -).

Zur Verjährungseinrede allgemein wird auf die Ausführungen zu Ziff. 1 verwiesen.

4.

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 288, 291 BGB. Rechtshängigkeit trat hier erst mit Eingang der Akten beim Landgericht ein. Eine rückwirkende Rechtshängigkeit gemäß § 696 Abs. 3 ZPO scheidet aus, weil die Sache nicht alsbald nach der Erhebung des Widerspruchs abgegeben wurde. Die Beklagte hat am 19. Dezember 2013 Widerspruch eingelegt, woraufhin das Amtsgericht 20. Dezember 2013 beim Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Kosten für die weitere Durchführung des Verfahrens erforderte. Die Zahlung wurde erst am 16. Juli 2014 vollständig geleistet mit der Folge, dass die Sache auch erst im Juli 2016 abgegeben wurde. Das ist nicht mehr "alsbald" im Sinne der zitierten Vorschrift.

5.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die tatsächlichen Ausführungen der Beklagten in dem am 19. April 2016 eingegangenen nachgelassenen Schriftsatz rechtfertigen keine andere Entscheidung und geben zu einem Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung keine Veranlassung.

Die tatsächlichen Ausführungen der Klägerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz 10. Mai 2016 tragen die Entscheidung nicht.

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