LG Berlin, Urteil vom 03.07.2018 - 67 S 20/18
Fundstelle
openJur 2020, 38570
  • Rkr:

Überlässt der Mieter die von Ihm angemietete Wohnung ohne Erlaubnis des Vermieters entgeltlich an Touristen, kann seiner Pflichtverletzung das für den Ausspruch einer verhaltensbedingten außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung hinreichende Gewicht fehlen, wenn dem Vermieter seinerseits vor Ausspruch der Kündigung eine erhebliche Pflichtverletzung zur Last gefallen ist, indem er durch Maßnahmen, die der Aufklärung des Verdachts der unerlaubten Gebrauchsüberlassung dienen, das allgemeines Persönlichkeitsrecht des Mieters schwerwiegend verletzt hat.

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das am 21. Dezember 2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte - 27 C 110/17 - wird auf deren Kosten nach einem Wert von bis 9.000,00 € zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 % leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Räumung und Herausgabe der von der Beklagten innegehaltenen Wohnung nach Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung durch die Kläger.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da der Gebrauchsüberlassung an Dritte durch die Beklagte oder ihren Untermieter wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht das für eine kündigungsbedingte Beendigung des Mietverhältnisses erforderliche Gewicht zukäme. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere zum erstinstanzlichen Vorbringen und zu den im ersten Rechtszug gestellten Anträgen, wird auf das amtsgerichtliche Urteil (Bl. 81-85 d.A.) und die zwischen den Parteien erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gegen das ihnen am 3. Januar 2018 zugestellte Urteil haben die Kläger mit am 12. Januar 2018 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 3. April 2018 mit am 21. März 2018 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Kläger sind der Auffassung, das der Beklagten zuzurechnende Fehlverhalten ihres Untermieters rechtfertige eine Kündigung des Mietverhältnisses.

Sie beantragen,

die Beklagte zur Räumung und Herausgabe der in der Berufungsbegründung (Bl. 104 d.A.) näher bezeichneten Wohnung an sie, die Kläger, zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Kammer hat Beweis erhobenen gemäß Beweisbeschluss vom 12. Juni 2018 (Bl. 159 d.A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 3. Juli 2018 (Bl. 171-176 d.A.) Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Das Amtsgericht hat die von den Klägern erhobene Räumungsklage Im Ergebnis zutreffend abgewiesen.

Den Klägern steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch gemäß §§ 985, 546 Abs. 1 BGB auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung zu. Die Kündigung vom 18. Mai 2017 hat das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis nicht beendet. Die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung nach den § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB sind ebensowenig wie die für eine ordentliche Kündigung nach den § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB erfüllt.

Aufgrund der im zweiten Rechtszug nachgeholten Beweiserhebung steht es zwar zur zweifelsfreien Überzeugung der Kammer fest, dass die streitgegenständliche Wohnung vom 11. auf den 12. April 2017 und nach erfolgter Abmahnung nochmals vom 16. auf den 17. Mai 2017 über "airbnb” vermietet wurde. Damit fällt der Beklagten auch eine Pflichtverletzung zur Last, die zumindest nach vorheriger Abmahnung grundsätzlich zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt (vgl. Kammer, Beschl. v. 27. Juli 2016 - 67 S 154/16, DWW 2016, 300, juris Tz. 9; LG Berlin, Beschl. v. 23. Februar 2018 - 66 S 243/17, WuM 2018, 371, juris Tz. 6). Auch wenn die Beklagte nicht selbst vermietet hat, sondern unter Zugrundelegung der zwischen den Parteien unstreitigen Gesamtumstände davon auszugehen ist, dass die Vermietungen in ihrer Abwesenheit und Unkenntnis durch den - mit Genehmigung der Kläger - in die Wohnung aufgenommene Untermieter vorgenommen wurden, ändert das an der Verletzung ihrer eigenen Vertragspflichten nichts, da ihr das Verhalten ihres Untermieters gemäß § 278 Satz 1 BGB zuzurechnen ist (vgl. Kammer, Beschl. v. 18. November 2014 - 67 S 360/14, NZM 2015, 248, juris Tz. 6; Beschl. v. 3. Februar 2015 - 67 T 29/15, ZMR 2015, 303, juris Tz. 11).

Die Pflichtverletzung der Beklagten ist allerdings nicht hinreichend erheblich, um eine Kündigung des Mietverhältnisses zu rechtfertigen.

Während eine außerordentliche Kündigung nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB eine mit der Gebrauchsüberlassung einhergehende Verletzung der Rechte des Vermieters "in erheblichem Maße” verlangt, kann der Vermieter eine verhaltensbedingte Kündigung des Mieters gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB nur dann erfolgreich aussprechen, wenn die schuldhafte Pflichtverletzung "nicht unerheblich” ist. An beiden Voraussetzungen fehlt es.

Im Falle einer unbefugten Gebrauchsüberlassungist für die Frage, ob die schuldhafte Pflichtverletzung des Mieters hinreichend erheblich ist, sowohl für die Wirksamkeit einer darauf gestützten außerordentlichen als auch für die einer ordentlichen Kündigung - nicht anders als bei sonstigen verhaltensbedingten Kündigungen auch (vgl. BGH, Beschl. v. 15. Mai 2018 - VIII ZR 150/17, BeckRS 2018, 11562 Tz. 13) - im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung auf sämtliche Umstände des Einzelfalls abzustellen (st. Rspr., vgl. nur Kammer, Beschl. v. 16. Mai 2017 - 67 S 119/17, NJOZ 2018, 703, juris Tz. 6 m.w.N.). Für diese Abwägung sind neben der beanstandungsfreien Dauer des bisherigen Mietverhältnisses und den nachteiligen Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung auf den Vermieter auch ein möglicher Anspruch des Mieters auf Erteilung der - tatsächlich nicht eingeholten - Untermieterlaubnis, das Ausmaß einer möglichen Wiederholungsgefahr sowie ein pflichtwidriges (Vor-)Verhalten des Vermieters erheblich (vgl. Kammer, a.a.O.).

Gemessen an diesen Grundsätzen war die auf der ungenehmigten und nicht angezeigten Gebrauchsüberlassung beruhende Pflichtverletzung der Beklagten nicht hinreichend erheblich, um eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zu rechtfertigen:

Zugunsten der Beklagten streitet nicht nur das über mehrere Jahre beanstandungsfrei geführte Mietverhältnis. Es kommt hinzu, dass die zum Gegenstand der Kündigung erhobenen Vermietungen mit keiner tatsächlichen Nutzung der Mietsache verbunden waren. Denn wie sich im Rahmen der Beweiserhebung herausgestellt hat, sind die Anmietungen nur zum Schein auf Veranlassung der Kläger vorgenommen worden, um später gegenüber der Beklagten oder ihrem Untermieter den gerichtsfesten Nachweis der unerlaubten gewerblichen Vermietung der Wohnung führen zu können. Eine versuchte Gebrauchsüberlassung indes wiegt weniger schwer als eine vollzogene.Die Gebrauchsüberlassungen hätten im Falle ihres tatsächlichen Vollzugs auch nur zu einer kurzfristigen - jeweils eintägigen - Nutzung der Mietsache geführt. Das fällt weniger erheblich ins Gewicht als eine über einen längerfristigen Zeitraum währende Gebrauchsüberlassung, da eine solche in der Regel zu einer größeren Abnutzung der Mietsache und einer stärkeren Beeinträchtigung der Nachbarmieter führt.

Auch der Form und dem Grad des der Beklagten zur Last zu legenden Verschuldens kommt in der Gesamtabwägung keine für sie wesentlich nachteilige Bedeutung zu. Bei der kündigungsrechtlichen Beurteilung des Verschuldens eines Mieters wiegt Vorsatz schwerer als Fahrlässigkeit und eigenes Verschulden schwerer als zugerechnetes (vgl. Kammer, Beschl. v. 2. Februar 2017 - 67 S 410/16, MDR 2017, 512, juris Tz. 3, Beschl. v. 5. Oktober2017- 67 S 229/17, ZMR 2018, 228, juris Tz. 4; Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 573 Rz. 15). Gemessen daran ist das der Beklagten zur Last zu legende Verschulden nur gering ausgeprägt. Zwar hat sie die Weitervermietung der Wohnung durch ihren Untermieter nach Erhalt der Abmahnung am 26. April 2017 weder unverzüglich noch hinreichend verlässlich unterbunden, indem sie ihm gegenüber erst am 17. Mai 2017 - und damit 3 Wochen nach der Abmahnung - die Kündigung des Untermietverhältnisses wegen unbefugter Gebrauchsüberlassung erklärt hat. Damit indes trifft sie lediglich der für Kündigungssachverhalte der streitgegenständlichen Art vergleichsweise geringfügige Vorwurf eines fahrlässigen eigenen Überwachungs- sowie eines zugerechneten vorsätzlichen Fremdverschuldens ihres Untermieters.

Es kommt hinzu, dass die Gefahr einer Wiederholung weiterer einschlägiger Vertragspflichtverletzungen zumindest bei Zugang der Kündigung am 23. Mai 2017 nur noch geringfügig ausgeprägt war, nachdem sich die Beklagte nach Erhalt der Abmahnung umgehend mit Schreiben vom 27. April 2017 in dem auch für die Kläger offenkundigen Bemühen um Aufklärung an deren anwaltliche Vertretung gewandt und mit Schreiben vom 17. Mai 2018 dem vertragswidrig handelnden Untermieter gegenüber die fristlose Kündigung ausgesprochen hatte.

Entscheidende Bedeutung für die mangelnde Erheblichkeit der Pflichtverletzung der Beklagten hatte das von schwerwiegenden eigenen Pflichtverletzungen geprägte Verhalten der Kläger vor Ausspruch der Kündigung. Die Beweiserhebung hat ergeben, dass sich Mitarbeiter der klägerischen Hausverwaltung am 11. April und am 16. Mai 2017 jeweils in Unkenntnis der Beklagten und ihres Untermieters Zutritt zur Wohnung verschafft haben, indem sie die Wohnung, die zuvor durch einen anderen Mitarbeiter der Hausverwaltung auf dessen Namen zum Schein über "airbnb” angemietet worden war, nach - ohne nähere Identitätskontrolle erfolgter - Entgegennahme der an einem Kiosk deponierten Schlüssel geöffnet und betreten haben. Die Mitarbeiter der klägerischen Hausverwaltung haben sich den Zutritt jeweils gegen, zumindest aber ohne den Willen der Beklagten und ihres Untermieters verschafft. Damit sind die Kläger, denen das Verhalten ihrer Hausverwaltung gemäß § 278 Satz 1 BGB zuzurechnen ist, weit über das mietvertraglich Erlaubte hinaus gegangen:

Zwar kann eine vom Vertragspartner veranlasste - auch detektivische - Überwachung eines Vertragspartners zur Aufdeckung eines auf Tatsachen gegründeten konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung zulässig sein (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urt. v. 29. Juni 2017 - 2 AZR 597/16, NJW 2017, 2853, juris Tz. 30 ff.). Ob der Verdacht der unerlaubten Vermietung einer Mietwohnung über "airbnb” hinreichend schwer wiegt, um Überwachungsmaßnahmen des Mieters durch den Vermieter oder von diesem beauftragte Dritte zu rechtfertigen, bedarf keiner abschließenden Entscheidung der Kammer. Denn der mit der Überwachung verbundene Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Vertragspartners muss auf jeden Fall auch einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten. Dieser verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen (vgl. BAG, a.a.O., juris Tz. 32 m.w.N.).

Gemessen daran war das über die bloße Scheinanmietung der Wohnung im Internet hinausgehende Handeln der klägerischen Hausverwaltung in jeder Hinsicht unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Denn für den - auch über Indizien zu führenden - Beweis unerlaubter Untervermietung war es zunächst ausreichend, dass die streitgegenständliche Wohnung über "airbnb” anmietbar war und auch tatsächlich angemietet wurde. Zusätzliche - und zudem entscheidende -Erkenntnisse waren durch den Zutritt zur Wohnung nicht zu gewinnen, zumal die Mitarbeiter der klägerischen Hausverwaltung aufgrund der zuvor andernorts erfolgten Schlüsselübergabe davon ausgehen mussten, in der Wohnung niemanden anzutreffen. Es kommt hinzu, dass die Mitarbeiter der klägerischen Hausverwaltung bei jedem ihrer ohnehin schon rechtswidrigen Wohnungszutritte das durch Art. 7 GrC, 2 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht der Beklagten und ihres Untermieters zusätzlich dadurch schwerwiegend verletzt haben, indem die Wohnung von ihnen bis in die Schlafräume hinein jeweils ausführlich fotografiert wurde. Für die Beweisführung oder -sicherung indes waren diese heimlichen Aufnahmen und das damit verbundene Vordringen in den absoluten Kernbereich der privaten Existenz der Beklagten und ihres Untermieters unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt erforderlich.

Davon ausgehend kann dahinstehen, ob sich die Mitarbeiter der klägerischen Hausverwaltung durch ihren wiederholten Zutritt zur Wohnung eines Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB strafbar gemacht haben oder ob dem ein - hier tatsächlich und rechtlich zweifelhaftes - täuschungsbedingtes Einverständnis entgegen stünde (vgl. Schäfer, Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, § 123 Rz. 29 m.w.N.). Es reicht aus, dass der Hausverwaltung der Kläger bei der Überwachung der Beklagten eine Vielzahl grundlegender vertraglicher Pflichtverletzungen zur Last gefallen ist. Diese sind gemäß § 278 Satz 1 BGB sämtlich den Klägern selbst zuzurechnen. Daneben erscheinen die Pflichtverletzungen der Beklagten im Zusammenhang mit der zeitweiligen Drittüberlassung der Wohnung an Touristen als derart geringfügig, dass sie ohne das Hinzutreten weiterer - und hier nicht gegebener - gewichtiger Umstände nicht geeignet sind, ihrem Verhalten das für die Kündigung des Mietverhältnisses hinreichend erhebliche Gewicht zu verleihen (vgl. Kammer, Urt. v. 6. Oktober2016 - 67 S 203/16, WuM 2016, 734, juris Tz. 18; Urt. v. 29. November 2016 - 67 S 329/16, NZM 2018, 36, juris Tz. 11; Beschl. v. 5.10.2017 - 67 S 229/17, ZMR 2018, 228, juris Tz. 4).

Für die prozessuale Berücksichtigung der den Klägern zuzurechnenden Pflichtverletzungen spielte es keine Rolle, dass die Beklagte diese nicht zum ausdrücklichen Gegenstand ihres schriftsätzlichen oder mündlichen Parteivortrags erhoben hat, sondern sie erstmals im Rahmen der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme offenbar geworden sind. Die Kammer hatte den insoweit maßgeblichen Inhalt der zeugenschaftlichen Bekundungen gleichwohl zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen. Denn eine Partei macht sich die bei einer Beweisaufnahme zu Tage tretenden und ihr günstigen Umstände regelmäßig stillschweigend zumindest hilfsweise zu eigen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 10. November 2009 - VI ZR 325/08, NJW-RR 2010, 495, juris Tz. 5). Genau so lag der Fall hier.

Die Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 Satz 1, 711 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, bestanden gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht.