VG Freiburg, Urteil vom 30.11.2018 - 4 K 1584/17
Fundstelle
openJur 2020, 34197
  • Rkr:

1. Eine schweizerische Kinderrente ist eine zweckidentische Leistung, die der Kostenbeitragspflichtige ungekürzt einzusetzen hat.

2. Bei einem Wechsel von einer Inobhutnahme zu einer Maßnahme der Hilfe und Erziehung obliegt es dem Jugendamt, den Kostenbeitragspflichtigen auf die neue Maßnahme und die Folgen für seine Unterhaltspflicht hinzuweisen.

Tenor

Der Bescheid des Landratsamts ... vom 08.08.2016 und dessen Widerspruchsbescheid vom 15.02.2017 werden aufgehoben, soweit der Beklagte den Einsatz der schweizerischen Kinderrente des Klägers ab dem 20.07.2016 fordert. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt 1/13, der Beklagte trägt 12/13 der Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich dagegen, dass der Beklagte von ihm den Einsatz einer schweizerischen Kinderrente für Aufwendungen der Kinder- und Jugendhilfe fordert.

Der Kläger wurde im Jahr ... geboren. Er ist seit dem ... 2015 Rentner und bezieht neben einer kleineren Rente aus der deutschen Rentenversicherung eine schweizerische Altersrente (Pensionskasse und AHV).

Der Kläger ist Vater der Jugendlichen ..., die am ... geboren wurde. Die Mutter ist im Jahr 2006 nach ... verzogen. Das Landratsamt nahm die Jugendliche wegen einer Zerrüttung des Verhältnisses mit dem Kläger (ihr Vater sei zu alt, sie empfinde ihn als "Kontroll-Freak" und übernachte deshalb auch bei Freunden, sie hasse ihn und wolle ihn nicht mehr sehen) am 09.06.2016 in Obhut und gab sie in eine Bereitschaftspflegefamilie (Kosten etwa 1.600 € je Monat). Mit Beschluss vom 20.07.2016 entzog das Amtsgericht ... dem Kläger in dessen Einverständnis die Teilbereiche der elterlichen Sorge Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge und Antragstellung für Jugendhilfemaßnahmen und bestellte insoweit das Landratsamt ... als Ergänzungspfleger. Auf dessen Antrag gewährte der Beklagte (rückwirkend) ab dem 20.07.2016 die Aufnahme der Jugendlichen in der (gleichen) Bereitschaftspflegefamilie als Hilfe zur Erziehung. Ab dem 12.09.2016 war die Jugendliche vollstationär in einem Internat (Kosten ca. 3.700,- € je Monat) untergebracht. In der internatsfreien Zeit, an Wochenenden und in den Schulferien hielt sie sich bei einer Pflegefamilie auf.

Mit Schreiben vom 20.06.2016, zugestellt am 22.06.2016, teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er dessen Tochter seit dem 09.06.2016 im Rahmen einer Inobhutnahme vollstationär Jugendhilfe gewähre, dass der monatliche Aufwand hierfür ca. 1.600,- € betrage und dass der Kläger zu den Kosten der Jugendhilfe beizutragen habe. Zugleich forderte der Beklagte den Kläger auf, über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Auskunft zu geben, und wies ihn darauf hin, dass er für die Dauer der vollstationären Unterbringung seiner Tochter keinen Unterhalt leisten müsse.

Mit Bescheid vom gleichen Tag setzte das Landratsamt gegenüber dem Kläger einen Kostenbeitrag aus Kindergeld über 190,- € monatlich ab dem 09.06.2016 fest (später angepasst auf 194,- €).

Beide Schreiben wurden dem Kläger am 22.06.2016 zugestellt. Gegen den Bescheid über Kostenbeitrag aus Kindergeld erhob der Kläger keinen Widerspruch.

Der Kläger äußerte sich am 31.07.2016 zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen.

Mit Bescheid vom 08.08.2016 forderte der Beklagte vom Kläger ab dem 01.07.2016 einen monatlichen "Kostenanteil" in Höhe der für dessen Tochter gezahlten schweizerischen Kinderrente von derzeit 491,- sfr = 448,- €.

Mit Schreiben vom 02.09.2016 teilte das Landratsamt dem Jugendamt als Sorgerechtspfleger mit, dass es ab dem 20.07.2016 Hilfe zur Erziehung in Form von Bereitschaftspflege leiste. Hiervon unterrichtete es den Kläger.

Mit Bescheid vom 02.09.2016 zog das Landratsamt den Kläger zu einem Kostenbeitrag aus seinem Einkommen ab dem 01.07.2016 in Höhe von 378,- € heran. Dabei gruppierte es den Kläger in der Kostenbeitragstabelle in Stufe 8 ein.

Gegen den Bescheid über den Einsatz der schweizerischen Kinderrente erhob der Kläger am 09.09.2016 Widerspruch und trug in der Folge vor: Die Inobhutnahme und anschließende Unterbringung in einer Bereitschaftspflegefamilie seien seit dem 12.09.2016 beendet. Die schweizerische Kinderrente sei keine Leistung, die wie Kindergeld neben dem Kostenbeitrag aus Einkommen verlangt werden könne; das gelte schon deshalb, weil sie eine Versicherungsleistung darstelle. Auch habe er weiterhin für seine Tochter Leistungen zu erbringen (Schulkosten wie Lehrmittel, Schulversicherungen, zwei Krankenversicherungen, Haftpflichtversicherungen und weitere Versicherungen). Für diese Leistungen sei er auf die schweizerische Kinderrente angewiesen.

Nach Fortschreibung des Hilfeplans bewilligte das Landratsamt mit Schreiben vom 22.09.2016 seinem Jugendamt als Sorgerechtspfleger auf dessen Antrag ab dem 12.09.2016 Hilfe zur Erziehung durch Übernahme der Internatskosten mit dem Zusatz, dass die Jugendliche in der internatsfreien Zeit, an Wochenenden und in den Ferien von einer Pflegefamilie betreut werde. Zugleich wies es darauf hin, dass die Jugendliche sowie deren Eltern zu den Kosten einen Beitrag zu leisten hätten. Die monatlichen Aufwendungen beliefen sich auf ca. 3.700,- €. Davon unterrichtete das Landratsamt den Kläger am gleichen Tag durch Übergabe des Schreibens.

Gegen den Bescheid über einen Kostenbeitrag aus seinem Einkommen erhob der Kläger am 27.09.2016 Widerspruch und trug vor: Er sei aufgrund des durchschnittlichen Monatseinkommens im Jahr 2016 nicht leistungsfähig. Er plane zudem seit dem Jahr 2008 die Eröffnung eines "..." (Projekt "..."). Die notwendigen Vorlaufkosten habe er aus seinen Ersparnissen finanziert, die nun aufgebraucht seien. Seit dem Jahr 2016 habe er dafür Kredite aufgenommen und sein Konto überzogen. Das Projekt sei, wie ihm seitens des Finanzamts und des Finanzgerichts ... bescheinigt worden sei, keine reine Liebhaberei. Seit dem Jahr 2015 habe er ein Gewerbe angemeldet. In der Steuererklärung für 2015 habe er einen Verlust aus Gewerbebetrieb von mehr als 11.000.- € angegeben. Bei der Ermittlung seines Einkommens für die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag seien seine Krankenversicherungsbeiträge und sein Pflegeversicherungsbeitrag, sein Lebens- und sein Unfallversicherungsbeitrag, seine Zahlungen für die Rentenversicherung seiner Tochter sowie zahlreiche weitere aufgeführte und belegte Kosten abzuziehen, darunter auch die Rückführung eines Darlehens.

Mit E-Mail vom 14.10.2016 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass es grundsätzlich (wohl im Rahmen des Einsatzes der schweizerischen Kinderrente) die Kosten für zwei Heimfahrten der Jugendlichen (zur Pflegefamilie) übernehme; ausnahmsweise könne der Kläger die Heimfahrten vom 30.09.2016 bis 03.10.2016 in Höhe von 23,60 € noch abrechnen. In Zukunft würden derartige zusätzliche Kosten nicht mehr übernommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.02.2017 wies das Landratsamt den Widerspruch gegen den Bescheid vom 08.08.2016 (Inanspruchnahme der schweizerischen Kinderrente) zurück. In der Begründung führte es aus: Da es innerhalb des Zeitraums der Unterbringung zu einem Wechsel der Maßnahme (von Inobhutnahme zu Hilfe zur Erziehung) gekommen sei, werde zu Gunsten des Klägers unter entsprechender Berücksichtigung der Empfehlungen zur Kostenbeteiligung Baden-Württemberg der Kostenbeitrag gesamthaft erst ab dem auf den Beginn der Unterbringung folgenden Monat, also dem 01.07.2016, verlangt. Für die Zeit vom 01.07.2016 bis zum 31.01.2017 bestehe ein Rückstand aus der Kinderrente von 3.136,- €. Aufgrund der zwischenzeitlich vom Kläger eingereichten Unterlagen würden Leistungen des Klägers für seine Tochter im Umfang von 1.336,41 € einmalig für diesen Zeitraum berücksichtigt. Von ihm zu zahlen seien deshalb noch 1.799,59 €. Ab dem 01.02.2017 habe er einen Kostenbeitrag aus Kinderrente von monatlich 436,67 € (448,- € abzgl. 11,33 € KV-Zusatzversicherung) zu zahlen. Weitere mögliche Aufwendungen für seine Tochter könne der Kläger in regelmäßigen Abständen zur Prüfung und möglichen Berücksichtigung bei der Kostenbeitragsabrechnung einreichen.

Der Kläger hat wegen des Einsatzes seiner schweizerischen Kinderrente am 14.03.2017 Klage erhoben. Er trägt weiter vor: Die schweizerische Kinderrente stelle keine zweckgleiche Leistung im Verhältnis zu Leistungen der Jugendhilfe dar. Anderes wäre unbillig, weil sie auf jahrelang gezahlten Rentenbeiträgen während seiner Erwerbstätigkeit gründe. Es komme in Betracht, dass der Bezug der schweizerischen Kinderrente den Kläger von Kindergeld ausschließe. Wenn der Bundesfinanzhof in diesem Sinne entscheide, sähe er einem Rückforderungsbescheid der deutschen Familienkasse entgegen. Aus der schweizerischen Kinderrente bestreite er monatliche Zahlungen an seine Tochter. Davon habe der Beklagte nur einen Teil anerkannt. Geltend mache er insoweit weiterhin eine Fondsrente (gemeint wohl einen Beitrag in einen Rentenfonds) bei der ... Versicherung für seine Tochter als Altersvorsorge (monatlich 100,- €), ferner weitere Kosten einer Zusatzkrankenversicherung (monatlich 11,33 € für stationäre Wahlleistungen). Weiter habe er zwischen Juli 2016 und Januar 2017 weitere Aufwendungen für seine Tochter gehabt, die abzuziehen seien: Kosten der Ummeldung seiner Tochter (5,- €), Anschaffung von Küchengeräten für den Fall, dass seine Tochter zu ihm zurückkehre (2.129,40 €), Mietanteil der Tochter an einer für sich neu angemieteten Wohnung (monatlich 430,- €), Kosten für seine Fahrten zum Internat (182,40 €), Kosten für Fahrten zur Pflegemutter 2016 (66,- €), Kosten des Umzugs von Möbeln für seine Tochter (736,71 €), anteilige Kosten für die Endreinigung seiner früheren Wohnung (218,17 €). Hilfsweise erkläre er die Aufrechung mit diesen weiteren Aufwendungen gegenüber dem geltend gemachten Kostenbeitragsrückstand. Auch für die Zeit ab Februar 2017 ergebe sich kein Kostenbeitrag, weil er weiter laufende Aufwendungen für seine Tochter im Umfang von etwa 600,- € habe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Landratsamts ... vom 08.08.2016 und dessen Widerspruchsbescheid vom 15.02.2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt weiter vor: Die schweizerische Kinderrente sei eine zweckidentische Leistung. Sie werde nur für die berechtigten Personen gezahlt, für welche der Rentner unterhaltsrechtlich zu sorgen habe. Er habe von dem festgesetzten Kostenbeitrag einmalig Leistungen abgesetzt, welche bei Kenntnis und rechtzeitiger Geltendmachung grundsätzlich auch direkt im Rahmen der Jugendhilfe übernommen würden. Das sei bei den vom Kläger weiter geltend gemachten Aufwendungen für den Zeitraum bis Februar 2017 nicht der Fall. Im Übrigen seien solche Aufwendungen allein im Rahmen des Kostenbeitrags aus Einkommen abzuhandeln. Die im Jahr 2017 anfallenden Aufwendungen für Fahrtkosten solle der Kläger mitteilen. Diese würden dann in angemessenem Umfang beim Kostenbeitrag aus 2017 berücksichtigt. Die geltend gemachte Schulzusatzversicherung müsse begründet und nachgewiesen werden.

Zuletzt hat der Kläger mitgeteilt, dass seine Tochter weiterhin das Internat besuche, aber seit dem 22.06.2018 ihre Ferien und Wochenenden bei ihm verbringe.

Der Kammer liege zwei Hefte Akten des Landratsamts ... vor.

Gründe

Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch überwiegend begründet. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit der Beklagte den Einsatz der schweizerischen Kinderrente ab dem 20.07.2016 fordert. Für die Zeit davor sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist wie sonst auch im Kinder- und Jugendhilferecht der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2017 (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.12.2009 - 12 S 1550/07 -,juris, Rn. 27). Die Kammer hat im vorliegenden Verfahren somit nur über den Einsatz der schweizerischen Kinderrente im Zeitraum vom 01.07.2016 (zu diesem Zeitpunkt setzt laut dem angefochtenen Bescheid die Leistungspflicht ein) bis zum 15.02.2017 zu befinden. Für den Folgezeitraum, für den sich der angefochtene Bescheid Geltung beimisst, hätte der Beklagte ggf. einen neuen Bescheid zu erlassen.

Rechtsgrundlage für die Geltendmachung der schweizerischen Kinderrente des Klägers ist § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII. Danach zählen Geldleistungen, die dem gleichen Zweck wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienen, nicht zum - bei der Berechnung des Kostenbeitrags zu ermittelnden - Einkommen; sie sind vielmehr unabhängig von einem Kostenbeitrag (aus Einkommen) einzusetzen. Der Einsatz der sogenannten zweckidentischen Leistungen kann durch Leistungsbescheid geltend gemacht werden (§ 92 Abs. 2 Halbs. 1 SGB VIII).

Die dem Kläger bewilligte schweizerische Kinderrente ist eine zweckidentische Leistung in diesem Sinn. Sie dient wie die hier erfolgte Maßnahme der Inobhutnahme mit vorläufiger Unterbringung bei einer geeigneten Person auch (hier in einer Bereitschaftspflegefamilie gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2a, Satz 2 SGB VIII) dem Unterhalt des Kindes. Entfällt die Unterhaltspflicht des Beziehers der Kinderrente, endet auch diese. Dass die schweizerische Kinderrente letztlich auf Versicherungsbeitragsleistungen des Klägers beruht, ändert an dieser Zweckbestimmung der Kinderrente nichts. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung etwa anerkannt, dass auch Waisenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung solche Leistungen sind (vgl., noch zu § 93 Abs. 5 SGB VIII a.F., BVerwG, Urt. v. 22.02.2007 - 5 C 28.05 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.07.1997 - 9 S 1194/96 -, juris; Nr. 93.1.1 der Empfehlungen zur Kostenbeteiligung Baden-Württemberg; Schindler, in: Münder/Meysen/Trenczek - Frankfurter Kommentar, SGB VIII, § 93 Rn. 14; VG Freiburg, Urt. v. 24.10.2018 - 4 K 1347/18 -, juris).

Der Beklagte kann den Einsatz der schweizerischen Kinderrente in vollem Umfang fordern, sofern, was hier nicht zweifelhaft ist, die Kosten der Leistungen der Jugendhilfe höher sind als die zweckidentische Leistung. Denn anders als der Kostenbeitrag aus Einkommen ist der Einsatz zweckidentischer Leistungen gerade nicht auf einen angemessenen Beitrag begrenzt. Grund dafür ist, dass der Bezieher der zweckidentischen Leistung sie allein zu dem Zweck erhält, den angemessenen Unterhalt des Kindes zu sichern, und nicht auch zu dem Zweck, sie für sich selbst zu verwenden. Auch zusätzliche Aufwendungen des Unterhaltspflichtigen für das Kind/den Jugendlichen aus der zweckidentischen Leistung sind insoweit nicht anzurechnen, unabhängig davon, ob sie angemessen sind. Insoweit geht der volle Ersatz der Aufwendungen des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe für den notwendigen Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen vor. Dass der Beklagte gleichwohl einige Unterhaltsleistungen des Klägers zunächst abgezogen hat, stellt ein Entgegenkommen dar, auf das der Kläger keinen Anspruch hat.

Für den ganz überwiegenden Zeitraum, den die angefochtenen Bescheiden erfassen, ist die Geltendmachung der schweizerischen Kinderrente allerdings rechtswidrig. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII kann ein Kostenbeitrag ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Leistung mitgeteilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde.

Diese Vorschrift ist auch, was der Beklagte nicht in Zweifel gezogen hat, hinsichtlich der Forderung des Einsatzes zweckidentischer Leistungen anwendbar (vgl. allgemein zur unmittelbaren oder entsprechenden Anwendung der Kostenbeitragsvorschriften auf den Einsatz zweckidentischer Leistungen, VG Freiburg, Urt. v. 24.10.2018 - 4 K 1347/18 -, juris). Die Informationspflicht gilt im Übrigen trotz des darauf nicht passenden Begriffs der "Leistung" auch bei einer Inobhutnahme.

Ein entsprechender Hinweis liegt mit dem Schreiben vom 20.06.2018 auch vor. Mithin konnte der Beklagte die schweizerische Kinderrente ab dem Tag der Zustellung des Schreibens (dem 22.06.2016) geltend machen. Tatsächlich hat er die schweizerische Kinderrente erst - den einschlägigen Empfehlungen folgend - ab dem 01.07.2018 verlangt.

Für den Wechsel von der Maßnahme von der Inobhutnahme zur Hilfe zur Erziehung durch (Bereitschafts-)Vollzeitpflege am 20.07.2016 in der gleichen Familie (und später auch zur Hilfe zur Erziehung durch Heimerziehung am 12.09.2016 mit ergänzender Vollzeitpflege in einer anderen Familie) fehlt es aber an einem erneuten vollständigen Hinweis.

Ein solcher wäre jedoch jedenfalls nach Beendigung der Inobhutnahme notwendig gewesen.

Dies folgt möglicherweise schon daraus, dass § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII verlangt, dass die Gewährung "der" (und nicht etwa "einer") Leistung mitzuteilen ist. Es liegt nahe, dass der Hinweis gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII den zu einem Beitrag Heranzuziehenden nicht nur auf die Folgen für seine Unterhaltspflicht (vgl. § 92 Abs. 3 SGB VIII) hinweisen soll, um ihn vor doppelter Inanspruchnahme zu schützen. Vielmehr spricht Einiges dafür, dass der Hinweis auch dazu dient, ihn in die Lage zu versetzen, die auf ihn ggf. zukommende Kostenbeitragslast frühzeitig einschätzen sowie auch die Erforderlichkeit der Maßnahme beurteilen und ggf. auch auf den Träger der Kinder- und Jugendhilfe insoweit einwirken zu können (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 08.12.2014 - 4 LA 46/14 -, juris; Bayer. VGH, Beschl. v. 28.05.2014 - 12 ZB 14.154 -, juris, Rn. 12, jedenfalls für den Fall, dass sich gewichtige Änderungen hinsichtlich der Unterhaltsgewähr ergeben können; ähnlich Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII, 7. Aufl., § 92, Rn. 17 am Ende, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Leistungsbegriff bei § 86 SGB VIII, der eine erneute Belehrung dann nicht für erforderlich hält, wenn hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Hilfe und der Höhe des Kostenbeitrags keine nennenswerten Änderungen zu erwarten sind). Auch das DIJuF-Rechtsgutachten vom 08.09.2015, JAmt 2015, 608, beck-online, das zum Ergebnis kommt, dass es bei einem Wechsel der Leistungsart von § 34 auf § 35 oder § 35a SGB VIII keiner neuen Belehrung bedarf unabhängig davon, ob das Kind bzw. der oder die Jugendliche in der Einrichtung verbleibt, stellt nicht in Frage, dass es beim Wechsel von einer Inobhutnahme zu einer der Maßnahmen nach §§ 33 ff. bzw. § 35a SGB VIII eines erneuten Hinweises bedarf. Dafür spricht nicht nur die unterschiedliche Natur der Maßnahmen, die auch durch ihre Verortung in unterschiedlichen Kapiteln des Sozialgesetzbuchs VIII zum Ausdruck kommt, sondern auch der Umstand, dass Inobhutnahmen nur vorübergehend sind und nicht stets in eine weiterführende (kostenbeitragspflichtige) Maßnahme münden.

Die Erforderlichkeit eines erneuten Hinweises bei Wechsel der Maßnahme folgt jedenfalls bei einem Übergang von der Inobhutnahme in eine der Maßnahmen nach §§ 33 ff. SGB VIII daraus, dass die Kostenbeitragspflicht nicht für alle Maßnahmen der Träger der Kinder- und Jugendhilfe besteht (vgl. § 92 i.V.m. § 91 Abs. 1 und 2 SGB VIII) und daher von dem Beitragspflichtigen nicht erwartet werden kann, dass er erkennt, dass die Kostenbeitragspflichtigkeit und damit die Befreiung von der Unterhaltspflicht bei Inobhutnahme (vgl. § 91 Abs. 1 Nr. 7 SGB VIII) und bei den Maßnahmen gemäß §§ 33 ff. SGB VIII (vgl. § 91 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII) gleichermaßen gelten.

Damit hat der Beklagte seiner Hinweispflicht auch nicht dadurch genügt, dass er den Kläger nach Bewilligung der (Bereitschafts-)Vollzeitpflege gemäß § 34 SGB VIII am 02.09.2016 (bzw. ab Zugang am 05.09.2016) und nach Bewilligung der Heimunterbringung gemäß § 35 SGB VIII am 22.09.2016 hiervon jeweils unterrichtet hat. Denn diese Unterrichtungen enthielten jeweils nur den Hinweis auf die jeweils neu gewährte Leistung, nicht aber einen erneuten Hinweis auf die Folgen für die Unterhaltsverpflichtung des Klägers.

Auch der Erlass von Kostenbeitragsbescheiden über den Einsatz der schweizerischen Kinderrente am 20.06.2016 sowie über den Einsatz des Kindergelds und aus Einkommen jeweils am 02.09.2016 konnte den erforderlichen Hinweis nicht ersetzen, zumal der Beklagte darin jeweils nur auf die gerade laufende Maßnahme Bezug genommen hatte.

Soweit der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußert hat, das Erfordernis eines jeweils neuen Hinweises nach Wechsel der Jugendhilfemaßnahme sei (im Allgemeinen) eher theoretischer Natur, folgt dem die Kammer nicht. Die Hinweispflicht aus § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ist ein formales Erfordernis zum Schutz der Belange des Beitragspflichtigen. Hinweispflichten können nicht in der Weise eingeschränkt werden, dass sie nur in Fällen angewandt werden, in denen sie auch materiell geboten erscheinen, nicht aber in Fällen, in denen der Beitragspflichtige deshalb weniger schützenswert erscheint, weil nahe liegt, dass sich eine Änderung der Sachlage letztlich nicht auswirkt. Dass die Obliegenheit, bei Änderung der Maßnahme den Hinweis jeweils neu zu erteilen, dazu führt, dass die Beitragspflichtigkeit jeweils nur verzögert einsetzt, ist in § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII angelegt und deshalb hinzunehmen. Ob die Träger der Kinder- und Jugendhilfe dem entkommen können, indem sie in Fällen, in denen schon bei der ersten Maßnahme absehbar ist, dass es wahrscheinlich zu bestimmten Folgemaßnahmen kommen wird, über diese und ihre Auswirkungen auf die Unterhaltspflicht vorweg (gewissermaßen auf Vorrat) belehren, ist hier nicht zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 188 Satz 1 und § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.

Die Kammer lässt die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124a Abs. 1 VwGO) hinsichtlich der Frage zu, ob es dem Träger der Kinder- und Jugendhilfe obliegt, bei einem Übergang von einer Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII in eine (Bereitschafts-)Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII und von dort in eine Heimunterbringung gemäß § 34 SGB VIII jeweils erneut einen Hinweis gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu geben.