Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 22.01.2020 - (1) 53 Ss 158/19 (93/19)
Fundstelle
openJur 2020, 37882
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Nebenklägerin auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 14. August 2019 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Nebenklägerin auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO wird als unbegründet zurückgewiesen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist Nebenklägerin in dem Strafverfahren gegen den Angeklagten K... M... .

Das Amtsgericht Oranienburg hat am 1. Oktober 2018 (15 Ds 172/17) den Angeklagten M... wegen Nachstellung in Tateinheit mit Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Auf die gegen die amtsgerichtliche Entscheidung eingelegte Berufung des Angeklagten hat die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin mit Urteil vom 14. August 2019 die angefochtene Entscheidung aufgehoben und den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Das Berufungsgericht ist nach Anhörung des forensisch-psychiatrischen Sachverständigen zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte unter einer chronisch paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0) leide, zu den Tatzeiten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt und seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei, so dass die Voraussetzungen des § 20 StGB vorliegen würden. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte gewalttätig werden und für die Allgemeinheit gefährlich sein könnte, seien dagegen nicht gegeben.

Bei der Berufungshauptverhandlung war der Vertreter der Nebenklägerin anwesend.

Gegen das Berufungsurteil hat die Nebenklägerin mit dem handschriftlich selbst verfassten Schreiben vom 21. August 2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, "Berufung" eingelegt.

Die Ausfertigung des mit Gründen versehenen Urteils vom 14. August 2019, die Kopie des Protokolls über die Hauptverhandlung vom 14. August 2018 sowie eine Kopie des Schreibens der Nebenklägerin vom 21. August 2018 (Einlegung des Rechtsmittels) wurden ausweislich des Empfangsbekenntnisses dem Vertreter der Nebenklägerin am 21. September 2019 förmlich zugestellt.

Mit dem bei Gericht am 24. Oktober 2019 (Donnerstag) angebrachten Anwaltsschriftsatz hat die Nebenklägerin ihr Rechtsmittel begründet, wobei sie insbesondere das in der Hauptverhandlung erstattete forensisch-psychiatrische Gutachten angegriffen hat.

Der Kammervorsitzende hat mit Schreiben vom 24. Oktober 2019 den Vertreter der Nebenklägerin darauf hingewiesen, dass die Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am 21. September 2019 erfolgt sei und daher die Revisionsbegründung verfristet bei Gericht eingegangen sein dürfte. In seiner Erwiderung vom 30. Oktober 2019 führt der Vertreter der Nebenklägerin aus, "dass die Mandantin angegeben hat[,] die Berufung bereits eingelegt und begründet zu haben. Die Begründung durch den Unterzeichner ist dazu ergänzend erfolgt."

Mit Beschluss vom 6. November 2019 hat das Berufungsgericht das als Revision ausgelegte Rechtsmittel der Nebenklägerin vom 21. August 2019 als unzulässig verworfen, da es nicht in der Frist des § 345 Abs. 1 StPO in einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift begründet worden ist. Der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts Neuruppin wurde dem Vertreter der Nebenklägerin am 16. November 2019 zugestellt.

Mit dem bei Gericht am 20. November 2019 eingegangenen Anwaltsschriftsatz mit Datum vom 16. November 2019 beantragt die Nebenklägerin Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Revision und Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führt der Vertreter der Nebenklägerin aus, dass "diese aufgrund der kausalen psychischen Erkrankung zunächst nicht in der Lage war, den Unterzeichner von ihrem eingelegten Rechtsmittel zu unterrichten". Die behauptete Erkrankung wird nicht konkretisiert. Ferner führt der Vertreter der Nebenklägerin aus, dass das "zunächst von der Nebenklägerin eingereichte Rechtsmittel als unbestimmtes Rechtsmittel eingelegt worden" sei, weshalb "eine Begründung durch den Unterzeichner nicht als verspätet" angesehen werde dürfe.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 16. Dezember 2019 beantragt, den Antrag der Nebenklägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig und den Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts als unbegründet zu verwerfen. Mit Anwaltsschriftsatz vom 6. Januar 2019 übersendet der Vertreter der Nebenklägerin ein Attest des Chefarztes der ... Kliniken GmbH vom selben Tag über die seit dem 19. Dezember 2019 dauernde stationäre Behandlung in der Klinik H... .

II.

Der Senat folgt den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.

1. Der Antrag der Nebenklägerin auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Revision hat keinen Erfolg; der Antrag erweist sich bereits als unzulässig.

a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller Angaben über die versäumte Frist und den Hinderungsgrund sowie über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen (vgl. BGH NStZ-RR 2015 145; Meyer-Goßner, StPO, 62. Aufl., § 45 Rn. 5, jeweils m.w.N.). Vorzutragen ist stets ein konkreter Sachverhalt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden und der Wiedereinsetzung entgegenstehende Alternativen ausschließt. Die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags erfordert deshalb eine genaue Darlegung aller zwischen dem Beginn und dem Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage des Verschuldens von Bedeutung sind (vgl. statt vieler: BGH NStZ-RR 2017, 285; KG NZV 2002, 47, 51; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 157).

Beruft sich ein Antragsteller auf eine Fristversäumung wegen Erkrankung, sind deren Art sowie der Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen konkret darzulegen (vgl. OLG Braunschweig, NStZ 2014, 289 f.; OLG Köln, Beschluss vom 10. Dezember 2018, 2 Ws 613/09, zit. n. juris; KG, Beschluss vom 6. Februar 2007, 2 Ws 99/07, zit. n. juris; KK-Maul, StPO, 7. Aufl., § 45 Rn. 7 m.w.N.).

An dieser Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt es hier. In der Antragsschrift auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 16. November 2019 ist lediglich ausgeführt, dass die Nebenklägerin "aufgrund einer kausalen psychischen Erkrankung" "zunächst" nicht in der Lage gewesen sei, den Verfahrensbevollmächtigten von dem eingelegten Rechtsmittel zu unterrichten. Was mit dieser "psychischen Erkrankung" gemeint ist, wird in der Antragsschrift nicht dargelegt, so dass der Senat nicht prüfen kann, ob und ggf. inwieweit die Nebenklägerin körperlich oder geistig in ihrer Handlungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen war.

Auch mit der Übersendung des ärztlichen Attestes mit Anwaltsschriftsatz vom 6. Januar 2020 wird die erforderliche Darlegung durch den Verfahrensbevollmächtigten nicht nachgeholt, zumal sich das Attest lediglich auf den Zeitraum nach der Aufnahme zur stationären Behandlung ab dem 19. Dezember 2019 bezieht, und Ausführungen zum Krankheitsbild im hier maßgeblichen Zeitraum September 2019/Oktober 2019 nicht enthält.

Die bei den Akten befindlichen Stellungnahmen der Diplom-Psychologin ... vom 26. Mai 2017 (Bl. 96 f. d.A.) und 14. Juli 2017 (Bl. 73 f. d.A.) können den erforderlichen Sachvortrag ebenso nicht ersetzen, zumal sie sich auf ein Krankheitsbild aus den Jahren 2016/2017 beziehen und keine Rückschlüsse darüber zulassen, ob die Nebenklägerin im September 2019/Oktober 2019 psychisch in der Lage war, zur Frage der Begründung der Revision sich mit ihrem Rechtsbeistand in Verbindung zu setzen.

Letztlich kommt es auch nicht darauf an, ob die Nebenklägerin ihren Verfahrensbevollmächtigten über die Einlegung der Revision informiert hatte. Denn ausweislich des durch den Verfahrensbevollmächtigten unterzeichneten Empfangsbekenntnisses vom 21. September 2019 wurde ihm eine Kopie des Schreibens der Nebenklägerin zur Einlegung des Rechtsmittels vom 21. August 2019 auf Veranlassung des Gerichts übermittelt. Hierdurch war der Nebenklägervertreter über die Einlegung des Rechtsmittels in Kenntnis gesetzt worden mit der Folge, dass dieser als Rechtsanwalt die Revision entsprechend §§ 401, 390 Abs. 2 in der Frist des § 345 Abs. 1 StPO hätte begründen müssen (siehe auch nachfolgend unter b.).

b) Soweit der Verfahrensbevollmächtigte im Anwaltsschriftsatz vom 30. Oktober 2019 die Auffassung vertritt, dass die Revision durch die Nebenklägerin eingelegt und begründet worden sei, mithin die anwaltliche Begründung des Rechtsmittels nur "ergänzend" erfolgt sei, ist dies rechtsirrig. Es wird dem Grunde nach verkannt, dass der Nebenkläger Revisionsanträge und Revisionsbegründung nach §§ 397, 401, 390 Abs. 2 (analog) StPO (vgl. 345 Abs. 2 StPO für den Angeklagten) nur mittels einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift anbringen kann (BGH NJW 1992, 1398), denn die durch ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers bei der Neufassung des § 397 Abs. 1 StPO durch das Gesetz vom 18. Dezember 1986 entstandene Gesetzeslücke ist durch die entsprechende Anwendung des § 390 Abs. 2 StPO zu schließen (vgl. BGH aaO.; BGHSt 59, 284 = NJW 2014, 3320; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. § 401 Rn. 2).

c) Fehl geht auch die Annahme des Verfahrensbevollmächtigten in den Anwaltsschriftsätzen vom 30. Oktober 2019 und vom 16. November 2019, dass die Nebenklägerin ein "unbestimmtes" Rechtsmittel eingelegt habe. Ungeachtet der Tatsache, dass die Bezeichnung eines Rechtsmittels keinen Einfluss auf gesetzliche Fristen haben kann, war die fehlerhafte Bezeichnung des eingelegten Rechtsmittels durch die Nebenklägerin als "Berufung" nach § 300 StPO unschädlich und als Revision als das einzig statthafte Rechtsmittel auszulegen; ein "unbestimmtes" Rechtsmittel war nicht eingelegt worden.

2. a) Der Antrag der Nebenklägerin auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO ist statthaft und zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden.

b) In der Sache hat der Antrag jedoch keinen Erfolg; das Berufungsgericht hat die Revision der Nebenklägerin zu Recht nach § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.

aa) Das von der Nebenklägerin mit Schreiben vom 21. August 2019 eingelegte und als "Berufung" bezeichnete Rechtsmittel ist - wie oben dargelegt - gemäß § 300 StPO als Revision, dem einzig zulässigen Rechtsmittel, auszulegen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 25. Oktober 2005, 2 Ss 150/05, m.w.N., zit. nach juris) und als solche fristgerecht innerhalb der Wochenfrist des § 341 StPO bei Gericht angebracht worden.

bb) Nach §§ 345 Abs. 1, 401, 390 Abs. 2 StPO ist die Revision jedoch - wie ebenfalls oben dargelegt - binnen eines Monats ab Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe zwingend durch einen Rechtsanwalt mit Anträgen zu versehen und zu begründen. Die Ausfertigung der schriftlichen Urteilsgründe nebst Abschriften des Hauptverhandlungsprotokolls und der Revisionseinlegungsschrift der Nebenklägerin vom 21. August 2019 wurden ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 21. September 2019 dem Verfahrensbevollmächtigten der Nebenklägerin zugestellt. Damit endete die Frist zur Anbringung der Revisionsanträge und zur Begründung der Revision gemäß § 43 Abs. 1 StPO mit Ablauf des 21. Oktober 2019 (Montag). Mithin war der erst am 24. Oktober 2019 (Donnerstag) bei Gericht angebrachte Anwaltsschriftsatz verfristet. Da hier - wie oben dargelegt - eine Wiedereinsetzung in den Vorigen Stand nicht zulässig beantragt worden ist, hat das Berufungsgericht die Revision zu Recht als unzulässig verworfen, so dass sich der Rechtsbehelf des § 346 Abs. 2 StPO als unbegründet erweist.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Für die Entscheidung nach § 346 Abs. 2 StPO ergibt sich dies daraus, dass das Kostenverzeichnis dafür keine Gebühr vorsieht und Auslagen nicht entstehen bzw. die Nebenklägerin ihre Auslagen selbst zu tragen hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 346 Rn. 12). Hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrags ist eine Kostenentscheidung nur bei stattgebender Entscheidung veranlasst (vgl. § 473 Abs. 7 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 473 Rn. 38).