LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 30.08.2019 - L 9 KR 130/17
Fundstelle
openJur 2020, 37014
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 21. Februar 2017 aufgehoben und die Klage des Klägers gegen den Bescheid der Beklagten vom 3. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2012 abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für die Ausgangs- und Berufungsinstanz nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung für seine Ehefrau für die Zeit ab 31. Dezember 2006.

Der Kläger ist bei der Beklagten freiwillig versichertes Mitglied, die Beklagte führte seine Ehefrau seit 31. August 1992 als Familienversicherte.

Auf einem von der Beklagten übersandten Vordruck zur Prüfung der Familienversicherung, unterzeichnet am 23. Dezember 2004, waren die vorgedruckten Spalten, die sich mit den Einkommen der Ehefrau des Klägers befassten, handschriftlich durchgestrichen, auf dem folgenden Fragebögen, unterzeichnet am 24. März 2006, ließ der Kläger die entsprechenden Spalten offen. Die Beklagte bat den Kläger zur Klärung der beitragsfreien Mitversicherung der Familienangehörigen im März 2007 um Übersendung eines ausgefüllten Fragebogens zur Familienversicherung für die Zeit ab dem 1. März 2006. Auf dem daraufhin am 2. April 2007 eingereichten Fragebogen hatte der Kläger zwar unterschrieben, die entsprechenden Spalten für die Eintragung von Angaben betreffend seine Ehefrau, konkret deren Arbeitsverhältnis, selbständige Tätigkeit, Einkommen jedoch ebenfalls gar nicht ausgefüllt.

Im Rahmen der Bestimmung der Beitragshöhe für den Kläger als freiwilliges Mitglied bat die Beklagte ihn am 27. November 2007 um Übersendung eines Bescheides über die Einkommensteuer nebst einer aktuellen Einkommenserklärung. Der Kläger teilte daraufhin mit, er lebe von Erspartem, der Einkommenssteuerbescheid 2005 werde übermittelt, diejenige für das Jahr 2006 läge noch nicht vor (Schreiben vom 27. November 2007). Im Rahmen der Festsetzung von Mitgliedsbeiträgen zur freiwilligen Versicherung reichte der Kläger Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2005 (im November 2007) und 2006 (am 9. Juni 2008) bei der Beklagten ein.

Der Kläger reichte auf die Aufforderung der Beklagten vom 29. Mai 2009 zur Überprüfung der Familienversicherung zunächst den Einkommenssteuerbescheid 2007 vom 07. Januar 2009 ein, in dem beigefügten Fragebogen auch zu den Einkünften Familienangehöriger verneinte er die selbständige Tätigkeit seiner Ehefrau, die Spalten zu ihren regelmäßigen Einkünften waren leer. Auf dem weiteren von der Beklagten übersandten Fragebogen zur Überprüfung der Familienversicherung, unterzeichnet am 10. Juli 2009, war für die Ehefrau in der vorgesehenen Spalte zu den regelmäßigen Einkünften im Sinne des Einkommenssteuerrechts ein Strich gesetzt. Auf die weitere Aufforderung der Beklagten reichte der Kläger am 29. Juni 2010 den Einkommenssteuerbescheid 2008 vom 31. Juli 2009 ein. Beide Einkommenssteuerbescheide wiesen Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Ehefrau aus, der Bescheid vom 07. Januar 2009 in Höhe von 11.287 €, für 2008, der Bescheid vom 31. Juli 2009 in Höhe von 10.035 €.

In dem Fragebogen zur Überprüfung der Familienversicherung, unterzeichnet am 26. Juni 2010, waren die Spalten zum Einkommen der Ehefrau offengelassen. Die Beklagte bat am 04. August 2010 um Mitteilung zu den Einkünften der Ehefrau im Rahmen einer auch rückwirkenden Prüfung der Familienversicherung und um Nachweise zu Einkünften aus Beteiligungen, Gewerbebetrieb, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung für die Ehefrau. Aus dem daraufhin übersandten (dritten) Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 07. Januar 2010 ergaben sich Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 15.391 € für die Ehefrau.

Die Beklagte stellte das Ende der Familienversicherung für die Ehefrau zum 31. Dezember 2006 fest. Ein Anspruch auf diese bestehe nur, wenn das Gesamteinkommen des Angehörigen 1/7 der monatlichen Bezugsgröße (ab dem 1. Januar 2007: 350,00 €, ab dem 1. Januar 2008: 355,00 €, ab 2009: 360,00 € und ab 2010: 365,00 €) nicht übersteige. Aufgrund der eingereichten Unterlagen sei festzustellen, dass das Einkommen seiner Ehefrau nach dem Steuerbescheid für das Jahr 2005 vom 13. Dezember 2006 insgesamt 11.155 €, damit monatlich 929,58 €, für das Jahr 2006 nach dem Steuerbescheid vom 27. Mai 2008 insgesamt 6.973,00 € und pro Monat 581,08 €, für das Jahr 2007 nach dem Steuerbescheid vom 07. Januar 2009 11.287,00 € und monatlich 940,58 € und für das Jahr 2008 nach dem Steuerbescheid vom 07. Januar 2010 insgesamt 15.391 €, somit monatlich 1.282,58 € betrage. Auf den der Beklagten vorliegenden Überprüfungsbögen zur Familienversicherung sei vom Kläger nie angegeben worden, dass seine Ehefrau Einkünfte aus Gewerbe, Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung habe.

Die Beklagte hat die Ehefrau des Klägers ab dem 1. April 2007 als Mitglied nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V geführt, ab dem 1. Dezember 2007 bis zum 31. März 2011 hat sie Beiträge in Höhe von 8.277,73 Euro und Säumniszuschläge in Höhe von 12.111,00 € geltend gemacht.

Der Kläger erhob Widerspruch gegen die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung. Diesen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2012 zurück.

Der Kläger hat am 4. Mai 2012 Klage zum Sozialgericht Cottbus erhoben. Er habe zum 6. November 2007 seine selbstständige hauptberufliche Tätigkeit beendet, die Versicherung bei der Beklagten sei als freiwillige Versicherung für Nichtselbstständige danach weitergeführt worden. Auf die Aufforderung der Beklagten vom 27. November 2007 habe er seine letzten aktuellen Bescheid über Einkommensteuer im Jahr 2005 eingereicht, dieser sei der Beklagten auch zugegangen. Mit diesem habe die Beklagte davon Kenntnis erlangt, dass seine Ehefrau Einnahmen aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung habe. Möglicherweise habe der Kläger in späterer Zeit, nachdem seine Frau Einkünfte aus ihrer Position als Gesellschafterin einer BGB Gesellschaft erzielt habe, auf dem entsprechenden Formular angegeben, dass keine selbständige Tätigkeit vorliege, dies sei aber durchaus zutreffend da sie nur die Stellung als Gesellschafterin gehabt habe. Sie habe Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bezogen, diese seien zwar in den Fragebögen ebenfalls nicht angegeben worden, der Kläger habe sie aber nicht verschwiegen, sie hätten sich aus den übermittelten Einkommensteuerbescheid ergeben. Diese wiesen Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung aus. Die Beklagte habe also die Einkünfte des Klägers und seiner Ehefrau ab Zugang des Steuerbescheides gekannt. Der Zeitpunkt der Beendigung der Familienversicherung zum 31. Dezember 2006 sei nicht begründet worden. Die Feststellung, es würden unwahre Angaben vorliegen, sei unrichtig, richtig sei lediglich, dass auf den Fragebogen selbst die Einkünfte nicht nochmals aufgeführt gewesen seien. Sie hätten sich aber aus den Einkommenssteuerbescheiden exakt ergeben. Er habe allenfalls unklare Angaben gemacht. Zwischenzeitlich sei seine Ehefrau bei der Beklagten selbst versichert. Sowohl die Ehefrau als auch er bekämen allein aufgrund des Zugangs des jeweiligen Einkommensteuerbescheides, auch ohne Formular, die Beitragshöhe von der Beklagten mitgeteilt. Der Kläger habe mit der Übersendung der Einkommenssteuerbescheide davon ausgehen dürfen, dass die Voraussetzungen für die Familienversicherung weiter vorliegen würden, obwohl er die Einkommensbeträge selbst nicht noch einmal in das Formular eingetragen habe. Es komme daher nur der Widerruf der Familienversicherung für die Zukunft in Betracht und nicht für die Vergangenheit. Eine Rechtsgrundlage für die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung bestehe nicht.

Die Beklagte hat ausgeführt, es fänden sich auf vielen Fragebögen Streichungen bei den Fragen zum Einkommen der Ehefrau. Streichungen würden nach der üblichen Rechtsauffassung als Verneinung gelten, dies habe den Kläger und seine Ehefrau bewusst sein können. Auf keinem der Fragebögen sei ein Hinweis verzeichnet, dass die Fragen nicht beantwortet werden müssten, sofern Einkommensunterlagen übersandt werden. Die Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I sei vom Kläger missachtet worden. Die Familienversicherung entfalle, wenn ihre Voraussetzungen entfielen. Feststellungsbescheide seien insoweit nie erlassen worden. Dies sei auch nicht nötig zur Eröffnung der Familienversicherung, da diese kraft Gesetzes entstehe.

Mit Gerichtsbescheid vom 21. Februar 2017 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten aufgehoben, soweit die Familienversicherung der Ehefrau des Klägers für die Zeit nach Ablauf des 31. Dezember 2006 beendet worden ist. Die Klägerseite genieße Vertrauensschutz nach § 45, § 48 SGB X und die Beklagte habe jedenfalls die Jahresfrist des §§ 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz. 2 SGB X versäumt. Die Vertrauensschutzregelung sei der Klägerseite zu gewähren, da es der Beklagten zu verwehren sei, trotz der nicht durch förmlichen Bescheid erfolgten Feststellung des Bestehens der Familienversicherung diese für die Zeit vor dem 01. Januar 2007 zu beenden. Im Übrigen dürfe durch die Gewährung von Gesundheitsleistungen an die Ehefrau des Klägers das Bestehen der Familienversicherung gegenüber der Klägerseite festgestellt bzw. bestätigt worden sein. Dass die Beklagte die Jahresfrist versäumt habe, folge daraus, dass sie nach dem ebenfalls am 29. Mai 2009 sogar bei der zuständigen Stelle vollständig vorliegenden Bescheid über die Einkommensteuer für das Jahr 2007 erst am 4. August 2010 überhaupt eine Anhörung an die Klägerseite veranlasst und erst am 03. September 2010 die Konsequenzen daraus gezogen habe. Bereits das Unterlassen von weiteren Ermittlungen etwa zur subjektiven Seite bzw. Ermessensumständen von einem Jahr bzw. über einem Jahr begründe das Verbot rückwirkender Beendigung der Familienversicherung (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11. Juni 1998 - L 5 KN 2/97; offen gelassen von BSG, Urteil vom 29. April 1992 - 7 RAr 4/91).

Gegen den ihr am 23. Februar 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 21. März 2017 Berufung eingelegt.

Das Sozialgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Kläger Vertrauensschutz zustehe. Er habe trotz regelmäßiger und wiederholter Anfragen das Einkommen seiner Ehefrau auf dem entsprechenden Familienfragebogen nicht angegeben, teilweise sogar mit einem Strich versehen. Zusätzlich sei aufgrund der erheblichen Einkünfte der Ehefrau das schutzwürdige Interesse, welchem eine Familienversicherung diente, eindeutig zu verneinen. Es gehöre nicht zu den Aufgaben einer Krankenkasse, eindeutige Angaben von Versicherten in Zweifel zu ziehen oder Abgleiche mit weiteren vorliegenden Unterlagen in anderen Abteilungen von Amts wegen vorzunehmen, soweit keinerlei Zweifel an den Angaben der Versicherten bestünden. Das Sozialgericht habe übersehen, dass die Familienversicherung kraft Gesetzes beginne und ende. Eines formellen Bescheides hierüber bedürfe es nicht. Das BSG habe in einer Vielzahl von Entscheidungen festgestellt, dass dann, wenn kein bindender Verwaltungsakt über eine bestehende Familienversicherung ergangen sei, eine rückwirkende Beendigung zulässig sei. Der Kläger und seine Ehefrau hätten mehrmals fehlerhafte Einkommensangaben getätigt. Es könne dahingestellt bleiben, ob dies versehentlich geschehen sei.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 21. Februar 2017 aufzuheben und die Klage des Klägers gegen den Bescheid der Beklagten vom 03. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2012 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte habe die Jahresfrist § 48 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X nicht eingehalten. Sie habe mehr als ein Jahr gewartet, nachdem sie den Einkommensteuerbescheid vom 7. Januar 2009 am 29. Mai 2009 erhalten habe.

Mit Beschluss 25. Juni 2017 hat der Senat den Rechtsstreit der dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Gründe

Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 25. Juni 2017 die Berufung dem Berichterstatter, respektive der Berichterstatterin, zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen hat.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 21. Februar 201z ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten über die Beendigung der Familienversicherung zum 31. Dezember 2016 aufgehoben.

Die von dem Kläger am 4. Mai 2012 erhobene Anfechtungsklage ist nach § 54 Abs. 1 SGG zulässig, insbesondere ist er als Stammversicherter wegen der Akzessorietät des Rechts auf Familienversicherung zu seinem Recht klagebefugt, gegen den Bescheid, der die Familienversicherung beendet, vorzugehen (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1996 - 4 RK 1/96 -, BSGE 79, 184-189, Rn. 17).

Die Klage ist aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht. Die Beklagte war berechtigt, festzustellen, dass die Familienversicherung der Ehefrau zum 31. Dezember 2016 endete.

I. Rechtsgrundlage für die Entscheidung ist § 10 Sozialgesetzbuch/ Fünftes Buch (SGB V), dagegen nicht die Bestimmungen in §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch/ Zehntes Buch (SGB X).

Die Familienversicherung tritt kraft Gesetzes ein und endet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. Der Bescheid über die Beendigung hat daher zwar nur deklaratorische Funktion. Der Bescheid der Beklagten vom 10. September 2010 entfaltete, da er die Beendigung bereits zum Ablauf des 31. Dezember 2006 feststellte, insoweit zwar Rückwirkung. Die Beklagte hat das Bestehen der Familienversicherung dem Kläger gegenüber zuvor nicht mit einem (begünstigenden) Bescheid festgestellt, dessen Bestandskraft nach §§ 44 ff. SGB X aufgehoben werden musste. Allein durch die Gewährung von Gesundheitsleistungen an die Ehefrau in der Annahme, die Familienversicherung bestehe weiter, hat die Beklagte, auch nicht konkludent, einen feststellenden Verwaltungsakt zur Familienversicherung getroffen. Zwar sind Verwaltungsakte an bestimmte Formen nicht gebunden. Sie können auch mündlich oder in anderer Form erlassen werden, sogar durch schlichte Zahlung von Geldleistungen (sog. Kassen- oder Schalterverwaltungsakt, vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Allein die Gewährung von Gesundheitsleistungen durch Leistungserbringer wie Vertragsärzte und nichtärztliche Leistungserbringer i.S. des §§ 69 ff. SGB V hat aber regelmäßig weder zum Ziel noch zum Inhalt, das Bestehen einer Familienversicherung für die Krankenkasse gegenüber den Versicherten festzustellen. Es bedarf daher zur rückwirkenden Feststellung des Endes der Familienversicherung weder einer expliziten Aufhebungsentscheidung eines früheren Bescheides über die Familienversicherung noch einer Prüfung speziell der Rechtsgrundlagen der §§ 45 ff. Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X), die eine solche rückwirkende Aufhebung nur unter engen Voraussetzungen und Berücksichtigung von Vertrauensschutz erlauben (Urteil vom 07. Dezember 2000 - B 10 KR 3/99 R, Rn. 33). Die Erwägungen des Sozialgerichts zu diesen Bestandsschutzbestimmungen sind nicht zutreffend.

II. Die Beklagte hat den Feststellungsbescheid in formell und materiell rechtmäßiger Weise erlassen.

1. Der Kläger wurde vor seinem Erlass angehört mit dem Schreiben vom 04. August 2010 (§ 24 Abs. 1 SGB X).

2. Die Mitgliedschaft der Ehefrau als Familienversicherte endete spätestens zum 31. Dezember 2006. Ob sie bereits vorher endete, ist für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Feststellung ohne Belang.

Zwar liegen die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Familienversicherung, wie sie in § 10 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V festgelegt sind, auch über den obigen Zeitpunkt hinaus vor und sind zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Die Ehefrau war aber in der streitigen Zeit deshalb nicht als Familienversicherte über ihren Ehemann, den Kläger als Mitglied, bei der Beklagten versichert, weil ihr Einkommen die maßgebende Grenze des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V überstieg und dies einen Ausschluss aus der Familienversicherung begründet.

§ 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V bestimmt (in der ab dem 30. März 2005 geltenden Fassung):

"Versichert sind der Ehegatte, der Lebenspartner und die Kinder von Mitgliedern sowie die Kinder von familienversicherten Kindern, wenn diese Familienangehörigen, kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches überschreitet; bei Renten wird der Zahlbetrag ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil berücksichtigt; für geringfügig Beschäftigte nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, § 8a des Vierten Buches beträgt das zulässige Gesamteinkommen 400 Euro."

a. Das Gesamteinkommen der Ehefrau ist für die Frage der Beendigung ihrer Familienversicherung nach § 10 Abs. 1 SGB V maßgeblich. Ihr Gesamteinkommen war ab dem 01. Januar 2007 regelmäßig höher als 1/7 der ab dem 01. Januar 2007 geltenden monatlichen Bezugsgröße. Es überstieg ab dem 01. Januar 2007 mit einem Jahreseinkommen in Höhe von 11.155,00 € regelmäßig im Monat ein Zwölftel der maßgeblichen monatlichen Bezugsgröße, wie der Bescheid zutreffend feststellte. Das ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Zum regelmäßigen Gesamteinkommen der Ehefrau gehören die Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Kapitalvermögen.

Gesamteinkommen ist nach der in § 16 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (SGB IV) enthaltenen Legaldefinition die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts; es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV) und das Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV).

Mit der Verweisung in § 16, 1. Halbsatz SGB IV auf das Einkommensteuerrecht ergibt sich ein abschließender Katalog der Einkunftsarten, der für die Feststellung des Gesamteinkommens maßgebend ist. Zu berücksichtigen sind alle sieben Einkunftsarten des EStG, d.h. die in § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG unter der Überschrift "Umfang der Besteuerung" genannten Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (Nr. 1), Gewerbebetrieb (Nr. 2), selbstständiger Arbeit (Nr. 3), nichtselbständiger Arbeit (Nr. 4), Kapitalvermögen (Nr. 5), Vermietung und Verpachtung (Nr. 6) sowie sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 EStG (Nr. 7). Zu welcher Einkunftsart Einkünfte im Einzelfall gehören, ergibt sich aus den §§ 13-24 EStG (§ 2 Abs. 1 Satz 2 EStG.)

Nicht maßgeblich ist das zu versteuernde Einkommen im Sinne des § 2 Abs. 5 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) oder das Einkommen im Sinne des § 2 Abs. 4 EStG oder der Gesamtbetrag der Einkünfte in § 2 Abs. 3 EStG, sondern die Summe der Einkünfte vor Abzug der in § 2 Abs. 3 - 5 EStG genannten Posten (Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 10 SGB V, Rn. 28).

"Regelmäßig im Monat" stellt dabei nicht auf regelmäßig monatlich zufließende Einkünfte ab, sondern auf die regelmäßigen Einkommensverhältnisse je Monat. Deshalb sind laufende monatliche Einkünfte auch einmalige Zahlungen, die regelmäßig wiederkehrend für einen längeren Zeitabschnitt erbracht bzw. gezahlt werden, wenn sie nach vorausschauender, den Zeitraum eines Jahres umfassender Betrachtung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten sind (dazu gehören Urlaubsgeld, Weihnachtszuwendungen, Tantiemen, Zinserträge). Einmalige, nicht wiederkehrende Einkünfte (z.B. Abfindungen, Jubiläumszuwendungen) oder Einkommen aus gelegentlichen befristeten Beschäftigungen, bleiben dagegen unberücksichtigt. Regelmäßige Einkünfte sind gleichmäßig auf alle Monate des Zahlungsabschnitts - zB des Kalenderjahres - zu verteilen (Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 10 Rn. 39). Bei schwankendem Einkommen, u.a. Selbständiger, ist regelmäßiges Einkommen der monatliche Durchschnitt des Jahreseinkommens (BSG, Urteil vom 04. Juni 1981 - 3 RK 5/80, Rn. 17 ff., noch zu § 205 Reichsversicherungsordnung - RVO; zur Maßgeblichkeit dieser Grundsätze unter Geltung des SGB IV, BSG, Urteil vom 07. Dezember 2000 - B 10 KR 3/99 R, Rn. 16).

Welches (Kalender-)Jahr für das durchschnittliche Jahreseinkommen maßgeblich ist, beantwortet § 16 SGB IV selbst nicht. Es ergibt sich aber aus seinem Sinn und Zweck. Das Gesamteinkommen bei § 10 SGB V entscheidet - wie z.B. auch in § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 6 SGB V - über den Versicherungsschutz. Daraus folgt, dass das maßgebliche Einkommen nicht erst nachträglich, ausgehend vom Ende des jeweiligen Monats oder Zeitabschnitts her zu betrachten ist, denn über die Frage des Versicherungsschutzes muss zu jeder Zeit Klarheit herrschen (BSG, aaO, Rn. 24 - 27). Maßgebend ist das voraussichtliche Einkommen, welches grundsätzlich anhand des durchschnittlichen Einkommens der zurückliegenden Zeit zu ermitteln ist, wenn keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten ist. Das Gebot vorausschauender Betrachtung anhand des vergangenen Einkommens ergibt sich auch aus der Verwendung des Begriffs des "regelmäßigen Einkommens". Er wird auch an anderer Stelle im Gesetz (in Abgrenzung zum "durchschnittlichen" Einkommen) gewählt, um gerade eine vorausschauende Beurteilung und nicht eine rückwirkende Betrachtung anzuordnen. Die vorausschauende Betrachtung bleibt auch dann maßgebend, wenn ihre Annahmen aufgrund nicht sicher voraussehbarer Umstände mit dem tatsächlichen Ablauf und der späteren Einkommensentwicklung nicht übereinstimmen. (KassKomm/Peters, SGB V § 6 Rn. 22; BSG, Urteil vom 07. Dezember 2000 - B 12 KR 3/99 R, Rn. 29).

Das Arbeitseinkommen i.S. des § 16 i.V.m. § 15 Abs. 1 SGB IV, welches nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts zu ermitteln ist, ist grundsätzlich aus dem jeweils letzten verfügbaren, d.h. erlassenen Einkommensteuerbescheid zu entnehmen. Die Anknüpfung an die Einkünfte i.S. des Steuerrechts erfolgte zur Verwaltungsvereinfachung, eine eigene Berechnung durch die Sozialversicherung soll weitgehend vermieden werden (Fischer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 16 SGB IV, Rn. 17 und 31). Dies bedingt zwar keine ausnahmslose Bindung an den Steuerbescheid, eine solche ist auch vom Gesetz mit § 16 SGB IV gerade nicht angeordnet (a.A. wohl LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2016 - L 5 KR 3462/15 Rn. 30). Der letzte Einkommensteuerbescheid ist allerdings nur dann nicht maßgeblich, wenn eine hinreichend sichere Aussicht besteht, dass zukünftig gänzlich von ihm abweichende Einkommensverhältnisse bestehen (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1982 - 3 RK 35/81 -, SozR 2200 § 205 Nr. 52, Rn. 21).

Diese Betrachtung ändert sich nicht dadurch, dass eine behördliche Entscheidung über die Versicherungspflicht für einen vergangenen Zeitraum, d.h. rückwirkend, getroffen wird. Für § 10 SGB V folgt das bereits daraus, dass die Verwaltungsentscheidung nur nachvollzieht, was von Gesetzes wegen gilt. Die Frage, zu welchen Zeiten eine Familienversicherung begründet war, muss auch bei rückwirkender Entscheidung für den jeweiligen Zeitraum ausgehend von seinem Beginn beantwortet werden. Im anderen Falle würde die Beantwortung der statusrechtlichen Frage der Familienversicherung davon abhängen, ob sie im Einzelfall prospektiv oder retrospektiv entschieden wird. Das gilt auch unter Berücksichtigung der prozessrechtlichen Ausgangssituation der Anfechtungsklage gegen die behördliche Entscheidung. Der prozessrechtliche Grundsatz, dass bei dieser maßgebend für die Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist, hat dienende Funktion und wird seinerseits vom materiellen Recht beherrscht.

Maßgebend für das Gesamteinkommen ist, ob anhand der durchschnittlichen Verhältnisse in der Vergangenheit absehbar war, dass die Voraussetzungen für die Familienversicherung nicht mehr erfüllt sind (bzw. waren). Auch bei der rückwirkenden Beurteilung ist daher die vorausschauende Perspektive einzunehmen, d.h. ausgehend von dem letzten verfügbaren Einkommensteuerbescheid. Spätere bis zur behördlichen Entscheidung ergangene Steuerbescheide bleiben unberücksichtigt, auch wenn sie den rückblickend zu bewertenden Zeitraum umfassen. Soweit die Entscheidung des BSG vom 25. August 2004 (B 12 KR 36/03 R) davon abzuweichen scheint, weil Einkommensteuerbescheide für zurückliegende Zeiträume zugrunde gelegt wurden, begründet sie dies nicht und ist vereinzelt geblieben. Sie findet auch in der untergerichtlichen Entscheidungspraxis nur vereinzelt "Nachfolger" (so wohl LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Oktober 2013 - L 11 KR 1983/12, Rn. 30; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05. September 2016 - L 1 KR 288/14, Rn. 21; Urteil vom 31. Januar 2014 - L 1 KR 156/12, Rn. 17; Thüringer LSG, Urteil vom 28. Juli 2015 - L 6 KR 212/13).

Die Situation ist für Familienversicherte nicht unbillig. Nach § 10 Abs. 6 Satz 1 SGB V hat das Mitglied Änderungen, die für die Durchführung der Familienversicherung notwendig sind, an die zuständige Krankenkasse zu melden.

b. Gemessen daran überstieg das zum 31. Dezember 2006 erkennbare Gesamteinkommen der Ehefrau des Klägers die Grenze des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V. Die Beklagte durfte dazu das durchschnittliche Jahreseinkommen aus dem letzten vergangenen Zeitraum zugrunde legen, wie es durch den Einkommensteuerbescheid 2005, ergangen am 13. Dezember 2006, belegt war. Dieser Bescheid wies eine Summe der Einkünfte für die Ehefrau in Höhe von 11.155 € aus. Die Feststellungen des Einkommensteuerbescheides vom 13. Dezember 2006 zu den Einkünften der Ehefrau tragen bei rückblickender Betrachtung die vorausschauende Prognose ab dem 13. Dezember 2006, auf jeden Fall aber ab 1. Januar 2007 bis zum nächsten Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 27. Mai 2008 (Einkommen jährlich: 6.973 €), dann bis zum 07. Januar 2009 (11.287 €) und bis zum 07. Januar 2010 (Steuerbescheid für 2008 mit einem Einkommen von 15.391 €). Umgerechnet mit 1/12 auf den Monat waren die Einkommensgrenzen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 durchgängig überschritten. Einen davon abweichenden Steuerbescheid hat der Kläger nicht vorgelegt.

Endete die Familienversicherung für die Ehefrau kraft Gesetzes mit Ablauf des 31. Dezember 2006, hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung, dass sie über diesen Zeitpunkt hinaus noch fortbestand.

c. Vertrauensgesichtspunkte sind zu Gunsten des Klägers oder seiner Ehefrau nicht zu berücksichtigen. Die Beklagte hat keine Handlungen oder Verlautbarungen vorgenommen, aufgrund derer der Kläger oder die Ehefrau davon ausgehen konnten, sie werde eine rückwirkende Beendigung der Familienversicherung nicht 2010 noch für 2007 vornehmen. Die Tatsache, dass der Kläger teilweise bereits vor 2010 Einkommenssteuerbescheide bei der Beklagten eingereicht hat, aus denen ersichtlich war, dass die Ehefrau so hohe Kapitaleinkünfte hatte, lässt sich nicht zu seinen Gunsten anführen. Nach Aktenlage hat er z.B. Steuerbescheide bis zum Mai 2009 stets nur zur Ermittlung der Beiträge für seine freiwillige Versicherung eingereicht, nicht zur Prüfung der Familienversicherung. Den Einkommensteuerbescheid 2007 vom 07. Januar 2009 hat er zudem zunächst unvollständig eingereicht. Selbst wenn er frühere Bescheide bereits vorher vollständig eingereicht hätte, durfte die Beklagte diese nicht ohne sein Einverständnis zur Prüfung der Familienversicherung verwenden.

Ein Verhalten, wegen dessen sie ihr Recht, die Beendigung der Familienversicherung mit Rückwirkung festzustellen, verwirkt hätte, liegt nicht vor. Ein positives Signal i.S. einer Bestätigung der Familienversicherung trotz des hohen Einkommens, auf das der Kläger vertrauen durfte, hat sie nicht gegeben. Allein das Nichtstun der Beklagten und der Zeitablauf begründen noch kein Vertrauen. Als Massenverwaltung war die Beklagte - in Anbetracht dessen, dass sich die Kapitaleinkünfte aus den Fragebögen nicht ergaben - nicht gehalten, Einkommenssteuerbescheide, die zu anderen Tatbeständen wie der freiwilligen Versicherung eingereicht wurden, nach Einkommen zu durchforsten, welches sich aus den Fragebögen zur Familienversicherung selbst nicht ergab. Die zur freiwilligen Versicherung eingereichten Steuerbescheide dienten zudem dem Beleg der angegebenen Tatsachen, ersetzen deren Angabe aber nicht.

Zudem ist der Kläger selbst nicht schutzwürdig, denn er hat über mehrere Jahre auf die entsprechende Anfragen mittels Fragebogen die entsprechend für Kapitaleinkünfte vorgesehenen Felder entweder gar nicht ausgefüllt hat oder - wie am 23. Dezember 2014 - explizit durchgestrichen hat, oder unklare Aussagen zu der Frage getroffen hat, ob solche Einkünfte der Ehefrau bestanden. So hat er im Fragebogen vom 28. Mai 2009 das entsprechende Feld offen gelassen, im Fragebogen vom 10. Juli 2009 dagegen bei "regelmäßige Einkünfte" einen Strich gesetzt, was eine Verneinung dieser Einkünfte bedeutet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da der Senat nicht von Grundsätzen des Bundessozialgerichts abweicht. Aus der Entscheidung vom 25. August 2004 (B 12 KR 36/03 R) ergeben sich keine abweichenden tragenden Gründe.