Brandenburgisches OLG, Urteil vom 11.09.2019 - 11 U 198/18
Fundstelle
openJur 2020, 39331
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 2. Oktober 2018 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus - 6 O 194/17 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht Ansprüche auf Rückabwicklung eines fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrages nach Widerspruch geltend.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil ein Rückzahlungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB sowie ein Anspruch auf die daraus gezogenen Nutzungen gemäß § 818 Abs. 1 BGB nicht in Betracht komme. Der Kläger habe dem wirksam geschlossenen und von ihm im Jahre 2014 gekündigten Versicherungsvertrag ca. 12 Jahre nach Beitragszahlungsbeginn und zwei Jahre nach Kündigung nicht mehr mit Erfolg nach § 5 a Abs. 1 VVG a.F. widersprechen können. Die Regelung des § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. sei auch vor dem Hintergrund europäischen Rechts nicht zu beanstanden. Eine richtlinienkonforme Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut der Bestimmung scheide aus. Diese Erwägungen gälten auch hinsichtlich des Widerspruchsrechts bzw. einer Befristung aus § 8 Abs. 4 VVG a.F..

Im Weiteren sei der Widerspruch nach einem Zeitraum von 12 Jahren ab Vertragsschluss und zuvor bereits erfolgter Kündigung rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte habe sich wegen der über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren erfolgten Beitragszahlung bis zur Kündigung, des im Jahre 2009 beantragten und in 2010 gewährten Policendarlehens ohne Zinsen und der danach u.a. im Jahre 2012 begehrten Änderung auch hinsichtlich der Wahl des Fonds darauf einstellen dürfen, dass der Vertrag Bestand habe. Der Kläger verhalte sich insoweit widersprüchlich, als er den Vertrag über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren erfüllt, daraus "Nutzungen” durch Inanspruchnahme eines Policendarlehens gezogen und Änderungen begehrt sowie in 2014 den Vertrag gekündigt und den Abrechnungsbetrag widerspruchslos entgegengenommen habe, jedoch zwei Jahre später den Widerspruch erklärt habe, weil er nunmehr gemeint habe, der Vertrag sei schwebend unwirksam. Das Verhalten des Klägers habe ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten in den Bestand des Vertrages begründet, ebenso hinsichtlich der Beendigung durch Kündigung. Zudem habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er selbst im Jahre 2014 davon ausgegangen sei, dass der Vertrag nach der Kündigung beendet sei.

Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seine Klageanträge weiterverfolgt. Der Kläger meint, sein Rentenversicherungsvertrag sei im Policenmodell geschlossen worden. Die Beklagte habe unstreitig keine Widerspruchsbelehrung erteilt. Sein Widerspruch sei nicht nach § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. verfristet, weil diese Bestimmung europarechtswidrig sei. Er habe sein Widerspruchsrecht auch nicht verwirkt bzw. die Ausübung seines Widerspruchsrechts sei nicht treuwidrig. Solches könne nur in Ausnahmefällen angenommen werden. Besonders gravierende Umstände, die ausnahmsweise eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Insbesondere seien mehrfache Vertragsänderungen keine solche Umstände. Ebenso seien Teilauszahlungen unproblematisch. Auch der zeitliche Abstand zwischen Kündigung und Rückabwicklungsverlangen stehe nicht entgegen. Der BGH habe insoweit 9 Jahre noch als unproblematisch angesehen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung

1.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 4.863,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Teilbetrag von 3.052,04 € seit dem 30.3.2016, im Übrigen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen weiteren Betrag in Höhe von 1.571,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Teilbetrag von 1.046,46 €, einem Teilbetrag von 201,82 € und einem weiteren Teilbetrag von 323,68 € jeweils seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie meint, der Versicherungsvertrag der Parteien sei nach dem Antragsmodell geschlossen worden. Der Kläger habe den Vertragsschluss nach dem Policenmodell nicht dargelegt und bewiesen. Die Originalvertragsunterlagen habe er nicht vorgelegt. Die Rücktrittsbelehrung sei wirksam. Der Widerspruch sei deshalb verfristet. Zudem hätte der Kläger sein Widerspruchsrecht verwirkt. Auch das hierfür erforderliche Umstandsmoment liege vor.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zutreffend hat das Landgericht das mit der Klage verfolgte Begehren des Klägers, die gezahlten Prämien in voller Höhe zuzüglich der gezogenen Nutzungen (Zinsen) zurückzuerhalten, als unbegründet erachtet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Klageansprüche nicht zu.

Der Kläger hat keinen Rückerstattungsanspruch nach § 812 Abs.1 Satz 1 Alt 1. BGB, da er dem Vertragsschluss nicht wirksam widersprochen hat.

Im Einzelnen:

1. Der Kläger hat mit anwaltlichem Schreiben vom 15.3.2016 den Rücktritt - wohl nach § 8 Abs. 5 VVG in der vom 29.7.1994 bis zum 7.12.2004 gültigen Fassung - sowie den Widerspruch nach § 5a VVG in der vom 8.12.1994 bis zum 31.12.2007 gültigen Fassung (im Folgenden: a.F.) erklären lassen.

Der Wirksamkeit des Rücktritts bzw. des Widerspruchs stehen die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen; der Kläger hat jedenfalls ein etwaiges Recht auf Rücktritt bzw auf Erhebung des Widerspruches verwirkt.

Eine Verwirkung als Unterfall der wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässigen Rechtsausübung kommt in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er hierzu in der Lage war, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Die Annahme einer Verwirkung setzt somit neben dem Zeitablauf das Vorliegen besonderer, ein solches Vertrauen des Verpflichteten begründender Umstände voraus. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles (BGH, WM 2016, 1930; MDR 2016, 1194).

Für das Umstandsmoment der Verwirkung kommt es in erster Linie auf das Verhalten des Berechtigten an. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden. Maßgebend ist insoweit, ob bei objektiver Beurteilung der Verpflichtete dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob er sich also darauf einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen brauche. Der Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden (BGH, MDR 2014, 82). Allerdings stehen das Zeitmoment und das Umstandsmoment insofern in Wechselwirkung zueinander, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (BGH, NJW 2006, 219). Die zeitlichen und sonstigen Umstände des Falles müssen in ihrer Gesamtheit die Beurteilung tragen, dass Treu und Glauben dem Gläubiger die Verfolgung des Anspruchs verwehren, mit dessen Geltendmachung der Schuldner nicht mehr rechnen musste (OLG Düsseldorf, NJW 2014, 1599).

Nach der Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, ist eine Verwirkung auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung möglich (vgl. BGH, Urt. v. 27.1.2016, IV ZR 130/15 und Urt.v. 11.11.2015, IV ZR 117/15 sowie den nachfolgenden Beschluss vom 13.1.2016). In Ansehung dieser Rechtsprechung müssen für die Annahme der Verwirkung eines Widerrufs- oder Widerspruchsrechts besonders gravierende Umstände vorliegen (BGH, Urteil vom 27.1.2016, IV ZR 130/15, LS 2 und Rn. 16). Dies ist hier der Fall.

Zwar können allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlende (oder fehlerhafte) Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. - entsprechendes gilt für § 5a Abs. 1 VVG a.F. - einer Anwendung von § 242 BGB entgegensteht, nicht aufgestellt werden. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (BGH, Beschluss vom 13.1.2016, IV ZR 117/15, LS 1; Beschluss vom 11.11.2015, IV ZR 117/15, Rn. 16 a.E.).

Der vorliegende Fall weist besonders gravierende Umstände im Sinne der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung auf, die die Annahme der Verwirkung gebieten:

Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass allein die Vertragserfüllung durch ihn als Versicherungsnehmer, also die regelmäßige Leistung der Prämien, für die Bejahung eines Verwirkungstatbestandes nicht ausreicht. Dennoch hat der Kläger die regelmäßigen Prämienleistungen über einen Zeitraum von knapp zehn Jahren erbracht, so dass nur noch geringe Anforderungen an das Umstandsmoment zu stellen sind.

Der Kläger hat aber nicht nur den Vertrag durchgeführt, indem er knapp 10 Jahre Beiträge gezahlt und Versicherungsschutz genossen hat. Darüber hinaus hat er auch eine Teilauszahlung veranlasst sowie die Bezugsberechtigung ändern lassen und damit aktiv auf Bestand und Inhalt des Versicherungsvertrages eingewirkt. Ferner hat er nochmals im September 2012 den Vertrag anpassen lassen: Er beauftragte eine Veränderung seiner Beitragshöhe unter Ausschluss zukünftiger Beitragsdynamik und beauftragte zugleich den Wechsel seiner Fonds. Überdies hat der Kläger jedenfalls zunächst ein Policendarlehen in maximaler Höhe gewünscht, für das das Bestehen des Versicherungsvertrages Voraussetzung ist. Auch wenn der Kläger schließlich nicht in der ursprünglich beabsichtigten Höhe, sondern in der relativ geringen Höhe von 341,00 € ein solches Darlehen aufgenommen hat, für das der Bestand des Versicherungsvertrages Voraussetzung ist, hat damit der Kläger sowohl mit seinem ursprünglichen Darlehnsbegehren als auch mit der tatsächlichen Darlehensaufnahme zu erkennen gegeben, dass er auf den Bestand des Versicherungsvertrages setzt und entsprechend disponiert. Auf die von der Beklagten geltend gemachte Nutzung des Vertrages durch den Kläger für steuerliche Zwecke, die nicht belegt ist, kommt es danach nicht mehr an.

Ohne Erfolg wendet der Kläger ein, dass nach der Rechtsprechung des BGH der Umstand, dass der Versicherungsnehmer wiederholt Vertragsänderungen und eine Übertragung des Vertrages auf einen Versicherungsmakler vorgenommen hat, im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung nicht zur Treuwidrigkeit der Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 5a VVG d.F.v. 21.7.1994 führt (BGH, Urteil vom 21.12.2016, IV ZR 217/15). Denn zum einen hat der BGH entschieden, dass dieser Umstand (allein) nicht ausreicht. Zum anderen ergibt sich aus der Entscheidung, dass dieser Umstand selbst sehr wohl von Bedeutung sein kann. So liegt es hier. Denn hier liegen neben dem vorgenannten Umstand zahlreiche weitere Umstände vor, die in der Summe ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten in den Fortbestand des Vertrages bzw. die Endgültigkeit der Vertragsabwicklung nach der Kündigung des Klägers begründen.

Soweit sich der Kläger auf die Entscheidung des BGH vom 27.1.2016 (IV ZR 488/14) beruft, woraus sich ergebe, dass Teilauszahlungen unschädlich seien, greift auch dies nicht durch. Die Entscheidung des BGH verhält sich zur Frage des Erlöschens des Widerspruchsrechts als gesetzlicher Rechtsfolge einer beiderseits vollständigen Leistungserbringung, nicht jedoch zur Wertung der Inanspruchnahme einer Teilauszahlung im Rahmen der Prüfung der Treuwidrigkeit des Versicherungsnehmers. Dass Teilauszahlungen nichts anderes als Policen-Darlehen - die nach der Rechtsprechung des BGH die Treuwidrigkeit der Ausübung des Widerspruchsrechts nicht begründen können (z.B. BGH, Urteil vom 27.1.2016, IV ZR 488/14, Rn. 20; Urteil vom 27.4.2016, IV ZR 200/14, LS 3 und Rn. 15) - seien, ergibt sich nicht aus dieser vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidung, die sich nur zur beiderseits vollständigen Leistungserbringung und zu Policen-Darlehen verhält.

Entgegen der Auffassung des Klägers haben sowohl der BGH (Urteil vom 27.1.2016, IV ZR 488/14) als auch das Kammergericht (Urteil vom 28.2.2017, 6 U 86/16) nicht entschieden, dass Policen-Darlehen generell und in jedem Fall "unproblematisch" im Hinblick auf die Frage der Treuwidrigkeit sind. Vielmehr ging es in beiden Entscheidungen um Policen-Darlehen, die eine Vorauszahlung auf die künftige Versicherungsleistung waren und die die Versicherung entsprechend nach der Kündigung des Versicherungsvertrages mit dem Rückkaufwert verrechnet hat. Im Fall des Kammergerichts lautete sogar die Überschrift des Darlehensvertrages "Vertrag über eine Vorauszahlung (Versicherungsschein-Darlehen)". Im vorliegenden Fall dagegen handelte es sich nach dem Entwurf des Darlehensvertrages (Anlage B 9, Bl. 205 d.A.) in Nr. 2 und 5 um ein Darlehen, das während der Vertragslaufzeit ganz oder teilweise zurückgezahlt werden konnte. Lediglich im Leistungsfall war die Berücksichtigung der noch nicht zurückgezahlten Anteilseinheiten vorgesehen.

Dass die Änderung des Bezugsrechts der Rückabwicklung gleichfalls nicht entgegenstehe, ergibt sich ebensowenig aus der Entscheidung des BGH vom 27.4.2016, IV ZR 200/14, auch wenn sich die Ausgangsentscheidung des Landgerichts Aachen vom 26.10.2012 (9 O 518/11) noch dazu verhält.

Die mangelnde Kenntnis des Betroffenen von seinem Widerrufs- oder Widerspruchsrecht schließt eine Verwirkung nicht aus (BGH, WM 2017, 2248; 2251). Gleiches gilt in dem vorliegenden Fall für den Umstand, dass der Versicherer, "die Situation selbst herbeigeführt hat", weil sie eine formell ordnungsgemäße Widerrufs- oder Widerspruchsbelehrung nicht erteilt hat (siehe zu dieser Problematik klarstellend BGH, Beschluss vom 27.9.2017, IV ZR 506/15).

2. Da die Klage erfolglos ist, hat das Landgericht auch zutreffend den Klageantrag zu 2), gerichtet auf Zahlung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten als unbegründet zurückgewiesen.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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