LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Beschluss vom 20.04.2018 - L 15 SO 213/17 B PKH
Fundstelle
openJur 2020, 36152
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2017 aufgehoben. Der Klägerin wird für das bei dem Sozialgericht Berlin anhängige Verfahren S 92 SO 1079/16 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 10. August 2016 bewilligt und Rechtsanwalt H S, O Straße B, beigeordnet.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2017, mit dem dieses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Verfahren S 92 SO 1079/16, in dem die Klägerin die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GruSi) begehrt, abgelehnt hat, ist gemäß den § 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Bewilligung von PKH.

Nach § 73 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält auf Antrag PKH ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn der Kläger in der Hauptsache möglicherweise obsiegen wird. Erfolgsaussichten bestehen vor allem dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 13. März 1990, Aktenzeichen 2 BvR 94/88, juris Rn. 28 = NJW 1991, 413, 414) oder weitere Ermittlungen durchzuführen sind (§ 103 SGG), bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können.

Vorliegend ist die Klage inzwischen schlüssig begründet. Mit der Vorlage der Haftbescheinigung des Sohnes der Klägerin, der seit dem 25. Juni 2015 bis voraussichtlich 24. Dezember 2019, also viereinhalb Jahre, einsitzt, ist klargestellt, dass der Sohn keinen (eigenen) Anspruch auf Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) durch den Sozialhilfeträger haben dürfte. Die KdUH werden bei Inhaftierung lediglich für ca. ein Jahr übernommen (vgl. Bieback in Grube-Wahrendorf, Kommentar zum Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch - SGB XII -, 5. Auflage, § 68 Rn. 22 m.w.N.). Bei einer solchen Sachlage, dass ein Mitglied der "Wohngemeinschaft" mit der Miete ausfällt, kommt eine Abweichung vom in der Regel geltenden Kopfteilprinzip in Betracht (vgl. zu Beispielen der Abweichung vom Kopfteilprinzip das Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 23. Mai 2013, Az. B 4 AS 67/12 R, dokumentiert in juris und in SozR 4-4200 § 22 Nr. 68), wobei fraglich ist, ob das Kopfteilprinzip hier überhaupt eine Rolle spielt, da sich der Sohn der Klägerin tatsächlich nicht in der Wohnung aufhalten kann.

Auch die Tatsache, dass die Klägerin einen Anspruch auf Wohngeld haben dürfte, steht einer Erfolgsaussicht nicht entgegen. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein Hilfebedürftiger, der Sozialhilfeleistungen beantragt hat, sich nicht auf die Inanspruchnahme von Wohngeld verweisen lassen muss (Beschluss vom 7. Februar 2017, Az. L 15 SO 252/16 B PKH, bisher nicht veröffentlicht; a.A. Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 18. Dezember 2017, Az. S 145 SO 1717/17, dokumentiert in juris). Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei dem Wohngeld nicht um eine im Verhältnis zur Sozialhilfe vorrangige Leistung. Der in § 2 Abs. 1 SGB XII aufgestellte,,Nachranggrundsatz” ist, "wenn andere Leistungen tatsächlich nicht erbracht werden, keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw. konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne weiteres realisierbar sind” (ständige Rechtsprechung des BSG, siehe Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R -, SozR 4-3500 § 54 Nr 8, Rn. 25 m.w.Nachw.). Abgesehen davon ergibt sich aus § 7 Wohngeldgesetz (WoGG)- "Ausschluss von Wohngeld" -, dass den Leistungsberechtigten ein Wahlrecht zwischen der Inanspruchnahme von Wohngeld oder der Gewährung (unter anderem) von GruSi zusteht. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WoGG sind vom Wohngeld ausgeschlossen Empfänger und Empfängerinnen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, wenn bei deren Berechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind (Leistungen). Nach § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 WoGG besteht der Ausschluss nicht, wenn durch Wohngeld die Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, des § 19 Abs. 1 und 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch oder des § 27a des Bundesversorgungsgesetzes vermieden oder beseitigt werden kann und (a) die Leistungen nach Satz 1 Nr. 1 bis 7 während der Dauer des Verwaltungsverfahrens zur Feststellung von Grund und Höhe dieser Leistungen noch nicht erbracht worden sind oder (b) der zuständige Träger eine der in Satz 1 Nr. 1 bis 7 genannten Leistungen als nachrangig verpflichteter Leistungsträger nach § 104 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch erbringt.

Daraus ergibt sich, dass nur der gleichzeitige Bezug von GruSi unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Wohngeld ausgeschlossen sein soll (siehe im gleichen Sinn zur Vorgängerregelung in § 1 Abs. 2 WoGG in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung Verwaltungsgerichthof Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Juni 2009, Az. 12 S 2854/07, juris Rn. 35 = NVwZ-RR 2009, 768ff). Eine Änderung der Rechtslage ist insoweit auch zum 1. August 2016 nicht eingetreten.

Zu der Problematik, ob alternativ zu Wohngeld auch die Sozialhilfe, hier in Form von GruSi "gewählt" werden kann, gibt es, soweit ersichtlich, bisher keine höchstrichterliche Entscheidung, obwohl sich diese Problematik häufiger stellt. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist damit gegeben.

Da die Klägerin nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, war ihr Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen und ihr ihr Prozessbevollmächtigter beizuordnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73 a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 177 SGG).

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