VG Karlsruhe, Beschluss vom 23.10.2017 - 10 K 13245/17
Fundstelle
openJur 2020, 33083
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser auf sich behält.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes und mit einer Klage (10 K 14046/17) gegen eine Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 24.03.2017 zur Durchführung eines verkaufsoffenen Sonntags am 29.10.2017 im Bereich der Innenstadt "aus Anlass der Medizinischen Woche". Die Antragstellerin beantragt sachdienlich gefasst,

die aufschiebende Wirkung der Klage 10 K 14046/17 gegen die "Allgemeinverfügung zur Durchführung der verkaufsoffenen Sonntage im Stadtkreis Baden-Baden im Jahr 2017" vom 24.03.2017 insoweit wiederherzustellen, als Öffnungen am Sonntag, dem 29.10.2017, gestattet werden.

II.

1. Der zulässige Eilantrag ist unbegründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abzuwägen. Dabei kommt es zum einen darauf an, ob die Anordnung des Sofortvollzuges durch die Behörde formell rechtmäßig war. Zum anderen sind die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage wahrscheinlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der angefochtene Bescheid dagegen schon bei kursorischer Prüfung als wahrscheinlich rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei der Interessenabwägung. Hiernach ist der Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen. Die Anordnung des Sofortvollzuges wurde ordnungsgemäß begründet (a). Die Erfolgsaussichten der Klage lassen sich bei der im Eilverfahren lediglich möglichen summarischen Prüfung nicht abschätzen (b). Die im Hinblick auf die offenen Erfolgsaussichten erforderliche Folgenabwägung fällt zugunsten des Sofortvollzuges aus (c).

a) Die Anordnung des Sofortvollzuges genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO schriftlich zu begründen ist. Mit dem Hinweis auf die erforderliche Planungssicherheit für die Gewerbetreibenden und deren Ausgaben für Werbemaßnahmen hat die Antragsgegnerin in der Begründung der Allgemeinverfügung ein besonderes öffentliches Interesse im Sinne des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO in ausreichender Weise dargelegt. Ortsüblich bekannt gemacht werden musste diese Begründung nicht. Die Bekanntmachung des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung war ausreichend (§ 41 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 LVwVfG).

b) Die Erfolgsaussichten der Klage lassen sich bei der im Eilverfahren lediglich möglichen summarischen Prüfung nicht abschätzen.

Rechtsgrundlage für die Allgemeinverfügung ist § 8 Abs. 1 Sätze 1 u. 2 LadÖG BW. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 LadÖG BW dürfen Verkaufsstellen abweichend vom Sonntagsverkaufsverbot nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 LadÖG BW aus Anlass von örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen an jährlich höchstens drei Sonn- und Feiertagen geöffnet sein. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 LadÖG BW bestimmt die zuständige Behörde diese Tage und setzt die Öffnungszeiten fest. Die Offenhaltung von Verkaufsstellen kann gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 LadÖG BW auf bestimmte Bezirke und Handelszweige beschränkt werden.

Ob die Sonntagsöffnungen am 29.10.2017 hiernach rechtmäßig sind, lässt sich im Eilverfahren nicht beurteilen. Zwar dürfte der Antragstellerin insoweit nicht zu folgen sein, als sie geltend macht, die Antragsgegnerin habe das ihr eingeräumte Ermessen überhaupt nicht ausgeübt, sie habe nicht geprüft, ob eine räumliche Eingrenzung oder eine Beschränkung auf bestimmte Warengruppen erforderlich sei. Denn die Antragsgegnerin hat auf der zweiten Seite der Begründung der Allgemeinverfügung in einem eigenen Absatz ausgeführt, warum eine Begrenzung der im Rahmen des verkaufsoffenen Sonntags angebotenen Waren auf bestimmte Handelszweige nicht angezeigt sei (Bl. 137 der Behördenakte). Der räumliche Geltungsbereich wurde bewusst auf die Innenstadt begrenzt (vgl. Bl. 139 der Behördenakte). Die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens sind aber insofern offen, als sich im Eilverfahren nicht hinreichend abschätzen lässt, ob der Antragstellerin insoweit zu folgen ist, wie sie auf die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten strengen Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zulässigkeit von Sonntagsöffnungen (BVerwG, Urteil vom 11.11.2015 - 8 CN 2.14 -, juris Rn. 23 ff.) verweist.

Die Kammer hat bereits in ihrem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 25.04.2017 (10 K 4813/17, juris) betreffend den verkaufsoffenen Sonntag am 30.04.2017 im Rahmen des Orthopädenkongresses unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschlüsse vom 13.03.2017 - 6 S 309/17 -, juris und vom 26.10.2016 - 6 S 2041/16 -, juris) ausgeführt, dass die Prüfung, ob die vergleichsweise enge "verfassungskonforme" Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts tatsächlich erforderlich sei und den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 01.12.2009 (- 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, BVerfGE 125, 39) entspreche, einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse. Das Bundesverfassungsgericht fordere mit Blick auf Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV lediglich ein Schutzkonzept mit einem Mindestschutzniveau für die Sonn- und Feiertage und die Einhaltung eines Regel-/ Ausnahmeverhältnisses, wobei für die ausnahmsweise sonntägliche Ladenöffnung ein öffentliches Interesse von gewissem Gewicht sprechen müsse, das über das alleinige Umsatz- und Erwerbsinteresse auf Seiten der Verkaufsstelleninhaber und das alltägliche "Shopping-Interesse" auf Kundenseite hinausgehe. Demgegenüber verlange das Bundesverwaltungsgericht eine Verknüpfung einer anderen Veranstaltung mit der Ladenöffnung in Gestalt einer (überwiegenden) Gleichwertigkeitsprognose. Die Kammer hält an dieser Einschätzung fest. Die Prüfung, ob und inwieweit § 8 LadÖG BW verfassungskonform auszulegen ist, muss dem Klageverfahren vorbehalten bleiben.

Das von der Antragstellerin in der Antragsschrift zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.05.2017 - 8 CN 1.16 -, juris, rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil an seiner früheren Rechtsprechung festgehalten. Es hat sich aber nicht vertieft mit den Einwänden des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auseinandergesetzt, obwohl dieser ausdrücklich betont hat, dass das bloße Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und das Erwerbsinteresse der Kunden Ladenöffnungen an Sonntagen nicht rechtfertigen können (s. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.03.2017 - 6 S 309/17 -, juris Rn. 11 u. 15). Die Antragsgegnerin weist überdies zutreffend darauf hin, dass sich der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedene Fall vom vorliegenden Rechtsstreit unter anderem deshalb unterscheidet, da die Antragsgegnerin die Allgemeinverfügung ausführlich begründet hat.

c) Die im Hinblick auf die offenen Erfolgsaussichten erforderliche Folgenabwägung fällt zugunsten des Sofortvollzuges aus.

Zwar reichen allein erwerbswirtschaftliche Interessen der Geschäftsinhaber sowie mögliche Freizeitbelange potenzieller Kunden nicht aus, um den Sofortvollzug zu begründen. Auch ist zu berücksichtigen, dass über die Klage 10 K 14046/17 bis zum verkaufsoffenen Sonntag am 29.10.2017 nicht entschieden worden sein wird und sich die mit der Durchführung des verkaufsoffenen Sonntags verbundenen tatsächlichen Konsequenzen nicht mehr ungeschehen machen lassen. Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe wird hierdurch berührt. Allerdings betrifft dies nur ein einzelnes, zeitlich beschränktes Ereignis. Eine dauerhafte Infragestellung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes ist damit nicht verbunden, zumal der baden-württembergische Gesetzgeber in § 8 LadÖG bereits eine nur sehr niedrige Höchstzahl freigabefähiger Sonn- und Feiertage (drei) mit zudem geringer Stundenzahl (jeweils fünf) ermöglicht und davon noch die Adventssonntage, die Feiertage im Dezember sowie den Oster- und Pfingstsonntag ausgenommen hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 01.12.2009 - 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, juris, hinsichtlich nicht zu beanstandender Ausnahmeregelungen an acht Sonn- und Feiertagen).

Maßgeblich für den Sofortvollzug streitet nach Auffassung der Kammer die Berufsausübungsfreiheit der Verkaufsstelleninhaber, ihr in die Durchführung des verkaufsoffenen Sonntags gesetztes Vertrauen und die von ihnen diesbezüglich getroffenen Dispositionen (vgl. BVerfG, Urteil vom 01.12.2009, a.a.O., nach dem die Regelung zur Öffnung von Verkaufsstellen an allen vier Adventssonntagen trotz Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit für das Jahr 2009 noch anwendbar blieb). Die Firma ... hat in ihrer E-Mail vom 09.10.2017 (Bl. 595 der Behördenakte) an die Antragsgegnerin ausgeführt, dass sie anlässlich des verkaufsoffenen Sonntags bei ihren Lieferanten Waren im Wert von mehr als 200.000 € bestellt habe. Ähnliches dürfte auch für andere Geschäfte gelten. Jedenfalls ein Teil der bestellten Waren dürfte verderblich sein und sich an den Folgetagen nicht uneingeschränkt verkaufen lassen. Auch dürfte der verkaufsoffene Sonntag im Vorfeld weiträumig beworben worden sein. Die Werbeausgaben wären im Falle des Suspensiveffektes frustriert. Im Falle einer kurzfristigen Absage des Ereignisses wäre zudem ein nicht unerheblicher Imageverlust des innerstädtischen Handels zu befürchten (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.03.2017 - 6 S 309/17 -, juris Rn. 15 m.w.N.).

Demgegenüber ist für die Kammer ein erheblicher Nachteil für die Antragstellerin im Falle des Sofortvollzuges nicht erkennbar. Die Antragstellerin hat am 29.10.2017 keine Veranstaltung geplant, welche durch die Durchführung des verkaufsoffenen Sonntags beeinträchtigt werden könnte. Sie muss sich überdies entgegenhalten lassen, dass sie den Eilantrag erst am 04.10.2017 gestellt hat, obwohl die angegriffene Allgemeinverfügung bereits am 27.03.2017 öffentlich bekannt gemacht wurde und das von ihr zitierte, sie zur Stellung des Eilantrages bewegende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bereits am 17.05.2017 ergangen ist.

Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg am 26.10.2017 über einen Normenkontrollantrag der Antragstellerin gegen eine Satzung der Stadt Sindelfingen über die Offenhaltung von Verkaufsstellen an drei Sonntagen im Jahr 2016 verhandeln wird (6 S 2322/16). Das in dieser Sache ergehende Urteil dürfte in dem hier angestrengten Klageverfahren 10 K 14046/17 zu beachten sein.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Nachdem der Beigeladene keinen Antrag gestellt und das Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 HS 1 VwGO so vermieden hat, erscheint es billig, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat.

3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Da die Hauptsache wegen des Zeitablaufs vorweggenommen wird, sieht die Kammer in Anlehnung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beilage 2013, 58) von einer Reduzierung des Streitwerts für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ab (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 28.04.2017 - 6 S 1048/17 -, S. 4 f.; Beschluss vom 13.03.2017 - 6 S 309/17 -, juris Rn. 19). Die zwischenzeitlich erhobene Klage rechtfertigt keine andere Streitwertfestsetzung, da sich die mit der Durchführung des verkaufsoffenen Sonntags verbundenen tatsächlichen Konsequenzen im Nachhinein nicht mehr ungeschehen machen lassen werden.

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