VG Stuttgart, Beschluss vom 15.05.2020 - 5 K 2334/20
Fundstelle
openJur 2020, 33272
  • Rkr:

1. Die behördliche Beschränkung der Teilnehmerzahl einer Versammlung ist auch unter Berücksichtigung des hohen Guts der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit nicht zu beanstanden, wenn andernfalls die derzeit bestehenden und erforderlichen Gebote der Kontaktreduzierung und der Einhaltung des Mindestabstandes nicht in verlässlicher Weise eingehalten werden können.2. Die Verpflichtung zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung für die einzusetzenden Ordner ist aufgrund der Dynamik des Versammlungsgeschehens und der Aufgabe der Ordner, die Maßnahmen zum Infektionsschutz, insbesondere die Abstandsregelungen, durchzusetzen, nicht zu beanstanden.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der am 15.05.2020 gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen Nr. 2 und Nr. 4 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 14.05.2020, wonach alle Ordner eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung tragen müssen und die Teilnehmerzahl auf 5.000 Teilnehmer begrenzt wird, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Insbesondere bedarf die Durchführung der Versammlung - anders als in anderen Bundesländern - nicht der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung, die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Wege eines Antrags nach § 123 VwGO zu erstreiten wäre. Denn § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (CoronaVO) vom 09. Mai 2020 nimmt Zusammenkünfte, die der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes dienen, ausdrücklich von den in § 3 Abs. 1 CoronaVO enthaltenen Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum aus. Es verbleibt mithin bei den allgemeinen Regelungen des Versammlungsgesetzes (VersG), wonach Versammlungen keiner expliziten Erlaubnis bedürfen, sondern im Einzelfall durch Auflagen beschränkt und notfalls verboten werden können. In der CoronaVO wird dies nochmals klargestellt (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 4 CoronaVO). Der Antrag ist aber nicht begründet.

In formeller Hinsicht genügt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung den - allein verfahrensrechtlichen - Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

Hinsichtlich der von der Antragsgegnerin verfügten Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung durch die Ordner und der Beschränkung der Teilnehmerzahl auf 5.000 Teilnehmende überwiegt im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei der Entscheidung hat das Gericht das Interesse des Antragstellers, dass die angefochtene Verbots- oder Auflagenverfügung vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht durchgesetzt wird, gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung abzuwägen. Im Verfahren auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken. Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt. Die Verwaltungsgerichte müssen daher schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht nur summarisch zu prüfen, jedenfalls aber eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris).

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Dabei umfasst der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris). Die im pflichtgemäßen Ermessen stehende Beschränkung der durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit durch die Erteilung von Auflagen setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung voraus. Erforderlich ist eine Prognose, wonach aufgrund tatsächlicher Umstände der Eintritt einer Gefahr nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Wegen der besonderen Bedeutung der grundrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit für die Funktionsfähigkeit der Demokratie darf ihre Ausübung nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränkt werden (BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris).

Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze führt die nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Abwägung hier zu dem Ergebnis, dass sowohl die Anordnung zum T ragen einer Mund- Nasen-Bedeckung durch die Ordner als auch die Beschränkung der Teilnehmerzahl aller Voraussicht nach aus Gründen des Infektionsschutzes gerechtfertigt sind.

Die von der Antragsgegnerin zur Begründung der von ihr erlassenen Auflage in Nr. 4 herangezogenen Gesichtspunkte wiegen schwer. Die Antragsgegnerin stellt zur Begründung ihrer Verfügung auf den Gesichtspunkt des Infektionsschutzes und die dazu erlassenen Regelungen in der CoronaVO ab, wonach es derzeit der Einhaltung von Mindestabständen zwischen Personen im öffentlichen Raum unter im Einzelnen in der Verordnung dargelegten Umständen bedürfe. Dieses Abstandsgebot gelte auch für die Teilnehmer von Versammlungen. Seine Durchsetzung sei nur dann möglich, wenn die Anzahl der Teilnehmenden auf 5.000 Personen beschränkt werde. Bei den insoweit in Bezug genommenen Rechtsgütern des Lebens und der Gesundheit handelt es sich um zentrale Rechtsgüter. Ziel der in der baden-württembergischen CoronaVO - und vergleichbaren Verordnungen der anderen Bundesländer - enthaltenen Einschränkungen ist die Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zum Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung sowie zum Schutz vulnerabler Personen. Dies ist nach wie vor notwendig, was sich aus den Besonderheiten der Übertragung dieses Virus ergibt. Nach den bislang vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgt die Übertragung des Virus zu einem großen Teil über Tröpfcheninfektion, das heißt über Tröpfchen, die beim Husten oder Niesen entstehen und beim Gegenüber über die Schleimhäute vor allem der Nase und des Mundes aufgenommen werden. Zudem erscheint auch die Übertragung über sogenannte Aerosole, also Tröpfchenkerne, die kleiner als fünf Mikrometer sind, und zum Beispiel beim Singen und Sprechen ausgeschieden werden, als denkbar (vgl. hierzu die Informationen des Robert-Koch-Instituts, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText1, Nr. 1; abgerufen am 15.05.2020). Im Hinblick auf die Infektiosität von Personen, die sich mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert haben, ist nach derzeitiger Erkenntnislage davon auszugehen, dass die Übertragung der Krankheit bereits zwei Tage vor Symptombeginn möglich ist und am Tag vor Symptombeginn ihren Höhepunkt erreicht. Hieraus ergibt sich, dass die Übertragung, anders als bei einer Reihe anderer Infektionskrankheiten, nicht erst dann erfolgt, wenn dieses Risiko anhand von Symptomen erkannt werden kann. Es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, dass zumindest ein großer Teil der Übertragungen zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die infektiöse Person (noch) keine Kenntnis von der von ihr ausgehenden Ansteckungsgefahr hat. Zudem ist nach wie vor unbekannt, ob COVID-19 bei einem nicht unerheblichen Anteil der Infizierten asymptomatisch verläuft, also überhaupt keine Krankheitssymptome auftreten, worauf verschiedene Studien hindeuten (vgl. hierzu die Informationen des Robert-Koch-Instituts, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText1, Nrn. 5 und 6; abgerufen am 15.05.2020). Aus all dem ergibt sich, dass die Eindämmung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus ausgesprochen schwierig ist und der stetigen Einhaltung von Gegenmaßnahmen bedarf. Seine leichte und schnelle Verbreitbarkeit kann ansonsten rasch zu einem wiederum exponentiellen Ansteigen der Zahl der Infizierten führen, wie sich in den vergangenen Wochen in einer Vielzahl von Ländern auf der ganzen Welt gezeigt hat. Sichtbar ist dies aber auch in Deutschland, wo immer wieder, vor allem in Alten- und Pflegeheimen, derzeit aber beispielsweise in der fleischverarbeitenden Industrie zu sehen ist, dass innerhalb kürzester Zeit eine ganz erhebliche Anzahl der Bewohner oder Mitarbeiter infiziert wird, ohne dass dies rasch entdeckt und eingedämmt werden kann. Nicht zuletzt geht auch das Robert-Koch-Institut nach wie vor davon aus, es handele sich um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland werde insgesamt als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch eingeschätzt (Lagebericht vom 14.05.2020).

Vor diesem Hintergrund ist die Wahrung der infektionsschutzrechtlichen Anforderungen bei Demonstrationen weiterhin notwendig. Die Beschränkung der Teilnehmerzahl auf 5.000 Personen ist dabei auch aus Sicht des Gerichts, auch unter Berücksichtigung des hohen Guts der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit nicht zu beanstanden. Jedenfalls bei einer darüber hinausgehenden Teilnehmerzahl lassen sich die derzeit bestehenden und erforderlichen Gebote der Kontaktreduzierung und der Einhaltung des Mindestabstandes von 1,5 Metern nicht in verlässlicher Weise einhalten.

Die Antragsgegnerin hat in ihrer Verfügung überzeugend und in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass bei höheren Teilnehmerzahlen die Einhaltung der Mindestabständige nicht verlässlich durchgehalten werden kann. Sie begründet dies mit ihren Erfahrungen bei zwei vorangegangenen Demonstrationen, die der Antragsteller als Verantwortlicher initiiert hat. Dabei gelang die Einhaltung der Abstände bei einer Größe von etwa 5.000, scheiterte aber, als sich bei der Demonstration am vergangenen Wochenende 10.000 Personen einfanden. Aus Sicht des Gerichts ist dies ohne Weiteres nachvollziehbar. Schwierigkeiten ergaben sich nach den Angaben der Antragsgegnerin unmittelbar von den aufgebauten Bühnen, was mit dem Interesse der Versammlungsteilnehmer an den Redebeiträgen zu erklären ist. Aus Sicht des Gerichts kommt hinzu, dass eine verlässliche Einhaltung der Abstände auch ansonsten umso problematischer ist, je mehr die Teilnehmerzahl zunimmt. Selbst wenn jedem Teilnehmenden (Einzelpersonen oder Angehörige eines Haushalts), wie der Antragsteller ausführt, eine Fläche von 6,25 qm zugewiesen wird, ist nicht davon auszugehen, dass die auf zwei Stunden angesetzte Versammlung statisch in sich ruht und ohne Bewegung abläuft. Zum einen ist notwendig, dass jeder Teilnehmer einen Platz findet und einnimmt, zum anderen ist nicht davon auszugehen, dass jeder Teilnehmer über die gesamte Dauer der Veranstaltung auf der ihm zugewiesenen Fläche verharrt. Die sich daraus ergebende Dynamik wird zwangsläufig auch zu engeren Begegnungen der Teilnehmer führen. Je mehr die Zahl der Teilnehmer zunimmt, desto vielfältiger wird eine solche Dynamik sein. Sie unter Kontrolle zu halten, fällt bei zunehmender Größe schwer. Das Argument des Antragstellers, durch Ausweisung einer entsprechend größeren Veranstaltungsfläche könne die Einhaltung der Mindestabstände auch für eine größere Teilnehmerzahl gewährleistet werden, greift daher nicht durch, zumal die Antragsgegnerin insoweit zurecht einwendet, dass bei größerer Teilnehmerzahl auch die Zahl der Ordner weiter zu erhöhen wäre, was auch insoweit Koordination und Einweisung weiter erschweren würde. Zudem ist ausweislich des Vorbringens der Antragsgegnerin in der Antragerwiderung nicht davon auszugehen, dass auf dem Cannstatter Wasen mehr Fläche zur Verfügung steht, die durch die Versammlung genutzt werden könnte. Hierauf kommt es aber nicht entscheidend an.

Zu den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, dass sich eine große Personenzahl über einen Zeitraum von zwei Stunden auf einer begrenzten Fläche aufhält, kommt hinzu, dass auch An- und Abfahrt der Teilnehmenden in den Blick genommen werden muss. Auch hierauf weist die Antragsgegnerin zurecht hin und führt aus, die Infektionsrisiken seien bei 5.000 Teilnehmern gerade noch zu vertreten. Das Gericht teilt diesen Ansatz sowohl in rechtlicher Hinsicht, da mögliche Unterschreitungen der Mindestabstände bei An- und Abreise der Teilnehmer der Versammlung zuzurechnen, da sie durch sie veranlasst sind, als auch im Tatsächlichen. Denn nach den Erfahrungen der letzten Wochen reist ein erheblicher Teil der Teilnehmer mit öffentlichen Verkehrsmitteln an und wird sich innerhalb eines begrenzten Zeitraums nach Ende der Versammlung zu den Bahnhöfen begeben. Dass es bei großen Teilnehmerzahlen zwangsläufig zu einem Abwandern in Gruppen kommen wird, in denen schon wegen der Bewegung der Personen die Abstände nicht immer gewahrt werden können, liegt auf der Hand.

Mit seinen Einwänden, die Antragsgegnerin habe die örtlichen Gegebenheiten nicht berücksichtigt und die Grenze von 5.000 Teilnehmern willkürlich festgesetzt, vermag der Antragsteller die Verhältnismäßigkeit der verfügten Auflage nicht in Zweifel zu ziehen. Zwar trifft zu, dass das Infektionsgeschehen in Stuttgart in den letzten Wochen stetig zurückgegangen ist. Es ist aber der Kreis der Teilnehmenden nicht auf Bürger der Stadt Stuttgart beschränkt und haben die vom Antragsteller initiierten Versammlungen in den letzten Wochen regelmäßig auch Teilnehmer aus anderen Teilen Baden- Württemberg angezogen. Für andere Bereiche Baden-Württembergs gilt nicht durchgängig, dass die Infektionsraten so niedrig sind, dass nahezu ausgeschlossen werden könnte, dass sich infizierte Personen unter den Teilnehmern befinden werden, so dass der Blick insoweit nicht auf das Stuttgarter Stadtgebiet beschränkt werden kann. Berücksichtigt wurden die örtlichen Gegebenheiten durch die Antragsgegnerin auch im Übrigen. Im Gegensatz zu vielen anderen Versammlungen, die derzeit auf unter 100 Teilnehmer beschränkt werden, ermöglicht sie, weil die Verhältnisse auf dem Cannstatter Wasen dies aus ihrer Sicht hergeben, eine weitaus größere Versammlung, der auch durch die große Anzahl der Teilnehmer erhebliche Wirkung in den Medien zukommt. Die von ihr gewählte Teilnehmerzahl von 5.000 Personen ist nicht willkürlich gewählt, sondern mit Erfahrungen aus vorangegangenen Versammlungen nachvollziehbar begründet.

Unverhältnismäßig erscheint die Begrenzung der Größe der Versammlung auch nicht mit Blick auf die Gegebenheiten in Thüringen. Zum einen hat die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Auflage mit Blick auf die konkrete Versammlung hier in Stuttgart zu erfolgen. Zum anderen ergäbe sich daraus, dass in Thüringen keine Höchstgrenze für die Anzahl von Personen auf Versammlungen gilt (was nicht überprüft wurde), keine andere Sicht auf die Dinge. Hieraus wäre nicht einmal für eine Versammlung in Thüringen zwingend herzuleiten, dass sie in jeglicher Größe zulässig wäre, denn auch insoweit ist der Erlass von Auflagen zulässig, wenn Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dies erfordern. Zudem kann der Antragsteller aus Regelungen, die die thüringische Landesregierung erlassen hat, für die von ihm geplante Versammlung in Baden-Württemberg nichts herleiten.

Bei Zugrundelegung der oben dargelegten Grundsätze überwiegt auch im Hinblick auf die in Nr. 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 14.05.2020 verfügten Auflage, dass alle Ordner eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund- Nasen-Bedeckung tragen müssen, im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung das Interesse an der Abwehr infektionsbedingter Risiken für Leib und Leben einer Vielzahl von Personen, weil unter den hier gegebenen Umständen voraussichtlich eine enge räumliche Nähe bis hin zu unmittelbaren Körperkontakten der Ordner mit den zahlreichen Teilnehmern unvermeidlich ist.

Auch wenn die Corona-VO in § 3 Abs. 1 lediglich vorschreibt, dass Personen ab dem vollendeten sechsten Lebensjahr 1. im öffentlichen Personenverkehr, an Bahn- und Bussteigen sowie in Flughafengebäuden und 2. in den Verkaufsräumen von Ladengeschäften und allgemein in Einkaufszentren eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung tragen müssen, wenn dies nicht aus medizinischen Gründen oder aus sonstigen zwingenden Gründen unzumutbar ist oder wenn nicht ein anderweitiger mindestens gleichwertiger baulicher Schutz besteht, durfte die Antragsgegnerin vorliegend auch für die geplante Versammlung überobligatorisch in verhältnismäßiger Weise eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung durch die Ordner auferlegen. Dies ergibt sich aus der Dynamik des Versammlungsgeschehens und insbesondere der ständig erforderlichen Bewegung des Ordnungspersonals.

Wie die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 14.05.2020 richtigerweise ausführt, besteht die Aufgabe der Ordner gerade darin, die Maßnahmen zum Infektionsschutz, insbesondere die Abstandsregelungen, durchzusetzen. Dabei ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr vorhersehbar, dass sich die jeweiligen Ordner des Öfteren und auch über einen längeren Zeitraum hinweg anderen Personen weniger als 1,5 m nähern werden. Anders als etwa bei einer Spontanbegegnung im öffentlichen Raum, wo in Einzelfällen ein Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten werden kann, eine Maskenpflicht aber nicht vorgeschrieben wird, handelt es sich vorliegend gerade nicht um eine seltene Spontanbegegnung. Vielmehr ist die Aufgabe der Ordner gerade darauf ausgelegt, sich den Teilnehmern der Versammlung zu nähern, wenn sie die vorgeschriebenen Maßnahmen nicht einhalten und sie zurechtzuweisen. Dass die Erfüllung dieser Aufgabe und eine ggf. erforderliche Zurechtweisung aus 1,5 m Entfernung möglich sein könnte, erscheint unrealistisch. Zu erwähnen ist hier insbesondere auch, dass das Gericht bereits daran zweifelt, dass die Ordner bei den Einlasskontrollen den erforderlichen Abstand von 1,5 m einhalten können. Damit dürfte es sich um vergleichbare Situation handeln, wie die in der Corona-VO geregelten Fälle des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung.

Dabei dringt der Antragsteller mit seinem Vortrag, soweit ein Mindestabstand laut Corona-VO eingehalten werden könne, sei eine Mund-Nasen-Bedeckung nicht erforderlich, denn eine Mund-Nasen-Bedeckung schütze nur vor einer Übertragung der Krankheit und es sei nicht ersichtlich, dass die vom Versammlungsleiter ausgewählten Ordner Kranke Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider seien, nicht durch. Denn dabei verkennt er, dass die Übertragung der Krankheit - wie bereits oben dargelegt - bereits zwei Tage vor Symptombeginn möglich ist und am Tag vor Symptombeginn ihren Höhepunkt erreicht, eine Übertragung also nicht erst dann erfolgt, wenn dieses Risiko anhand von Symptomen erkannt werden kann. Dass der Versammlungsleiter nur gesunde Personen als Ordner einsetzt und eine Übertragung deshalb ausgeschlossen sei, vermag das Gericht damit nicht zu überzeugen.

Die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung eine geeignete Schutzmaßnahme ist, um die Weiterverbreitung der Krankheit einzuschränken, ist auch nicht zu beanstanden. In einer aktuellen Empfehlung stellt die WHO zwar fest, dass der Einsatz von nicht zertifizierten Masken, die Mund und Nase bedecken, nicht ausreichend evaluiert sei und daher weder eine Empfehlung für noch gegen den Einsatz gegeben werden könne (vgl. https://www.pta-in-love.de/rki-empfiehlt-mund-nasen-bedeckung-im-oeffentlichen-raum/, abgerufen am 15.05.2020). Dagegen empfiehlt nunmehr jedoch das Robert Koch-Institut (RKI) im Rahmen einer Neubewertung ein generelles Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum als einen weiteren Baustein, um Risikogruppen zu schützen und den Infektionsdruck und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren. Dabei betont es, dass der Einsatz von MNB die zentralen Schutzmaßnahmen, wie die (Selbst-) Isolation Erkrankter, die Einhaltung der physischen Distanz von mindestens 1,5 m, die Hustenregeln und die Händehygiene zum Schutz vor Ansteckung, nicht ersetzen kann. Diese zentralen Schutzmaßnahmen müssten weiterhin strikt eingehalten werden. Daneben könne jedoch durch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung eine teilweise Reduktion der unbemerkten Übertragung von infektiösen Tröpfchen auf Populationsebene zu einer weiteren Verlangsamung der Ausbreitung beitragen. Dies betreffe die Übertragung im öffentlichen Raum, in dem mehrere Menschen zusammentreffen und sich dort länger aufhalten oder der physische Abstand von mindestens 1,5 m nicht immer eingehalten werden könne (vgl. https://www.rki.de/Shared-Docs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Mund_Nasen_Schutz.html, abgerufen am 15.05.2020). Entsprechend kommt auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) in einer aktuellen Stellungname zu dem Schluss, dass der Einsatz von Gesichtsmasken als Mittel der Kontrolle von Infektionsquellen eingesetzt werden kann, um die Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung durch infizierte Personen, die noch keine Symptome entwickelt haben, zu verhindern (https://www.pta-in-love.de/rki-empfiehlt-mund-nasen-bedeckung-im-oeffentlichen-raum/, abgerufen am 15.05.2020). Das amerikanische Public-Health-Institut CDC spricht ebenfalls eine Empfehlung für den Einsatz von MNB aus, um in Situationen, in denen andere Maßnahmen der physischen Distanzierung nur schwierig eingehalten werden können, eine Übertragung des Virus auf andere zu verhindern (vgl. Epidemiologisches Bulletin des RKI vom 14.04:2020: Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der Übertragungen von COVID-19. Strategie-Ergänzung zu empfohlenen Infektionsschutzmaßnahmen und Zielen, veröffentlicht bei https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20.pdf?blob=publicationFile).

Soweit der Antragsteller weiter geltend macht, die Ordner würden ihre mitgeführte Mund-Nasen-Bedeckung aufziehen, sobald sie den Mindestabstand nicht mehr einhalten, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Denn laut RKI ist Voraussetzung für eine Verlangsamung der Ausbreitung von COVID-19, dass genügend Menschen eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen und richtig mit der Mund-Nasen-Bedeckung umgehen: die Bedeckung muss durchgehend eng anliegend über Mund und Nase getragen und bei Durchfeuchtung gewechselt werden; sie darf während des Tragens nicht (auch nicht unbewusst) zurechtgezupft werden und auch nicht um den Hals getragen werden (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Mund_Nasen_Schutz.html, abgerufen am 15.05.2020). Der Vorschlag, die Mund-Nasen-Bedeckung je nach Einhaltung des Abstandes zu anderen Personen auf- oder abzuziehen, widerspricht damit der Sinnhaftigkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung. Zudem dürfte dies wie oben bereits dargelegt aufgrund der Dynamik des Versammlungsgeschehens kaum umsetzbar sein, da eine enge räumliche Nähe bis hin zu unmittelbaren Körperkontakten der Ordner mit den zahlreichen Teilnehmern zu jeder Zeit möglich ist und ggf. auch sehr schnell gehandelt werden muss.

Eine Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 8 GG ergibt sich letztendlich nicht.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Da die Hauptsache vorweggenommen wird, erscheint es gerechtfertigt, den vollen Auffangstreitwert festzusetzen.