AG Bernau bei Berlin, Urteil vom 30.03.2017 - 10 C 868/16
Fundstelle
openJur 2020, 35397
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 108,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszins seit dem 30.5.2015 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt aus abgetretenem Recht die Beklagte auf Zahlung aus dem Behandlungsvertrag vom 4.12.2015 in Anspruch. Die Beklagte war bei der Zedentin vom 4.2.2015 bis 5.2.2015 in Behandlung. Sie rechnete die Behandlungsleistungen ab. Die Leistungen wurden mit Ausnahme des Mehrwertsteueranteils ausgeglichen. In der Rechtsprechung bzw. Praxis ist umstritten, ob eine Privatklinik Mehrwertsteuer auf ihre Leistungen verlangen kann, oder wie Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft nicht. Die Zedentin ist beim Finanzamt für Körperschaften als Mehrwertsteuerpflichtiger Unternehmer gelistet. Auf Blatt 20 wird verwiesen. Die Klägerin ist der Meinung, dass die Beklagte zur Zahlung auch der Mehrwertsteuer verpflichtet sei.

Die Klägerin beantragt, wie erkannt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Meinung, dass die Zedentin Leistungen als anerkannte Einrichtung gleicher Art im Sine des Art. 132 Abs.l lit (b) MwStSysRL erbringe.

Die Streitverkündete tritt der Meinung der Beklagten bei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung aus dem Behandlungsvertrag (Krankenhausleistung), § 611 BGB. Denn ein Anspruch auf Zahlung der noch offenen Umsatzsteuer auf den Betrag von 569,52 € besteht. Denn die Beklagte war bei der Zedentin in einer Privatklinik zur stationären Behandlung. Es handelt sich bei der Zedentin nicht nur um eine Privatklinik, sondern ausweislich ihres Internetauftritts um eine Klinik im Premiumbereich im (Nobel-)Quartier 206 in Berlin-Mitte. Betrachtet man allein die Zimmerausstattung: "Zimmerausstattung:

- Bad mit Dusche & Fußbodenheizung

- Badeslipper, Handtücher sowie Bad Amenities

- Schrank mit integriertem Safe für Ihre persönlichen Gegenstände

- Kleiner Tisch mit Stühlen

- Minibar

- Room-Service

- Wäscheservice

- Klimaanlage

- LCD-Fernseher mit nationalen und internationalen ProgrammenTelefonW-LAN

- BademantelFön

- DuschhaubenRasiersetDVD-Player

- u . v. m. "

(Auszug aus der homepage der Zedentin)

wird deutlich, dass es sich hier nicht um ein vergleichbares Krankenhaus in öffentlicher Trägerschaft handelt. Zudem ist die Zedentin nach dem Bescheid des Finanzamtes Mehrwertsteuerpflichtig. Auf Blatt 20 wird verwiesen.

Der Bundesfinanzhof (BFH Urteil vom 23.10.2014 VR 20/14) hat sich zu dem Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 b Mehrwertsteuersystemrichtlinie insoweit geäußert, als dass sich ein Krankenhaus unter bestimmten Voraussetzungen auf diese Regelung berufen kann. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung gegenüber dem einzelnen Patienten die Regelung auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen, lässt sich weder aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes noch aus anderen Steuer-, zivil- oder europarechtlichen Erwägungen ableiten.

So kann es für die Klägerin wirtschaftlich unter Umständen vorteilhaft sein gerade nicht die europarechtliche, sondern die nationale Regelung in Anspruch zu nehmen, da sie nur auf diese Weise mögliche Vorteile einer Vorsteuerabzugsberechtigung erlangen kann. Die gegenteilige Sichtweise würde bedeuten, dass ein einzelner Patient im Rahmen eines Behandlungsvertrages mittelbar verlangen könnte, dass ein Krankenhaus einen solchen betriebswirtschaftlichen Vorteil aufgibt.

Ein privates Krankenhaus ist im Rahmen eines einzelnen Behandlungsvertrages gegenüber einem Patienten nicht verpflichtet, seine gesamte betriebswirtschaftliche und steuerrechtliche Organisation darauf auszurichten, dass dem Patienten möglichst geringe Kosten entstehen.

Das Gesagte muss im Übrigen erst recht in solchen Fallkonstellationen gelten, in denen - wie vorliegend - die zuständige Finanzverwaltung die Auffassung vertritt, dass die Leistungen der Klägerin der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Auch insofern entspricht es der grundrechtlich abgesicherten unternehmerischen Freiheit des einzelnen Krankenhauses, die Entscheidung zu treffen die Auffassung der Finanzverwaltung zu akzeptieren. Eine Verpflichtung zur Durchführung eines jahrelangen Rechtsstreits vor den Finanzgerichten - mit ungewissem Ausgang - ist nicht anzunehmen.

Ferner gilt: In Anlehnung an die Entscheidung des Bundesfinanzhofes (BFH, Az: VR 20/14) ist dann von einer Umsatzsteuerbefreiung der Privatkliniken auszugehen, wenn mindestens 40 % der jährlichen Belegungs- und Berechnungstage auf Patienten entfallen, bei denen kein höheres Entgelt als für die allgemeine Krankenhausleistungen berechnet wurden. Die Klägerin behauptet zudem, dass in der Klinik der Zedentin ausschließlich privat versicherte Patienten behandelt werden. Die Bedingung, dass mindestens 40 % der jährlichen Belegungstage für allgemeine Krankenhausleistungen entfallen, ist damit nicht ansatzweise erfüllt. Ferner ist die Zedentin nicht in den Krankenhausplan des Landes Berlin aufgenommen worden (siehe Punkt 4 des Behandlungsvertrages auf Blatt 19).

Soweit die Klägerin nun auf das Rundschreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 6.10.2016 (III C 3 - S 7170/10/100004) beruft, vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass dies eine Änderung bringen sollte. Unter Punkt II dieses Schreibens wird mitgeteilt, dass sich nicht- öffentlich-rechtliche Krankenhäuser auf die Steuerbefreiung berufen können, wenn vergleichbare Bedingungen (zu den Krankenhäusern in der öffentlichen Hand) in sozialer Hinsicht vorliegen.

Das Gericht hat gemäß § 511 Abs.3 ZPO die Berufung zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzlich Bedeutung hat und eine einheitliche Rechtsprechung des Berufungsgerichts erfordert. Der Rechtsfall ist geeignet weitere Rechtsstreitigkeiten anderer Patienten mit Privatkliniken zu vermeiden und damit einen erheblichen Rechtsfrieden herzustellen. Das Problem der Frage der Mehrwertsteuerpflichtigkeit dürfte gerade im Beihilferecht der Bundes- und Landesbediensteten eine große Rolle spielen und erfordert daher eine einheitliche Rechtsprechung, welche dann - jedenfalls für das Land Brandenburg - Pilotfunktion haben könnte und bei der für die Beihilfe zuständigen Zentralen Bezügestelle zur Kenntnis genommen wird.

Die Nebenentscheidung beruht auf §§ 286 ff. BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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