Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 14.02.2019 - 1 Ws 21/19
Fundstelle
openJur 2020, 38027
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer als Berufungskammer des Landgerichts Neuruppin vom 5. Dezember 2018 wird aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung und der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 29. Januar 2019 als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe

Ergänzend bemerkt der Senat:

Der überzeugend begründeten Ansicht des Kammergerichts (NJW 2013, 182 - m. w. Nachw. auch zur Gegenmeinung), wonach die Bestellung eines Verteidigers bzw. die Pflichtverteidigerbestellung im Erkenntnisverfahren bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens nach § 370 Abs. 2 StPO fortdauert und deshalb die Bestellung eines Verteidigers nach den §§ 364a, 364b StPO nur in Betracht kommt, wenn zuvor kein Verteidiger mitgewirkt hat oder dessen Vollmacht erloschen oder die Beiordnung als Pflichtverteidiger aufgehoben worden ist, ist mit dem OLG Braunschweig (Beschluss vom 10.04.2014, Az.: 1 Ws 55/14, juris) uneingeschränkt zuzustimmen. Dem Verurteilten ist in dem Erkenntnisverfahren 44 Ls 2/15 vor dem Jugendschöffengericht bei dem Amtsgericht Lübben RA ... in K... als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dessen Beiordnung ist bisher nicht aufgehoben worden. Gründe, die ausnahmsweise eine Rücknahme der Beiordnung des bisherigen Pflichtverteidigers rechtfertigen, liegen nicht vor.

Zwar ist anerkannt, dass über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist. Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Verteidigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. BVerfGE 39, 238). Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn lediglich Auffassungsgegensätze zwischen dem Verteidigten und dem Verteidiger über die Art der Führung der Verteidigung bestehen.

Denn der Verteidigte hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt. Die Behauptung der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses muss mit konkreten Tatsachen belegt werden. Ob das Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidigten und dem Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann, ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Verteidigten aus zu beurteilen (vgl. BGH NStZ 2004, 632; KG Berlin, Beschluss vom 09.08.2017, Az.: 4 Ws 101/17, juris - m. w. Nachw.). Anderenfalls hätte es der Verteidigte in der Hand, jederzeit unter Berufung auf ein fehlendes Vertrauensverhältnis zu seinem Verteidiger einen Verteidigerwechsel herbeizuführen (vgl. BGH NStZ 1993, 600; KG Berlin, a. a. O.).

Der Verurteilte hat in seinen Eingaben vom 21.01.2018 und vom 01.08.2018, in denen er jeweils die Beiordnung des RA S... aus B... für ein Wiederaufnahmeverfahren beantragt hat, keine Ausführungen hinsichtlich seines Verhältnisses zu seinem bisherigen Pflichtverteidiger gemacht. In der Beschwerdeschrift vom 19.12.2018 hat er ausgeführt, er habe den Antrag nicht umsonst gestellt, da sein alter Anwalt überhaupt nicht in der Lage gewesen sei, ihn zu verteidigen; er habe vergessen, Beweismittel vor dem Amtsgericht vorzulegen, die Frau M... und ihren Sohn der Lüge hätten überführen können; er sei nicht konsequent gewesen und habe die entsprechenden Fragen nicht gestellt; er habe das Gericht nicht gerügt, dass es eine geschlossene und keine offene Verhandlung gewesen sei; er, der Antragsteller, habe zu diesem Anwalt kein Vertrauen mehr. Er habe Strafanzeige gegen den Rechtsanwalt erstattet, weil dieser seit 2017 Dokumente und Beweismittel unterschlage. Nach mehrfachen Anfragen habe er bis heute keines seiner Beweismittel und Dokumente. In seiner undatierten Eingabe, in der er Stellung zur Gegenerklärung der Generalstaatsanwaltschaft nimmt und die am 11. Februar 2019 beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat er in Bezug auf RA B....ausgeführt: Er brauche einen neuen Anwalt als Pflichtverteidiger; seinen alten Anwalt könne man total vergessen; wenn solch ein Anwalt nicht einmal in der Lage sei, die vorhandenen Beweise anzubringen und nachher sagt, er habe vergessen, sie anzubringen, was solle er dann mit so einem Anwalt; er sei nicht in der Lage gewesen, die Beschuldigungen der Staatsanwältin zu hinterfragen; er habe nicht auf die Beweislage gepocht und habe alles hingenommen; er sei einfach nicht konsequent genug gewesen und sei nicht einmal in der Lage, in ein Wiederaufnahmeverfahren zu gehen.

Mit diesem Vorbringen ist aus der Sicht eines vernünftigen und verständigen Verteidigten nicht dargetan, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Verurteilten und seinem Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann. Der nicht durch konkrete Tatsachen unterlegte Vortrag des Verurteilten geht über die Darlegung von Meinungsverschiedenheiten über die Art der Führung der Verteidigung nicht hinaus. Eine konkrete Pflichtverletzung durch RA B... bei der Verteidigung im Erkenntnisverfahren ist nicht dargetan. Um welche Unterlagen, die der Verteidiger im Jahre 2017 nicht herausgegeben haben soll, es geht, ist nicht vorgetragen. So kann nicht einmal geprüft werden, ob RA B... zur Herausgabe der Unterlagen überhaupt rechtlich verpflichtet ist.

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