SG Frankfurt (Oder), Urteil vom 26.09.2018 - S 18 U 154/14
Fundstelle
openJur 2020, 36491
  • Rkr:

1. Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles liegt anknüpfend an die Rechtsprechung zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung vor, wenn ein Versicherter aufgrund der Folgen eines Versicherungsfalles nicht in der Lage ist, seiner zuletzt ausgeübten oder einer gleich oder ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen (Anschluss an Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2007, Aktenzeichen B 2 U 31/06 R, Rn 12).

2. Wird die zuletzt ausgeübte Arbeitsstelle aufgegeben und war der Versicherte im Rahmen seines Ausbildungsberufs tätig, so ist anstatt der Bedingungen der letzten Arbeitsstelle auf die generellen Bedingungen des Ausbildungsberufs abzustellen (Anschluss an Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2007, Aktenzeichen B 2 U 31/06 R, Rn 12).

3. Nimmt der Versicherte freiwillig eine neue Beschäftigung auf, so führt dieses grundsätzlich zur Beendigung der Arbeitsunfähigkeit (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 8. Februar 2000, Aktenzeichen B 1 KR 11/99 R). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es sich um eine Beschäftigung des ersten Arbeitsmarktes handelt. Die Aufnahme eines auf zwei Monate befristeten Probearbeitsverhältnisses zu marktunüblichen Bedingungen im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben führt daher nicht zur Veränderung des Bezugsberufs für die Bewertung der Arbeitsfähigkeit.

4. Zur Bewertung, ob eine im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vermittelte Tätigkeit oder eine tatsächlich angebotene Berufs- oder Erwerbstätigkeit im Sinne des § 46 Abs.3 S.1 SGB VII dem Versicherten zumutbar ist, ist zunächst entsprechend auf die Wertung des § 140 SGB III abzustellen. Ferner ist auf die Übereinstimmung der Tätigkeit mit den gesundheitlichen Beschwerden des Klägers zu achten.

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 5. September 2014 und 24. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2014 verurteilt, dem Kläger auf Grund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 28. August 2003 für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis 25. Oktober 2015 Verletztengeld zu gewähren.

2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Verletztengeld auf Grund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 28. August 2003 ab dem 1. August 2014.

Der am 1964 geborene Kläger ist gelernter Diplom - Forstingenieur und arbeitete bis in das Jahr 1996 im öffentlichen Forstdienst. Seit dem Jahr 1999 war der Kläger als Inhaber seines eigenen forstwirtschaftlichen Betriebes berufstätig und bei der Beklagten gesetzlich unfallversichert. Diesen Betrieb musste der Kläger wegen der Folgen des streitgegenständlichen Arbeitsunfalls vom 28. August 2003 mit einer HWS - Prellung sowie Frakturen der Dornfortsätze des siebten Halswirbelkörpers und des ersten Brustwirbelkörpers im Jahr 2013 aufgeben. Seit dem 27. November 2013 zahlte die Beklagte mit Rücksicht auf die erneut aufgetretene Arbeitsunfähigkeit des Klägers bezüglich seines zuletzt ausgeübten Berufs als selbständiger Forstwirt Verletztengeld. Ferner gewährte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit dem Ziel der Reintegration des Klägers in den Arbeitsmarkt.

Am 28. Mai 2014 schlossen die D GmbH (im Folgenden: "D"), die Beklagte und der Kläger einen öffentlich - rechtlichen Vertrag. Der Kläger wurde von der D als Serviceleiter Fahrwegpflege zu einem Bruttogehalt von 2098,11 Euro / Monat auf Probe eingestellt. Der Vertrag war zeitlich auf den Zeitraum 2. Juni 2014 bis 31. Juli 2014 befristet. Daraufhin stellte die Beklagte die bisher erfolgte Zahlung von Verletztengeld ein. Am 26. Juni 2014 signalisiert die D gegenüber der Beklagten telefonisch, dass sie mit der Arbeit des Klägers sehr zufrieden sei und ihn gerne einstellen würde. Die Beklagte stellte hierfür weitere Eingliederungsleistungen in Aussicht.

In einem Telefonat des Klägers mit der Beklagten vom 25. Juli 2014 teilte dieser der Beklagten mit, dass sein Probearbeitsverhältnis am 31. Juli 2014 ende. Die D habe ihm ein Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitsort W angeboten. Dieses Angebot habe er abgelehnt, da er für Hin- und Rückweg jeweils 125 Kilometer zurücklegen müsse und dieses nicht zumutbar sei. Er sei mit dem Auto täglich über zwei Stunden unterwegs. Dieses sei bereits medizinisch nicht zumutbar, insbesondere unter Berücksichtigung seiner Bandscheibenschäden im Bereich der HWS. Ferner müsse er bei einem Nettogehalt von 1000,00 Euro monatlich Fahrtkosten von 400,00 Euro aufbringen. Die Beklagte wies den Kläger darauf hin, dass sie für die ersten fünf Monate die Fahrtkosten übernehmen könne. Der Kläger erwiderte, dass er hieran nicht interessiert sei, da er die Fahrtkosten danach allein tragen müsse. Der Kläger teilte ferner mit, dass die D eine Stelle in der Nähe von F für ihn suche und wollte sich informieren, wie es weitergehe. Er gehe davon aus, dass ihm weiterhin Verletztengeld zustehe. Die Beklagte erwiderte darauf, dass dieses geprüft werden müsse.

Mit Schreiben vom 7. August 2014 bat die Beklagte den Kläger um Übersendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Prüfung von Verletztengeld. Mit Fax vom 18. August 2014 antwortete der Kläger, dass er mit der Mitarbeiterin der Beklagten Frau G besprochen habe, ob er wegen der ausgelaufenen Erprobung eine AU - Bescheinigung benötige. Dieses sei verneint worden. Mit einem weiteren Schreiben vom 19. August 2014 wandte sich der Kläger persönlich an Frau G und bat um Klärung des Sachverhalts, da sie ihm versichert habe, dass es wegen der Fortschreibung der Arbeitsunfähigkeit beziehungsweise der Zahlung von Verletztengeld keine Probleme geben werde.

Mit Schreiben vom 2. September 2014 antwortete Frau G, dass dem Kläger mitgeteilt worden sei, dass nach Ablauf des Probearbeitsverhältnisses erneut ein Anspruch auf Verletztengeld zu prüfen sei. Es sei jedoch keine Aussage getätigt worden, dass der Anspruch auf Verletztengeld bestehe. Ebenfalls sei nicht der Hinweis erfolgt, dass keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erforderlich sei, da ein Anspruch auf Verletztengeld unter anderem grundsätzlich nur bei ärztlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit bestehe.

Mit Bescheid vom 5. September 2014 entschied der Beklagte, dass der Kläger ab dem 1. August 2014 keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld habe. Ein Anspruch auf Verletztengeld bestehe nur dann, wenn in der vermittelten leidensgerechten Tätigkeit Arbeitsunfähigkeit vorliege und diese ärztlich bescheinigt werde. Dieses sei nach Prüfung der Unterlagen nicht der Fall.

Am 8. September 2014 erhielt die Beklagte eine vom Durchgangsarzt und Facharzt für Chirurgie Dr. H am 9. September 2014 ausgestellte AU - Bescheinigung für eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab dem 1. September 2014.

Mit einem weiteren Bescheid vom 24. September 2014 lehnte die Beklagte die Gewährung von "pauschaliertem Verletztengeld" ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger aus seiner versicherten Tätigkeit als forstwirtschaftlicher Unternehmer im Jahr 2014 kein Einkommen mehr erzielt habe. Auch aus der Tätigkeit bei der D habe der Kläger unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 1. September 2014 kein Einkommen erzielt.

Mit Schriftsatz vom 29. September 2014 legte der Kläger gegen die vorgenannten Bescheide der Beklagten Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er inzwischen durch Herrn Dr. H den geforderten Nachweis der Arbeitsunfähigkeit erbracht habe. Er habe bis zum Beginn der Probearbeit bei der D als Serviceleiter Verletztengeld von der Beklagten erhalten. Es sollte herausgefunden werden, ob ihm diese Arbeit gesundheitlich zumutbar sei. Dieses sei leider nicht der Fall.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2014 wurde der Widerspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Oberarzt des Klinikums Dr. P mitgeteilt habe, dass dem Kläger mit Rücksicht auf die Beschwerdesymptomatik im Bereich der Halswirbelsäule ein täglicher Arbeitsweg von 125 Kilometern nicht zumutbar sei. Jedoch habe der Kläger aus seinem Arbeitsverhältnis bei der D vor Beginn der attestierten Arbeitsunfähigkeit am 1. September 2014 kein Arbeitsentgelt bezogen, da dieses bereits am 31. Juli 2014 geendet habe. Nach § 45 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sei jedoch Tatbestandsvoraussetzung, dass unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Einkommen bestanden habe. Dasselbe gelte für die Arbeitsunfähigkeit bezogen auf das forstwirtschaftliche Unternehmen des Klägers. Ein pauschaliertes, vom Einkommen unabhängiges Verletztengeld könne dem Kläger nicht gezahlt werden, da er diese Tätigkeit zum 31. Dezember 2013 aufgegeben habe.

Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2014 hat der Kläger gegen die vorgenannte Entscheidung der Beklagten Klage erhoben. Aus seiner Sicht habe die Arbeitsunfähigkeit durchgehend bestanden. Das Fehlen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Monat August 2014 schließe bei tatsächlichem Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit die Gewährung von Verletztengeld nicht aus. Dass ihm nach der aus gesundheitlichen Gründen gescheiterten Berufsfindung bei der D kein Verletztengeld mehr gezahlt werde, halte er für ungerecht.

Ab dem 26. Oktober 2015 nahm der Kläger erneut an einer Arbeitserprobung mit Gewährung von Übergangsgeld teil. Seit dem 26. April 2016 ist der Kläger als Einkäufer in privaten Bauunternehmen vollschichtig berufstätig.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 5. September 2014 und 24. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2014 zu verurteilen, ihm auf Grund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 28. August 2003 für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis 25. April 2016 Verletztengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat zur Sachaufklärung weitere medizinischen Unterlagen des Klägers beigezogen und in beiden Verfahren ein Gutachten auf dem orthopädisch - unfallchirurgischen Fachgebiet durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. S eingeholt.

Dr. S stellte in seinem Gutachten vom 3. Mai 2017 für den Kläger folgende Gesundheitsfolgen fest:

- Unter Bildung straffer Scheingelenke - Pseudoarthrosen - ausgeheilte Knochenbrüche der Dornfortsätze des 7. Halswirbels und des 1. Brustwirbels

- Leichtgradige Teillähmung im Versorgungsgebiet des rechten Achselnerven mit Muskelverschmächtigung des rechten Schulterkappenmuskels

- Bandscheibenschäden und knöcherne Verschleißerscheinungen von Wirbelkörpern und Wirbelgelenken an der Halswirbelsäule

- Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule und des Schultergürtels infolge rückfälliger muskulärer Verspannungen und Reizerscheinungen

- Chronische Schmerzstörung

- In leichter Drehfehlstellung und Verkürzung stabil ausgeheilter Knochenbruch des körperfernen Unterschenkels links, hintere und seitliche Stabilitätsminderung des linken Kniegelenks

Die Bildung der straffen Scheingelenke nach Brüchen der Dornfortsätze des 7. Halswirbels und des 1. Brustwirbels sowie die leichtgradige Teillähmung im Versorgungsgebiet des rechten Achselnerven mit Muskelverschmächtigung des rechten Schulterkappenmuskels seien auf den Arbeitsunfall vom 28. August 2003 zurückzuführen. Die Bandscheibenschäden und knöchernen Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule seien degenerative Schäden und nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen. Die schmerzhaften Funktionsstörungen der Halswirbelsäule und des Schultergürtels seien allenfalls marginal mit Gesundheitsstörungen auf dem orthopädisch - unfallchirurgischen Fachgebiet zu erklären. Bezüglich dieser Klärung und insbesondere bezüglich der Ursache und des Ausmaßes der chronischen Schmerzstörung sei eine Zusammenhangsbegutachtung auf dem psychiatrischen Fachgebiet notwendig. Die Verletzungen des linken Unterschenkels und des linken Kniegelenks stünden nicht im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Unfallereignis vom 28. August 2003.

Dr. S schätzte ein, dass der Kläger in der Lage sei, körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen, Körperzwangshaltungen und Überkopfarbeiten zu verrichten. Als selbständiger Forstwirt beziehungsweise Holzfäller könne der Kläger nicht mehr arbeiten. Die Tätigkeit bei der D im Sinne einer Bürotätigkeit mit Aufgaben der Planung und der Organisation und teilweisen Aufsicht und Anleitung auf Baustellen sei auf seinem Fachgebiet leidensgerecht. Bezogen auf diese Tätigkeit sei im Zeitraum vom 31. Juli 2014 bis 26. April 2016 Arbeitsfähigkeit zu bejahen.

Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat auf Anregung von Dr. S ein Zusammenhangsgutachten auf dem psychiatrisch - psychotherapeutischen Fachgebiet durch den Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. U eingeholt. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 12. Februar 2018 fest, dass der Kläger an einer chronische Schmerzstörung mit körperlicher und psychosomatischer Symptomatik sowie an einer Anpassungsstörung mit vorwiegender Störung andere Gefühle leidet. Die Anpassungsstörung resultiere neben belastenden Faktoren im familiären Bereich des Klägers und finanziellen Sorgen aus enttäuschenden Kontakten zu Ärzten, Gutachtern und der Beklagten sowie durch Erfahrungen mit Veränderungen, unter anderem durch Frustration im Rahmen der beruflichen Rehabilitation. Hieraus resultiere eine innerpsychische Fixierung auf die Unfallfolgen und die damit verbundenen Konflikte, ein Unverständnis im Hinblick auf das Verhalten von Ärzten, Gutachtern und Kostenträgern, die Enttäuschung, Verärgerung, Kränkung, Unzufriedenheit und Vorwürflichkeit, die Herabstimmung, die vermehrte affektive Modulation und eine leichte Einschränkung der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit. Die Schmerzstörung sei ebenfalls durch das Unfallereignis mitverursacht und im Wesentlichen körperlich bedingt. Sie führe zu keinen weiteren Einschränkungen. Auf seinem Fachgebiet bestehe in Bezug auf den Beruf als Serviceleiter bei D keine Arbeitsunfähigkeit. Dieses gelte auch für die notwendige An- und Abreise.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2018, die Gerichtsakte, die Gerichtsakten zu den Parallelverfahren S 18 U 14/15 und 18 U 114/13 und auf die Verwaltungsakten der Beklagten zu den Unfallereignissen vom 28. August 2003 und 2. Juli 2007 Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage ist gemäß § 54 Abs.1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in zulässiger Weise als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben worden. Der Klageantrag wurde als Antrag auf ein Grundurteil nach § 130 Abs.1 SGG gestellt, da das vom Kläger begehrte Verletztengeld eine Geldleistung ist, auf die ein gebundener Anspruch besteht.

II.

1.

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat für den begehrten Zeitraum vom 1. August 2014 bis 25. Oktober 2015 gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld. Die Beklagte war daher unter Aufhebung der streitgegenständlichen Entscheidungen dem Grunde nach zu Erbringung von Verletztengeld für den beantragten Zeitraum zu verurteilen, da die ablehnende Entscheidung der Beklagten rechtswidrig ist und den Kläger in seinen subjektiven öffentlich - rechtlichen Rechten verletzt.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten gestützt auf die Normen des § 48 und § 45 SGB VII für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis 25. Oktober 2015 einen Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld, da er in Bezug auf die bei der Beklagten versicherte Tätigkeit als selbständiger forstwirtschaftlicher Unternehmer bereits seit Ende des Jahres 2013 durchgehend arbeitsunfähig war, aus dieser Tätigkeit Einkommen erzielt hatte und kein einschlägiger Beendigungstatbestand ersichtlich ist.

Gemäß § 45 Abs.1 SGB VII, auf den § 48 SGB VII für die im Fall des Klägers vorliegenden Wiedererkrankung entsprechend verweist, wird Verletztengeld erbracht, wenn Versicherte in Folge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können und unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Heilbehandlung Anspruch auf Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, Krankengeld, Pflegeunterstützungsgeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, nicht nur darlehensweise gewährtes Arbeitslosengeld II oder nicht nur Leistungen für Erstausstattungen für Bekleidung bei Schwangerschaft und Geburt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch oder Mutterschaftsgeld hatten.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger war in Folge der bei ihm vorliegenden unfallbedingten Verletzungen in Form eines Zustandes nach Dornfortsatzabrissen über dem sechsten Halswirbel und dem ersten Brustwirbel mit der Bildung von Pseudoarthrosen sowie einer Teillähmung der rechten Schulterkappenmuskulatur nur noch unter erheblichen qualitativen Einschränkungen in der Lage, vollschichtig körperliche Arbeiten zu verrichten. Insbesondere war die Arbeitsschwere auf nur noch körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten beschränkt. Vor diesem Hintergrund teilt die Kammer die Einschätzung des Gutachters Dr. S sowie der behandelnden Ärzte der S Kliniken S im Reha - Entlassungsbericht vom 10. Dezember 2013, dass der Kläger spätestens seit Beginn der stationäre Reha - Maßnahme am 12. November 2013 bis zur Begutachtung durch Dr. S im Jahr 2017 seine zuletzt verrichtete Tätigkeit als Forstingenieur wie auch generell eine Tätigkeit als selbständiger Forstingenieur nicht mehr verrichten konnte und er daher auf Grund der Folgen des streitgegenständlichen Arbeitsunfalls vom 28. August 2003 zumindest bis zum Ende des streitgegenständlichen Zeitraums durchgehend arbeitsunfähig war.

Für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist auf die zuletzt verrichtete Berufstätigkeit als selbständiger Forstingenieur abzustellen. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 30. Oktober 2007, Aktenzeichen B 2 U 31/06 R zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung Folgendes ausgeführt:

"Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles liegt anknüpfend an die Rechtsprechung zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung vor, wenn ein Versicherter aufgrund der Folgen eines Versicherungsfalles nicht in der Lage ist, seiner zuletzt ausgeübten oder einer gleich oder ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen.... Arbeitsunfähigkeit ist danach gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles konkret ausgeübte Tätigkeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann. Dass er möglicherweise eine andere Tätigkeit trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung noch ausüben kann, ist unerheblich. Gibt er nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit die zuletzt innegehabte Arbeitsstelle auf, ändert sich allerdings der rechtliche Maßstab insofern, als für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr die konkreten Verhältnisse an diesem Arbeitsplatz maßgebend sind, sondern nunmehr abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen ist. Der Versicherte darf dann auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten "verwiesen" werden, wobei aber der Kreis möglicher Verweisungstätigkeit entsprechend der Funktion des Kranken- beziehungsweise Verletztengeldes eng zu ziehen ist. Handelt es sich bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit um einen anerkannten Ausbildungsberuf, so scheidet eine Verweisung auf eine außerhalb dieses Berufes liegende Beschäftigung aus. Auch eine Verweisungstätigkeit innerhalb des Ausbildungsberufs muss, was die Art der Verrichtung, die körperlichen und geistigen Anforderungen, die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie die Höhe der Entlohnung angeht, mit der bisher verrichteten Arbeit im Wesentlichen übereinstimmen, sodass der Versicherte sie ohne größere Umstellung und Einarbeitung ausführen kann. Dieselben Bedingungen gelten bei ungelernten Arbeiten, nur dass hier das Spektrum der zumutbaren Tätigkeiten deshalb größer ist, weil die Verweisung nicht durch die engen Grenzen eines Ausbildungsberufes eingeschränkt ist." (vgl. Rn 12 der zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts, zitiert nach juris).

Dieses zu Grunde gelegt ist auf den Beruf des Klägers als selbständiger Forstingenieur abzustellen. Diesen Beruf hat der Kläger erlernt und vor dem versicherten Unfallereignis vom 28. August 2003 wie auch nach diesem Ereignis bis zum Wiedereintritt der Arbeitsunfähigkeit Ende des Jahre 2013 zur Erzielung von Erwerbseinkommen ausgeübt. Mit Rücksicht auf die Aufgabe dieses Berufs mit Ablauf des Jahres 2013 ist nicht mehr auf die konkrete Tätigkeit des Klägers als selbständiger Forstingenieur in seinen eigenen Betrieb sondern generell auf das Berufsbild des Forstingenieurs abzustellen, da es sich hierbei um den zuletzt ausgeübten und gleichzeitig um den Ausbildungsberuf des Klägers handelt. Diesen Beruf kann der Kläger nach den gutachterlichen Feststellungen nicht mehr verrichten, da ihm eine körperliche Mitarbeit bei Forstarbeiten nicht mehr möglich ist, die aber zum Berufsbild des Forstingenieurs gehört. Bereits die Aufrechterhaltung des eigenen Betriebs war dem Kläger bis zum Jahr 2013 nur dank der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die Beklagte und eine Umorganisierung seines Betriebes durch die Einstellung eines Mitarbeiters möglich gewesen, wodurch der Anteil der schweren körperlichen Tätigkeit des Klägers in seinem konkreten Beruf bereits deutlich reduziert worden war. Auf dem Kläger gesundheitlich zumutbare reine Büroarbeiten muss der Kläger sich zur Bewertung der Arbeitsunfähigkeit nicht verweisen lassen, da dieses nicht dem Berufsbild der Forstingenieurs entspricht.

Ein Ende der im Jahr 2013 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Sinne des § 46 Abs.3 S.1 Nr.1 SGB VII ist wie bereits ausgeführt bis zum Abschluss des streitgegenständlichen Zeitraums nicht eingetreten. Eine Beendigung der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der vorgenannten Norm trat insbesondere nicht dadurch ein, dass der Kläger im Zeitraum vom 2. Juni 2014 bis 31. Juli 2014 eine Probebeschäftigung bei der D als Serviceleiter Fahrwegpflege eingegangen ist. Dieses gilt auch vor dem Hintergrund, dass in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 44 Fünftes Buch Sozialgerichtsgesetz (SGB V) entschieden wurde, dass die Arbeitsunfähigkeit mit Bezug auf den zuletzt ausgeübten Beruf endet, sobald der Versicherte freiwillig ein neues Beschäftigungsverhältnis eingeht (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 8. Februar 2000, Aktenzeichen B 1 KR 11/99 R, Rn 14; so auch § 2 Abs.4 S.3 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur Stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Abs.1 S.2 Nummer 7 SGB V (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie)), der Begriff der Arbeitsunfähigkeit im SGB VII dem Begriff der Arbeitsunfähigkeit im SGB V entspricht (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2007, a.a.O., Rn 12; Ricke in Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, zu § 45 SGB VII, Randnummer 3) und die Tätigkeit des Klägers eine vollschichtige, sozialversicherungspflichtige Tätigkeit mit einem auskömmlichen Erwerbseinkommen darstellte, die der Kläger zwei Monate lang ohne Fehltage absolvierte. Denn Voraussetzung dafür, dass auf eine neue Beschäftigung als Bezugsberuf für die Arbeitsunfähigkeit abzustellen ist, ist zur Überzeugung der Kammer, dass es sich um eine Beschäftigung des ersten Arbeitsmarktes handelt, die der Versicherte unter zumutbaren Bedingungen verrichten kann. So wird in der Literatur zu Recht darauf hingewiesen, dass die Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben grundsätzlich nicht dazu führt, dass hierdurch die Arbeitsunfähigkeit endet (vgl. Schur in Hauck / Noftz, Kommentar zum Sozialgesetzbuch, zu § 45 SGB VII, Werkstand 01/17 Randnummer 7). Dieses ist im vorliegenden Fall von Bedeutung, da die Probebeschäftigung des Klägers nur auf Grundlage eines öffentlich - rechtlichen Vertrages zwischen dem Kläger, der Beklagten und der D zur Erbringung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben mit einer Übernahme der vollen Kosten der Maßnahme durch die Beklagte zustande kam, von vornherein zeitlich beschränkt war und auch nicht den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entsprach, da sich die D im Rahmen dieses Vertrages verpflichtete, den Kläger für die Tätigkeit als Serviceleiter Fahrwegpflege anzulernen. Eine solche Tätigkeit, ist zur Überzeugung der Kammer keine vollwertige Tätigkeit, die bereits zu einer Integration des Klägers in einen anderen Beruf geführt hat, so dass auf diese Tätigkeit als neuer Bezugsberuf für die Bestimmung der Arbeitsunfähigkeit abgestellt werden könnte. Daher verblieb es auch über den 1. Juni 2014 hinausgehend bei der aus dem Sozialversicherungsverhältnis des Klägers mit der Beklagten auf Grund des Arbeitsunfallereignisses vom 28. August 2003 als Versicherungsfall im Sinne des § 7 SGB VII und § 26 SGB VII eingetretenen Pflicht der Beklagten, den Kläger weiterhin durch die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Reintegration in der Arbeitsmarkt zu unterstützen und ihn bis dieses schlussendlich im Jahr 2016 gelungen war, im Rahmen der gesetzlichen Fristen durch die Zahlung von Verletztengeld beziehungsweise Übergangsgeld als Entgeltersatzleistungen für das in Folge des Versicherungsfalls entfallene Erwerbseinkommen zu alimentieren. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben hat die Beklagte auch weiterhin erbracht.

Für das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit über den 1. Juni 2014 hinaus kommt hinzu, dass die Verrichtung der Tätigkeit als Serviceleiter Fahrwegpflege dem Kläger mit Rücksicht auf die ihm vermittelte Probearbeitsstelle in W nicht zumutbar war, so dass auch vor diesem Hintergrund noch nicht von einer Integration in den ersten Arbeitsmarkt und damit von einer zum Ende der Arbeitsunfähigkeit führenden Beschäftigungsausnahme gesprochen werden kann.

Eine Verweisung auf eine durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vermittelte Stelle als neuer Bezugsberuf für den Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelungen des Verletztengeldes und der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nur dann gerechtfertigt, wenn diese Arbeitsstelle in zumutbarer Weise täglich erreichbar ist (in diesem Sinne bezüglich einer Verweisungstätigkeit zur Bewertung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit: Landessozialgericht Berlin - Brandenburg, Urteil vom 15. Dezember 2011, Aktenzeichen L 22 U 117/08, Rn 53 m.w.N., zu recherchieren unter www.juris.de). Maßstab dafür, ob eine Verweisungstätigkeit oder eine durch Leistungen am Arbeitsleben vermittelte Tätigkeit zumutbar ist, ist hierbei grundsätzlich in entsprechender Anwendung die Norm des § 140 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zu den allgemeinen Vorgaben zur Zumutbarkeit der Aufnahme und Ausübung einer Berufstätigkeit, wobei ergänzend hierzu die persönlichen Einschränkungen des Versicherten auf Grund der gesundheitlichen Folgen des versicherten Ereignisses zusätzlich zu berücksichtigen sind. Nach § 140 Abs.4 S.2 SGB III sind bei einer Vollzeitbeschäftigung tägliche Pendelzeiten von über 2 ½ Stunden grundsätzlich nicht mehr zumutbar. Vom Wohnort des Klägers zu seiner Dienststelle in W musste der Kläger arbeitstäglich eine Strecke von 126 Kilometern in eine Richtung zurücklegen. Hierfür musste der Kläger nach Auskunft des im Internet zugänglichen Routenplaners der Firma F mit dem PKW rund drei Stunden Fahrzeit arbeitstäglich absolvieren. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln dauert die Anreise nochmals deutlich länger. Schließlich war es dem Kläger in entsprechender Anwendung der Norm des § 140 Abs.4 S.7 SGB III mit Rücksicht auf die Betreuung seiner minderjährigen Tochter und dem Bestehen einer festen Beziehung zu seiner Lebenspartnerin und heutigen Ehefrau mit einer schwerwiegenden neurologischen Erkrankung aus persönlichen Gründen nicht zumutbar, zu dieser Dienststelle zu ziehen, zumal die Tätigkeit dort zunächst auf zwei Monate beschränkt war.

Eine Ende der Verletztengeldzahlung nach einem anderen Tatbestand des § 46 Abs.3 S.1 und 2 SGB VII ist im streitgegenständlichen Zeitraum ebenfalls nicht festzustellen. Die Norm des § 46 Abs.2 S.2 Nr.1 SGB VII ist nicht einschlägig, da der Kläger nicht in der Lage war, eine zumutbare, ihm zur Verfügung stehende Erwerbstätigkeit auszuüben. Die ihm in W nach Abschluss der Probearbeit angebotene Stelle bei der D war dem Kläger wie bereits ausgeführt wegen der langen Fahrtzeit und der aus persönlichen Gründen bestehenden Unzumutbarkeit des Umzugs in die Nähe der angebotenen Arbeitsstelle in entsprechender Anwendung des § 140 SGB VII nicht zumutbar (zur entsprechenden Anwendbarkeit der Zumutbarkeitsregelungen des SGB III Ricke in Kassler Kommentar, a.a.O., zu § 46 SGB VII, Rn 15). Ob dem Kläger die täglich Anfahrt nach W auch aus den bei ihm konkret vorliegenden gesundheitsbedingten körperlichen Einschränkungen unzumutbar war, muss die Kammer vor diesem Hintergrund nicht entscheiden. Ein anderer Arbeitsplatz bei der D konnte dem Kläger trotz der Bemühungen der Beteiligten und der D nicht konkret angeboten werden. Die Norm des § 46 Abs.3 S.2 Nr.3 SGB VII stellt keine generelle zeitliche Höchstgrenze für den Bezug von Verletztengeld dar (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2007, Aktenzeichen B 2 U 31/06 R).

Schließlich hat der Kläger vor Beginn der seit Ende 2013 durchgehend bestehenden Arbeitsunfähigkeit für den Bezugsberuf als Forstingenieur aus dieser Tätigkeit Arbeitseinkommen im Sinne des § 45 Abs.1 SGB VII erzielt, so dass alle Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung von Verletztengeld für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis 25. Oktober 2015 erfüllt sind.

2.

Die Kostengrundentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Hauptsacheverfahrens.

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