VG Freiburg, Beschluss vom 26.06.2020 - A 10 K 1685/20
Fundstelle
openJur 2020, 34907
  • Rkr:

Ein Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, mit dem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG begehrt wird, ist nicht statthaft, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) bereits nach § 80 Abs. 4 VwGO, Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO die Vollziehung der Abschiebung ausgesetzt hat. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass das Bundesamt die Aussetzung der Vollziehung unter einen Widerrufsvorbehalt gestellt hat.

Tenor

Der Antrag auf Abänderung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch den Berichterstatter als Einzelrichter.

Der Antragsteller begehrt die Abänderung des Beschlusses vom 07.10.2019 (A 10 K 3581/19), mit dem sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (A 10 K 3580/19) gegen die Abschiebungsanordnung mit dem Zielstaat Italien im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 09.08.2019 abgelehnt wurde. Dieser Abänderungsantrag hat keinen Erfolg.

Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung von Beschlüssen über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Das Änderungsverfahren des § 80 Abs. 7 VwGO ist nach beiden Sätzen der Vorschrift kein Rechtsmittelverfahren zur Kontrolle der formellen und materiellen Richtigkeit der vorangegangenen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO, sondern ein eigenständiges Verfahren, in dem geprüft wird, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die gerichtliche Entscheidung aufrecht erhalten werden kann oder die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.03.2019 - 6 VR 1.19 -, juris Rn. 5).

Im vorliegenden Verfahren ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage schon deshalb nicht geboten, weil das Bundesamt - wie es mit Schriftsatz vom 25.03.2020 unwidersprochen ausgeführt hat - gegenüber dem Antragsteller die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO ausgesetzt hat. Eine derartige behördliche Entscheidung steht in ihren Wirkungen einer gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung gleich und hat zur Folge, dass die Verfügung nicht vollzogen werden darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.08.2016 - 1 C 6.16 -, juris Rn. 18 unter Hinweis auf § 80b Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Damit ist der auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag bereits nicht statthaft.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist auch nicht etwa deshalb geboten, weil das Bundesamt ausgeführt hat, die abgegebene Erklärung gelte unter dem Vorbehalt des Widerrufs. Abgesehen davon, dass offen ist, ob die Antragsgegnerin überhaupt von ihrem "Widerrufsvorbehalt" mit der Folge Gebrauch macht, dass die gesetzliche Anordnung der sofortigen Vollziehung wiederauflebt, ist der Antragsteller auf die Möglichkeit zu verweisen, in diesem Fall (erneut) einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen. Im vorliegenden Verfahren kann offenbleiben, ob dieser Antrag entsprechend § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG innerhalb einer Woche zu stellen wäre (so VG Gießen, Beschluss vom 08.04.2020 - 6 L 1015/20.GI.A - , juris Rn. 6). Nicht entschieden werden muss auch, ob in Fällen, in denen das Bundesamt die Vollziehung einer Abschiebungsanordnung gleichzeitig mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung aussetzt, Rechtsschutzlücken entstehen können, weil nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen sind, ein solcher Antrag aber erst nach Widerruf bzw. Aufhebung der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung zulässig ist. Eine solche Fallkonstellation liegt hier nicht vor, da der Kläger fristgerecht einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt (A 10 K 1685/20) und das Bundesamt erst nachträglich die Vollziehung ausgesetzt hat. Allerdings erscheint es zweifelhaft, ob in den Fällen, in denen gleichzeitig mit dem Erlass der Abschiebungsanordnung die Vollziehung ausgesetzt wird, in einem späteren - nach Aufhebung der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung anhängig gewordenen - Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO dem Antragsteller entgegengehalten werden kann, er habe den Antrag nicht fristgerecht gestellt. Denn § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG geht ersichtlich von einer vollziehbaren Abschiebungsanordnung aus. Dies folgt bereits aus § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG, wonach die Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist. Ist die Abschiebung aber ausgesetzt, macht diese Regelung aber keinen Sinn. Auch dient das Erfordernis der Einhaltung einer einwöchigen Antragsfrist gerade der Ermöglichung einer schnellen Entscheidung über die Abschiebung. Dieser Zweck greift aber nicht ein, wenn die Abschiebungsanordnung gar nicht vollziehbar ist. Vor diesem Hintergrund dürfte davon auszugehen sein, dass in den o. g. Fällen die einwöchige Antragsfrist nicht mit Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung zu laufen beginnt, sondern allenfalls in entsprechender Anwendung des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG mit Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesamts über die Aufhebung der Aussetzung der Vollziehung. Darüber wäre der Ausländer allerdings nach § 58 Abs. 1 VwGO zu belehren. Auch ohne ausdrücklichen gesetzlichen Verweis auf § 58 VwGO muss über die einwöchige Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG belehrt werden (vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 11.03.2020 - AN 18 S 20.50069 -, juris Rn. 15; Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 58 Rn. 5).

Ist der Antrag damit unzulässig, kommt es auf die vom Antragsteller aufgeworfene Frage, ob die Überstellungsfrist bereits am 07.04.2020 abgelaufen ist, nicht an. Der Frage, ob die Aussetzung der Vollziehung der Anordnung der Abschiebung nach Italien rechtswidrig war und damit nicht zur Unterbrechung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO geführt hat (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 08.01.2019 - 1 C 16.19 -, juris) mit der Folge, dass die Zuständigkeit auf die Bunderepublik Deutschland übergegangen und die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziff. 1 des angefochtenen Bescheids rechtswidrig geworden wäre, ist im Klageverfahren oder gegebenenfalls nach Aufhebung der Aussetzung der Vollziehung in einem weiteren Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO nachzugehen.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).