Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 16.12.2016 - 1 Ws 165/16
Fundstelle
openJur 2020, 39262
  • Rkr:

Eine Aufrechterhaltung der Maßnahme des dinglichen Arrests zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe ist dann nicht mehr verhältnismäßig (§ 111b Abs. 2 Halbsatz 2 StPO), wenn sie über einen derartigen Zeitraum erfolgt ist, dass es dem Verletzten zugemutet werden konnte, innerhalb des abgelaufenen Zeitraumes eigene Sicherungsmaßnahmen außerhalb des Strafrechts zu ergreifen, etwa durch Beantragung eines zivilprozessualen dinglichen Arrestes (vgl. Senat, Beschluss vom 28. September 2015, 1 Ws 114/15 ; LG Halle wistra 2007, 120).

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeklagten R... H... werden der den dinglichen Arrest anordnende Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 9. März 2011 (77 Gs 399/11) und der diesen aufrechterhaltende Beschluss der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam - Wirtschaftsstrafkammer - vom 22. April 2016 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Angeklagten insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Potsdam hat mit Beschluss vom 9. März 2011 (77 Gs 399/11) wegen des Verdachts des banden- und gewerbsmäßigen Betruges nach § 263 Abs. 5 StGB, des Verdachts des gewerbsmäßigen, gewaltsamen und bandenmäßigen Schmuggels (§ 373 AO) in der Variante der bandenmäßigen fortgesetzten Hinterziehung von Einfuhrabgaben und des bandenmäßigen fortgesetzten Bannbruchs (§ 373 Abs. 2 Nr. 3 AO, hier auch in Verbindung mit §§ 373 Abs. 3, 370 Abs. 6 Satz 1, Abs.7 AO), des Verdachts von Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz in besonders schweren Fällen nach § 95 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 lit. c) AMG und wegen des Verdachts des Verstoßes gegen § 143 Markengesetz gem. §§ 111b Abs. 2, Abs. 5, 111d, 111e Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 73 Abs. 1 Satz 1 u. 2, 73 Abs. 3, 73a StGB, §§ 370, 372 bis 374 AO zur Sicherung der den Verletzten aus den Straftaten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche für das Land Brandenburg - Gläubiger - den dinglichen Arrest in Höhe von 288.140,67 Euro in das private Vermögen des Angeklagten H... als Schuldner angeordnet. Zugleich hat es bestimmt, dass durch die Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe von 288.140,67 Euro die Vollziehung des Arrests gehemmt werde und der Schuldner berechtigt sei, die Aufhebung des vollzogenen Arrests zu beantragen.

Den Gründen des Beschlusses vom 9. März 2011 zufolge soll eine Tätergruppierung um die gesondert Verfolgten M..., Me... W..., L... u. a. über die Internetseite "www.p....com" in der Bundesrepublik Deutschland und andernorts illegale Arzneimittel, u. a. Imitate der Arzneimittel "Viagra", "Cialis", "Levitra" und das Schlankheitsmittel "Lida", vertrieben haben.

Bei den Arzneimitteln "Viagra", "Cialis" und "Levitra" handelt es sich um apotheken- und verschreibungspflichtige Potenzmittel, die bei erektiler Dysfunktion eingenommen werden. In Deutschland und weltweit sind in diesem Bereich vor allem die drei vorgenannten Produkte auf dem Markt. Das Produkt "Viagra" ist das des Pharmaunternehmens "P...", "Cialis" das des Unternehmens "L..." und "Levitra" das des Unternehmens "B...".

Den Beschlussgründen ist weiter zu entnehmen, dass auf der "P...-Seite" ein sogenanntes Partnerprogramm angeboten werde. Hier nähmen Personen teil, die über diverse Tätigkeiten im Internet (Gestaltung von eigenen Internetseiten mit Verlinkung zu den Hauptshopseiten, Versand von Spam-Mails, Einträge in Blogs, Foren und Gästebüchern) in großem Umfang Kundenakquise und so für einen erhöhten Arzneimittelabsatz der Tätergruppierung sorgen. Eine vom Käufer ausgeführte Bestellung enthalte die Kennung des "vermittelnden" Webmasters, so dass dem Webmaster dieser Umsatz angerechnet werde. Für jede erfolgreich abgewickelte Bestellung erhalte der Webmaster eine vorher vereinbarte Provision vom Umsatz.

Die Käufer sollen den Kaufpreis für den Erwerb der illegalen Arzneimittel zunächst auf ein Konto in Deutschland gezahlt haben. Die Tätergruppierung habe mehrfach ihre Methode bezüglich des Inkassos der Kundenzahlungen und der Weiterverteilung des Erlöses an die vermittelnden Webmaster und die Bandenchefs verfeinert und verändert. Derzeit würden Kundenzahlungen unter anderem auf Konten von Tarnfirmen und mutmaßlichen Strohmännern in Zypern und Rumänien vorgenommen, die Provisionszahlungen erfolgten nunmehr vornehmlich durch Überweisung von ausländischen Konten an die Webmaster. Damit würden sich die illegalen Arzneimittelhändler dem direkten Zugriff durch die deutschen Behörden entziehen.

Der Angeklagte H... soll unter den Kennungen "e..." und "m..." als Teilnehmer am P...-Partnerprogramm registriert und als Webmaster für das P...-Netzwerk tätig gewesen sein. Als Webmaster "e..." soll er im Zeitraum von März 2009 bis April 2010 bei über 6955 Bestellungen einen Umsatz von 530.356,27 Euro erzielt und dafür Provisionen von insgesamt 188.702,19 Euro erhalten haben. Als Webmaster "m..." soll er im Zeitraum von Oktober 2008 bis April 2010 bei über 4098 Bestellungen einen Umsatz in Höhe von 298.925,89 Euro erzielt und Provision in Höhe von insgesamt 99.438,48 Euro erlangt haben. Hieraus ergäbe sich der Betrag des insgesamt Taterlangten in Höhe von 288.140,97 Euro. Das Amtsgericht hat die Ansicht vertreten, dass der dingliche Arrest zur Sicherung der zivilrechtlichen Ansprüche der Verletzten und des staatlichen Anspruchs auf Verfall in der oben genannten Höhe anzuordnen sei. Es sei zu befürchten, dass die spätere Vollstreckung dieser Ansprüche durch Vermögensverschiebungen vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Arrestbeschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 9. März 2011 verwiesen.

In Abt. III ldf. Nr. 2 des Grundbuchs von S..., Blatt 5767, ist aufgrund des Ersuchens der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 14. März 2011, das seine Grundlage in dem dinglichen Arrest vom 9. März 2011 hat, seit dem 6. April 2011 eine Sicherungshypothek im Höchstbetrag von 100.000,00 Euro für das Land Brandenburg eingetragen, die (nur) auf dem Anteil in Abt. I Nr. 2.2 des benannten Grundbuchs, dem ½-Miteigentumsanteil des Angeklagten lastet.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat am 6. April 2011 für die Gläubigerinnen P... Inc., N..., USA, und die P... Products Inc., G..., C..., USA, einen Arrestbefehl gegen den Angeklagten als Schuldner erlassen. Aufgrund des Arrestbefehls sind mittels verschiedener Pfändungsbeschlüsse angebliche Forderungen und Ansprüche des Schuldners gegen das Land Brandenburg als Drittschuldner gepfändet worden, so beispielsweise mit Pfändungsbeschlüssen des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. April 2011, 6. Mai 2011 und 15. Juni 2011.

Mit einem für vollstreckbar erklärten Anwaltsvergleich vom 10./20. Juni 2013 hat der Angeklagte gegenüber den Gläubigerinnen "P... Inc." und "P... Products Inc." anerkannt, diesen einen Betrag in Höhe von 77.592,90 Euro zu schulden.

Unter dem Datum des 11. Juli 2013 haben die Verfahrensbevollmächtigten der Firmen "B..." und "L..." gegenüber der Staatsanwaltschaft Potsdam mitgeteilt, dass durch sie nicht beabsichtigt sei, hinsichtlich der Strafverfahren gegen den Angeklagten und andere Adhäsionsanträge zu stellen. Vielmehr sei angedacht, die Beschuldigten anzuschreiben, dabei zur Auskunft aufzufordern und ggf. ein selbständiges zivilrechtliches Vorgehen hieran anzuschließen.

Mit Beschluss vom 20. Januar 2014 hat die 5. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam - Wirtschaftsstrafkammer - gemäß § 111g Abs. 2 StPO die Zwangsvollstreckung der Geschädigten "P... Inc." und "P... Products Inc." in die durch den dinglichen Arrest vom 9. März 2011 gesicherten Vermögenswerte des Angeklagten zugelassen.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 4. Juli 2014 haben die Verfahrensbevollmächtigten der "P... Inc." und "P... Products Inc." gegenüber der Staatsanwaltschaft Potsdam mitgeteilt, dass auf Grundlage des Zulassungsbeschlusses vom 20. Januar 2014 Ansprüche ihrer Mandantinnen gegen den Angeklagten aus dem Anwaltsvergleich vom 10./20. Juni 2013 vollstreckt worden seien. Der Vergleich habe eine Abgeltungsklausel dergestalt enthalten, dass die restlichen Ansprüche der Mandantinnen "P... Inc." und "P... Products Inc." gegen den Angeklagten erlassen würden, wenn dieser einen Teilbetrag in Höhe von 23.000,00 Euro zahle. Dieser Betrag sei aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen vollständig erfüllt worden.

Mit Beschluss vom 14. Oktober 2014 hat die 5. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Potsdam die Anklage der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 14. Juni 2013 gegen den Angeklagten sowie gegen drei weitere Angeklagte mit der dem Angeklagten die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB), bandenmäßiger gewerbsmäßiger Betrugs (§ 263 Abs. 1 u. 5 StGB), Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz und das Markengesetz sowie die Beihilfe zur Einfuhr verbotener Gegenstände zur Last gelegt wird, zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren gegen den Angeklagten sowie gegen die weiteren drei Mitangeklagten vor sich eröffnet. Ein Termin zur Hauptverhandlung, die ursprünglich am 2. Juli 2015 beginnen sollte, ist bislang nicht bestimmt.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 19. Dezember 2015 hat der Angeklagte hinsichtlich der zu Gunsten des Landes Brandenburg in Abt. III lfd. Nr. 2 des Grundbuchs von S... auf den hälftigen Anteil des Angeklagten eingetragenen Sicherungshypothek die Erklärung der Freigabe, bzw. deren Löschung beantragt, da die Sicherungshypothek nicht werthaltig sei. Er trägt dazu vor, dass in Abt. III lfd. Nr. 1 zugunsten der finanzierenden Bank I... eine Sicherungsgrundschuld über 395.000,00 Euro eingetragen sei. Die Forderung der Bank liege mit 330.709,55 Euro deutlich über einem erzielbaren Verkaufspreis in Höhe von "lediglich" 250.000,00 Euro.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 22. Februar 2016 begehrt der Angeklagte die Aufhebung der Arrestmaßnahmen insgesamt. Mit Anwaltsschriftsatz vom 18. April 2016 hat der Angeklagte noch einmal klargestellt, dass zwei Anträge vorliegen würden, und zwar die Aufhebung aller Arrestmaßnahmen wegen Zeitablaufs sowie die Löschung bzw. Freigabe der Sicherungsgrundschuld mangels Werthaltigkeit.

Mit Beschluss vom 22. April 2016 hat die 5. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Potsdam die Anordnung des dinglichen Arrests in das private Vermögen des Angeklagten in Höhe von 288.140,67 € gemäß Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 9. März 2011 aufrechterhalten. Über den Antrag des Angeklagten auf Freigabe, bzw. Löschung der Sicherungshypothek hat die Kammer nicht entschieden. Sie meint diesbezüglich, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde obliege und hier dem Rechtspfleger übertragen sei.

Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit Anwaltsschriftsatz vom 22. Mai 2016 Beschwerde eingelegt und diese dezidiert begründet. Der Angeklagte meint, dass die Sicherungshypothek mangels Werthaltigkeit zu löschen sei. Überdies sei der Arrest nicht mehr verhältnismäßig. Die Arrestdauer betrage fast 5,5 Jahre. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seien vor drei Jahren abgeschlossen und vor drei Jahren Anklage erhoben worden. Der Sachverhalt sei dem Gericht aus anderen Verfahren mit gleichem, bzw. ähnlichem Sachverhalt vollständig bekannt. Es gäbe bereits mehrere rechtskräftige Urteile zu diesem Sachverhalt. Ein Termin für eine Hauptverhandlung sei bislang nicht bestimmt worden. Mit Anwaltsschriftsatz vom 26. Mai 2016 hat der Angeklagte seine Beschwerdebegründung ergänzt und in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass er von der "B... AG" sowie der Firma "E... L... " vor dem Landgericht Hamburg (312 O 543/14 und 312 O 545/14) auf Auskunft und Schadenersatz in vorläufiger Höhe von 300.000,00 Euro (B... AG) und 1.300.00,00 Euro (E... L... ) in Anspruch genommen werde.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 9. Juni 2016 hat der Angeklagte die Strafkammer darüber informiert, dass durch das Amtsgericht Gelnhausen die Zwangsversteigerung des im Grundbuch von S... Blatt 5767 eingetragenen Grundstücks, deren Eigentümer er zu ½-Anteil ist, wegen eines dinglichen Anspruchs auf 395.000,00 Euro aus dem Recht in Abt. III Nr. 1 nebst den Kosten der gegenwärtigen Rechtsverfolgung angeordnet worden ist.

Mit Beschluss vom 12. September 2016 hat die 5. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Potsdam der Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss vom 22. April 2016 nicht abgeholfen und hat die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Am 29. September 2016 hat das Amtsgericht Gelnhausen dem Verteidiger des Angeklagten mitgeteilt, dass der Sachverständige den Verkehrswert für das Versteigerungsobjekt mit 265.000,00 Euro geschätzt habe. Die Einzelwerte betragen danach für jeden ½-Miteigentumsanteil 132.500,00 Euro.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit ihrer Stellungnahme vom 21. Oktober 2016 beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 9. März 2011, durch den der dingliche Arrest in Höhe von 288.140,67 Euro in das private Vermögen von R... H... angeordnet worden ist, dahin zu ändern, dass der dingliche Arrest in Höhe von 77.592,90 Euro aufrechterhalten bleibt.

II.

1. Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde gegen den Beschluss der Strafkammer vom 22. April 2016 ist formgerecht (§ 306 Abs. 1 StPO) bei Gericht angebracht worden.

2. Die Beschwerde ist begründet.

Für eine Aufrechterhaltung des mit Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 9. März 2011 angeordneten dinglichen Arrests (77 Gs 399/11) dinglichen Arrests im Umfang von 77.592,90 Euro besteht kein Sicherungsbedürfnis mehr. Im Übrigen erweist sich die weitere Aufrechterhaltung der Maßnahme als nicht mehr verhältnismäßig.

a) Nach § 111b Abs. 2 StPO kann, wenn Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen für den Verfall von Wertersatz vorliegen, zu deren Sicherung nach § 111d StPO der dingliche Arrest angeordnet werden. Dies gilt nach § 111b Abs. 5 StPO auch dann, wenn der Verfall nur deshalb nicht angeordnet werden kann, weil die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB vorliegen. Damit ist auch im Wege der Rückgewinnungshilfe die Anordnung des dinglichen Arrestes nach § 111b Abs. 2 StPO zulässig. Auch in diesem Fall lässt § 111b Abs. 5 StPO die Sicherstellung nach § 111d Abs. 1 StPO und § 111d Abs. 2 StPO zu (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. § 111b Rdnr. 5 m.w.N.). Zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe kann ein dinglicher Arrest dann angeordnet werden, wenn ohne die Sicherungsmaßnahme die Gefahr besteht, dass die Geschädigten ihre Ersatzansprüche nicht mehr durchsetzen können (OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 2005, 111 f.). Zudem muss die Maßnahme verhältnismäßig sein, was aus § 111b Abs. 2, Halbsatz 2 StPO folgt.

Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt der Anordnung des dinglichen Arrests am 9. März 2011 vor, im Zeitpunkt der Aufrechterhaltung des dinglichen Arrestes durch die 5. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam am 22. April 2016 lagen sie indes nicht mehr vor.

b) Für eine Forderung in Höhe von 77.592,90 Euro bestand bereits kein Sicherungsbedürfnis mehr, so dass die Arrestforderung bereits um diesen Betrag zu mindern gewesen wäre.

Für die Aufrechterhaltung des dinglichen Arrests in diesem Umfang bestand ein Sicherungsbedürfnis deshalb nicht mehr, weil eine mittels Rückgewinnungshilfe zu sichernde Forderung in Höhe von 77.592,90 Euro spätestens seit Mitte des Jahres 2014 durch Erfüllung/Erlass erledigt ist. Der Betrag in Höhe von 77.592,90 Euro entspricht dem in dem zwischen dem Angeklagten und den Firmen "P... Inc." und "P... Products Inc." am 10./20. Juni 2013 geschlossenen vollstreckbaren Anwaltsvergleich und der in dem Vergleich vom Angeklagten anerkannten Forderung. Auf diese hat der Angeklagte 23.000,00 Euro gezahlt. Nach § 8 des Vergleichs (Abgeltungsklausel) sind die Ansprüche der Gläubigerinnen (des Vergleichs) gegen den Schuldner aus den Sachverhalten, die Gegenstand des Arrestverfahrens vor dem Landgericht Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-03 O 174/11) und der in der Präambel genannten Ermittlungsverfahren abgegolten. Dies haben die Verfahrensbevollmächtigten der Firmen "P... Inc." und "P... Products Inc." seit Mitte 2014 dem Gericht (mehrfach) mitgeteilt und gegenüber dem Gericht daher auch angefragt, was mit dem über die 23.000,00 Euro hinaus "überzahlten" Betrag in Höhe von 8.159,71 Euro geschehen soll.

c) Soweit sich die Maßnahme insgesamt als nicht mehr verhältnismäßig erweist, folgt dies aus der grundrechtskonformen Abwägung des Sicherstellungsinteresses des Staates mit der Eigentumsposition des von der Maßnahme Betroffenen (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2004, 2 BvR 1135/03, juris).

aa) Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist für die Bestimmung des Beurteilungsmaßstabes vorliegend von Bedeutung, dass nahezu das gesamte Vermögen des Angeklagten H... sichergestellt worden ist und die Sicherstellung allein zum Zweck der Rückgewinnungshilfe erfolgt ist. Welcher Beurteilungsmaßstab für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in diesen Fällen anzulegen ist, hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung zuletzt am 17. April 2015 entschieden (BVerfG JR 2015, 540 [542]) und wie folgt ausgeführt:

"Art. 14 Abs. 1 GG schützt nicht nur den Bestand der Eigentumsposition, sondern auch deren Nutzung. Die Entziehung von deliktisch erlangtem Eigentum als Nebenfolge einer strafrechtlichen Verurteilung beruht auf der Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums durch das Strafgesetzbuch (vgl. BVerfGE 110, 1 <24f.>). Sicherungsmaßnahmen des strafprozessualen Arrests zur Rückgewinnungshilfe sind von Verfassungs wegen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. An die Zumutbarkeit und an das Verfahren einer Anordnung nach §§ 111ff. StPO sind aber besondere Anforderungen zu stellen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das möglicherweise strafrechtlich erlangte Vermögen zu einem Zeitpunkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht besteht und noch nicht über die Strafbarkeit entschieden worden ist. Das Eigentumsgrundrecht verlangt in diesen Fällen eine Abwägung des Sicherstellungsinteresses des Staates mit der Eigentumsposition des von der Maßnahme Betroffenen. Je intensiver der Staat schon allein mit Sicherungsmaßnahmen in den vermögensrechtlichen Freiheitsbereich des Einzelnen eingreift, desto höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung dieses Eingriffs. Im Hinblick darauf, dass es sich um eine lediglich vorläufige Maßnahme aufgrund eines Tatverdachts handelt, steigen die Anforderungen mit der Dauer der Nutzungs- und Verfügungsbeschränkung (vgl. BVerfGK 5, 292 <301>). Wird im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Einzelnen entzogen, fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht lediglich eine Vermutung, dass es sich um strafrechtlich erlangtes Vermögen handelt. Vielmehr bedarf es einer besonders sorgfältigen Prüfung und einer eingehenden Darlegung der dabei maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung, damit der Betroffene gegen diese Rechtsschutz suchen kann (vgl. BVerfGK 5, 292 <301>)."

Dieser Beurteilungsmaßstab gilt bei der Frage, ob der bereits angeordnete dingliche Arrest fortzudauern hat, ebenfalls, da die Voraussetzungen bei einer Prüfung der Fortdauer vorliegend die selben wie für die Anordnung des dinglichen Arrests sind.

bb) Unter Zugrundelegung des vorgenannten Beurteilungsmaßstabs sowie unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles - insbesondere des eingetretenen Zeitablaufes - ist der Eigentumsposition des Angeklagten gegenüber dem Sicherungsinteresse ein Vorrang einzuräumen.

Auch wenn wegen der jeweiligen Besonderheiten nicht für jeden Fall ein konkreter zur Unzulässigkeit der Maßnahmen führender Zeitablauf bestimmt werden kann (BVerfG, Beschluss vom 07.06.2005, 2 BvR 1822/04, juris, Rdnr. 54 m.w.N.), ergibt sich aus den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen auch, dass der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens nicht durch Umstände, die aus der Sphäre des Staates kommen, verzögert werden darf, weil sonst nämlich eine durch die Sache nicht mehr gebotene und damit unverhältnismäßige Belastung des Betroffenen entsteht (OLG Köln, Beschluss vom 2. September 2013, III-2 Ws 311/13, juris).

So liegt der Fall hier. Eine unverhältnismäßige Belastung des Angeklagten als dem von der Maßnahme Betroffenen ist aufgrund aus der Sphäre des Staates kommender Verfahrensverzögerungen inzwischen eingetreten.

Die Arrestanordnung, die eine vorläufige Maßnahme ist, dauert bereits mehr als fünf Jahre an. Die ihr zugrunde liegenden Taten liegen inzwischen mindestens mehr als sechseinhalb Jahre und teils mehr als acht Jahre zurück. Unter dem Datum des 14. Juni 2013 hat die Staatsanwaltschaft Potsdam Anklage erhoben. Nach der Eröffnung des Hauptverfahrens durch die 5. große Strafkammer am 14. Oktober 2014, mithin ca. ein Jahr und vier Monate nach Anklagerhebung, war zunächst ein Hauptverhandlungsbeginn im Juli 2015 beabsichtigt. Ein Hauptverhandlungstermin ist jedoch bis heute nicht bestimmt worden. Dieser Umstand, wie der von der Kammer angeführte Umstand der starken Belastung, deren Kapazität unter anderem durch weitere Verfahren aus dem Komplex "P..." gebunden gewesen sei und ist, ist keiner, den sich der Angeklagte entgegenhalten lassen muss. Dass die Sache bislang nicht terminiert worden ist, entstammt nicht dem Sphärenbereich des Angeklagten, der nach dem Akteninhalt zum äußeren Tatgeschehen geständig sein soll, sondern der Sphäre der Justiz. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nach dem Nichtabhilfebeschluss vom 12. September 2016 Gespräche mit Verteidigern stattgefunden haben sollen. Denn eine Terminsbestimmung hatten auch die Gespräche offenbar nicht zur Folge. Zudem war der Verteidiger des Angeklagten an den Gesprächen am 12. September 2016 nicht beteiligt.

Dass die Sache von der Kammer in rechtlicher Hinsicht und nunmehr auch in tatsächlicher Hinsicht als äußerst kompliziert bewertet wird und die Erledigung weiterer Verfahren mittelbar der Betreibung des vorliegenden Verfahrens dienen soll, lässt dreieinhalb Jahre nach Anklageerhebung und zwei Jahre und zwei Monate nach Eröffnung des Hauptverfahrens nicht die Beurteilung zu, die eingetretenen Zeitverzögerungen entstammten nicht der Sphäre der Justiz, zumal nach dem Beschwerdevorbringen auch bereits rechtskräftige Verurteilungen aus dem Komplex vorliegen sollen. Die für die Eigentumsposition des Angeklagten sprechenden Umstände werden nicht dadurch aufgewogen, dass der Angeklagte einer der erfolgreichsten Webmaster gewesen sein und Provisionen in Höhe von insgesamt 288.140,67 Euro erlangt haben soll.

d) Neben der Unverhältnismäßigkeit aufgrund des Zeitablaufes ist die Maßnahme, soweit sie der Sicherung der Realisierung von Ansprüchen der Firmen "B..." und "L..." dient, auch vor dem Hintergrund einer reduzierten Schutzbedürftigkeit dieser beiden Verletzten nicht mehr verhältnismäßig.

aa) Solange die strafprozessualen Maßnahmen - wie hier - alleine der Rückgewinnungshilfe dienen, bemisst sich die von Verfassungs wegen für den Beschwerdeführer hinzunehmende Dauer der mit dem Eigentumseingriff verbundenen staatlichen Hilfe jedenfalls auch nach den Möglichkeiten der Geschädigten, die einstweilen gesicherten angeblichen Ansprüche gegen den von der Maßnahme Betroffenen geltend zu machen und durchzusetzen. Das Sicherstellungsbedürfnis reduziert sich mit dem Ausmaß der vorwerfbaren Untätigkeit derjenigen, zu deren Gunsten die Sicherstellung vorgenommen wird. Bei der von den Fachgerichten von Verfassungs wegen vorzunehmenden Abwägung sind daher bei der Gewichtung des Sicherstellungsbedürfnisses jedenfalls die Anzahl der Geschädigten, deren Kenntnis des Schädigers und der schädigenden Umstände sowie die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 07.06.2005, 2 BvR 1822/04, juris Rdnr. 55).

bb) Neben den Firmen "P... Inc." und "P... Produkts Inc." sind als Verletzte noch die Firmen "B..." und "L..." ersichtlich. Der Angeklagte war diesen beiden Verletzten spätestens Anfang Juli 2013 bekannt. Zu diesem Zeitpunkt war den Verfahrensbevollmächtigten von "B..." und "L..." von der Staatsanwaltschaft Potsdam die Anschrift des Angeklagten mitgeteilt worden. Der Angeklagte wurde neben anderen Beklagten von beiden Firmen vor dem Landgericht Hamburg verklagt, wobei die Klagen am 30.12.2014 erhoben worden sind.

cc) Anhaltspunkte dafür, dass "B..." und "L..." tatsächlich zur Rechtsdurchsetzung nicht in der Lage gewesen wären, gibt es nicht.

dd) Bei der Frage der rechtlichen Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung stellen sich die Klageerhebungen durch "B..." und "L..." vor dem Landgericht Hamburg erst Ende des Jahres 2014 als nicht ausreichend dar, um dem Sicherungsbedürfnis der Verletzten gegenüber der Eigentumsposition des Angeklagten einen Vorrang einzuräumen.

aaa) Die Rückgewinnungshilfe ist Vollstreckungshilfe. Sie soll dem Verletzten den Zugriff auf das strafprozessual gesicherte Vermögen erleichtern. Sie dient nicht der Befriedigung des Verletzten. Der Zugriff des Verletzten auf den beschlagnahmten oder gepfändeten Gegenstand setzt voraus, dass er gegen den Täter einen mindestens vorläufig vollstreckbaren Titel (Urteil, einstweilige Verfügung, dinglicher Arrest) erwirkt hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 111g Rn. 2; BGH, Urteil vom 06.04.2000, IX ZR 442/98, juris, OLG Nürnberg, Beschluss vom 16.04.2013, 2 Ws 533/12, juris), wobei die strafprozessuale Anordnung der Rückgewinnungshilfe das zivilprozessuale Sicherungsbedürfnis nicht entfallen lässt (OLG Nürnberg a.a.O. Rdnr. 74; KG NStZ-RR 2010, 179, nach juris Rdnr. 5; OLG Oldenburg NStZ 2012, 348, nach juris Rdnr. 4).

bbb) Eine Aufrechterhaltung der Maßnahme des dinglichen Arrests zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe ist dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn sie über einen derartigen Zeitraum erfolgt ist, dass es dem Verletzten zugemutet werden konnte, innerhalb des abgelaufenen Zeitraumes eigene Sicherungsmaßnahmen außerhalb des Strafrechts zu ergreifen, etwa durch Beantragung eines zivilprozessualen dinglichen Arrestes (vgl. Senat, Beschluss vom 28. September 2015, 1 Ws 114/15 ; LG Halle wistra 2007, 120).

Anhaltpunkte dafür, dass den Firmen "B..." und "L..." unter Berücksichtigung des in § 804 Abs. 3 ZPO verankerten zwangsvollstreckungsrechtlichen Prioritätsprinzips (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rdnr. 5, Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., 2014, § 111g Rdnr. 21) wie auch der Tatsache, dass die Firmen "P... Inc." und "P... Products Inc." bereits im April 2011 einen zivilrechtlichen dinglichen Arrest in das Vermögen des Angeklagten ausbringen konnten, dies selbst nicht möglich war (vgl. dazu LG Halle, Beschluss vom 26.09.2006, 26 KLs 25/06, juris Rdnr. 5), gibt es nicht. Vollstreckungs- oder Vollziehungsmaßnahmen der Verletzten "B..." und "L...", wie auch Anträge auf Zulassung der Zwangsvollstreckung nach § 111g StPO in das aufgrund des Beschlusses vom 9. März 2011 sichergestellte Vermögens des Angeklagten, sind nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass über die "P... Inc." und "P... Products Inc." sowie "B..." und "L..." weitere Verletzte Vollstreckungs-/Vollziehungsmaßnahmen vorgenommen, bzw. die Zulassung der Zwangsvollstreckung nach § 111g StPO aufgrund des Beschlusses vom 9. März 2011 beantragt haben, gibt es nicht.

e) Dass die Strafkammer über den weiteren Antrag des Angeklagten H... auf Freigabe/Löschung der Sicherungshypothek nicht entschieden hat, erweist sich als rechtfehlerhaft.

Mangels einer Entscheidung der Kammer über diesen Antrag ist die Beschwerde des Angeklagten H... insoweit beim Senat nicht angefallen. Erst die Entscheidung nach § 111f Abs. 5 StPO kann mit der Beschwerde angefochten werden (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 111f Rdnr. 17).

Für die zu treffende Entscheidung ist weder die Staatsanwaltschaft noch der Rechtspfleger, sondern, da die öffentliche Klage erhoben ist, allein die Strafkammer als das mit der Hauptsache befasste Gericht zuständig (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 111f. Rdnr. 16). Denn der Antrag des Angeklagten betrifft nicht die Frage der Vollziehung des Arrests oder - wie die Kammer meint - das "Wie" der Zwangsvollstreckung. Sein Begehren beinhaltet die Anfechtung einer in Vollziehung des Arrests getroffenen Maßnahme, hier die Eintragung der Sicherungshypothek im Grundbuch. Insoweit kann der Betroffene nach § 111f Abs. 5 StPO jederzeit die Entscheidung des Gerichts beantragen. Diese Vorschrift stellt klar, dass mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung alle Einwendungen gegen Maßnahmen in Vollziehung der Beschlagnahme oder des Arrests im strafprozessualen Rechtsweg erledigt werden (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rdnr. 15).

Über den Freigabeantrag des Angeklagten wird die Strafkammer auch in Ansehung des bereits bestimmten Termins zur Zwangsversteigerung zeitnah zu entscheiden haben, was in Anbetracht der Tatsache, dass mit der Aufhebung des dinglichen Arrests die Grundlage für Vollziehungsmaßnahmen aufgehoben wurde, keine rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten aufweisen dürfte.

3. Die Kostenentscheidung folgt in entsprechender Anwendung des § 467 StPO.