KG, Beschluss vom 04.06.2019 - 3 WF 103/19
Fundstelle
openJur 2020, 38686
  • Rkr:

Enthält die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe keine Ausführungen zu dem konkludenten Antrag hinsichtlich des Mehrvergleichs, ist davon auszugehen, dass die Entscheidung über diesen Antrag versehentlich unterblieben ist. Eine nachträgliche Erläuterung durch das Gericht im Beschlussergänzungsverfahren ändert hieran nichts. Der Beschluss ist gemäß § 43 FamFG insoweit auf Antrag nachträglich um eine Sachentscheidung zu ergänzen.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 24. April 2019 abgeändert und der Beschluss vom 14. März 2019 unter Ziffer 6. dahingehend ergänzt, dass ihr Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten auch für sämtliche Gebühren im Zusammenhang mit dem Abschluss des Mehrvergleichs bewilligt wird.

Gründe

I.

Die Mutter wendet sich gegen die Ablehnung der Ergänzung eines Verfahrenskostenhilfebewilligungsbeschlusses um die Bewilligung für den Mehrwert eines Vergleichs.

Der Vater hatte das Verfahren mit einem Antrag auf Abänderung einer gerichtlichen Sorgerechtsregelung eingeleitet und beantragt, ihm Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen.

Kurz vor dem Anhörungstermin meldete sich für die Mutter ihre Verfahrensbevollmächtigte und beantragte ebenfalls mit Schriftsatz vom 11. März 2019 Verfahrenskostenhilfe unter ihrer Beiordnung.

In dem Anhörungstermin am 12. März 2019 schlossen die Eltern eine Vereinbarung über eine Umgangsregelung für die Mutter. Der Vater beantragte, ihm Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten auch für den Mehrvergleich zu bewilligen. Die Verfahrensbevollmächtigte der Mutter stellte zur Verfahrenskostenhilfe keinen weiteren Antrag.

Mit Beschluss vom 14. März 2019, der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter zugestellt am 19. März 2019, hat das Amtsgericht u. a. dem Vater Verfahrenskostenhilfe auch für den Mehrvergleich unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten bewilligt. Der Mutter hat es lediglich Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten bewilligt. Hinsichtlich der Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe enthält der Beschluss keinerlei Begründung.

Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 21. März 2019, eingegangen bei dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg am 22. März 2019, hat die Mutter beantragt, den Beschluss gemäß § 43 FamFG zu ergänzen, denn sie begehre Verfahrenskostenhilfe auch für den Mehrvergleich. Ihr Antrag vom 11. März 2019 sei unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BAG NZA-RR 2014, 382 entsprechend auszulegen. Über diesen Antrag habe das Amtsgericht noch nicht entschieden.

Das Amtsgericht hat den Antrag der Mutter auf Ergänzung des Beschlusses vom 14. März 2019 mit Beschluss vom 24. April 2019 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Antrag der Mutter vom 11. März 2019 lediglich als Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Verfahren nach dessen Gegenstandswert, nicht zusätzlich für den Mehrvergleich vom 12. März 2019 zu verstehen sei. Dem Antrag könne nicht entnommen werden, dass er vorsorglich auch sämtliche im weiteren Verfahrensablauf zu anderen Angelegenheiten geschlossenen Vergleiche umfassen solle.

Mit Schriftsatz vom 30. April 2019, eingegangen bei dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg am 2. Mai 2019, hat die Mutter Beschwerde gegen den Beschluss vom 24. April 2019 eingelegt. Sie trägt vor, dass vor der Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe zu erkennen gewesen sei, dass auch ein Vergleich zum Umgangsrecht geschlossen worden sei und dadurch weitere Kosten für den Mehrvergleich anfallen würden, die sie als mittellos nicht selbst tragen können würde.

II.

Die (sofortige) Beschwerde der Mutter ist das gemäß §§ 76 Abs. 2 FamFG, 567 ff ZPO statthafte Rechtsmittel, da ein Beschluss - wie hier der Ergänzungsablehnungsbeschluss -, der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergeht, mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist.

Die sofortige Beschwerde ist auch innerhalb der Monatsfrist gemäß §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO eingelegt worden.

In der Sache hat die sofortige Beschwerde auch Erfolg, denn der Antrag auf Ergänzung der Entscheidung zur Verfahrenskostenhilfe ist gemäß § 43 FamFG zulässig und begründet.

Im vorliegenden Fall richtet sich das Begehren der Mutter zu Recht auf eine Beschlussergänzung nach § 43 FamFG.

§ 43 FamFG setzt voraus, dass ein Antrag, der nach den Verfahrensakten von einem Beteiligten gestellt wurde, ganz oder teilweise übergangen wurde. Der Antrag darf demnach weder im Tenor noch in den Gründen behandelt worden sein. Ein Übergehen gemäß § 43 FamFG kann auch nur dann vorliegen, wenn es auf einem Versehen beruht. Übergeht das Gericht einen Antrag bewusst, weil es etwa unzutreffend von einer Antragsrücknahme ausgeht, liegt kein Übergehen vor (Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl., § 43 Rn. 8).

Im vorliegenden Fall lag entgegen der Ansicht des Amtsgerichts mit dem Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe vom 11. März 2019 ein konkludent gestellter Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Mehrvergleich vor.

Soweit die Mutter mit dem Antrag auf Beschlussergänzung vom 21. März 2019 ebenfalls ihrem Begehren nach Verfahrenskostenhilfe für den Mehrvergleich Ausdruck verliehen hat, kam eine Bewilligung oder Erweiterung der Verfahrenskostenhilfe nach Instanzende nicht mehr in Betracht, sodass es entscheidend auf den Antrag vom 11. März 2019 ankommt.

Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe setzt gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Antrag voraus; eine Bewilligung ohne Antrag scheidet im stark formalisierten Verfahrenskostenhilfeverfahren aus. Dies schließt aber weder eine konkludente Antragstellung noch eine Auslegung des Antrags aus (Zöller/Geimer, ZPO, 32. Aufl., § 114 Rn. 13, 14; BAG, Beschluss vom 30. April 2014 - 10 AZB 13/14 -, juris). Grundsätzlich erstreckt sich ein für ein bestimmtes Rechtsbegehren gestellter Verfahrenskostenhilfeantrag zwar nicht auf alle weiteren, später gestellten Anträge in derselben Sache oder zusammenhängenden Sachen. Hat sich an der Bedürftigkeit des Beteiligten aber offenkundig nichts geändert, so kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass auch für die Erweiterung des Antrages oder den Vergleich Verfahrenskostenhilfe in Anspruch genommen werden soll, wenn anschließend über die Verfahrenskostenhilfe insgesamt noch entschieden werden muss. Es ist nicht erkennbar, warum ein Beteiligter, der nicht in der Lage ist, die Kosten des Verfahrens über die bereits anhängigen Verfahrensgegenstände zu tragen, in der Lage wäre, die Kosten des Mehrvergleichs zu übernehmen und deshalb hierfür keine Verfahrenskostenhilfe beantragen will. Andernfalls ist in diesen Fällen, sofern Verfahrenskostenhilfe nicht ausdrücklich beantragt wird, ein aufklärender Hinweis nach § 139 ZPO angezeigt (MüKoZPO/Wache, 5. Aufl. 2016, ZPO § 117 Rn. 3; BAG, a. a. O.).

Über den stillschweigend gestellten Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für den Mehrvergleich hat das Amtsgericht hier nicht entschieden, weil es weder dem Antrag stattgegeben noch ihn abgewiesen hat. Jedoch ist den Gründen des Beschlusses nicht zu entnehmen, welche Beweggründe des Gerichts dazu geführt haben. Vordergründig ist der Antrag der Mutter auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe mit der Entscheidung, dass ihr Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten bewilligt wird, vollständig beschieden worden. Das lässt zunächst sowohl die Deutung zu, dass das Amtsgericht den stillschweigend gestellten Antrag hinsichtlich des Mehrvergleichs nicht im Blick und damit "übersehen” hatte, als auch, dass es dem gestellten Antrag bewusst diese Bedeutung nicht beigemessen hat und deshalb eine Entscheidung darüber bewusst unterlassen hat. Wie der Beschluss des Amtsgerichts über den Ergänzungsantrag im Nachhinein zeigt, ist es rechtsirrig davon ausgegangen, dass dem Verfahrenskostenhilfeantrag der Mutter die Bedeutung eines stillschweigend gestellten Antrages hinsichtlich des Mehrvergleichs nicht beigemessen werden kann. § 43 FamFG dient jedoch nur der Korrektur eines versehentlichen Übergehens von Anträgen, nicht aber der Richtigstellung falscher Rechtsanwendung (BGH, Urteil vom 27. November 1979 - VI ZR 40/78, NJW 1980, 840 f).

Wenn der Wille des Gerichts und damit die Abgrenzung zweifelhaft ist, muss der Beteiligte zweckmäßig beide Wege beschreiten, nämlich sowohl den Antrag auf Ergänzung des Beschlusses stellen als auch das vorgesehene Rechtsmittel einlegen (BGH, a. a. O.; BeckOK FamFG/Obermann, 30. Ed. 1.4.2019, FamFG § 43 Rn. 12).

Bewilligt aber das Amtsgericht für das erstinstanzliche Verfahren Verfahrenskostenhilfe, ohne zugleich über den konkludent gestellten Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe auch für den Mehrvergleich im Tenor oder ggfs. in den Gründen zu entscheiden, so ist die sofortige Beschwerde des Beteiligten nur dann zulässig, wenn aus der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, dass das Gericht über den Verfahrenskostenhilfeantrag hinsichtlich des Mehrvergleichs bewusst nicht entschieden hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. März 2014 - V ZB 205/13 -, juris). Enthält die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe dagegen - wie hier - keine Ausführungen zu dem Antrag hinsichtlich des Mehrvergleichs, ist davon auszugehen, dass die Entscheidung über diesen Antrag versehentlich unterblieben ist. Eine nachträgliche Erläuterung im Beschlussergänzungsverfahren ändert hieran nichts. Es ist dann der Beschluss des Amtsgerichts gemäß § 43 FamFG insoweit auf Antrag nachträglich um eine Sachentscheidung zu ergänzen; nur letztere kann ggf. mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden (BGH, Beschluss vom 6. März 2014, a. a.O.).

Eine solche ergänzende Sachentscheidung hat das Amtsgericht zu Unrecht nicht getroffen, sondern lediglich den Antrag auf Beschlussergänzung zurückgewiesen.

Ausgehend von einem konkludent gestellten Antrag ist die zu ergänzende Sachentscheidung hier dahingehend zu treffen, dass der Mutter Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten auch für den Mehrvergleich (Umgangsvereinbarung) zu bewilligen ist.